Kälte: Obdachlose finden in Heimen Unterschlupf

Kälte: Obdachlose finden in Heimen Unterschlupf
Im Winter mindestens zwei Schlafsäcke: Notunterkünfte bieten Obdachlosen bei klirrender Kälte ein warmes Dach über dem Kopf.Auch die Diakonie hilft.
22.12.2010
Von Ingo Hartel und Dieter Sell

Der Tag ist grau und kalt, dazu ein schneidender Wind und fisselige Luftfeuchtigkeit. Draußen extrem ungemütlich. Nicht, dass es in der Notunterkunft im Bremer Jakobushaus über die Maßen gemütlich wäre, das nicht. Aber es ist warm und trocken, und auch einen Adventskranz gibt es hier. Die diakonische Einrichtung bietet gerade bei Schnee und scharfen Minustemperaturen obdachlosen Menschen eine willkommene Rückzugsmöglichkeit - wenigstens vorübergehend. Das kann Leben retten.

In Bremen gibt es Schätzungen zufolge zwischen 200 und 250 wohnungslose Frauen und Männer. In ganz Deutschland sind es nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe in Bielefeld etwa 255.000. Davon leben schätzungsweise 25.000 auf der Straße. Unter ihnen sind zeitweise auch Johannes, Achim, Diego und Michael, die um den Tisch im Aufenthaltsraum der Bremer Notunterkunft sitzen. Eine Männerrunde der herben Art.

Der Fernseher läuft, Spielkarten liegen auf dem Tisch. In der Luft wabert ein heftiger Knaster, der von weiteren Selbstgedrehten gespeist wird. Dicke Luft, die hier niemandem etwas ausmacht, Hauptsache warm, trocken und sicher. Denn das ist für die vier nicht selbstverständlich. Immer wieder haben sie auf Bänken oder unter Brücken geschlafen.

Leben auf der Straße

"Haben Sie schon mal auf der Straße gelebt?", fragt Achim den Besucher. "Man muss überleben, das ist nicht gerade einfach. Bei dem Wetter jetzt braucht man mindestens zwei Schlafsäcke. Wenn das mal reicht." Wenn dann noch Alkohol im Spiel ist, merken viele Obdachlose gar nicht, wenn sich der Kältetod anschleicht. "Das ist extrem gefährlich", warnt Bertold Reetz von der Bremer diakonischen Wohnungslosenhilfe und weist darauf hin: "Jeder, der zu uns will, wird auch aufgenommen." Im vergangenen Winter erfroren nach Angaben der Bielefelder Arbeitsgemeinschaft bundesweit 17 wohnungslose Menschen. 

Achim ist seit einigen Tagen in der jetzt voll besetzten Notaufnahme. Erst das zweite Mal in seinem Berberleben. Der 44-Jährige hat keine Ausbildung, hat aber oft als Dachdeckergehilfe gearbeitet. Er lebt seit 15 bis 20 Jahren immer wieder mal auf der Straße. Warum? "Frauen und Alkohol". Er habe vier bis fünf Mal entgiftet und beim Entzug immer eine Frau kennengelernt, mit der er zusammengezogen sei. Das habe aber nie lange gehalten.

Achim hat Tränen in den Augen. "Die letzte Frau liebe ich immer noch." Das sei bitter, wie auch die Tatsache, dass die Leute ihn und seine Leidensgenossen wie den letzten Dreck behandelten. "Sie nennen uns Penner, aber es kann jeden treffen. Jeder kann auf der Straße landen." Wie lange er in der Notunterkunft bleibt, weiß er nicht. Wenn er Platte macht, schläft er auf den Gleisanlagen. Neben einem Pärchen. "Wir helfen uns gegenseitig, das ist das Gesetz der Straße, dass jeder jedem hilft."

Johannes stimmt lauthals zu: "Das gilt überall, egal ob in Bremen, Hamburg oder Berlin. Wenn einer den anderen beklaut, kann er sich nirgendwo mehr blicken lassen." Der 65-jährige Mann ist groß, zottelig, hat nikotingelbe Finger und spricht mit vollem Bass eine erstaunlich klare Sprache. Er erzählt, dass er als Schiffsingenieur mehr als 40 Jahre "um die Welt getigert ist". Und dann? Scheidung von seiner Frau Monika. "Werde ich nie vergessen. Für mein Leben ziehe ich eine traurige Bilanz."

Platte machen

Lange hat er Platte gemacht. "Ich habe mir meistens eine Bank gesucht, eine aus Holz, die kühlen nicht so aus." Seit ungefähr 20 Tagen ist er jetzt in der Notunterkunft, sein Kumpel Frank habe ihn mitgenommen. Wie Achim ist auch Johannes froh, hier zu sein. Jedenfalls für den Moment. Achim: "Hier hat man seine Ruhe, wenn man seine Wege gemacht hat. Man kann die Wäsche waschen und bekommt Frühstück, Mittag und Abendbrot."

Das Essen sei gut, sagen die Männer übereinstimmend. Und wenn man kein Geld habe, könne man im Jakobushaus auch auf Kredit essen. Wie es weitergeht, kann Achim nicht sagen. "Vielleicht wieder auf die Straße? So eine Art Freiheitsdrang. Ich komme einfach nicht auf die Beine." Und er fügt an: "Ich bin Alkoholiker." Johannes kontert trocken: "Ach, das sind wir doch alle."

Internet: www.inneremission-bremen.de/wohnen; www.bag-wohnungslosenhilfe.de

epd