Die Lizenz zum Reden

Die Lizenz zum Reden
Meine Schwester und mein Kollege am Abend der Begegnung.
©Lilith Becker
Meine Schwester und mein Kollege am Abend der Begegnung.
Der Kirchentag ist die Lizenz zum Reden: Nicht nur auf den Podien, sondern überall rund um den Kirchentag. Die Kirchentagsbesucher erkennen sich an ihren Schals und Schlüsselbändern. Aber auch jeder und jede andere wird hemmungslos miteinbezogen.

Auch in Dortmund ist es wieder so: Kirchentagsbesucher sind in der Regel offene, vergnügte und häufig sogar euphorische Menschen. Als ein Kollege und ich in der Bahn von Essen nach Dortmund saßen, hat es schon begonnen. Sogar den Kontrolleur hatte die Stimmung bereits ergriffen: "Habt ihr alle gültige Tickets?", rief er in den Waggon hinein. "Ja", schallte es zurück. "Dann Vertraue ich Euch!", sagte er. Welch ein Vertrauen! Wir saßen glückselig grinsend in der vollen Bahn.

Nächste Szene in der Stadtbahn, mein Anschlusszug, zwei Männer reden, einer davon Kirchentagsbesucher: "Vielen Dank, dass wir hier in ihrer Stadt sein dürfen!", "Gerne doch, aber ich bin aus Bochum - aber ist ja gleich nebenan." "Trotzdem Danke", die beiden Männer lachen sich an.

Dritte Szene: "Ihr seid nicht aus Dortmund, stimmt's?", fragt uns eine Frau am Abend der Begegnung, als wir vor einem Kiosk stehen und uns unterhalten. "Nein, stimmt", (erkennt man unter anderem an unseren Kirchentagsschlüsselbändern und Schals, sowie am Stadtplan in der Seitentasche meines Rucksacks). "Darf ich Euch einen Tipp geben?", fragt die Frau. "Geht ins Kreuzviertel, da sind viele Studenten, viele Bars und eine schöne Atmosphäre. Und: herzliche Willkommen und viel Spaß bei uns."

Kirchentagsstimmung, denke ich. Fast jeder ist infiziert. Die Lizenz zum Reden: Als meine Schwester sich vor dem Pavillon der Guten Hoffnung ausruht, erzählt ihr eine Kirchentagsbesucherin, dass sie auch froh ist zu sitzen: "Wissen Sie", sagt sie, "ich habe einen Fersensporn und hatte nur einen Stehplatz beim Eröffnungs-Gottesdienst." Meine Schwester unterhält sich noch eine Weile... nur ein Nachmittag und einen Donnerstagmorgen später, habe ich viele dieser Szenen erlebt - selbst, oder in unmittelbarer Nähe. Ich könnte noch etliche andere Situationen schildern.

Normalerweise hat man im Alltag vielleicht einmal alle zwei Tage ein solches Erlebnis, oder nur einmal die Woche - das ist ja auch eine Typfrage. Aber auf dem Kirchentag sind Alltags-Regeln außer Kraft gesetzt.

Deutschland spricht miteinander - was für ein Vertrauen, was für ein gutes Zeichen!

weitere Blogs

In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?