Verantwortung bei Facebook: Ärger in die falsche Richtung

Verantwortung bei Facebook: Ärger in die falsche Richtung
Facebooks Führungsriege um Mark Zuckerberg hat es immer noch nicht geschafft, der eigenen Verantwortung gerecht zu werden. Ist es Zeit für ein Nutzerparlament?

Es ist wieder mal soweit: Wir müssen über Facebook reden. Im Juli habe ich mir von Mark Zuckerberg gewünscht, dass er eine klare Linie zeigt, wofür Facebook eigentlich steht und welche Haltung er gegenüber den Problemen hat, die eine globale Plattform mit 2,2 Milliarden Nutzern schlicht und einfach immer hat. Das hat er natürlich nicht gelesen ;-). Wie die Führungsetage von Facebook mit Kritik und Krisen umgeht, hat eine Recherche der New York Times im November aber ganz eindrücklich gezeigt. Demnach scheint die schiere Größe des Problems dem C-Level um CEO Mark Zuckerberg den Blick darauf zu verstellen, was wirklich wichtig wäre.

Um das zu illustrieren, hilft (wie oft in diesem Jahr) auch ein Blick nach Myanmar, wo Facebook wesentlich zur Verbreitung von Hass und Gewaltaufrufen gegen die Rohingya genutzt wurde, die übrigens bis heute weiter vertrieben und unterdrückt werden. Dort haben die Facebook-Verantwortlich immerhin etwas getan: Im August haben sie 18 Facebook-Accounts, einen Instagram-Account und 52 Facebookseiten gesperrt, die zu 20 Menschen und Organisationen gehörten und "Hass und Falschinformation" verbreiteten – und Facebook hat es ausdrücklich so benannt. Darunter war damals auch Myanmars Militärchef Min Aung Hlaing. 12 Millionen Menschen folgten diesen Seiten.

Die Facebook-Chefs ärgern sich über die falschen Dinge

Im Oktober hat Facebook mit Sperren für 13 Seiten and 10 Accounts mit rund 1,3 Millionen Followern nachgelegt. Die Begründung dafür: Diese Seiten und Accounts hatten sich zu "inauthentic behaviour" abgesprochen. Was heißt dieses "unauthentische Verhalten"? Es bedeutete konkret, dass die Facebookseiten, die sich auch mit Unterhaltung, Beauty und Information befassten, alle vom Militär Myanmars betrieben wurden. Den Absender einer Botschaft zu verschleiern, ist für Facebook genauso schlimm wie Hassbotschaften zu verbreiten.

Dass Facebook ein Kampfgebiet im Wettkampf um Deutungshoheiten und Beeinflussung ist, sollte aber spätestens dann allen klar sein, wenn eine Armee sich eine Fake-Beauty-Seite baut, um neben Schminktipps auch politische Progaganda zu verbreiten. Dabei stellen sich die russischen Akteure, die sich übrigens offenbar auch in die "Gelbwesten"-Demonstrationen in Frankreich einklinken, deutlich schlauer an als das myanmarische Militär.

Die Facebook-Chefs haben das durchaus mitbekommen. Aber ihr Ärger, der in der Recherche der NYT zutage tritt, richtet sich vor allem nach innen: Nicht gegen das eigene Produkt, nicht gegen den Mangel an Richtlinien zum Umgang mit "bad actors", sondern dagegen, dass überhaupt etwas von den fragwürdigen russischen Aktivitäten auf Facebook an die Öffentlichkeit drang.

Die Facebook-eigene "Fake News"-Studie erwähnte Russland zunächst erstmal gar nicht. Als der Aufsichtsrat im September 2017 vom eigentlichen Umfang des Problems russischer Beeinflussung erfuhr, waren dessen Mitglieder nicht amüsiert. Und da findet sich im NYT-Text der aus meiner Sicht interessanteste Satz: "Mr. Zuckerberg, stone-faced, whirred through technical fixes, said three people who attended or were briefed on the proceedings." Vor seinem eigenen Aufsichtsrat fand der Mann, der Gründer und Firmenchef ist und 60 Prozent der Facebook-Aktien hält, keine anderen Worte als nach einer technischen Lösung zu suchen. Das ist ein bedenkliches Armutszeugnis für jemanden, der die Kommunikationswege von 2,2 Milliarden Menschen kontrolliert.

Für die politischen und sozialen Aspekte der Frage, wie Menschen auf einer Social-Media-Plattform auf bestimmte Informationen reagieren, hat Mark Zuckerberg offenbar kein Gespür. Deswegen überließ er die politische Arbeit seiner COO Sheryl Sandberg, die sich an die Lobby-Arbeit in Washington machte und eine konservative Kommunikationsfirma beauftragte, die politischen Verbindungen in Washington zu analysieren, die Facebook schaden könnten – darunter auch eine Analyse, ob und wie George Soros beteiligt sei. (Was das bedeutet, dazu bitte hier entlang zu Sascha Lobo.)

Braucht Facebook ein Nutzer-Parlament?

Was zeigt dieser Blick nach innen? Die obere Führungsetage beschäftigt sich lieber mit der politischen Situation als das eigene Produkt und ihre eigene Haltung zu hinterfragen. Dabei tragen sie Verantwortung für einen Teil der Alltagskommunikation von 2,2 Milliarden Menschen. Facebook ist nicht nur eine Firma. Facebook ist ein Teil der kommunikativen Infrastruktur der Welt, von Seattle bis Rangun. Vielleicht ist diese Herausforderung mit einer klassischen Firmenstruktur einfach nicht lösbar und die persönliche Verantwortung eines einzelnen Chefs zu groß. Facebook hat so viele Nutzer, dass sie fast schon ein eigenes Parlament einrichten könnten. Was Mitglieder und Budget angeht, ist Facebook von Staaten nicht so weit weg. Aber selbst dann müsste Facebook erstmal eine Antwort auf die Frage finden, wie die Wahlen dazu vor russischen und anderen Einflüssen geschützt werden könnten. Spannend wär's.

Das Problem mit der Verantwortung hat übrigens nicht nur Facebook. Der Ignoranz gegenüber politischer und sozialer Realität hat @jack Dorsey, Twitter-Gründer und CEO, jetzt noch die Krone aufgesetzt. Der war nämlich gerade im Meditationsurlaub. Und zwar ausgerechnet in Myanmar.

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