Die Kirche schrumpft! Nur noch die Hälfte der Mitglieder bis 2060, hier auf evangelisch.de gut zusammengefasst, auf Twitter schön als die #Apokalypse2060 halbironisch verbrämt.
Ein Problem? Vielleicht, wenn man die Organisation so erhalten will wie sie jetzt ist. Eine Chance? Ja klar - und zwar auch abseits der Rhetorik vom "Wachsen gegen den Trend". Darum geht es nämlich nicht. Wachsen wird die evangelische Kirche als Ort des Glaubens nur wieder, wenn der dritte Weltkrieg oder die globale Erwärmung die Menschen aus Existenzangst in die Kirchenbänke treiben. Und da hoffen wir doch mal alle, dass es nicht so weit kommt. Beides können wir Menschen noch verhindern oder vermindern. Jedenfalls wenn wir uns gemeinsam dafür entscheiden. In der Kirche kann sich diese Gemeinsamkeit zusammenfinden, auch dafür brauchen wir sie.
In der Diskussion um die Kirchenzukunft mischen sich allerdings zwei Standpunkte: Der Glaube, dass jeder zu Christus bekehrte Mensch allein Grund genug für die Existenz der Kirche ist, und der Wunsch, die eigene Stellung als gesellschaftliche Organisation nicht zu verlieren.
Ich glaube, dass Menschen die Entscheidung für Jesus und die eigene Version von Nachfolge immer auf der Basis persönlicher Erfahrungen und Kontakte fällen. Solche Kontakte können wir als Kirche bereitstellen, aber die Erfahrungen dazu müssen die Menschen selbst machen. Und der Sonntagsgottesdienst ist es in den meisten Fällen nicht. Es ist aber immer eine Begegnung, die aus einer Gemeinde vor Ort entsteht. Meistens steht eine landeskirchliche Pfarrperson dahinter, einfach weil es davon mehr gibt als von allen anderen. Manchmal ist es ein freikirchlicher Prediger, eine engagierte Chorleiterin, der Bibelkreis oder die Gruppenleiter bei den Pfadfindern, die einen Zugang zu Glauben bahnen.
Um solche Begegnungen zu ermöglichen, braucht es irgendeine Version von Ortsgemeinde: Menschen, die gemeinsam beschließen, dass ihre Beschäftigung mit der Bibel und dem christlichen Glauben Gemeinsamkeit untereinander schafft. Um Begegnung zu schaffen, darf es auch gern weniger als das sein. Manchmal reicht ein Raum und Zeit für Gespräche.
Das entsteht aber auch nicht von allein. Dafür müssen auch zukünftig Ressourcen zur Verfügung stehen, wenn die Gürtel enger geschnallt werden. Für mich heißt das: Jetzt ist die Zeit, Entscheidungen zu treffen, die nicht auf die Bewahrung der Gegenwart setzen, sondern etwas anders machen als jetzt. Deswegen werden sich diese Entscheidungen hart anfühlen. Denn das Geld muss dorhtin, wo Menschen Kirche tatsächlich wahrnehmen - in Gemeinden und in Kommunikation. Und dass die Ziele dieser Kommunikation an vielen Stellen einfach sein werden: Kirchenmitglieder gewinnen und halten, ist noch lange keine Selbstverständlichkeit. Aus den Kirchenämtern heraus braucht es weniger Inhalte und Aktionen, die in der beinahen Bedeutungslosigkeit versinken. In der Begegnung mit Menschen sollten wir Dinge tun, die Menschen begeistern können, und die dann so kommunizieren, dass sich Menschen damit identifizieren können. Und zwar Menschen aus allen möglichen gesellschaftlichen und Interessengruppen.
Nicht halbherzig handeln
Was mich zu Jana, YouTube und einer zunehmend personalisierten Medienwelt bringt. Der Rat hat die - aus meiner Sicht - richtige und wichtige Entscheidung getroffen, "Jana glaubt" bis Jahresende weiterzuführen und gleichzeitig das Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik gebeten, ein Konzept für die Ausweitung der evangelischen Webvideo-Präsenz zu machen.
Denn, davon bin ich fest überzeugt: Der Anknüpfungspunkt, an dem jemand sagt, "irgendwie ist die evangelische Kirche doch ganz cool, ich trete erstmal nicht aus" kann medial vermittelt genauso stark sein wie im persönlichen Gespräch, aber ist meistens auf Einzelpersonen bezogen, die dafür einstehen. Wie es dann gelingt, ein "ich lasse mein Kind taufen", "ich lasse mich selbst taufen" und "Kirche ist wichtig für die Gesamtgesellschaft und unsere Demokratie" daraus zu machen, müssen wir noch stärker ausprobieren (und es ist schwer zu messen).
Aber in der Konsequenz bedeutet das Investitionen in Gemeinden vor Ort und übergreifende Kommunikation, in all ihren Facetten (von Impulspost über Publizistik über local SEO bis zu Twitch-Predigten). Der Rest verliert dagegen deutlich. Eine solche Priorisierung wird allen schwerfallen, die andere Aktivitäten liebgewonnen haben. Aber die Kirche hat einfach nur ein begrenztes Investitionsvolumen. Wir sind ja nicht Alphabet, Googles Dachfirma, die 2018 die beeindruckende Summe von 21,4 Milliarden Dollar nur in Forschung und Entwicklung gesteckt haben. Das entspricht rund 1.000 Euro pro Kirchenmitglied – und die laufenden Kosten (Pfarrstellen, Gemeindesekretariate, Kirchen, Orgeln, Kindergärten) wären dann schon abgedeckt.
So viel Geld haben wir nicht. Aber trotzdem müssen wir damit leben, dass die Menschen nicht einfach so zur Kirche in all ihren Formen kommen, auch den digitalen. Kirche muss sich aktiv anbieten, als Quelle für Inspiration, als Ansprechpartner für Alltagssorgen, als Antwort auf die großen Fragen. Das bedeutet, Geld dafür auszugeben, die gute Nachricht aktiv zu verbreiten. Es bedeutet auch, eine Erweiterung von "Jana" und den Webvideo-Aktivitäten auf ein breiteres und vielfältigeres Angebot nicht nur pro forma zu fordern, sondern sie auch aktiv zu fördern, auch mit Geld für die Verbreitung. Da werden die nächsten paar Monate sehr spannend!
Ich bin kommende Woche auf der re:publica und werde dort unter anderem auf dem Netzgemeindefest am Montagnachmittag möglichst viele Stimmen dazu einsammeln. Wer noch Ideen oder Wünsche hat, möge sie hier einfach drunterposten oder mir auf Twitter schreiben!
Vielen Dank für's Lesen und Mitdenken!
Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.
P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!