Wenn es auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung noch über dem Titel steht, dann muss es ein wichtiges Thema sein, oder? Also: Wolfgang Bosbach hat eine Talkshow verlassen (das Altpapier berichtete bereits gestern), und das konnte nicht ohne Folgen bleiben. Nämlich folgenden:
Moderatorin Sandra Maischberger wälzt sich bei Facebook darob ein wenig im Staub
(„Ich bedaure sehr, dass Wolfgang Bosbach unsere Runde vorzeitig verlassen hat. (…) Das ist immer eine Niederlage in einer Sendung, deren Aufgabe es ist, Menschen ins Gespräch zu bringen – gerade, wenn sie noch so unterschiedliche Meinungen haben. Wir wollen gesellschaftliche und politische Kontroversen im Fernsehen so führen, wie sie im Leben stattfinden: ungeschnitten und ungeschönt. Das tut manchmal weh. Auch mir, wenn es nicht gelingt, meine Gäste im Dialog zu halten“).
Die taz in Form von Johanna Feckl unterstellt Bosbach fehlendes Demokratie-Verständnis
(„Wenn man wirklich mit den Argumenten des Gegenübers nicht einverstanden ist, wenn man die Thesen für falsch oder schlicht gefährlich hält, darf man nie mit dem Versuch aufhören, in einen Diskurs zu treten)“.
Frank Lübberding erklärt auf der Medienseite der FAZ (Blendle, 0,45 €) dessen Verhalten sogar für den Fall für gut, dass dieses kalkuliert gewesen sein sollte
(„Nun hat der Vorwurf der Inszenierung hierzulande einen schlechten Ruf. Aber was wäre dagegen zu sagen, wenn ein Politiker wie Bosbach solche Aktionen vorher plante und mit Überlegung praktizierte anstatt aus spontaner Empörung? Es gab schließlich gute Gründe, gegen die Umkehrung von Tätern und Opfern ein Zeichen zu setzen. Das gelang. Bosbach bekam danach zahllose Interviewanfragen, um seine Beweggründe zu erklären“).
Bei kress.de lässt Bülend Ürük mal wieder die ganz großen Keulen auspacken
(„Mit harten Worten greift Christoph Lütgert, ehemaliger Star-Reporter vom NDR, die Sendung und ihre Macher an: ,Was Sandra Maischberger und der verantwortliche Westdeutsche Rundfunk (WDR) am Mittwochabend in der Talkshow zu den Hamburger G-20-Krawallen boten, war vielerlei: Veruntreuung von Gebührengeldern, Beleidigung intelligenter Zuschauer, Sucht nach Quote, simple Effekthascherei, aber nur ganz hin und wieder eine Diskussion, bei der es lohnte zuzuhören und mitzudenken’“).
Und ich durfte lernen, dass es Zett noch gibt - eines dieser jungen, wilden Angebote etablierter Verlage, über die kurz alle und nachdem kein Mensch über 20 mehr redete, und die nun, natürlich, den Hashtag #bosbachleavingthings feiern.
Sonst noch was? Ach ja, die SZ, die Cornelius Pollmer auf ihrer Medienseite heute die schönsten Fernsehsendungs-Abgänge aller Zeiten rekapitulieren lässt („Unvergessen bleibt der kammerspielgroteske Abgang des Fernsehphysikers Joachim Bublath, dem eine eher transzendentale Sendung zu sehr ins Therapeutische gekippt war“), die Sie alternativ auch ohne Paywall, dafür mit Videobeweis beim Kölner Stadtanzeiger bewundern können, die Bublath übrigens nur auf Platz 3 der Legendären sehen. Dabei zitiert der Tagesspiegel aus Agentur-Meldungen den stellvertretenden WDR-Chefredakteur Udo Grätz doch mit „So etwas ist absolut selten, das war gestern schon etwas Besonderes“, weshalb er auch keinen Bedarf nur neue Diskussions-Regeln für Talkshows sieht.
Damit dürften Sie sich nun umfassend informiert fühlen. Was natürlich nicht bedeutet, dass das Altpapier für heute abgeht. Denn da geht noch was.
[+++] Zum Beispiel im Nachgang zum „Prank des Wochenendes“ (Altpapier am vorvergangenen Montag), nachdem Conrad Albert, Vorstandsmitglied der Pro Sieben Sat 1 Media SE, via FAS eine öffentlich-rechtliche Förderung seines privatwirtschaftlichen Sendeangebots gefordert und sich dies auch gleich noch als Studie (hier im Original) von zwei Medienrechtlern hatte untersuchen lassen.
Deren 196 Seiten und 584 Fußnoten hat nun Dietrich Leder für die aktuelle Ausgabe der Medienkorrespondenz durchgearbeitet und herausgefunden, dass „die beiden Medienrechtler fest[halten], was in den Zeitungsartikeln über dieses Gutachten kaum erwähnt wurde: dass nach derzeitiger Rechtspraxis eine Beteiligung des privaten Fernsehens am Rundfunkbeitrag nicht möglich ist.“
Tja.
Aber noch eine weitere vertiefende Lektüre von Lederer hält interessante Aspekte bereit:
„Bleibt die Frage, warum dieses Gutachten in Auftrag gegeben und gerade jetzt veröffentlicht wurde? Dazu hilft bei börsennotierten Unternehmen mitunter ein Blick in die Seiten des Wirtschaftsteils der Tageszeitungen – etwa der ,Frankfurter Allgemeinen Zeitung’ (FAZ), deren Sonntagsausgabe ja das Interview mit Conrad Albert veröffentlicht hatte. Dort stand genau zwei Tage, bevor dieses Interview publiziert wurde, ein Warnhinweis für Besitzer von Aktien der Pro Sieben Sat 1 Media SE, dass es für das Unternehmen eng werden könnte. Tatsächlich hatte sich die Aktie des Unternehmens in den vergangenen Wochen und Monaten deutlich schwächer als der DAX entwickelt, dem diese Aktie ja angehört. Weshalb die FAZ einen Verkauf empfahl.“
Doppel-Tja. Kommen nun also die Zeiten, in denen nicht nur privatwirtschaftliche Presseverlage, sondern auch Fernsehsender mit dem gleichen Geschäftsmodell neidisch Richtung Gebührenfinanzierung schielen. Ich persönlich würde davon ja auch gerne einiges bezahlt wissen. Ein Lauftraining für Wolfgang Bosbach mit Jorge González (kleiner Scherz) oder die weitere Qualifizierung von Klaas Heufer-Umlauf zum Politikjournalisten (kein Scherz) gehören aber nicht unbedingt dazu.
[+++] Haben Sie schon mal etwas Lustiges mit einem Krokodil erlebt? Mag Ihnen an dieser Stelle als Frage eventuell etwas deplatziert erscheinen, ist aber in Wirklichkeit eine Hommage an Rudi Carell. Der wusste noch, wie man sich Gästen seiner Show nähern musste, die natürlich zufälligerweise wirklich mal ein Erlebnis mit Krokodil hatten, aber zu denen man ja nicht sagen konnte „So, hallo, Sie wissen ja, worum es geht, schießen Sie mal los.“
Obwohl:
„Hallo, Herr Bieber! Schön, dass wir uns hier mal austauschen über unsere Tätigkeiten in verwandten Aufsichtsgremien. Der WDR-Rundfunkrat und der ZDF-Fernsehrat erfüllen ja beide dieselbe Aufgabe: Sie kontrollieren die Sender – und treffen wichtige Entscheidungen. Sie wählen zum Beispiel den Verwaltungsrat, das andere Kontroll-Gremium, und alle fünf Jahre den Intendanten.“
So begrüßt bei Übermedien Betriebswissenschaftler, Jurist, Netzpolitik.org-Autor und ZDF-Fernsehratsmitglied Leonhard Dobusch den Politikwissenschaftler und WDR-Rundfunkrätler Christoph Bieber zum fröhlichen, zumindest in redigierter Form unmoderierte erscheinenden Ausichtsratsgremienaustausch. Der ist inhaltlich bestimmt waaaahnsinnig spannend, empfiehlt sich aber nur für Leute, denen die Informationen zur politischen Bildung, Ausgabe „Details des westfälischen Ständewesens im frühen 17. Jahrhundert“ zu aufregend erscheint. Weitere Kostprobe?
„Bieber: Man würde ja lieber in dem Sender arbeiten, den man da kontrolliert. Aber leider dauert es noch, bis das neue Filmhaus fertig gebaut ist, und solange tourt der Rundfunkrat durch Köln. Schwierig. Manchmal sitzt das Publikum den Mitgliedern im Rücken, manchmal in der Mitte, sozusagen umzingelt vom Rundfunkrat. Ist das beim ZDF besser gelöst?
Leonhard Dobusch: Das klappt ganz gut, bei uns sitzen neben dem Vorsitzenden des Fernsehrats auch eine große Zahl ZDF-Vertreter dabei und das Publikum an den Rändern. Der Verwaltungsrat ist nicht immer vollzählig anwesend. Den gibt es bei euch ja auch, den Verwaltungsrat. Ist er auch das viel einflussreichere Gremium?“
Wow. Behördendeutsch wird gar nicht angenehmer, indem man es mit einer guten Prise "Sendung mit der Maus" versieht.
Besonders schade ist das, weil das Thema ja wirklich spannend ist. Aber wenn Buzzfeed sich der Sache nicht annimmt und rasch „10 Dinge über Fernsehräte, die Du niemals geahnt hättest und die Dir jetzt die Socken ausziehen“ draus macht, werde ich die Details nie erfahren können.
+++ Der Tausendsassa Amazon hat mal wieder zugeschlagen. Nun im Portfolio: Audio-Rechte für DFB-Pokal und Bundesliga (Jörg Seewald, FAZ Medien). +++
+++ Den Focus gibt es nicht nur noch, er hat jetzt auch weltexklusiv die Meldung, dass die AfD erwägt, sich zu mehr Talkshow-Präsenz zu klagen. +++
+++ Einfach mal eine Studie in Auftrag geben, die herausfindet, dass der Online-Auftritt der ARD nicht so gut ist, wie er sein könnte? Kann man machen, liebe ARD. Vor allem, wenn diese dann empfiehlt, mehr Text zu liefern, was als Argument im ewigen Streit mit den Verlagen natürlich nicht schaden kann. Ulrike Simon geht darauf in ihrer Kolumne bei Spiegel Daily ein. Dazu der BZDV auf Twitter: „Warum gelingt es mit über 8 Milliarden Euro an Gebühren nicht, innovative Bewegtbild-Angebote zu machen?“ ¯\_(ツ)_/¯ +++
+++ Wenn Medien anderen Medien mit einstweiligen Verfügungen die Berichterstattung untersagen, kann man schon mal genauer hinschauen. Getan hat das Marvin Schade für Meedia, nachdem das Correctiv Kress verbieten ließ, weiter zu behaupten, Bodo Hombach habe sich aus der Correctivschen Ethik-Kommission zurückgezogen, weil Wolfang Heit, Vorsitzender des Correctiv-Finanziers Brost-Stiftung, eine Recherche nicht gefallen habe. +++
+++ DuMont verschiebt mal wieder Redakteure; diesmal welche für Politik von Hamburg nach Berlin (Meedia; Betriebsrats-Sicht im gewerkschaftsnahen DuMont-Blog). +++
+++ Mit dem Finanzierungs-Vorstoß des Pro-Sieben-Sat1-Chefs im Allgemeinen und der Frage, warum da so beharrlich gegen Drittsende- und Regionalfensterzeiten geklagt wird im Speziellen beschäftigt sich in der Medienkorrespondenz auch Volker Nünning: „Möglicherweise will Pro Sieben Sat 1 mit seinem nun präsentierten Modell einer ,Medienordnung 4.0’ unter anderem erreichen, dass auch diese von Sat 1 auszustrahlenden Fensterprogramme künftig aus dem Rundfunkbeitrag (mit)finanziert werden.“ +++
+++ „An den Ladezeiten kann die Enttäuschung mancher Verlage allerdings kaum liegen: Ein Instant Article öffnet sich im Bruchteil einer Sekunde (…) Doch offenbar können viele Medienhäuser mit Instant Articles weniger Geld verdienen als erhofft.“ Dominik Speck im aktuellen epd medien (derzeit nicht online) über die unlängst noch als Rettung der Medienfinanzierung gefeierte Facebook-Erfindung, die heute keiner mehr nutzen mag. +++
+++ Medienredakteurs Darling „Neue Netflix-Serie“ ist plötzlich nicht mehr automatisch Darling - zumindest nicht, wenn sich die Serien mit Teenie-Selbstmorden („13 Reasons Why“) oder Magersucht („To the Bone“) beschäftigen. Bei @mediasres berichtet Simone Schlosser, und natürlich hat auch die SZ-Medienseite einen Beitrag. Katharina Riehl: „Anruf bei Eva Baumann, Professorin und Leiterin des Center for Health Communications der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, die den schönen Satz sagt: ,Jeder macht aus dem, was er sieht, das, was er braucht.’“ Auf der FAZ-Medienseite urteilt Johanna Dürrholz über „To the Bone“: „Leider folgt der Film stur allen klassischen Mustern der romantischen Komödie: Schlechtgelauntes Mädchen trifft Therapeuten. Schlechtgelauntes Mädchen ist besser gelaunt, trifft Jungen. Besser gelauntes Mädchen öffnet sich, lässt Menschen in ihr Leben, erleidet einen Rückfall, lässt alles stehen und liegen und kehrt zurück zu ihrer bipolar veranlagten Mutter. Es folgt ein schlecht inszeniertes Nahtoderlebnis und die Besinnung auf ein Besseres.“+++
+++ Für Springers Welt ist Christian Meier in die Schweiz gefahren und hat mit Constantin Seibt über die frisch gecrowdfundete Zeitung Die Republik gesprochen. +++
+++ Um Beiboote, Nachrichtenmagazine als Trägermedium, kalte Schultern und auch um neue Zeitschriften aus dem Hause Spiegel geht es bei Gregory Lipinski und Meedia. +++
+++ „Soll ich Ihnen von meiner ersten Erfahrung mit dem deutschen Fernsehen erzählen? Es war ein Auftritt von James Last vor ungefähr 45 Jahren, bei dem sein Orchester mit geschwärzten Gesichtern New Orleans Jazz zu einer Art Umpaah-Techno parodiert hat“ und weitere schöne Geschichten erzählt Kurzzeit-Arte-Moderator Johnny Rotten im Interview mit Jan Freitag im Tagesspiegel. +++
+++ Falls der Gewinn von Geld in einer Fernsehsendung fester Bestandteil Ihres Finanzierungsplans für die nächsten Jahre sein sollte, lohnt sich die Lektüre eines DWDL-Artikels von Timo Niemeier, der sich bei den Sendern nach Zahlungsmoral und in nicht ausgestrahlten Sendungen Gewonnenem erkundigt hat. +++
+++ Wie freundschaftlich verbunden sich der Journalist Kai Diekmann mit dem Politiker Helmut Kohl zeigen sollte, darüber macht sich Christian Jakubetz bei kress.de Gedanken. +++
+++ „Mein letztes Buch (,Hass im Netz’) schloss ich mit einem historischen Beispiel ab“ ist jetzt nicht gerade der größte Knallereinstieg aller Zeiten. Aber falls Sie das nicht abstößt, Ihnen das Altpapier zu kurz vorkam und Sie sich außerdem gerne noch ein paar Gedanken zur Zukunft des Internets machen mögen, klicken Sie doch rüber zu Carta, wo Ingrid Brodnik genau das macht. +++
Das nächste Altpapier erscheint am Montag. Schönes Wochenende!