Christlich war die Seefahrt schon zu Zeiten der Hanse und Klaus Störtebekers nicht. Doch umgangssprachlich wird mit der Christlichen Seefahrt bis heute die zivile Handelsschifffahrt bezeichnet. Nicht alleine diese erlebt hierzulande eine Blüte wie zu Zeiten des legendären Kaufmann- und Städtebundes Hanse. Dessen Netzwerk umspann einst halb Europa.
Jetzt ist die deutsche Containerflotte die größte der Welt. Und zwar mit Abstand: Jeder dritte der monströsen Lastesel der Globalisierung gehört von hiesigen Reedern, Anlegern und Banken. Millionen Pkw exportiert die süddeutsche Automobilindustrie über Bremerhaven und Hamburg in die weite Welt hinaus, und die eigentliche Drehscheibe des Ruhrgebietes ist der größte Binnenhafen auf Erden, der Duisburger.
In Niedersachsen werden hunderte Meter lange Luxusliner für die Walt Disney Company gefertigt, und jede zweite Kriegsmarine auf diesem Globus fährt norddeutsche U-Boote. Dazu kommt eine Deutsche Marine, die ab Herbst fünf neuartige Korvetten einsetzen kann, die erstmals für globale Einsätze konzipiert wurden. Drei Großkampfschiffe sind bestellt. Kurzum, Deutschland ist wieder eine Seemacht. Und die feiert ihre Hochzeit an diesem Wochenende in Wilhelmshaven.
Haushohe Schiffsschrauben von der Müritz
Am Anfang dieses Jahrtausends schuf Marinekanzler Gerhard Schröder mit der "Maritimen Konferenz" die Grundlagen für ein dichtes Netzwerk aus Politik, Wirtschaft und Staat, wie es vergleichbar nur in der Luftfahrt und der Automobilindustrie funktioniert. Auf der an diesem Freitag eröffneten 7. Nationalen Maritimen Konferenz werden sich wieder die wichtigen Akteure versammeln, Spitzen von Industriekonzernen wie Siemens und Thyssen-Krupp, von großen Banken und Deutscher Marine, Investmentfonds und Reedereien, öffentlichen Verwaltungen und Versicherern, Hafenbetrieben, Werften und Forschungseinrichtungen.
200 wissenschaftliche Institute, schätzt der Werftenverband VSM, forschen über maritime Themen. Mit Forderungskatalogen treten die beiden Gewerkschaften Verdi und IG Metall in Wilhelmshaven an. Schließlich geht es um 400.000 Jobs unmittelbar in der maritimen Wirtschaft, und zighunderttausenden die mittelbar vor allem in der Logistikindustrie arbeiten. Bundesweit. So schafft die maritime Zulieferindustrie des Exportweltmeisters vor allem im Osten und Süden. Haushohe Propeller - wie Schiffsschrauben in der Branche heißen - werden aus Waren an der Müritz nach Südkorea und China geliefert; Kapitäne auf allen sieben Meeren steuern per Elektronik aus München, und ein Großteil der Containerriesen stampft mit Antriebsaggregaten vom Bodensee über die Ozeane.
Billigflaggen für Billiggebühren
Nach Hamburg (2006) und Rostock (2009) treffen sich die Seemacht-Akteure 2011 am Rande des noch im Bau befindlichen neuen Tiefwasserhafens Jade-Weser-Port. Mittenmang tummeln sich Ministerpräsidenten der Küstenländer, Staatsekretäre der fünf "maritimen" Bundesministerien, die Bundesminister Peter Ramsauer (CSU) und der neue Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in einer Grundsatzrede am Sonnabend den Kurs für die nächsten Jahre einschlagen will.
Seit wirtschaftsliberale FDP-Minister in der Regierung sind, hakt es im "Maritimen Komplex", sogar finanzielle Zuwendungen wurden gekürzt. Daher rumort es in der ganzen Branche, obwohl sie die größte Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik insgesamt gut überstanden hat. Eine außerordentliche Koalition aus den Regierungen der fünf Küstenländer, Gewerkschaften und Unternehmensverbänden will versuchen, die schwarz-gelbe Regierung Merkel II wieder auf den alten Subventionskurs der Regierung Merkel I zu bringen.
Dafür gibt es gute Gründe. Nichts ist globaler als die Schifffahrt und entsprechend sind die Probleme national. Nicht einmal 600 der 3.700 deutschen Schiffe, wie auf der letzten Konferenz versprochen, fahren unter Schwarz-Rot-Gold. Billigflaggen wie Liberia (1.150 deutsche Schiffe) bieten Dumping-Gebühren und erlauben niedrigere Heuern für Matrosen aus Manila und Offiziere aus Odessa. Der Boom macht die an sich vergleichsweise saubere Seefahrt zu einem Problem für Klima und Umwelt.
Gewinnsteuer zurückbringen, Ausbildung finanzieren
Dabei mangelt es an einer einheitlichen globalen Regulierung. So subventionieren China, Korea oder Vietnam weit kräftiger, vornehmlich, weil sie die Hochtechnologie-Branche als strategische Schlüsselindustrie ansehen. Doch auch Staatswerften in Frankreich und Italien oder Steuervorteile in Spanien ärgern die Schiffbauer nicht allein hierzulande. Zudem hat die große Krise die Anfälligkeit der Globalisierung demonstriert: Der Umschlag in Deutschlands Häfen brach um ein Viertel ein. Stilllegungen drohten.
Deutschland hat in diesem Schlüsselsektor mit einer klassischen Industriepolitik eine Dekade lang erfolgreich dagegen gehalten. Von Lobbygruppen getrieben, gingen mehrere Regierungen zu weit, als sie die finanzstarken Reeder durch eine "Tonnagesteuer" von Gewinnsteuern befreite. Dagegen vernachlässigten Politik und Unternehmen die Ausbildung von Seeleuten und Ingenieuren. So wäre die christdemokratisch geführte Bundesregierung gut beraten, wenn sie den Maritimen Komplex wirtschaftspolitisch fort entwickelte.
Hermannus Pfeiffer ist freier Wirtschaftsjournalist und Autor des Buchs "Seemacht Deutschland" (Ch. Links Verlag, Berlin, 224 S., 16.90 Euro).