Abgesehen von gelegentlichen prominenten Gästen ist der Star eines ARD-Sonntagskrimis in der Regel die Mannschaft, sprich: das Ermittlungsteam. Diesmal müssen sich Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär das filmische Zentrum jedoch mit der Titel-"Figur" teilen: Der 1981 in Betrieb gegangene Fernmeldeturm im Herzen Kölns ist der nahezu konkurrenzlose Blickfang von "Colonius". Schon allein die Drohnenaufnahmen vom Dach des Turmkorbs in weit über 150 Metern Höhe sind spektakulär. Auch der Auftakt ist ungewöhnlich: Die ersten Bilder zeigen Sex mit atemberaubender Aussicht, was dem Wort Höhepunkt eine ganz neue Bedeutung verleiht. Unmittelbar drauf ("30 Jahre später") folgt der düstere Krimialltag: Ein Fotograf ist in seinem Wohnungsatelier mit einem Stativ erschlagen worden.
Ein Foto an der Wand erinnert Schenk an einen lange zurückliegenden Einsatz. Damals ist er als Mitglied des Kriminaldauerdienstes zu einem Autobrand am Fuß des Colonius’ gerufen worden. Es war der Abend des letzten "Sky Dance", einer Techno-Party in der Diskothek über dem Drehrestaurant; beide sind seit 1994 geschlossen. Der abgefackelte Wagen gehörte dem heutigen Opfer, und prompt vermuten nicht nur die Krimifans, sondern auch Schenk und Ballauf, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Mord und dem damaligen Ereignis geben muss.
Die Dreharbeiten im Turm waren für alle Beteiligten, sofern sie aus Köln kommen, garantiert ein spannendes Erlebnis: Seiner eigentlichen technischen Bestimmung kommt Colonius nach wie vor nach, aber die Öffentlichkeit hat seit drei Jahrzehnten keinen Zugang mehr. Ein idealer Ort also, um hier ein Geheimnis anzusiedeln; und ein besonderes Vergnügen für Eva und Volker A. Zahn. Das Kölner Drehbuchehepaar hat den beiden Kommissaren in den letzten Jahren schon einige Fälle beschert, die unverwechselbar in der Region verankert waren, allen voran den im Tagebaugebiet angesiedelten Krimi "Abbruchkante" (2023).
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Zweiter Schauplatz neben Dach, Disko und Keller des Funkturms ist das Revier. Charlotte Rolfes hat zuletzt den nicht minder sehenswerten und auch dramaturgisch reizvoll gestalteten Kölner Krimi "Pyramide" gedreht (2024, über ein Unternehmen, das mit Hilfe eines Schneeballsystems enorme Gewinne anhäuft). "Colonius" ist ein völlig anderer Film, aber die Qualität ist die gleiche. Wie es der Regisseurin gelungen ist, dank Kamera (Rainer Lipski) und Schnitt (Ramin Sabeti) sowie mit Hilfe des geteilten Bildschirms aus den Befragungsszenen ein fesselndes Kammerspiel zu machen, ist äußerst respektabel. Höhepunkt ist eine an klassische Saloon-Schlägereien erinnernde Prügelszene in Zeitlupe, bei der allerlei zu Bruch geht.
Natürlich ist der Anteil des Drehbuchs nicht minder gewichtig: Wenige Wochen vor seinem Tod hat der Fotograf in einer Suchmaschine vier Namen eingegeben. Dieses Quartett bitten die Kommissare nun ins Präsidium. Die drei Älteren – zwei Männer, eine Frau – waren damals auf der letzten Party im Colonius. Zu ihrer Clique gehörte auch Gina, eine junge Mutter, von der seither jede Spur fehlt. Es hieß, sie sei mit dem Baby überfordert gewesen und abgehauen; ihre Eltern haben einige Monate später Ansichtskarten aus Gibraltar und Marokko bekommen. Vierte im Befragungsbund ist Ginas Tochter (Vanessa Loibl), die im Verlauf der Gespräche ein bitteres Wechselbad der Gefühle erlebt.
Neben der Vorlage und der handwerklichen Umsetzung leben die Revierszenen vor allem vom Ensemble (Karoline Eichhorn, Thomas Loibl, Andreas Pietschmann), und da die Ausführungen des Trios durch Rückblenden illustriert werden, gilt das auch für die jugendlichen Alter Egos (unter anderem Sinje Irslinger). Die reizvollste Rolle hat dabei Emma Bading als seit jener Nacht voller Techno, Sex, Drogen und Alkohol verschwundene Femme fatale, die allen Männern den Kopf verdreht hat. Im Atelier des Mordopfers hat Kriminaltechnikerin Natalie Förster (Tinka Fürst) neben Fotos von der Partynacht auch einen abgeschnittenen Zopf gefunden.
Er gehörte Gina, und Schenk wundert sich, dass die drei das vierte Mitglied ihrer Clique zunächst mit keinem Wort erwähnen: "Manchmal ist Totschweigen verräterischer als Sprechen." Ballauf wiederum erinnert sich an den alten Brauch, Ehebrecherinnen die Haare abzuschneiden. Wie die beiden Kommissare das Trio gegeneinander ausspielen und dank immer wieder neue Erkenntnisse zunehmend in die Enge treiben, ist gleichermaßen gut geschrieben wie inszeniert und gespielt, zumal die Rückblenden flüssig in den Handlungsfluss integriert sind.