Kann man Liebe lernen?

Zwei Hände im Sonnenaufgang.
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Kommunikation erfolgt besser über andere Kanäle, sagt Andreas Braun: "Zuhören und schweigen. Staunen. Handeln. Einfühlen. Respekt. Demut. Liebe."
Glücklicher Ehetherapeut
Kann man Liebe lernen?
Die Ehe des Seelsorgers Andreas Braun schien hoffnungslos zerrüttet. Er wollte nur noch weg und frei sein. Doch dann geschah etwas. Braun wurde Christ und folgte Gottes Rat. Obwohl er auf keinen Fall zurück wollte, landete er einen familiären Volltreffer. Seine Einsicht: "Miteinander reden wird überschätzt."

Menschen sind Beziehungswesen und suchen Erfüllung in der Liebe. Diese ist jedoch meist nicht ohne Reibung und Konflikte zu haben. Im besten Fall stärken sie die Zweisamkeit, aber manchmal ist die Beziehung auch nicht zu retten. Wenn es kriselt stehen Beziehungsratgeber zur Verfügung, hunderte davon werden jedes Jahr veröffentlicht. Andreas Braun brauchte keinen davon. Der Seelsorger ( Jahrgang 1956) aus Hamburg hatte sich bereits von seiner Frau getrennt, als er göttliche Hilfe fand und seine Ehe mit Gottes Hilfe rettete. Mittlerweile hat das Ehepaar 13 Enkelkinder.

Andreas Braun wuchs in einem Dorf südlich von Hamburg auf. Nach seinem Realschulabschluss und anschließender Lehre ging er auf die Fachoberschule. Er arbeitete und studierte später Physikingenieurwesen. Da war er bereits seit 1977 verheiratet und hatte drei Kinder. Es gab berufliche Auf uns Ab’s. Nach einer Insolvenz machte sich Braun mit einem Ingenieur Büro selbstständig, begann danach in der Krisenintervention des DRK in Hamburg. Er fand schließlich seine Bestimmung in der Logotherapie und eröffnete 2011 seine eigene Praxis, wo er auch Männergruppen leitet und Ehetherapie anbietet.

Andreas Braun beschreibt sich selbst als Suchender. Er habe schon immer viel gelesen und philosophisches Gedankengut aufgesogen. Bevor er mit 30 zum Glauben kam, entdeckte er im Alter von 16 Jahren den Zen-Buddhismus, hatte ein eigenes Dojo, einen Trainingsraum für verschiedene japanische Kampfkünste. 

Mit 29 Jahren, Braun studierte noch, hatte aber auch schon eine Arbeit, kam dann die Krise und das Ehepaar trennte sich. "Ich habe die Familie damals extrem vernachlässigt." Der Sport und andere Sachen waren ihm wichtiger. "Mein blindes Schauen auf mich selbst" war Gift für die Beziehung. Heute blickt er schonungslos auf sein früheres Ich: Er habe seiner Frau alles alleine zugemutet. "Besonders die Sorge um die Kinder. Aber auch der Respekt vor ihrem Anderssein und die Würdigung ihrer Gaben fehlte mir." Fast jedes Gespräch mündete in einen Streit und sogar noch heute folgt die Kommunikation zwischen ihnen ihren eigenen Regeln: "Meine Frau und ich können uns kaum miteinander aussprechen. Wir sind sehr, sehr unterschiedlich. Gott sein Dank", sagt Braun. Eine Einigung zwischen den Eheleuten schien damals unwahrscheinlich, auch die Familie und Freunde glaubten längst nicht mehr an eine gemeinsame Zukunft.

Andreas Braun Anfang 2025 auf Besuch in Israel.

Andreas Braun war nach der Trennung erst einmal froh, dem ständigen Streit zu entkommen und holte einiges nach, das andere mit 20 Jahren erleben. Er hatte eine eigene Wohnung, lebte sein Leben. Derweil brachte seine Frau das vierte Kind alleine zur Welt. Etwas geschah, das sich als Wendepunkt in Brauns Leben erweisen würde. In einer Zeltmission wurde er ganz unspektakulär Christ.

Wie wurde das Scheitern der Ehe verhindert? Erst einmal rang Braun intensiv mit seinem Glauben. Er war nun Christ und frei. "Aber ich war nicht glücklich, war depressiv. Ich wusste, da muss etwas sein, das nicht stimmt." Er war nicht mit Gott im Reinen, und das ließ ihn nicht los. "Es lief immer wieder auf diesen Punkt hinaus, auch die Bibelstellen deuteten darauf hin. Dieser Traurigkeit würde nicht ich entkommen", berichtet Braun. Schließlich kristallisierte sich das Problem heraus: "Es war nicht richtig gewesen, sich von meiner Frau zu trennen." Auch die Lösung sei ihm plötzlich klar gewesen: "Frieden mit Gott finde ich nur, wenn ich wieder zu meiner Frau gehe, obwohl ich das auf keinen Fall wollte." Er habe es eigentlich gar nicht eingesehen, weil die Fronten verhärtet gewesen seien, aber habe es akzeptiert. "Es war ausschließlich der Glaube, der mich zu meiner Frau zurück brachte", erzählt Braun. "Das unbedingte Wissen, das ich Gott nur in der Ehe, bei meiner Frau finde." 

"Es gab dann keinerlei Zweifel, dass ich ewig treu sein werde." Das habe erst einmal das Abgründige aus den Streitereien genommen, die es auch dann noch gegeben habe. Den großen Rest habe seine Frau übernommen: "Nachdem ich wieder da war, war es die Geduld und Treue meiner Frau."

Kraft hat Braun in seinem Glauben gefunden: "Das unbedingte Angekommensein bei Dem, der mich ganz kennt und dennoch liebt." Er war im immerwährenden Dialog und bekam Rat, was er im Streit tun solle. "Ich habe es mit Gott besprochen. Schon vorher hatte ich ‚gehört‘, dass ich dann schweigen soll."

Welche Rolle spielt Gott heute in seiner Ehe? "Wir sprechen nicht darüber. Meine Frau toleriert meinen Glauben wohlwollend, so würde ich es nennen. Sie praktiziert die Liebe, die ich immer erst noch lerne."

Brauns Rat an Paare, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, fällt ihm nicht leicht. "Das ist eine zu komplexe Frage. Ich bin Eheberater und es ist immer sehr unterschiedlich." Ein Punkt jedoch hat es in sich: "Wenn einer wirklich will, kann er ganz allein handeln. Das Mitziehen des anderen ist keine Bedingung! Und: Es ist besser, früher anzufangen als so spät wie ich."

Eines ist den meisten Beziehungsratgebern eigen, wenn es um die Bewältigung von Krisen geht: die Kommunikation. Braun hält nicht viel davon. "Reden wird überschätzt!", sagt er. Kommunikation erfolge besser über andere Kanäle. "Zuhören und schweigen. Staunen. Handeln. Einfühlen. Respekt. Demut. Liebe", darauf käme es an. "Die Lösung liegt nicht auf der Sachebene. Sie liegt nicht beim anderen. Sie liegt in mir", sagt Braun. Denn "Ehe ist überaus kostbar und darum auch so herausfordernd." 

Den Frauen rät Braun, Erbarmen mit den Männer zu haben. "Viele Männer sind mit den oft subtilen und tiefen Signalen der Frau überfordert. Reden funktioniert oft nicht, und das Beharren darauf kann Männer verzweifeln lassen. Besonders wenn es nicht um die typische Domäne der Männer, die Sachebene, geht." Kann man Liebe lernen? "Ausschließlich. Alles davor ist ein emotionaler Kredit - genau dazu, um damit das Haus der Liebe zu bauen", sagt der Seelsorger.

Wenn er heute zurückblickt, was kommt ihm in den Sinn? "Ich schäme mich sehr, wie egoistisch ich war. Auch lange Jahre als Christ noch. Es war ein langer Weg, die Herrlichkeit meiner Frau wahrzunehmen." Doch der lange Weg habe sich gelohnt. "Ich möchte nirgend anderswo sein." Was ist für Andreas Braun das Schönste an der Ehe? "Nirgends kann ich besser lernen, meinen Nächsten zu lieben."

Logotherapie bezeichnet eine anthropologische Theorie und psychologische Behandlungsform, deren Entstehung auf den Österreichischer Viktor E. Frankl (1905–1997) zurückgeht, einen Neurologen, Psychiater und Holocaust-Überlebenden. Dieser begründete in den späten 1920er Jahren einen eigenständigen Ansatz, der in besonderer Weise die geistige Dimension des Menschen in den Blick nimmt und sein existenzielles Streben nach Sinn im Leben als dessen primäre Motivationskraft betrachtet.