Platz da, die Zwergpinguine kommen!

Platz da, die Zwergpinguine kommen!
Im Regelfall muss die Natur dem Menschen weichen. In Australien gibt es ein Gegenbeispiel: Menschen siedelten um, um Platz zu machen. Für Pinguine!
03.09.2010
Von Anette Schweizer

Als die Wagners im Juli dieses Jahres zum letzten Mal ihr Haus verließen, mussten sie es nicht abschließen. Die Möbel waren abtransportiert und draußen wartete schon das Unternehmen, das das Holzhaus der Familie abtragen würde. Zurück ließ die Familie ein Grundstück in bester Wohnlage, nur eineinhalb Autostunden von Australiens zweitgrößter Stadt Melbourne entfernt, mit viel Platz, fantastischen Sandstränden vor der Haustür und spektakulären Ausblicken aufs Meer.

Die Wagners sind die letzten menschlichen Bewohner, die die einst beliebte Wohngegend auf Phillip Island für immer verließen. Doch statt Wehmut überwiegt die Freude über das Ende der Summerland-Siedlung im äußersten Südwesten der Insel. Schließlich wird das Land lediglich zurückgegeben an seine ursprünglichen Bewohner – die Zwergpinguine, die schon lange vor den Menschen hier siedelten.

25 Jahre

Letzten Monat wurde die Vollendung des weltweit bisher einmaligen Projekts mit einem Festakt gefeiert. Der Umweltminister des australischen Bundesstaats Victoria, Gavin Jennings, verkündete seine Freude darüber, dass erstmals Menschen zum Schutz einer einzelnen Art wichen. 25 Jahre hat es gedauert, bis der südwestliche Zipfel der Insel frei von menschlichen Ansiedlungen war.

Mehrere hundert Menschen machten Platz für Eudyptula minor, so der lateinische Name der befrackten Gesellen. Wo früher gepflegte Gärten waren, werden nun künstliche Bruthöhlen angelegt und einheimische Pflanzen gepflanzt, damit sich die Tiere wohl fühlen. 60.000 little penguins, wie die Australier sie nennen, leben auf Phillip Island, ihrem letzten großen Refugium. Nur 35 Zentimeter groß und ein Kilo schwer, sind sie die kleinsten ihrer Art – und die größte Attraktion der Insel.

Zahl stark dezimiert

Auch an anderen Küsten im Süden Australiens und Neuseelands kommen die Vögel vor, doch ihre Zahl hat sich in den letzten Jahrzehnten stark dezimiert. Der Bau von Häusern und Straßen raubt ihnen den Lebensraum, streunende Hunde und Katzen machen ihnen das Leben schwer. Anders auf Phillip Island – hier hat die Regierung des Bundesstaats Victoria den Spieß umgedreht und die Pinguine zu den Herren über die Summerland Peninsula gemacht.

Dabei hätte ihre Beliebtheit die Tiere einst beinahe ausgelöscht. Schon seit den 1920er Jahren ist Phillip Island ein beliebtes Ziel für Melbournians. Die Insel bietet ein mildes Klima, ideale Surfstrände, familienfreundliche Unterkünfte und leckere Küche in ländlichem Ambiente. Und schon immer waren die ansässigen Pinguine eine Sehenswürdigkeit. Tausende Menschen saßen allabendlich am Strand, um die Vögel zu beobachten, wenn sie in der Abenddämmerung aus dem Meer auftauchten und sich im Watschelgang auf den Weg zu ihren im Inselinneren gelegenen Bruthöhlen machten.

800 Grundstücke

Das blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Pinguine. Als die Population deutliche Einbrüche zeigte – neun von zehn Brutplätzen waren vernichtet, Tausende Pinguine hatten durch den Straßenverkehr und die Haustiere der Bewohner ihr Leben verloren – beschloss die Regierung des Bundesstaats Victoria 1985 eine ungewöhnliche Maßnahme, um die Vögel zu retten.

Das Gebiet von Summerland wurde zum Naturpark erklärt, das Halten von Katzen und Hunden untersagt. Die auf dem Areal befindlichen knapp 800 Grundstücke und 200 Wohnhäuser sollten innerhalb von 20 Jahren von der Regierung aufgekauft, das Gelände renaturiert werden. Die Hausbesitzer durften ihre Häuser nicht weiter ausbauen und auch nicht anderweitig veräußern. Alleiniges Kaufrecht hatte der Staat, der auch den Preis für Grundstücke und Häuser festlegte.

Mehr Geld

Vor allem Letzteres führte dazu, dass nicht alle Bewohner mit den Plänen einverstanden waren. Sie argumentierten, dass sie sich von der angebotenen Summe kein vergleichbares Haus an anderer Stelle leisten könnten. Als sich im Jahr 2007 noch immer mehr als 40 Grundstücke in Privatbesitz befanden, griff die Regierung tiefer in die Tasche, um die restlichen Eigentümer abzufinden.

Und nun ist es soweit: Seit diesem Jahr sind die einzigen „bewohnten“ Gebäude das Forschungszentrum, in dem die Vögel seit 1968 studiert werden, das Pinguin-Hospital, in dem kranke und verletzte Tiere gepflegt werden und das Besucherzentrum, das den Besuchern Informationen über und Einblicke in das Leben der Zwergpinguine gibt, etwa durch Einwegscheiben zu Brutboxen, in denen die Küken auf die Rückkehr der Eltern warten.

3.800 Besucher

Und die Interessierten kommen noch immer reichlich. Bis zu 3800 sind es an Spitzentagen, die die abendliche Pinguinparade beobachten wollen. Da ist eine generalstabsmäßige Logistik gefragt. Keine leichte Aufgabe bei 500.000 Besuchern jährlich. Parkplätze und Wege müssen angelegt und in Schuss gehalten, Toiletten zur Verfügung und eine Cafeteria betrieben werden. Ranger sperren jeden Abend die Strände und dirigieren die Verkehrs- und Besucherströme so, dass die Pinguine möglichst nicht zu Schaden kommen.

Übernommen wird dies von der Organisation Phillip Island Nature Parks, die sich der Erforschung und dem Schutz der Zwergpinguine verschrieben hat. Die Touristen finanzieren durch ihre Eintrittsgelder die Arbeit der NGO und damit das Überleben von Eudyptula minor. Knapp 20.000 Euro an Einnahmen werden im Jahr erzielt – pro Pinguin!

Solche Zahlen interessieren die kleinen Gestalten im weißen Hemd und nachtblau schimmernden Frack nicht – sie freuen sich lediglich, dass sie nach ihrer beschwerlichen abendlichen Wanderung über Strand und Klippen einen neuen potenziellen Brutplatz vorfinden: den ehemaligen Garten der Wagners.
 

Information:

Anreise: Von Melbourne aus werden organisierte Bustouren zur Pinguinparade nach Phillip Island angeboten. An- und Abfahrt dauern jeweils 1,5 bis 2 Stunden.
Für Selbstfahrer: Von Melbourne auf dem Monash Highway (M1) Richtung Süden, auf dem South Gippsland Highway (M420). In San Remo über die Brücke nach Phillip Island. Vorsichtig fahren, vor allem in der Dämmerung sind viele Tiere unterwegs!

Pinguintouren: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Zwergpinguine von Phillip Island zu sehen:
Die Pinguinparade am Summerland Beach, bei der die Zuschauer auf der Tribüne sitzen und nach Sonnenuntergang die Tiere beobachten, wenn sie aus dem Meer an Land kommen. (Eintritt 21,20 AUSD, Kinder 10,60 AUSD)
Ultimate Penguin Tour: Kleinen Gruppen von max. 15 Personen bekommen von einem Ranger eine Einführung, werden mit Nachtsichtgerät, Regenkleidung und Sitzkissen ausgestattet und zu einem abgelegeneren Strand geführt, um die ankommenden Tiere zu beobachten. Auf dem Rückweg zum Besucherzentrum sind zahlreiche Pinguine auf den Straßen und im Gras unterwegs – vorsichtig gehen! (Ab 16 Jahren, 74,50 AUSD, Vorausbuchung nötig)
Penguin Eco Tour: Ein Ranger führt die Besucher tagsüber durch das Besucherzentrum und gibt Einblick in die Arbeit der Pinguin-Forscher (Erwachsene 10 AUSD, Kinder 5 AUSD)

Weitere Aktivitäten auf Phillip Island:
Nicht alles auf Phillip Island dreht sich um die Pinguine – Naturliebhaber kommen auch anderweitig auf ihre Kosten. Zum Beispiel im Koala Conservation Centre. Von angelegten Wegen und erhöhten Plattformen aus können Koalas beobachtet werden.
Nobbies Centre: Auf einem Felsen vor der Südwestküste der Insel lebt eine 20.000 Tiere starke Pelzrobben-Kolonie. Vom Nobbies-Centre aus können die Meeressäuger beobachtet werden.

Informationen zu allen Naturattraktionen von Phillip Island auf www.penguins.org.au
Allgemeine Infos über die Insel auf www.visitphillipisland.com


Anette Schweizer ist freie Reisejournalistin