Gefährliche "Chimäre": Erbgut des EHEC-Erregers entziffert

Gefährliche "Chimäre": Erbgut des EHEC-Erregers entziffert
Es ist ein wichtiger Schritt: Das Erbgut des EHEC-Bakteriums ist entschlüsselt. Die Gen-Kombination ist aber unbekannt - Forscher sprechen von einer "Chimäre". Inzwischen steigt die Zahl der Todesopfer. Auch in anderen Ländern wächst die Furcht vor EHEC.

Im Kampf gegen den aggressiven EHEC-Erreger haben Forscher einen wichtigen Schritt gemeistert: Sie kennen nun das Erbgut ihres Gegners. "Es handelt sich um eine so noch nie gesehene Kombination von Genen", sagte der Bakteriologe Holger Rohde am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa. Nun fahnden die Forscher unter Hochdruck nach einer Therapie gegen die tödliche Darmkrankheit. Unterdessen fordert die Seuche in Deutschland weiter Opfer. Inzwischen zählen die Behörden 17 Todesfälle.

Neuartiger Hybrid-Klon

Experten des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) haben mit Hilfe chinesischer Kollegen das Genom des grassierenden Erregers gelesen. Demnach handele es sich um eine gefährliche "Chimäre" - eine Art Kreuzung -, die Eigenschaften zweier Erregertypen in sich vereint. Diese lösten das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) aus, der besonders schweren Verlaufsform der Krankheit, erläuterte Rohde.

Für die Entstehung des Hybrid-Klons haben allem Anschein nach zwei Bakterien Teile ihrer Erbsubstanz miteinander ausgetauscht. Damit gehen Eigenschaften eines Keimes auf andere über, es kommt zu Mischformen - den Chimären. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf betonte, dieser Hybrid-Klon sei noch nie beobachtet worden.

Forscher des Universitätsklinikums in Münster, wo jüngst ein EHEC-Schnelltest entwickelt worden war, zeigten sich optimistisch. "Wir erhoffen uns im Laufe der nächsten Woche Hinweise zur Verhinderung weiterer Infektionen", sagte Prof. Dag Harmsen dem Radiosender HR-Info. In Münster war es Forschern ebenfalls gelungen, das EHEC-Erbgut zu entschlüsseln. Mit den bisherigen Erkenntnissen könne Patienten zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht geholfen werden.

In der Nacht zum Donnerstag war in Hamburg das 17. EHEC-Opfer gestorben. Einen ersten EHEC-Todesfall gab es zudem möglicherweise in Baden-Württemberg. Rund drei Wochen nach dem Auftreten der ersten EHEC-Fälle gibt es dort wie anderswo keine Entwarnung. In Deutschland gibt es derzeit etwa 2.000 gemeldete Infektionen und Verdachtsfälle. Nach WHO-Angaben haben insgesamt zehn Länder Fälle gemeldet.

Spaniens Schadenersatzforderungen und Russlands Import-Stopp

Unterdessen hat Spanien seine Forderung nach Schadenersatz in Millionenhöhe für seine Bauern bekräftigt. Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero übte zudem scharfe Kritik am Krisenmanagement der deutschen Behörden und der Europäischen Union, als sie spanische Gurken mit der Ausbreitung der EHEC-Infektionen in Verbindung gebracht hätten. "Die Regierung hat die Absicht, eine Wiedergutmachung für den gesamten entstandenen Schaden zu verlangen", sagte Zapatero im staatlichen Rundfunk RNE.

Wegen der grassierenden EHEC-Seuche hatte zudem Russland die Einfuhr von Gemüse aus der gesamten Europäischen Union verboten. Bisher galt das Importverbot im größten Land der Erde nur für frisches Gemüse aus Deutschland und Spanien. Grund sei die andauernde EHEC-Ausbreitung, so offizielle Stellen.

Die EU-Kommission reagierte mit Unverständnis, da erst am Vorabend nach neuen Testergebnissen die europaweite Warnung vor spanischen Gurken aufgehoben worden war. "Wir verlangen von Russland eine Erklärung", sagte ein Sprecher von EU-Gesundheitskommissar John Dalli am Donnerstag in Brüssel.

Zwei südspanische Agrarbetriebe, auf deren Gurken in Hamburg EHEC-Erreger entdeckt worden waren, kündigten Schadenersatzklagen in Deutschland an. Spanische Bauernverbände beziffern die den Landwirten entstehenden Verluste auf 200 Millionen Euro pro Woche.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verteidigte das Vorgehen der deutschen Behörden. In einem Telefongespräch mit Zapatero habe die Kanzlerin zwar Verständnis für die Notlage spanischer Bauern gezeigt, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert am Donnerstagabend mit. Gleichzeitig habe Merkel auf die Verpflichtung der deutschen Behörden hingewiesen, die Bürger zu informieren.

UKE ruft wegen EHEC-Welle zum Blutspenden auf

Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) ruft wegen der EHEC-Erkrankungswelle zum Blutspenden auf. Rund zwei Drittel der HUS-Patienten bräuchten eine Plasmapherese, also einen Austausch des Blutplasmas, erklärte eine Sprecherin am Freitag. "Seit Anfang der Woche werden daher derzeit im UKE rund 500 Blutplasmen pro Tag verbraucht." Der Vorrat reiche zwar nach jetzigem Stand für die kommenden Wochen aus, hieß es. "Es besteht im Moment kein Engpass - in einigen Wochen muss aber mit einem deutlichen Engpass gerechnet werden." Vom Zeitpunkt der Blutspende bis zur Gewinnung von Plasma, das eingesetzt werden könne, vergingen drei bis vier Monate, berichtete die Sprecherin.

dpa