Der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Schweiz hat in Deutschland keinen schlechten Ruf. Die unter ihrer ehemaligen Abkürzung DRS und der aktuellen SRG bekannte Institution mischt seit je bei Eurovisions-Fernsehsendungen wie dem Schlager-Grand Prix/ "Song Contest" mit und ist mit zehn Prozent an 3sat beteiligt, dem kulturinteressierten Gemeinschaftsprogramm der deutschsprachigen Staaten. Dort bringt es unter anderem mittwochs gegen Mitternacht ein Wirtschaftsmagazin ein. Anno 1989 trat sie gar dem Leuchtturm des deutschsprachigen Fernseh-Föderalismus bei, dem "Tatort", und fällt dort keineswegs unangenehm auf, außer vielleicht manchmal durch die Synchronisation. Schwyzerdütsch ist eben schon etwas anderes als hochdeutsch.
Am kommenden Sonntag gewinnt dieser Schweizer öffentlich-rechtliche Rundfunk geradezu globale Bedeutung. Bis dahin stimmen die Schweizer über die Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren und damit über das Fortbestehen ihrer SRG ab. So etwas gab es noch nie in Europa.
Und der "Tatort" spielt dabei eine Rolle. Er gilt als teuerste SRF-Sendung überhaupt. "Wollen wir uns einen Tatort... weiterhin über Zwangsgebühren bezahlen oder wollen wir über ein pay per view System selbst entscheiden was wir uns wann anschauen?", fragen die "Jungfreisinnigen" (PDF), die nach Selbsteinschätzung "einzige liberale Jungpartei der Schweiz", von der die "No Billag"-Inititative ausging. Die Billag, die im Internet mit einer ungemein fröhlich fernsehenden Familie für sich wirbt, ist das Gegenstück zur ehemaligen deutschen GEZ (deren Name nicht zuletzt deshalb verschwand, weil er sich so gut als Angriffsziel eignete). Dann enterte die unter dem Einfluss des auch als Medienunternehmer aktiven Milliardärs Christoph Blocher stehende Schweizerische Volkspartei (die online zurzeit besonders für ihre Initiative "Massive Zuwanderung stoppen!" wirbt) die Initiative ...
Natürlich unterscheidet einiges die schweizerische Medienlandschaft von der deutschen. Schon der im Vergleich höheren Preis: Mit 451 Franken pro Jahr, rund 391 Euro, zahlen die Schweizer Europas höchste Rundfunkgebühren (die dort noch so heißen). Davon gehen 90 Prozent an die SRG, wie der "Tagesanzeiger" in seiner instruktiven Übersicht aufschlüsselt. Ob die für 2019 geplante Gebührensenkung für private Haushalte auf 365 Franken, die mit der Umstellung aufs geräteunabhängige deutsche Modell (demzufolge auch Rundfunkbeitrag zahlen muss, wer weder Fernseher noch Radio besitzt) noch wirksam wird, ist offen.
Natürlich gibt es auch viel Vergleichbares in der deutschen und der Schweizer Medienlandschaft, zum Beispiel den Vorwurf, dass die Öffentlich-Rechtlichen mit ihren lange Zeit sicheren Einnahmen zum Nachteil anderer Medien expandierten: "Immer mehr Sender, Gefässe, Werbemöglichkeiten und die Expansion ins Internet: Ein Hauptargument der SRG-Kritiker ist der stete Ausbau", schreibt der "Tagesanzeiger", um dann zu differenzieren, dass es sich dabei genau genommen um ein Phänomen des vergangenen Jahrhunderts handelt. Es mag nur so wirken, weil das Internet erst im laufenden Jahrhundert immer wichtiger wurde und weiter wird. Und aus polemischen Diskussionen hierzulande bekannte Kampfbegriffe wie "Zwangsgebühren" und "Staatsmedien" spielen auch in der Schweiz zentrale Rollen. "Seriös, ausgewogen, mehrsprachig, so könnte man das Schweizer Radio und Fernsehen charakterisieren, wenn man freundlich sein will. Wer es nicht mag, nennt es irrelevant, bieder und staatsnah", fasste die "Süddeutsche" im Januar zusammen.
"Kleine, flinke Säugetiere"
Wie es ausgeht, ist ungewiss. "Wir bereiten uns auf beide Szenarien, und damit auch auf die Abwicklung der SRG, vor", sagte der SRG-Direktor für "Entwicklung und Angebot", Bakel Walden, zu dwdl.de Zwar gibt es laufend Meinungsumfragen – wichtiger Treibstoff aller Medien –, und die jüngsten neigten sich zum Lager der No-Billag-Gegner, also der SRG-Befürworter. Doch in kaum einem der längeren Berichte fehlen Hinweise auf das Brexit-Referendum und die US-amerikanische Präsidentschaftswahl 2016, bei denen die Vorberichterstattung noch bis zum Wahltag die Gewissheit ausstrahlte, dass schon die richtigen gewinnen werden.
Wer sich auf die Seite der "No Billag"-Befürworter schlug: Eric Gujer, der Chefredakteur der renommierten "Neuen Zürcher Zeitung", der im Dezember unter der Überschrift "Die Schweiz braucht keine Staatsmedien" auch mit seinen Sprachbildern überraschte:
"Nur die SRG verändert sich nicht. Sie will so bleiben, wie sie ist; sie ist der einzige Dinosaurier, der jeden Tag verkündet, die Evolution gebe es nicht. Sie will uns einreden, Dinosaurier lebten ewig und kleine, flinke Säugetiere hätten nie eine Chance",
schrieb er. Dabei darf, wer mit Tier-Metaphern hantieren zu müssen meint, dann nicht die Datenkraken vergessen, die mindestens so groß wie Dinos sind und kleine, flinke Säugetieren eher verspeisen als sich von ihnen kratzen zu lassen. Zusammenhänge, die der "NZZ"-Chef strategisch ausblendet, benennen die die No-Billag-Gegner auf nonobillag.ch:
"Andererseits fliessen immer weniger Werbegelder in die lokalen Verlage, sondern sie fliessen in die grossen Internetkonzerne ins Silicon Valley USA. Schweizer Medien bauen laufend Stellen im Journalismus ab. Sogar die lange unumstrittene einzige Schweizer Nachrichtenagentur SDA muss fast drei Viertel ihrer Stellen abbauen. Die Verlage sind nicht dazu verpflichtet, in guten Journalismus zu investieren, die gebührenfinanzierten Medien jedoch schon!"
Es ist also eine heftige, bei aller polemischen und populistischen Schärfe auch differenzierte Diskussion, die in der für die SRG existenziellen Situation in der Schweiz geführt wird. Und die Wirkung ist in Deutschland heftig spürbar.
"E- und U-Fernsehen"
Fast nervös setzte die ARD am Mittwoch einen inoffiziellen Themenabend mit viel befremdlicher Eigenwerbung in redaktionellem Gewand in "Plusminus" wie den anschließenden "Tagesthemen" an, bevor Sandra Maischberger mit vier Befürwortern und "eineinhalb" (sueddeutsche.de-Besprechung) Gegnern durchaus respektabel die Frage "Wozu brauchen wir noch ARD und ZDF?" diskutierte. Eine eingebettete "Weltspiegel"-Sonderausgabe demonstrierte allerdings, wie schwer die deutschen Öffentlich-Rechtlichen sich beim neutralen Berichten über öffentlich-rechtlichen Rundfunk tun.
Dabei gibt es noch eine weitere schweizerische Besonderheit: Die hierzulande ebenso oft postulierte wie (nicht ohne Gründe) angezweifelte Staatsferne ist dort zumindest institutionell verankert: Politiker im Fernseh- und Rundfunkrat gibt es in der Schweiz nicht – was die SRG gerade gefährdet. Schließlich werden in Deutschland die in den Aufsichtsgremien stark vertretenen Politiker schon dafür sorgen, dass es auf absehbare Zeit nicht zu ähnlichen Abstimmungen kommt.
Im der Schweiz eher vergleichbaren Österreich schrieb Armin Wolf, Moderator der Nachrichtenmagazins "ZiB", eine lesenswerte Argumentesammlung für öffentlich-rechtlichen Rundfunk an sich. Darin reaktiviert er unter anderem die fast schon vergessene Unterscheidung zwischen E und U, zwischen "ernsthaftem" und "Unterhaltungs-Fernsehen":
"Aber so wie E-Musik und ernsthaftes Theater in der Regel nicht kostendeckend arbeiten können, ist das auch bei ernsthaftem Fernsehen. Unterhaltungs-Fernsehen (auch sehr gutes Unterhaltungs-Fernsehen) kann sich aus Werbung alleine finanzieren."
Ließe solch eine Unterscheidung sich ins deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen übertragen? Etwa so, dass es in den großen Vollprogrammen ARD und ZDF immer zwischen 22.00 und 23.00 zusehends E-er wird, bloß am ARD-Mittwoch oft früher, freitags und samstags dagegen später?
Und auf der Startseite des Internetauftritts srf.ch springt eine "Korrekturen"-Seite ins Auge, die kein deutsches Medium, erst recht kein öffentlich-rechtliches, so sichtbar und dann auch noch regelmäßig aktualisiert anbietet. Was Selbstdarstellung und das Berichten über eigene Belange angeht, könnten sich die deutschen Öffentlich-Rechtlichen einige Scheiben von den Anstalten in Österreich und in der Schweiz abschneiden. Schon daher wäre es enorm schade, wenn die Schweizer am Wochenende für die Abschaffung ihrer Rundfunkgebühren stimmen sollten.