Journalisten aus Freilandhaltung

Journalisten aus Freilandhaltung
Eine neue Studie kommt zu dem Ergebnis: Die Tageszeitungen haben in der Flüchtlingskrise versagt. Das Problem lässt sich allerdings wohl nicht auf sie beschränken. Fünf Autoren haben eine Idee, wie der Journalismus aus der Krise kommen könnte. Und während die üblichen Verdächtigen ihn immer tiefer hineinreiten, macht Sascha Lobo ein kleines bisschen Hoffnung.

Das Wort „Lügenpresse“ hört man ja mittlerweile nur noch recht selten. Ich habe es gerade gegoogelt. Der „Bild“-„Ombudsmann“ Ernst Elitz hat es vor drei Tagen noch einmal über seine "Kolumne" geschrieben, und dass es nun dort steht, ist natürlich schon ein bisschen witzig, aber Ernst Elitz meint - da bin ich mir ziemlich sicher - dann doch nicht die Kollegen in der eigenen Redaktion.

Am Montag werden wir das Wort vermutlich noch einmal öfter lesen. Der Medienwissenschaftler Michael Haller und Kollegen von der Hamburg School of Media und der Uni Leipzig haben sich für eine Studie die Rolle der Medien in der Flüchtlingskrise angesehen. Und wenn man das Ergebnis freundlich formulieren möchte, könnte man sagen: So gut kommen die Journalisten dabei nicht weg.

Jochen Bittner schreibt für die Zeit::

„Die Studie liest sich bisweilen so, als hätten die Wissenschaftler dem Wunsch hinterhergeholfen, die Branche am Kragen zu packen und einmal kräftig durchzuschütteln.“

Aber warum eigentlich?

„Die Urteile, zu denen die Autoren kommen, sind drastisch. Zusammengefasst: Das Land hat unter einem publizistischen Stromausfall gelitten – und die Gesellschaft hat sich in der Folge gefährlich gespalten. Nicht nur hätten sich die ‚sogenannten Mainstreammedien‘ (die Studie zeigt durchaus ein wenig Verständnis für den Begriff) unisono hinter Angela Merkels Flüchtlingspolitik versammelt, ‚Losungen der politischen Elite‘ unkritisch übernommen und eine ‚euphemistisch-persuasive Diktion‘ des Begriffs der Willkommenskultur verbreitet. Wer dieser Regierungslinie skeptisch gegenübergestanden habe, habe sich in den Augen vieler Journalisten der Fremdenfeindlichkeit verdächtig gemacht.“

Die Studie wird Mitte nächster Woche sicherlich nicht vergessen sein. Was in AfD-Kreisen mit ihr passieren wird, dürfte in etwas so gut zu prognostizieren sein wie der Sonnenaufgang am kommenden Dienstag. Interessant ist die Frage, wie die übrigen Medien mit ihr umgehen werden.

Werden wir reihenweise Kommentare lesen, in denen die geläuterten Journalisten eingestehen: „Wir müssen ehrlich sagen: Da haben wir wirklich Mist gebaut.“ Besinnen sie sich auf ihre alte Tugend, um wie gewünscht, mit gewohnt kritischer Haltung die Ergebnisse der Studie anzuzweifeln? Oder sinkt das Ansehen der Berufsgruppe jetzt noch weiter, und bald werden wir öfter den Satz hören: „Ich bin ja kein Journalist, aber…

Die Zeit hat natürlich gut Reden, denn sie

„(…) kommt in der Untersuchung nicht vor, weil die Forscher sich auf Tageszeitungen konzentriert haben.“

Daher sind auch die öffentlich-rechtlichen Sender nicht Teil der Untersuchung, auch wenn die -  jedenfalls die ARD, da kann man die Zeitungsverleger fragen - im Internet mindestens genauso viel schreiben, und man sich auch noch ganz gut an den im "Heute Journal" schluchzenden Claus Kleber erinnert.

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Was sich jedenfalls kaum bestreiten lässt: Die Medien-Öffentlichkeit muss sich wohl noch ein wenig mehr mit sich selbst beschäftigen, als sie es ohnehin schon tut, wenn sie ihre Probleme in den Griff bekommen möchte.

Damit befassen sich Frederik Fischer, Leif Kramp, Janko Tietz, Alexander von Streit und Stephan Weichert in einem gemeinsamen Text, den Spiegel Online von Vocer übernommen hat. Sie stellen fest:

„Das Vertrauen in den Journalismus ist aus gutem Grund und aus eigenem Verschulden ramponiert. Der Grund dafür sind aber nicht böse oder faule Journalisten oder die gern vermutete Einmischung der Bundesregierung, der Grund ist ein ganz banaler: Geld.“

Wenn man die Diskussion um die Türkei-Anzeige in der Süddeutschen Zeitung (zuletzt vorgestern im Altpapier) in den vergangenen Tagen verfolgt hat, ahnt man, dass die Vermutung wohl nicht ganz aus der Luft gegriffen ist. Bliebe die nun schon seit einigen Jahren gestellte Frage: Wie sieht die Lösung aus? Eine Idee wäre: mehr Anzeigen. Aber da würden wir uns dann natürlich wieder im Kreis drehen. 

Die Autoren hätten folgenden Vorschlag.

„Wir brauchen eine Nachhaltigkeitsbewegung im Journalismus Einer der ersten und zugleich wichtigsten Siege der Umweltbewegung war es, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Strom nicht gleich Strom ist. Eine ähnliche Unterscheidung lässt sich im Journalismus erkennen.“

Die Idee klingt gut. Man müsste eben nur noch latent sparende Zeitungsverleger davon überzeugen, die Inhalte ihrer eigenen Publikationen nicht mehr als „Qualitätsjournalismus“ zu bezeichnen. Dann könnte auch der Verbraucher erkennen, was er da vor sich liegen hat. Wobei, ehrlich gesagt: Wenn er einen Blick hinein wirft, kann er das so schon.

Ich will die Idee einer Nachhaltigkeitsbewegung allerdings gar nicht ins Lächerliche ziehen. Ich bin nur ein wenig im Konzept dieser Kolumne gefangen, das vorsieht: Zwischendurch sollte immer mal wieder eine ironische Bemerkung einfließen. Man könnte den Lesern natürlich auch das Bekenntnis abverlangen: „Ich lese nur noch Premium-Inhalte.“ Aber im Prinzip ist es noch viel einfacher.

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Es wäre schon viel getan, wenn Menschen den größten Quatsch einfach nicht mehr kaufen würden. Mats Schönauer hat zum Besuch von Kate und William in Berlin für Übermedien durchgezählt, wie viele Kinder die beiden schon haben müssten, wenn die Märchenblätter Recht behalten hätten. In einer Übersicht sind 60 Zeitschriften zu sehen, auf deren Titeln vorsätzliche Falschmeldungen stehen.

Vielleicht kann man sich in diesem Fall etwas aus dem Umgang mit der Zigaretten-Industrie abschauen. Warnhinweise vielleicht: „Wer Zeitschriften wie diese nicht mehr liest, tut der Medien-Öffentlichkeit einen großen Gefallen.“ Oder Schockbilder auf Titelseiten.

Dass etwas in dieser Art kommen wird, ist allerdings unwahrscheinlich, solange Menschen wie Stephan Holthoff-Pförtner, die sich über „Fake News“ mokieren, aber an Falschmeldungen in den Blättern der eigenen Gruppe nichts Schlimmes sehen können, jene Posten besetzen, an denen über so etwas entschieden wird.

Außerdem, Schock-Bilder auf Titelseiten, das macht die „Bild“-Zeitung ja schon freiwillig - und die Leser liefern sie bereitwillig, wie Moritz Tschermak fürs Bildblog immer mal wieder, zum Beispiel Anfang des Monats (Altpapier) oder gestern dokumentiert hat.

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Also. Wie soll sich unter diesen Umständen eine Bewegung entwickeln? Sascha Lobo erinnert in seiner Spiegel-Online-Kolumne daran, dass die Voraussetzungen vielleicht doch gar nicht so schlecht sind, wie sie dem pessimistischen Leser auf den ersten Blick erscheinen mögen.

Und noch ein Hinweis zum folgenden Zitat. Mit „Sie“ meint er nicht die anderen, sondern Sie. Ja, genau Sie.

„Sie können dem langsamen, unregelmäßigen, komplizierten Prozess der Weltverbesserung beim Passieren zuschauen. Das liegt auch daran, dass die digitale Sphäre, besonders die sozialen Medien Minderheiten eine eigene Stimme gegeben haben, Nicht-der-Norm-Entsprechenden ein Forum, Andersartigen neue Formen der Sichtbarkeit.“

Eine Minderheit, das sind wohl im Moment auch noch jene, die sich für ein journalistisches Güte-Siegel einsetzen würden, das vielleicht irgendwann mal zur Folge haben könnte, dass Menschen im Supermarkt vor dem Zeitungsregal stehen und denken: „Die Zeitschrift hier ist zwar einen Euro teurer, aber dafür wird sie auch von Journalisten aus Freilandhaltung hergestellt.

Ganz so schnell wird das vermutlich nicht gelingen. Man wird Geduld brauchen und Menschen, die bereit sind, anderen wieder und wieder auf die Nerven zu gehen. Allein das gibt Anlass zur Hoffnung, denn davon scheinen im Internet ja ausreichend viele vorhanden zu sein. Und es kann ja sein, dass nach vielen Jahren, in denen immer wieder Tropfen auf die gleiche Stelle gefallen sind, tatsächlich an der ein oder anderen Stelle eine kleine Veränderung sichtbar wird. Vielleicht haben wir ja tatsächlich Glück. Auf anderen Gebieten ist da ja schließlich auch gelungen.

Sascha Lobo:

„Und soziale Sichtbarkeit, immer und immer wieder, führt zunächst zur Auseinandersetzung und dann zur Gewöhnung. Ein altbekanntes, soziales Phänomen: Wo mehr Menschen mit Migrationshintergrund leben, werden rechtsextreme Parteien seltener gewählt. Wir haben es in diesem Sommer erlebt, wie die seit 30 Jahren immer offensivere Sichtbarkeit Homosexueller, die Reduktion des Zwangs, sich zu verstecken, schließlich zur Ehe für alle geführt hat.“

Altpapierkorb

+++ Was machen Journalisten eigentlich den ganzen Tag? Im Netz jedenfalls oft nichts, was mit ihrem eigentlichen Beruf zu tun hätte, findet Christian Jakubetz. In einem Blogbeitrag schreibt er: „Journalismus wird zunehmend oft mit Präsentismus verwechselt: Seht her, hier bin ich, das mache ich, das kann ich (und das alles am besten:live). Das kann man dann schon Echtzeit-Journalismus nennen, tatsächlich ist es zunehmend mehr die Pose als der Inhalt, was zählt.

+++ Zur Inhaftierung des Deutschen Peter Steudtner, der, wie bereits im Altpapier zu lesen war, als freiberuflicher Foto- und Video-Journalist arbeitet, hat sich inzwischen auch die Bundeskanzlerin geäußert. Und man muss wohl sagen, für ihre Verhältnisse schon recht deutlich. „Wir sind der festen Überzeugung, dass diese Verhaftung absolut ungerechtfertigt ist.“ Das berichtet unter anderem die SZ

+++ Nach der Diskussion um die umstrittene Türkei-Anzeige in der SZ (Altpapier) berichtet Silke Burmester in der taz nun über eine ziemlich seltsame Verbindung zwischen dem Axel-Springer-Verlag und einer Firma, die „die Türkei in ihren bunteren Farben darstellt“. Die Telefonnummer der Firma führt zum Springer-Verlag. Es ist alles ziemlich verworren. Silke Burmester: „Die Bigotterie, dass Verlage, die sich für Demokratie und Pressefreiheit einsetzen, die noch dazu für die Freilassung ihrer Mitarbeiter kämpfen, an den Imagebeilagen der undemokratischen Staaten verdienen, bleibt. Dazu erbat die taz am Dienstag wie am Mittwochmorgen eine Stellungnahme von Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt. ‚Ein Gespräch lässt sich heute leider nicht einrichten“’, heißt es per Mail.“ +++ Kurt Sagatz widmet sich für den Tagesspiegel ebenfalls noch einmal türkischen Image-Kampagnen in deutschen Zeitungen.

+++ In der Sache Deniz Yücel helfen die guten Kontakte bislang nicht weiter. Jetzt probiert Welt24 es mit einer Beschwerde beim türkischen Verfassungsgericht, berichtet unter anderem die taz. Die Aussichten sind aber auch hier wohl eher schlecht: „‚WeltN24 muss nachweisen können, dass ihr Recht auf freie Meinungsäußerung durch die Inhaftierung Yücels eingeschränkt wurde.‘ Das ließe sich aber nicht ohne Weiteres mit­ein­ander in Bezug setzen.

+++ Vom Journalismus hat der Focus sich ja schon vor einiger Zeit abgewandt. Jetzt hat BurdaNews-Geschäftsführer Burkhard Graßmann „Kress Pro“ verraten, womit die Illustrierte jetzt ihr Geld verdient. Jens Twiehaus fasst es für Turi2 wie folgt zusammen: „Der Verlag verkauft Lizenzen, damit sich Unternehmen mit Titeln rühmen können.“  Meine Vermutung wäre. In einem Ranking für Geschäftsideen, die dubios klingen, käme der Focus auch ohne Lizenzkauf auf einen der ersten drei Plätze.

+++ Das Verbraucherportal Toptestsieger hat den digitalen Zeitschriften-Kiosk Blendle getestet, und man kann nun sagen: Blendle ist Toptestsieger-Test-Verlierer. Alexander Becker berichtet darüber für Meedia. Die Tester haben herausgefunden, dass man mit einem kleinen Trick den ganzen Tag kostenlos Magazine lesen kann. Allerdings: Man muss sich dazu gut alle zehn Minuten eine neue E-Mail-Adresse einrichten. Und mein Eindruck ist: Wer tatsächlich bereit sein sollte, diese lästige Mühe auf sich zu nehmen, der hat sich die kostenlosen Magazine fast schon wieder verdient. 

+++  Thomas Hahn befasst sich auf der SZ-Medienseite mit der Frage, ob die Polizei Journalisten der Kieler Nachrichten bespitzelt hat (Altpapier) - vor allem auch mit den Ursachen: „(…) die Überwachung von sogenannten Whistleblowern betrifft auch jene Journalisten, an die sie ihre Informationen weitergeben. ‚Abhörmaßnahmen gegen Whistleblower enden oft bei Journalisten und sind de facto Abhörmaßnahmen gegen Journalisten‘, sagt Annegret Falter, die Vorsitzende des Vereins Whistleblower-Netzwerk. Breyer sagt: ‚Man möchte verhindern, dass Missstände aufgedeckt werden.‘“

+++ Oliver Jungen empfiehlt die Komödie „Marry Me - Aber bitte auf Indisch!“, die heute Abend um 23 Uhr im ZDF läuft. Auf der FAZ-Medienseite schreibt er (für 45 Cent bei Blendle) „Neelesha Barthels Film ist zwar ebenfalls eine farbsatte, klischeeüberbordende Romantikkomödie mit gattungskonformem Plot – resolute indische Oma (Bharati Jaffrey) wirbelt in westlicher Schluffi-Gesellschaft ordentlich Staub auf –, handelt aber zugleich von der schwierigen Identitätssuche zwischen den Kulturen, und das auf unverkrampfte Weise.“

+++ Die ARD hat einen Dokumentarfilm-Preis ausgelobt und den Preis dann einer Tochter verliehen. Das kam bei Filmemachern, die leer ausgingen, nicht gut an, ist aber rechtlich nicht zu beanstanden. Jörn Wenge berichtet darüber auf der FAZ-Medienseite (für 45 Cent bei Blendle).

+++ ARD und ZDF müssen dafür zahlen, dass sie ihre Rundfunkprogramm über das Kabelnetz verbreiten. Das hat das Oberlandesgericht Düsseldorf nun entschieden. Nachzulesen unter anderem im Tagesspiegel. Die Pressemitteilung des Gerichts zum Urteil ist hier zu finden.

+++ Paid Content gibt es bald auch bei Facebook, berichtet Dirk Stascheit für Turi2. „Nach zehn Instant Articles sollen Nutzer auf eine Abo-Seite der jeweiligen Publikation weitergeleitet werden – der elfte Artikel wäre dann nur noch für Kunden zugänglich.“

+++ Eine gute Nachricht für alle, die vom eskalierten Streit auf dem Volksfest in Schorndorf (Altpapier) nicht genug bekommen können. Stefan Winterbauer befasst sich für Meedia noch einmal mit der Posse und kommt zu dem ernüchternden Schluss: „Eine Lernkurve im Medienbetrieb ist hier bislang in den meisten Fällen leider nicht erkennbar.“

Neues Altpapier gibt's am Freitag. 

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