Aufruhr im Maghreb: "Unsere Generation ist verzweifelt"

Aufruhr im Maghreb: "Unsere Generation ist verzweifelt"
Mehr als 30 Tote und mehrere Hundert Verletzte - das ist die vorläufige Bilanz der Unruhen in Tunesien und Algerien. Die Auslöser der Gewalt sind verschieden, doch in beiden Ländern herrschen Frust und Verzweiflung über die allgemeine Perspektivlosigkeit.
11.01.2011
Von Ulrike Koltermann

"Ben Ali, verschwinde!", "Nieder mit der Diktatur!" - Um solche Slogans in Tunesien zu brüllen, muss man sehr mutig oder sehr verzweifelt sein. Oder beides. Das Land, das seit fast einem Vierteljahrhundert von dem Machthaber Zine el Abidine Ben Ali an der Kandare geführt wird, wird seit Mitte Dezember von sozialen Unruhen erschüttert. Auch das benachbarte Algerien erlebt seit Tagen Straßengefechte zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Bislang gibt es mehr als 30 Tote und Hunderte Verletzte in beiden Ländern.

"Unsere Generation ist verzweifelt"

Tränengas, brennende Autoreifen, geplünderte Geschäfte - die Bilder aus beiden Ländern ähneln sich. Zwar sind die Auslöser der Gewalt in beiden Ländern verschieden, doch der Frust wegen mangelnder Perspektiven sitzt bei der jungen Generation im Maghreb gleichermaßen tief.

"Unsere Generation ist verzweifelt", schreibt die junge Algerierin Nina B. in einem Forum. "Wir leiden unter Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot, dabei besitzt Algerien 155 Milliarden Dollar Öldevisen. Unser Land ist in den Händen einer korrupten Elite." Sie wünsche sich nichts mehr, als dass der Aufstand das ganze Land ergreife.

In beiden Ländern müssen Demonstranten die harten Reaktionen der Sicherheitskräfte fürchten. Allein in Algerien gab es mehr als 1.100 Festnahmen. Zeitweise waren die Mobilfunkdienste gestört. Die tunesische Regierung hat versucht, eine Nachrichtensperre zu verhängen. Einer Journalistin der französischen Zeitung "Le Monde" wurde die Einreise verweigert.

Doch die Zensur ist schwieriger durchzusetzen als früher. Demonstranten informieren sich per SMS und über das soziale Netzwerk Facebook im Internet. Das "Projekt Tornesia" bietet Tunesiern mit Hilfe einer Software anonymen Zugang zum Internet.

Öffentliche Selbstverbrennungen

Ungewohnt ist das Ausmaß der Proteste, die auf zahlreiche Orte übergegriffen haben. Neu ist auch die Offenheit, mit der Demonstranten sich gegen ihre Regierung auflehnen. Und dann gibt es auch noch spektakuläre Gesten wie öffentliche Selbstverbrennungen. Wie verzweifelt muss ein Mensch sein, der sich mit Benzin überschüttet und anzündet? Es ist eine der qualvollsten Arten, Selbstmord zu begehen.

In Tunesien haben sich seit Mitte Dezember zwei junge Menschen auf diese Weise getötet. Der erste von ihnen war ein arbeitsloser Hochschulabsolvent, der sich als Gemüsehändler durchschlug. Die Behörden konfiszierten mehrfach seine Waren, weil er keine Lizenz hatte. Tagelang lag er komplett in Verbände gehüllt in einem Krankenhaus, bevor er schließlich seinen Verletzungen erlag. Sein Fall wurde zum Auslöser der Massenproteste.

In Algerien hat sich die Lage etwas beruhigt, seit die Regierung Preissenkungen für Grundnahrungsmittel wie Speiseöl und Zucker angekündigt hat. In Tunesien hingegen ist mittlerweile die Armee im Einsatz, um die Unruhen einzudämmen. Am Montag starben erneut mehr als zehn Menschen durch die Schüsse von Sicherheitskräften.

"Die Regierung hat die Stelle der Kolonialherren eingenommen", meint ein Tunesier auf der Website Twitter. "Wenn die Armee auf die eigene Bevölkerung schießt, gibt es eine Katastrophe", warnte ein anderer.

Schulen und Universitäten nach Unruhen geschlossen

Einen Tag nach den neuen blutigen Unruhen in Tunesien haben die Behörden landesweit alle Schulen und Universitäten geschlossen. Die Regierung will damit verhindern, dass sich an den Schulen und Unis weitere soziale Proteste formieren.

Als Ursache der schlimmsten Aufstände seit Mitte der 80er Jahregelten die hohe Arbeitslosigkeit und ein Gefühl der Perspektivlosigkeit in Teilen der Bevölkerung. Gerade Hochschulabsolventen haben es nach der Ausbildung schwer, einen Job zu finden.

In einer Rede am Montag hatte Präsident Zine el Abidine Ben Ali 300.000 neue Arbeitsplätze bis Ende 2012 versprochen. Gleichzeitig verurteilte er die gewaltsamen Proteste als unverzeihliche terroristische Akte.

dpa