Beginnt bald die Zukunft des digitalen Journalismus? Die wichtigste tagesaktuellen Medienbranchen-Neuigkeit könnte zumindest darauf hindeuten.
Endlich "marktreif" sei nun "Spiegel Daily", meldet horizont.net – also die von Cordt "Reporterlegende" Schnibben entwickelte, aufgrund ihrer rekordverdächtig langjährigen Experimentierphase beinahe selbst schon legendäre Newsletter-Idee des Spiegels. Bereits in wenigen Monaten, Mitte des Jahres, soll das Projekt das Licht der Displays erblicken.
Ein paar Andeutungen, um was konkret es sich handeln wird, spendierte der Spiegel-Verlag dann auch selbst: um
"ein kostenpflichtiges tägliches Angebot, das dem Leser die wichtigsten News des Tages auf neue, erklärende Art präsentiert und dazu vertiefenden Lesestoff, Videos und Service für den Abend bietet."
Da die Pressemitteilung kostenlos ist, lohnt sich noch ein Blick auf Auskünfte des SPON-Geschäftsführers im Absatz darunter:
"Wir zielen auf die Gruppe der sogenannten 'Daily Briefer', die ein Mal am Tag kompakt, kompetent, multimedial informiert werden wollen."
Ob diese Zielgruppe, falls es sie tatsächlich gibt, in den letzten Jahren nicht schon eigene Informations-Gewohnheiten entwickelt hat, die auch ohne neue nachmittägliche Newsletter gut auskommen, muss sich zeigen. Zumindest demonstriert der Spiegel, dass seine Marketingexperten unbeeindruckt von Print- und/ oder Journalismus-Krisen beim Begriffe-Erfinden-Anwenden auf Augenhöhe mit den pfiffigsten Konsumgüterzubehör-Herstellern agieren.
Für Medienmedienbeobachter ferner interessant: Im horizont.net-Artikel weist Ulrike Simon gerne darauf hin, dass der Spiegel-Verlag bei der Abwicklung der Bezahlung durch die Daily Briefer nicht mehr mit seinem bisherigen Dienstleister, sondern mit einem neuen kooperiere, wie sie Anfang Dezember (Altpapier) vorhergesagt hatte. Im Alltag onlinejournalistischer Redaktionen spielen solche Bezahlmodell-Anbieter bislang kaum eine nennenswerte Rolle. Aber vielleicht ändert sich das ja, sobald "Spiegel Daily" erst den Markt aufrollt ...
[+++] Weniger leicht über die Lippe als frische Vermarktungs-Anglizismen gehen DSAnpUG-EU und DS-GVO.
Da handelt es sich um Abkürzungen für das Datenschutzanpassungs- und Umsetzungsgesetz sowie die Datenschutzgrundverordnung. Letztere ist eine "ab Mai 2018 anzuwendende" Vorgabe der EU, ersteres soll diese für Deutschland umsetzen, liegt seit Anfang Januar in der "nunmehr ... dritten Version eines Referentenentwurfes" vor und soll voraussichtlich schon am Mittwoch durch das Bundeskabinett verabschiedet werden. Soweit die Ausgangslage eines Gastbeitrags der Vorsitzenden der Konferenz der Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder (DSK), der niedersächsischen Datenschutzbeauftragten Barbara Thiel, bei netzpolitik.org.
Offenkundig können die DS-GVO und die Frage, inwieweit die EU damit ihr "Ziel ..., ein einheitliches und harmonisiertes Datenschutzrecht in der EU zu schaffen", erreicht hat, recht unterschiedlich interpretiert werden. Das zeigt Thiel in ihrem weniger journalistischen als an Datenschutzbeauftragte gerichteten Text auf. Die Grundverordnung sieht sie als "bislang wichtigsten Meilenstein des europäischen Datenschutzrechts", in der Anpassung dagegen die Gefahr einer "Absenkung des Datenschutzniveaus im Vergleich zum bestehenden deutschen Datenschutzrecht".
Das Frappierende: Ist Ihnen dieses Thema in diesem Jahr in irgendeinem deutschen Nachrichtenmedium bereits begegnet? Es scheint, als würden die meisten Nachrichtenmedien solche schwer vermittelbaren und nicht klickträchtigen Themen hintanstellen, bis Innenminister de Maizière dazu vor die Mikrofontrauben getreten sein wird, und alle redaktionelle Kraft ins Analysieren der neuesten Donald-Trump-Tweets zu investieren.
[+++] Blicke zurück in die Vergangenheit gibt es gerade viele – deutlich mehr als in anderen Jahren, und vermutlich getrieben von Trumps Präsidentschaft, aktuellen politischen Entwicklungen auch in Europa und der Frage, ob sich aus der Geschichte etwas lernen lässt.
"In diesen Tagen, rund um den Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, häufen sich die Erinnerungsstücke im Fernsehen", schreibt Fritz Wolf im epd medien-Tagebuch u.a. zum Film "#Uploading Holocaust" sowie zum Thema "Erinnerungskultur ... im Umbruch".
Der Gedenktag der Auschwitz-Befreiung ist der 27. Januar. Weil Jahrestage nicht chronologisch begangen oder in Erinnerung gerufen werden, sondern eben jährlich, folgt immer drei Tage später der Jahrestag der Machtübernahme der Nazis. Zum 30. Januar 1933 enthält die aktuelle Ausgabe der Zeit ein auch unter Medien-Aspekten lesenswertes Stück, das inzwischen frei online erschien.
Es geht um Sebastian Haffner (wie im Altpapier gestern) sowie um damalige tagesaktuelle, im Rückblick tragische Fehleinschätzungen. Theodor Wolff, als Namenspate eines Journalistenpreises (heute endet die Einreichfrist!) gegenwärtig, schrieb vor 84 Jahren etwa von einer "Grenze, über die hinweg die Gewalt nicht dringt". Und um den etwa als Parteisitz-Namenspate noch präsenten Kurt Schumacher geht es:
"In einer Rede Anfang Februar 1933 bezeichnete der SPD-Reichstagsabgeordnete Kurt Schumacher den NSDAP-Führer als bloßes 'Dekorationsstück': 'Das Kabinett heißt Adolf Hitler, aber das Kabinett ist Alfred Hugenberg. Adolf Hitler darf reden, Alfred Hugenberg wird handeln.' Grotesker konnte man die von Hitler ausgehende Gefahr nicht verkennen ...",
schreibt Volker Ullrich. Dieser Hugenberg war damals Vorsitzender der Deutschnationalen Volkspartei, die mit der NSDAP koalierte, und galt als "Medienmogul", weil er Verlage und die Mehrheit am Filmkonzern UFA besaß. Wie sang- und klanglos, dabei schnell der Mogul aus der Politik und der Medienlandschaft verschwand und lange, bevor er 1951 in Kükenbruch bei Rinteln starb, vergessen wurde und blieb, sagt wahrscheinlich auch etwas über die Bedeutung der Medien aus. Wobei zu denen, die Alfred Hugenberg und seinen Einfluss anno 1933 eklatant überschätzten, vor allem auch Hugenberg selbst gehört haben dürfte.
[+++] Zum Spocht. Einen je nach Geschmack rührenden bis rührseligen Abschied nimmt der Leiter der Hauptredaktion Sport, der sich in die Pension verabschiedet, vom ZDF. Das große Sie-hören-nach-39-Jahren-...-auf–was-hat-sich-in-dieser-Zeit-verändert?-Interview der DPA gibt's bei meedia.de im Wortlaut, im Tagesspiegel nett einkuratiert.
Dieter Gruschwitz erzählt da von "wunderschönen Inseln", als hätte er die Inga-Lindholm-Dramatik seines Senders, die schöne Inseln ja zumindest weiterhin hochhält, tief verinnerlicht. Vom Journalismus spricht er eher so, als hätte er mit den Pionierleistungen des ZDF beim Auswalzen der Sendeflächen zum Fußballbeplaudern und beim Veroberflächlichen eher wenig zu tun gehabt:
"Die Medienwelt ist eine komplett andere geworden. Das fängt mit dem Handwerk der Journalisten an. Da hat es einen Wandel der nicht so positiven Art gegeben, es ist vieles oberflächlicher geworden."
Wobei er natürlich teilweise Recht hat:
"Wir werden erleben, dass noch ganz andere internationale Player auf den Markt kommen mit mehr finanziellem Potenzial. Sie werden Rechteeinkauf und Rechteverkauf globaler bestreiten, nationale Interessen werden dahinter verschwinden ..."
Diese Gruschwitz-Aussage führt zum Aufmacher der SZ-Medienseite. Dort schildert Caspar Busse den "beispiellosen" "Schlagabtausch, den sich die beiden Fernsehunternehmen Discovery und Sky seit einigen Tagen liefern". In der Sache geht es darum, ob Discovery-Angebote wie die Eurosport-Sender weiterhin – über den heute endenden Januar hinaus – via Sky zu sehen werden.
Und diese Eurosport-Sender sind diese, auf denen 2018 statt im ZDF deutsche Olympia-Berichte gezeigt werden:
"Discovery gibt sich sehr selbstbewusst, seit sich das Unternehmen die weltweiten Fernsehrechte an den Olympischen Spielen von 2018 bis 2024 gesichert hat",
bzw. vom Internationalen Olympischen Komitee und seinem deutschen Chef, die mit einzelnen nationalen Sendern gar nicht mehr verhandelt hatten, in den Rachen geschoben bekam. Im SZ-Artikel geht es dann um die Rivalitäten "zwischen den amerikanischen Medienunternehmern John Malone, 75, und Rupert Murdoch, 85", um Malones Holzfällerhemden, Murdochs Spitznamen ("Der Hai"), und was sie an Medien so besitzen (Malone neuerdings die Formel-1-Autorennen und die Übertragungsrechte daran, Murdoch u.v.a. 20th Century Fox).
Diese beiden sind vermutlich diejenigen lebenden Personen, auf die der Begriff "Medienmogul" am besten passte.
+++ Zur gestern hier gestellten Frage, "ob es unter den im Saal verbliebenen Journalisten Überlegungen gab, aus Solidarität mit dem" vom sächsischen AfD-Parteitag "rausgeschmissenen Kollegen einfach nach Hause zu gehen": So was Ähnliches, sogar öffentlichkeitswirksameres gab es dann tatsächlich. +++
+++ "Das Einreiseverbot für Bürger mehrheitlich muslimischer Staaten" in die USA "betrifft jetzt auch Journalisten" wie etwa Golineh Atai, die derzeitige Moskau-Korrespondentin der ARD. "Seit zwanzig Jahren hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Allerdings entlässt der Iran seine Bürger nicht aus der Staatsbürgerschaft. Deshalb muss Atai beide Pässe haben", weiß die TAZ. +++
+++ "Es gibt die Bots in unterschiedlichen Komplexitätsstufen: Die einfachsten retweeten oder favorisieren nur Nachrichten mit bestimmten Hashtags, um für eine größere Verbreitung und Wahrnehmung zu sorgen. Bei komplexeren Bots erstellt der Algorithmus entsprechend der Vorgaben selbst Kurznachrichten. Hierbei spielt auch künstliche Intelligenz eine Rolle, damit die Nachrichten möglichst nicht von denen menschlicher Urheber zu unterscheiden sind" (aus einem der übersichtlichsten Artikel zum breit diskutierten Thema Social Bots; Svenja Bergt hat ihn für die TAZ verfasst). +++
+++ Indes im Tagesspiegel: Die Verabschiedung Kai Diekmanns idealerweise ins Silicon Valley durch die stellvertretende TAZ-Chefredakteurin (und ehemalige Tagesspiegel-Korrespondentin) Barbara Junge. Allerdings: Könnte Diekmann, wenn er hier bliebe, nicht insgesamt weniger Schaden anrichten? +++
+++ "Wer erwürgt die Presse?", fragen zwei linksliberale griechische Zeitungen, die zumindest vorläufig eingestellt wurden. Es berichtet der Standard. +++
+++ Na sowas: Fernsehprogrammzeitschriften-Redaktionen haben gar nicht alle Filme gesehen, die sie mit Action-, Spaß- und Erotik-Punkten bewerten (dwdl.de u.v.a). +++
+++ Der "führende Cartoonist des deutschen Sprachraums" kommt aus Österreich und verlässt den Stern, der letzte Woche noch in aller Munde war, nun auch in diese Richtung (Standard, auch österreichisch). +++
+++ Was Heribert Prantl bei der Hamburger Ringvorlesung "Lügenpresse" unter der Überschrift "Trotz alledem. Von der Ehrenrettung eines systemrelevanten Berufs" gegen "oft gesinnungsloses Livetickern" gesagt hat, verdient womöglich Beachtung. +++
+++ "Unsere Kommentatorinnen und Kommentatoren hören den anderen zu. Das fängt dabei an, dass sie den Artikel und vorhandene Kommentare lesen, bevor sie sich beteiligen. Und endet damit, dass sie sich empathisch einfühlen in die Argumente und Positionen der anderen. Auch wenn sie diese nicht teilen", träumt netzpolitik.org. +++
+++ Ein heute bei Arte gesendetes Dokudrama über Erich Mielke bespricht der Tagesspiegel. +++
+++ Auf der FAZ-Medienseite geht's u.a. um die in ganz Südamerika außer in Venezuela anlaufende, US-amerikanische Sony Pictures-Fernsehserie "El Comandante" über das Leben des Venezolaners Hugo Chávez. +++ Und um Spekulationen, Mark Zuckerberg könnte Donald Trumps Nachfolger werden wollen. +++
+++ "Wer sich nicht in den Wettstreit um die geschmackloseste Attacke auf den politischen Gegner hineinziehen lässt, wer an einem zivilisierten demokratischen Diskurs auch im Angesicht des Widerwärtigen festhält, der kann den Teufelskreis durchbrechen" (Christian Stöcker, inzwischen Digitalkommunikations-Professor statt Netzwelt-Ressortchef, bei SPON). +++
+++ "Lieber Herr Grube, wenn Sie es jetzt noch rausreißen wollen, hilft nur eins: Gehen Sie zum 'Stern', der macht echt klasse Rücktrittsinterviews!" (aus dem heutigen Spiegel-Morgens-Newsletter für Early Briefer, der jeden Morgen schon seehr gespannt macht auf den neuen Spiegel-Nachmittags-Newsletter ...). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.