TV-Tipp: "Tatort: Borowski und das Haupt der Medusa"

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16. März, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Borowski und das Haupt der Medusa"
Robert Frost ist ein Typ, der in der Mitte seines Lebens unter einer herrschsüchtigen Matriarchin leidet und nie eine Freundin hatte, was ihm Elenor vermutlich tagtäglich voller Verachtung vorhält. Es ist Robert daher kaum zu verübeln, dass er sie schließlich für immer zum Schweigen bringt, oder?

Norman Bates war vermutlich nicht der erste, aber der Hotelier aus dem Hitchcock-Klassiker "Psycho" (1960) gilt bis heute als filmischer Prototyp des mörderischen Muttersöhnchens. "Borowski und das Haupt der Medusa", nach gut zwanzig Jahren der 44. und letzte Fall für den Kommissar aus Kiel, ist schon allein wegen der Besetzung von Mutter und Sohn sehenswert: Corinna Kirchhoff versteht es wie nur wenige Schauspielerinnen, Rollen dieser Art mit einer klirrenden Kälte zu versehen, und August Diehl verkörpert den vorzeitig gealterten Vierziger, eine Mischung der Sagengestalten Ödipus und Orestes, auf eine Weise, die dem Mann ein gewisses Mitgefühl sichert.

Dass Borowski (Axel Milberg) Frost auf die Schliche kommt, hängt indirekt mit seiner bevorstehenden Pensionierung zusammen: Als er einen neuen Pass beantragen will, um demnächst auf Reisen gehen zu können, erfährt er von zwei noch nicht lange zurückliegenden Todesfällen im Bürgeramt.

Die beiden Frauen starben auf rätselhafte Weise, aber ohne offenkundiges Fremdverschulden. IT-Experte Frost arbeitet ebenfalls in der Behörde, ist aber schon länger nicht zur Arbeit erschienen. An der Wand hinter seinem Schreibtisch hängt ein Foto seines Elternhauses. Borowski kennt dieses Anwesen mit der unheimlichen Aura im Kieler Stadtteil Düsternbrook sehr gut: Er ist in seiner Jugend auf dem Schulweg täglich dran vorbeigekommen.

Sascha Arango hat knapp ein Viertel der Drehbücher für den "Tatort" aus Kiel geschrieben. Er ist unter anderem der Schöpfer von Kai Korthals, jenes auch dank Lars Eidinger unvergessenen "Stillen Gasts" (2012), der mit seiner zweimaligen Wiederkehr (2015, 2021) für ein Novum in der langen Geschichte des Sonntagskrimis sorgte. Es war daher naheliegend, dass der NDR dem Grimme-Preisträger auch Borowskis Abschiedsvorstellung anvertraute. Auf Wehmut hat Arango allerdings weitgehend verzichtet; einzig Schladitz (Thomas Kügel), Freund und Chef des zukünftigen Pensionärs, wird zwischendurch von Rührung übermannt. Stattdessen erfreut die Geschichte durch einen schwarzen Humor, der viele von Arangos Arbeiten kennzeichnet. 

Der Titel zum Beispiel bezieht sich zwar auf ein Gemälde, das eine Künstlerin aufs Pflaster malt, hat aber auch eine ganz konkrete Bedeutung: Nachdem er Elenor erdrosselt hat, entsorgt der Sohn einige der in Einzelteile zerlegten sterblichen Überreste seiner Mutter im Meer, wobei ihm das eine oder andere Missgeschick unterläuft. Den Schädel jedoch deponiert er im Aquarium; im Wasser erinnert der Kopf dank des wallenden Haars und des zum letzten Schrei geöffneten Munds in der Tat an das Bild der enthaupteten Gorgone. Weil Verbrechen im Krimi gern an Kleinigkeiten scheitern, bekommt Frost eines Tages unerwarteten Besuch vom Nachbarn; und der ist ausgerechnet Polizist.

Natürlich zieht sich auch Borowskis bevorstehende Pensionierung als Countdown durch die Geschichte: weil er nur noch wenige Tage hat, um den Fall zu klären. Dass es sich überhaupt um einen solchen handelt, steht für ihn außer frage, als ihn die Rechtsmedizinerin (Anja Antonowicz) auf einige Ungereimtheiten bei den Todesfällen hinweist. 

 Endgültig zu einem großen Abschied wird "Borowski und das Haupt der Medusa" durch Lars Kraumes Inszenierung. Als eine Nachbarin der Frosts dem Kommissar anvertraut, auf sie hätten die beiden nicht wie Mutter und Sohn, sondern eher wie ein Liebespaar gewirkt, illustrieren der vielfach ausgezeichnete Kraume und Kameramann Jens Harant die Erzählung mit einer verblüffend gestalteten Schwarzlichtszene. Dank eines simplen, aber ungemein wirkungsvollen Tricks aus der Stummfilmzeit würde dieser Moment auch wegen der besonderen Thereminmusik von Dorit Chrysler jeden Horrorfilm schmücken.

Wie sich Borowski das Talent der Pflastermalerin für einen Schlusscoup zunutze macht, ist ohnehin brillant. Milberg hat den "Tatort" aus Kiel einst maßgeblich mit initiiert; Szenen wie jene, als der Kommissar geduldig mit Klappstuhl, Regenschirm und Thermoskanne auf den Mörder wartet, wären mit keinem anderen Ermittler vorstellbar. Almila Bagriacik bleibt der Reihe treu, ihre Partnerin wird Karoline Schuch sein, aber mit Milberg verliert der Sonntagskrimi im "Ersten" seine wohl eigenwilligste Hauptfigur.