Das UKW-Problem

Das UKW-Problem
Das Radio droht Ende Juni schon wieder abgeschaltet zu werden. Die Spielchen um das unscheinbare Massenmedium zeigen zumindest eines gut: was in der deutschen Medienpolitik schief läuft.

In Medien geht es oft aufgeregt zu, auch dann, wenn sie über Medien berichten. Einerseits mit Recht: Die Digitalisierung kippte schon viele Nutzungsgewohnheiten (und damit Geschäftsmodelle) und wird es weiter tun. Andererseits ist es auch Strategie. Wenn ohnehin viel Aufregung herrscht, bekommen die, die sich wenig aufregen, umso weniger Aufmerksamkeit.

Im April brandete sogar beim unscheinbarsten Massenmedium Aufregung auf, beim Nebenbeimedium Nr. 1, das durchschnittliche Deutsche einigen Media-Analysen zufolge länger als vier Stunden pro Tag nutzen: dem Radio. Da drohte "in Deutschland der große UKW-Blackout" ("Welt"). Zwar wurde die Abschaltung der Signale "nach schwerem Ringen" "in letzter Minute abgewendet", wie die Landesmedienanstalten in einem für ihre Verhältnisse aufrüttelnden Aufruf schrieben. Allerdings nur "übergangsweise ... bis maximal 30. Juni", wie das Unternehmen Media Broadcast klarstellte. Anzeichen für eine Einigung gibt es öffentlich bisher nicht. Vielmehr hatte einer der Inhaber in der "taz" angekündigt, seine Antennen lieber "abbauen und anderweitig verwerten" zu wollen, als von seinen Preisvorstellungen für deren Nutzung (darum wird nämlich gestritten) abzurücken.

Sie merken, es ist wie so vieles im Medienbereich kompliziert. Das Neue: Bislang waren die Preise für die Dienstleistung des Radio-Ausstrahlens reguliert. Als die Bundespost in den 1990er Jahren privatisiert wurde, übernahm die Deutsche Telekom die Antennen. Und wie es Börsen-AGs, die vor allem auf ihren Aktienkurs, also auf zukünftige Gewinnaussichten achten, eben tun, kaufte und verkaufte sie immer wieder Geschäftsbereiche. Den mit Antennen nannte sie "Media Broadcast" und verkaufte ihn. 2016 bekam er den nächsten Besitzer, den Mobilfunkbetreiber Freenet AG. Dessen Kunde muss zum Beispiel auch werden, wer über das digitale Antennenfernsehen DVB-T2 Privatsender empfangen möchte. Mit Antennen kennt sich Freenet also aus.

Digital ist besser, außer ...

Irgendwann muss irgendwem aufgefallen sein, dass der Grund, aus dem die Preise reguliert waren, nicht darin lag, dass Radio ein wichtiges Massenmedium ist, sondern darin, dass alle Antennen nur einem Betreiber gehören. Also verkaufte Freenet hunderte UKW-Antennen an "etwa 30 Unternehmen, darunter auch Finanzinvestoren, die sich ihrerseits allerdings nicht mehr an den regulierten Preis gebunden sehen. Tatsächlich gibt es nun keine Monopolsituation mehr, was eine freie Preisgestaltung möglich macht" ("Welt").

Davon wurde die Bundesnetzagentur, die Netze aller Art "in den Energie-, Telekommunikations-, Post- und Eisenbahnmärkten" überwacht und 2014 schon mal "wirklichen Wettbewerb" in den Antennenmarkt brachte (radiowoche.de), offenbar überrascht. Am kommenden Mittwoch verhandelt sie "öffentlich-mündlich" über das Thema und die Frage, ob auch im Vergleich zur Media Broadcast kleine Käufer über "beträchtliche Marktmacht" verfügen.

Was die UKW-Sache noch erheblich komplexer macht (und sogar in dieser Kolumne, die ja keine Scheu vor Länge hat, nur angetippt werden kann): die Digitalisierung. Digital ist besser und alles wird digital, das würde jeder unterschreiben. Bloß Radio funktioniert in Deutschland weiterhin weitestgehend analog, über UKW. Digitalradio gibt es zwar auch. Der aktuelle Standard heißt DAB+, und wer solche Geräte besitzt und benutzt, wäre von UKW-Ausschaltung nicht betroffen. Allerdings besitzen nur 15 Prozent der Haushalte so ein Radio, und benutzt wird es noch seltener ("Digitalisierungsbericht" 2017/ PDF).

DAB+ besitzt Vorteile: Für Sender wird das Senden von mehr Programmen billiger – zumindest, sobald nur noch digital gesendet werden sollte. Hörer können im Prinzip mehr Sender empfangen (welche zurzeit wo, zeigt diese "Programmkarte"). Das UKW-Problem, dass je nach dem, ob gerade jemand neben dem Küchenradio steht, Frequenzen verrauschen, verschwindet. Solche eher langfristigen Vorteile relativiert jedoch zweierlei: Erstens müssen Hörer wie Sender neue Geräte anschaffen. Die öffentlich-rechtlichen Radiosender bekommen für DAB+ "bis 2025 schätzungsweise rund 600 Millionen Euro" aus dem Rundfunkbeitrag, beklagen die Privatsender ("epd medien"). Zweitens funkt die Digitalisierungs-Dynamik dazwischen: Längst hören vor allem junge Leute Musik und auch Podcasts individuell über Smartphones. Da werden Inhalte nicht über eine Antenne an potenziell unendlich viele Zuhörer gesendet, sondern, meist von Mobilfunkmasten, nur an den gestreamt, der sie gerade abruft. Das ist für die Streamenden teurer, aber machbar, wenn sie die richtigen Cloud-Services gebucht haben. Für Hörer ist es bequem, sofern sie die richtige Flatrate buchten. Was natürlich die ohnehin geringe Bereitschaft, neue DAB+-Geräte anzuschaffen, weiter reduziert.

Weder unwahrscheinlich noch absehbar

Eine größere DAB+-Diskussion hätte es gegeben, wenn der Bayerische Rundfunk in diesem Jahr den angekündigten Beschluss ausgeführt hätte, seinen Klassiksender von UKW zu entfernen, um Platz für sein junges Jugendradio zu schaffen. Jugendradios altern ja mit ihren Moderatoren und Musikstilen. Doch das hatte BR-Intendant Ulrich Wilhelm, der nicht nur aktueller ARD-Vorsitzender, sondern auch ein kluger Stratege ist, doch noch verhindert. Gesetzesinitiativen "wonach alle höherwertigen Radios künftig eine digitale Schnittstelle vorhalten sollen", werden immer mal wieder angekündigt. Dass sich Digitalradio in Deutschland irgendwann durchsetzt und UKW-Antennen obsolet werden, ist weder unwahrscheinlich, noch ansatzweise absehbar.

Und da liegt das eigentliche Problem: Die politischen Entscheidungsträger überlassen vieles im Medien-Bereich sich selbst, schöner formuliert: "dem Markt" oder "dem Wettbewerb". Vermutlich auch deshalb, weil die Zuständigkeiten für alles mit Medien so kompliziert verteilt sind, dass Einigungen ewig dauern. Offenkundig geschieht manches eher zufällig als als Ergebnis von politischen Überlegungen – wie beim UKW-Radio. "Da es sich dabei um rein privatwirtschaftliche Verträge handelt", haben da nicht mal mehr die vierzehn Landesmedienanstalten der 16 Bundesländer etwas zu sagen, obwohl sie eigentlich dringend irgendwelche Aufgabenfelder benötigten. "Hört endlich auf, mit UKW zu spielen!" heißt ihr oben schon verlinkter Appell. Er richtet sich an "die Vertragspartner" – und sollte eigentlich an die mit Medien zuständigen Landes- und Bundes-Politiker gehen.

Zu den Szenarien, die im Rahmen der nicht unberechtigen Aufregung immer mal wieder durchgespielt werden, gehören auch Angriffe auf Internet-Infrastrukturen und deren "Blackout". Wäre da eine weitere Infrastruktur, über die fast alle via Antenne Nachrichten empfangen könnten, nicht sinnvoll, zumindest, wenn es sie längst gibt? Wäre nicht notwendig, den Betrieb solche Infrastrukturen von Markt-Spielchen auszunehmen? Sollten gewinnorientierte Betreiber das nicht übernehmen wollen, könnte auch der Staat selbst sie betreiben, wie einst die Bundespost. Allein das Kartellrecht, an das die Bundesnetzagentur sich hält, hilft im Markt der rasant zusammenwachsenden Medien nicht weiter. Das hat das Bundeskartellamt bereits mehrfach bewiesen. Wie wichtig Medien-Infrastrukturen für Meinungsbildung und Demokratie, für Lebensqualität auch jenseits der Metropolen und für die von Politikern stets betonte Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sind, ist ein zentraler Sonntagsreden-Baustein.

Im Alltag wäre ein einheitliches Konzept für Medien-Infrastrukturen auf der Höhe der Zeit und mit Potenzial für künftige Entwicklungen dringend nötig – und scheint in Deutschland ferner denn je. Im Branchendienst "epd medien" schrieb Michael Ridder gerade – in einem anderen Zusammenhang (dem der DGSVO, um die es vergangene Woche hier ging, und ihrer gesetzgeberisch schlechten Umsetzung) – von der "Ineffizienz eines Medien-Föderalismus, der zunehmend aus der Zeit gefallen scheint". Die zeigt sich beim unscheinbaren Massenmedium Radio besonders gut.
 

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