"Nachtschicht: Ein Mord zuviel", 17. Januar, 20.15 Uhr im Zweiten
In keiner anderen Krimireihe geht es so finster zu wie in den Filmen Lars Beckers. Auch in "Ein Mord zuviel" schickt er seine Ermittler vom Hamburger Kriminaldauerdienst wieder ins Reich der Finsternis. Ein weiteres Markenzeichen der Geschichten ist ihre Originalität. Zu Beginn des neuen Falls für das KDD-Team ist ein mehrfacher Mörder grundsätzlich geständig, leugnet jedoch eine ganz bestimmte Tat. Das ergibt wenig Sinn, wie die Prozessbeobachter ganz richtig feststellen: Ob der Mann nun für zwei oder für drei Morde lebenslänglich hinter Gittern kommt, macht doch keinen Unterschied. Aber Pinky Brühl (Mišel Mati?evi?) bleibt dabei: Den Stiefvater und den Sozialarbeiter hat er auf dem Gewissen, die grausam und qualvoll ums Leben gekommene Therapeutin hingegen nicht. Und weil ihm das keiner glaubt, flieht er, unfreiwillig begleitet von seinem Anwalt (Joachim Król), kurzerhand aus dem Gericht, um selbst nach dem Mörder zu suchen.
Dieser Gewalttäter ist eine ziemlich mutige Figur, denn Mati?evi? verkörpert Pinky auf unbekümmerte Weise durchaus sympathisch. "Gewitter im Kopf" nennt Psychiaterin Iris Wilhelmina (Katja Flint) seine aggressiven Schübe; Rückblenden belegen, dass seine Opfer zumindest nicht ganz unschuldig an ihrem Schicksal waren. Trotzdem ist Pinky nicht gut auf die Frau zu sprechen, denn sie bezweifelt seine Schuldfähigkeit, und er will lieber in Gefängnis als in die "Klapse". Als auch Frau Wilhelmina verschwindet, hat das KDD-Team längst den Frauenhasser Osterwald (Lars Rudolph) im Visier; aber auch diese Spur ist nur halb richtig.
Dichte Erzählweise
Gerade die dichte Erzählweise und die sorgfältige Bildgestaltung (Kamera diesmal: Andreas Zickgraf) lassen Beckers Filme immer wieder aus den vielen TV-Krimis herausragen. Selten sah die Hansestadt dank des sintflutartigen Dauerregens so unwirtlich aus. Das gilt erst recht für die Bilder aus der Unterwelt: Der Mörder entsorgt seine Opfer in der Kanalisation. Nicht minder sehenswert sind die darstellerischen Leistungen. Allein das kontrastreiche Paar Król/Mati?evi? ist ein Genuss. Eine wunderbare Miniatur liefert Olli Dittrich als Herrenausstatter, der nicht gerade erfreut auf Pinkys stürmischen Besuch in seiner Boutique reagiert.
Wichtige Nebenfiguren sind auch die von Tim Wilde und vor allem Martin Brambach äußerst abschreckend verkörperten schlagfreudigen Gefängnisaufseher. Armin Rohde und Barbara Auer als KDD-Beamten, die ihre Fälle in nur einer Nacht zu lösen pflegen, sind ohnehin eine Bank. Bloß Minh-Khai Phan-Thi (als Kommissarin Mimi Hu) macht nach wie vor den Eindruck, als sollte sie besser für die "Pfefferkörner" ermitteln. Das ist auch eine Krimireihe, die in Hamburg spielt; aber aus dem Kinderfernsehen.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).