Heiner Geißler als Schlichter hat gleich zwei Aufträge

Heiner Geißler als Schlichter hat gleich zwei Aufträge
Endlich kommt Bewegung in die Auseinandersetzung um das Bahnprojekt Stuttgart 21: Der CDU-Veteran Heiner Geißler hat als Schlichter die Aufgabe übernommen, Befürworter und Gegner an einen Tisch zu bringen - und verkündete sogleich überraschend einen Baustopp für die Dauer der Gespräche, die Ende kommender Woche beginnen sollen. Doch welche Chancen hat der politisch mit allen Wassern gewaschene Politikprofi wirklich?
07.10.2010
Von Thomas Östreicher

Baustopp für Stuttgart 21: Die Sensation des Tages konnte Heiner Geißler am Donnerstagnachmittag als erstes Ergebnis seiner Schlichtung verkünden, bevor er überhaupt richtig mit der Arbeit begonnen hatte. Ein Stopp zwar einstweilen nur für die Dauer der Gespräche, aber die Projektgegner jubelten. [Aktualisierung: Am späten Abend dementierten sowohl Bahnchef Grube als auch Ministerpräsident Mappus - es gebe keinen Baustopp. Es werde aber zunächst weder der Südflügel des alten Bahnhofsgebäudes abgerissen noch würden weitere Bäume gefällt. Letzteres ist derzeit aus Artenschutzgründen allerdings ohnehin nicht gestattet. Mappus betonte, das Grundwassermanagement zur Vorbereitung der der Tiefbauarbeiten gehe unvermindert weiter.]

Obwohl es nicht danach aussah: Auch der oberste Projektbetreiber, Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus, hatte Grund zur Freude. Vor dem Landtag hatte er Geißlers Berufung als eigenen Coup präsentiert, obwohl die Idee nicht von ihm ausging. Er sei sich sicher, setzte Mappus hinzu, auf diese Weise öffne sich "ein Weg zur Versöhnung".

Versöhnung ist ein großes Wort. Und mit einer gewissen Logik kann es Versöhnung erst nach einem Streit geben - gleich ob er mit dem Sieg einer Seite endet, einem Kompromiss oder allgemeiner Ratlosigkeit. Solange der Streit aber andauert, ist die Hoffnung auf Versöhnung verfrüht.

Beginn des Dialogs

Ein Ende des Streits lag nie ferner als in jüngster Zeit. Was also kann der 80-jährige "Polit-Veteran", wie die politische Tagespresse Geißler gern tituliert, bewirken? Zunächst einmal gibt er dem Land das lange vermisste Gefühl zurück, dass man einander wahrnimmt, ins Gespräch kommt, nach Lösungen sucht. Das Ganze moderiert von einem Linksaußen bei den Christdemokraten, der sich als Mitglied der globalisierungskritischen Organisation Attac Slogans wie "Solidarität statt Kapitalismus" zu eigen gemacht hat und dem schon deswegen die Sympathie all derjenigen gewiss ist, die industriellen Großprojekten wie Stuttgart 21 grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen.

Der Personalvorschlag Geißler kam zuerst von grüner Seite. Doch die Geißler-Fans außerhalb der Partei sollten sich nicht täuschen: Im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" kündigte der frischgebackene Schlichter bereits an, "alle Argumente, alle Fakten und alle Zahlen" sichten und diskutieren zu wollen. Das wird dauern und schon deswegen für Ruhe sorgen, ist aber nicht der einzige Punkt, um den sich die Projektgegner sorgen müssen. Ihr natürliches Interesse besteht derzeit darin, die Menschen auf die Straße zu bringen - Ruhe dagegen spielt den Befürwortern von Stuttgart 21 in die Hände.

Die Gegner müssen vor allem befürchten, mit marginalem Entgegenkommen der anderen Seite - etwa was die Bebauung und Nutzung der künftigen Freiflächen angeht oder Finanzierungsdetails - abgespeist zu werden. Der Baustopp hat ihre drängendste Forderung erfüllt. Gegen offensichtlich vernünftige Modifizierungen, die den guten Willen von Bahn und Landesregierung demonstrieren könnten, ließe sich dann umso schwerer angehen. Damit droht ihnen eine Spaltung: in grundsätzliche Projektgegner einerseits und Kompromissbereite andererseits, die sich mit noch so kleinen Teilerfolgen zufrieden geben.

Kommt Schwarz-Grün?

Eine solche Spaltung ist nicht unwahrscheinlich. Gerade die Grünen, denen in Umfragen die Sympathien noch immer nur so zufliegen, haben erst recht spät entdeckt, dass sie gegen Stuttgart 21 sind - als die Landtagswahl näher rückte und der erdrutschartig zunehmende Protest politischen Gewinn versprach. Mit einem glaubwürdig vertretenen Kompromiss in Detailfragen wäre dann Geißlers zweite Mission ebenfalls erfüllt: die christdemokratisch geführte Landesregierung zu retten, indem er Schwarz-Grün mit auf den Weg bringt.

Winfried Kretschmann, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im baden-württembergischen Landtag, machte aus seiner Neigung zu dieser Option bislang keinen Hehl und bezweifelte erst vor wenigen Tagen, dass Stuttgart 21 nach der Wahl Ende März überhaupt noch zu stoppen sei. Sein Ansehen an der Basis der Bündnisgrünen im Ländle hat das freilich nicht verbessert - daran ändert auch die spektakuläre Baustopp-Verkündung vom Donnerstag nichts.

Heiner Geißler stapelte tief, als er am Donnerstag sagte: "Diese Schlichtung soll zumindest dazu beitragen, dass die Fakten und die Argumente gegeneinander abgewogen werden." Dem klugen Kopf ist alles Glück zu wünschen. Ob für beide Aufträge, die er faktisch übernommen hat, ist eine Frage des Standpunkts.


Thomas Östreicher ist freier Mitarbeiter bei evangelisch.de.