Der 3. September - so viel steht jetzt schon fest - wird ein eintöniger Fernsehabend. An diesem Sonntag zeigen ARD, ZDF, RTL und Sat.1 das gleiche Programm. Anders als zum Beispiel bei einem Fußball gibt es nach 90 Minuten aber keine viertelstündige Pause, keinen Seitenwechsel und keine neuen Gesichter auf dem Bildschirm. Im TV-Duell vor der Bundestagswahl werden wir anderthalb Stunden lang das gleiche Bild sehen. Und hier passt der Spruch ausnahmsweise mal wirklich: Danke, Merkel!
Die Bundeskanzlerin oder in dem Fall ihre Unterhändler haben hart verhandelt, damit sich in Deutschland auch auf diesem Gebiet nichts verändert.
„Die Bundeskanzlerin legt Wert darauf, beim TV-Duell mit dem SPD-Kanzlerkandidaten 90 Minuten lang von vier Journalisten befragt zu werden. Für ein TV-Duell, bei dem sie zweimal 45 Minuten lang von je zwei Journalisten befragt worden wäre, steht sie nicht zur Verfügung“,
schreibt Stefan Niggemeier für Übermedien und fügt an:
„Das klingt bizarr, und als bizarr wird aus dem Umfeld von Teilnehmern auch der Verlauf der Gespräche beschrieben.“
Die Erklärung dafür ist vermutlich recht einfach. Am prägnantesten formuliert Niggemeier es in einem Tweet.
„Niemand will und braucht das #TVDuell weniger als die Kanzlerin.“
Das Kalkül hinter der Verhandlungstaktik war wahrscheinlich etwas komplizierter. Es könnte zum Beispiel sein, dass Merkel gehofft hatte, das Duell durch ihre unbeweglichen Bedingungen noch verhindern zu können.
Allerdings. Noch mal Stefan Niggemeier:
„Dadurch, dass die Fernsehsender nachgaben, hätte Merkel sich zwar durchgesetzt, aber gleichzeitig ihr eigentliches Ziel, ein Duell insgesamt zu verhindern, verfehlt. Ist das plausibel? Hatte die Kanzlerin nicht längst akzeptiert, dass sie zumindest um ein Duell mit Schulz nicht herumkommt?“
Für mich am wahrscheinlichsten klingt eine andere Erklärung: Zwei Moderatoren, die jeweils 45 Minuten für ihre Fragen Zeit hätten, könnten sehr viel flexibler agieren. Das Format ließe mehr Spontaneität zu. Es wäre also alles im Sinne der Zuschauer. Schon an dieser Stelle ahnt man, dass die Umsetzung sehr unwahrscheinlich wurde. Wahrscheinlich, weil es für die Kanzlerin die größten Risiken birgt. Und die sehen von der anderen Seite wie Chancen aus.
Im Spiegel-Online-Bericht steht dazu der folgende, sehr schöne Absatz:
„In SPD-Kreisen ist man dem Vernehmen nach über Merkels Blockadehaltung gegenüber wesentlichen Änderungen und Erweiterungen des Sendungskonzepts enttäuscht. Wären sie durchgesetzt worden, hätte sie der SPD-Kandidat möglicherweise nutzen können, um den erheblichen Abstand in den Meinungsumfragen zu verringern.“
Hinzu kommt noch ein anderer strategischer Vorteil, den die CDU hier in Anspruch nehmen kann. Darüber schreibt Alexander Krei für DWDL:
„Das Duell ist übrigens längst nicht das einzige Wahl-Format, das bei nüchterner Betrachtung für Kopfschütteln sorgt. Denn auch im Falle des ‚TV-Fünfkampfs‘, den die ARD für den Tag nach dem Duell in Aussicht gestellt hat, scheint es, als diktiere die Union gewissermaßen die Spielregeln: Neben Vertretern von Grünen, Linken, FDP und AfD darf dort auch ein Teilnehmer der CSU Platz nehmen. Was zunächst logisch erscheint, weil die CSU mit gut sieben Prozent der Stimmen bei der letzten Bundestagswahl ja tatsächlich zu den kleinen Parteien zählte, entpuppt sich letztlich jedoch als schöner Vorteil für die Union, weil sie so in gleich beiden Sendungen vertreten ist.“
Das alles weckt nun natürlich ein wenig den Eindruck, dass die CDU den ganzen Aufbau sehr geschickt im eigenen Sinne dirigert hat. Aber lassen Sie sich davon nicht täuschen.
Joachim Huber im Tagesspiegel:
„Wie um die eigene Autorität doch noch zu behaupten, teilten die TV-Anstalten mit, dass die Journalisten die Sendung wie in der Vergangenheit ohne weitere Absprachen über konkrete Fragestellungen unabhängig gestalten - Donnerwetter!“
Falls Sie sich übrigens generell für den Bundestagswahlkampf interessieren, hier noch der Hinweis: Die Süddeutsche Zeitung hat eine Wahlzentrale eingerichtet.
Natürlich erfahren Sie bei uns auch weiterhin, wie es mit dem Maas’schen Hate-Speech-Gesetz weitergeht. Tobias Gostomzyk, Medienrechtsprofessor an der TU Dortmund, stellt im Wirtschaftsressort der FAZ (der Text ist leider auch nicht bei Blendle zu finden) die Frage, wie soziale Netzwerke nun das umsetzen, was von ihnen gefordert wird - und gibt zwei mögliche Antworten.
„Das erste Szenario: Insbesondere Facebook, Youtube und Twitter könnten sich einer neu zu gründenden Einrichtung regulierter Selbstregulierung anschließen. Schließlich bestimmt das NetzDG, dass soziale Netzwerke nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte an eine neu zu schaffende ‚Prüf- und Löschzentrale‘ weiterleiten können.“
Das hätte den Vorteil, dass das Risiko, hohe Bußgelder zahlen zu müssen, etwas kleiner würde. Allerdings müssten die Unternehmen dann auch mit den Entscheidungen dieser Zentrale leben. Und möglicherweise würde es darüber schon am ersten Tag der Zusammenarbeit Streit geben.
„Sehr häufig sind keine klaren Prüfungsergebnisse zu erwarten. So soll beispielsweise – kontextabhängig vom Einzelfall – die Bezeichnung einer AfD-Politikerin als ‚Nazi-Schlampe‘ mal zulässig sein, die Bezeichnung einer Fernsehmoderatorin als ‚das kleine Luder vom Lerchenberg‘ hingegen nicht.“
Die zweite Variante wäre:
„Ein oder zwei der großen sozialen Netzwerke beteiligen sich nicht an der Einrichtung regulierter Selbstregulierung.“
Dann gäbe es wieder das hier schon öfter formulierte Problem, dass entweder zu viele oder zu wenige problematische Inhalte gelöscht würden.
„Würde also zu viel gelöscht, könnten Klagen von Nutzern sozialer Netzwerke eingereicht werden, würde zu wenig gelöscht, würden hohe Bußgelder drohen.“
Damit würde sich die hier ebenfalls bereits geäußerte Vermutung bestätigen: Die Gerichte werden das Thema nicht los. Und wir auch nicht.
Gleiches gilt auch für ein anderes Thema. Sie ahnen es schon: Donald Trump.
Michael Hanfeld ist in die USA gereist und hat sich das alles mal auf der Nähe angesehen. Seine Reportage füllt heute die gesamte FAZ-Medienseite (für 45 Cent bei Blendle). Und was eigentlich selbstverständlich ist, aber dennoch oft vergessen wird: Er erwähnt dabei auch, dass die amerikanische Botschaft in Berlin die Reise ermöglicht hat. Und ich denke mal, das bedeutet: Sie hat sie bezahlt.
Die Reise hatte mehrere Stationen. Leider ist das die einzige Information, die Hanfeld zum Ablauf gibt. Und ich finde, es wäre notwendig gewesen, darüber etwas mehr zu verraten. Um das aber gleich klarzustellen: Man kann Hanfeld keineswegs nicht vorwerfen, im Sinne der Veranstalter auf unangenehme Details verzichtet zu haben.
Er hat zum Beispiel mit Glenn Kessler gesprochen, Fakten-Checker bei der Washington Post.
"Im Schnitt, sagt der ehemalige Korrespondent, kämen Politiker auf fünfzehn Prozent falscher Angaben bei allem, was sie sagten. Donald Trump liege bei 65 Prozent. Der Lügenberg sei 'gewaltig'. Die Hälfte der Stories, die daraus erwachsen, geht auf Hinweise der Leser zurück, die von der Gegenrecherche, die Kessler täglich gemeinsam mit zwei, drei Kollegen unternimmt, im Augenblick nicht genug bekommen können."
Das ist bemerkenswert, aber erwartbar. Überraschend ist das, was zum Beispiel Nolan Finley von der Zeitung Detroit News sagt.
„Der ‚Leichtsinn‘, mit dem der Präsident seinen Twitter-Account bespiele, rechtfertige nicht, journalistische Standards zu suspendieren. Und genau das lastet der Chef der’„Editorial Page’ der ‚Detroit News‘ zum Beispiel den Kollegen der ‚New York Times‘ an. Bisweilen, sagt Finley, habe er den Eindruck, es hätten alle ‚den Verstand verloren’“. Trumps Verhalten sei kein Grund, parteiisch zu werden und sich nicht mehr um Objektivität zu bemühen. Desinformation sei das kleinste Problem. Das größere sei, dass nicht mehr zwischen Tatsachendarstellung und Meinung unterschieden werde, sagt Finley und beklagt die Voreingenommenheit der Kollegen in Washington.“
Mike Myer, Lokaljournalist in West Virginia, erzählt:
„Wir redigieren sogar die Nachrichtenstücke von Associated Press um’, sagt Mike Myer auf die Frage, welche Rolle Voreingenommenheit im amerikanischen Journalismus heute spiele. Man nehme Trump selbstverständlich nicht alles ab, was er sage. Aber das gelte nicht nur für ihn, sondern auch für die Kollegen aus der Hauptstadt.“
Und da hätte ich zum Beispiel gern erfahren, ob die Veranstalter der Reise den Teilnehmern die Möglichkeit gegeben haben, sich ihre Gesprächspartner in den Redaktionen selbst auszusuchen - oder auch das organisiert war.
So ergibt sich nämlich nun ein Bild, das wahrscheinlich stimmt, aber auch ganz im Sinne der US-Regierung sein dürfte: Auf dem Land sehen sogar die Journalisten die Hauptstadtpresse kritisch. Und wenn das so sein sollte, okay. Aber man hätte es mir noch etwas einfacher machen können, das zu glauben.
Und damit nun zum….
+++ Oliver Gehrs kritisiert in seiner Übermedien-Kolumne eine Türkei-Beilage in der SZ als „Propagandanummer“. „Angesichts der Brisanz des Themas und der Notwendigkeit, klar Stellung zu beziehen, würde es mich als SZ-Redakteur ziemlich ärgern, dass die Verlagsgeschäftsführung so instinktlos ist, in dieser Zeit diese absurde Propagandanummer in die Zeitung zu mogeln, in der das zerrüttete Verhältnis zwischen Deutschland und Türkei zur ungetrübten Zusammenarbeit umgelogen wird. Ein einziger Satz geht in der Beilage auf die aktuelle Verwerfungen ein. 'In letzter Zeit konnte man den Eindruck bekommen, Deutschland und die Türkei seien sich ’nicht mehr ganz grün'', heißt es über einem Artikel – als sei das so ungefähr das Abwegigste, auf das man kommen kann.“
+++ Wenn Journalisten sich mit den Menschen anfreunden, über die sie berichten, ist das für sie erfreulich, für ihr Publikum meistens nicht. Der Ex-Focus-Chef Ulrich Reitz schreibt darüber bei Kress.de: „Persönliche Nähe korrumpiert, aber gegen freundschaftliche Gefühle kann man sich auch nicht wehren. Wenn so etwas passiert, gibt es zwei Wege, damit umzugehen. Ein Kollege, der sich in eine Parteipolitikerin verliebt hatte, eröffnete mir vor Jahren, er werde von nun an nicht mehr über diese Partei schreiben. Kai Diekmann hielt es anders: er machte seine Freundschaft, ja Bewunderung, zu Kohl transparent, was ich für fair halte. Jeder Leser könnte mühelos wissen, woran er bei Kohl/Diekmann war. Von Journalisten, die unbeirrt daran glauben, ihre Aufgabe bestünde darin, die eigene politische Haltung Lesern als Wahrheit zu verkaufen, geht eine größere Gefahr aus.“
+++ Die britische Medienaufsicht verhindert, dass Rupert Murdoch den Bezahlsender Sky übernimmt, berichtet Ralf Sotscheck für die taz.
+++ Wer für einen Vortrag ein gutes Beispiel für eine Doppelmoral sucht, könnte das folgende nehmen. Wenn Bild-Zeitungs-Chefreporter Peter Tiede bei Unfällen Gaffer sieht, wird er richtig sauer. Aber wenn die Gaffer gute Bilder liefern, nimmt die Zeitung die natürlich trotzdem gerne. Moritz Tschermak zeigt im Bildblog einige Beispiele.
+++ Die Bild-Zeitung will weg vom Image des unseriösen Boulevardblatts. In Zukunft möchte sie auch als unseriöser Streaming-Anbieter wahrgenommen werden. Bild-Chef Julian Reichelt hat dazu nun die „Operation Netflix“ ausgerufen, berichtet Marvin Schade für Meedia und lässt Reichelt seine Pläne mit dem Satz erklären. „Das können journalistisch anspruchsvolle Longform-Dokumentationen sein, ich kann mir aber auch Scripted-Reality mit Prominenten vorstellen.“ Meine Prognose: Wahrscheinlich wird es wohl eher auf das Letztere hinauslaufen.
+++ In seiner Kress-Kolumne erinnert Paul-Josef Raue an einen längst eingestellten Publizistik-Preis und stellt fest, dass so ein Preis heute fehlt.
+++ Auf der SZ-Medienseite berichtet Charlotte Theile über die von der NZZ am Sonntag kolportierten Pläne eines Vereins, eine „Bild für AfD-Wähler“ auf den Markt zu bringen: „Auch Namen und Auflage scheint die NZZ am Sonntag zu kennen: ‚Deutschland-Kurier‘ soll die Wochenzeitung heißen und mit einer Auflage von 200000 Stück dieses Jahr starten. Kosten: 30 Cent pro Zeitung. Zunächst aber sollen die Abonnenten gratis bedient werden. Der Verein ließ in den letzten Monaten ‚Extrablätter‘ drucken und an Haushalte verteilen – an deren Gestaltung war Segerts Agentur direkt beteiligt. Auch sie riefen dazu auf, die AfD zu wählen.“
+++ Wenn die Zahlen stimmen, ist es Harald Schmidt mit seiner Videokolumne bei Spiegel Daily gelungen, seine Sky-Quoten von 100.000 Zuschauern im Schnitt noch mal sehr deutlich zu unterbieten. Wie Gregory Lipinski für Meedia berichtet, sollen der Spiegel gerade mal 3000 Abonnenten für seine digitale Tageszeitung begeistert haben. Der Verlag selbst hat entweder sehr geringe Ansprüche oder andere Zahlen. Ein Sprecher teilt mit: „Wir sind in diesem sehr frühen Stadium mit der Entwicklung der Abo-Zahlen zufrieden. Spekulationen über konkrete Zahlen kommentieren wir nicht.“ +++ Katharina Riehl schreibt auf der SZ-Medienseite ebenfalls darüber (45 Cent bei Blendle).
+++ Peer Steinbrück und sein Koalitions-Partner Kabarett-Partner Florian Schroeder haben dem Kölner Stadtanzeiger ein Interview gegeben, das, wie eigentlich immer, wenn Politiker keine Rücksicht auf ihre Karriere mehr nehmen müssen, erfrischend ungezwungen ist - und in dem Steinbrück etwas kritisiert, das mir selbst auch schon öfter als ziemlich beknackt aufgefallen ist, für das ich aber bislang noch keinen Namen hatte. Steinbrück nennt es „Treppen-Journalismus“: „Sie kommen als Politiker eine Treppe hoch, da springt Sie unangekündigt und ungefragt ein Kamerateam an und konfrontiert Sie in provozierendem Ton mit irgendeinem Vorgang, der vier Jahre oder noch länger zurückliegt. Wenn Sie zögern, gar ins Stottern kommen, stehen Sie als unbeholfener Doofmann da. Bitten Sie um etwas Zeit, um die Sache zu recherchieren, heißt es, „der hat ja keine Ahnung“. Und sagen Sie, „kein Kommentar“, dann wird eben das gesendet – als Ausdruck der Verweigerung, was einer Vorverurteilung gleichkommt.“
+++ Und zum Abschluss noch ein Fall von: Mein Gott, wie die Zeit vergeht. Wolf von Lojewski wird 80 Jahre alt. Andrea Löbbecke hat ihn für die HAZ besucht und berichtet: „Inzwischen tritt von Lojewski nicht mehr so oft in der Öffentlichkeit auf, er hält gelegentlich einen Vortrag oder ist Gast in einer Talkshow. Ein privates Projekt beschäftigt den Liebhaber von Kunst und alten Büchern allerdings seit vielen Jahren: Er sammelt die 652 Buchseiten der „Schedelschen Weltchronik“ aus dem 15. Jahrhundert. 651 hat er inzwischen, nur die rechte Seite der Darstellung von Budapest fehlt ihm noch. Eine Herausforderung.“ Also falls jemand helfen kann. Wir leiten die E-Mail gerne weiter.
Neues Altpapier gibt es am Donnerstag.
Offenlegung:
Ich arbeite gelegentlich für Übermedien und schreibe eine Kolumne bei Bildblog.