Gestern wurde in Berlin gewählt. Die Meinungsumfragen vor der Wahl haben sich als ziemlich treffsicher erwiesen. Von einer Pleite der Demoskopen konnte man keineswegs reden. Interessant waren aber die Schwierigkeiten der Institute in ARD und ZDF mit ihren Wahlumfragen am Wahlsonntag. Diese exit polls gelten aus methodisch guten Gründen ansonsten als sehr zuverlässig. Gestern Abend waren sie aber erstaunlich ungenau. So überschätzten sie die SPD und die Grünen, während sie die AfD untergewichteten. Es ist ein erklärungsbedürftiges Phänomen, wenn zwischen der ersten Hochrechnung in der ARD und dem späteren Endergebnis der AfD eine Differenz von 2,5 Prozent zu finden ist. Allerdings ist diese Ungenauigkeit mit den besagten methodischen Problemen zu erklären. Die AfD trat in Berlin das erste Mal an. Es gab daher keine Daten über das frühere Wählerverhalten. So schnitt die neue Partei bei den Briefwählern anscheinend besser ab als von den Instituten prognostiziert. Empirische Sozialforschung hat ihre methodischen Grenzen. Ansonsten wäre sie übrigens auch keine Wissenschaft. Ihr diese Grenzen vorzuwerfen, wäre absurd.
Das betrifft allerdings nur die seriösen Institute, wie Infratest dimap, die Forschungsgruppe Wahlen oder Allensbach. Aber kann man eigentlich Forsa von Manfred Güllner noch als ein solches seriöses Institut bezeichnen? Stefan Niggemeier machte am Samstag deutlich, warum daran ernsthafte Zweifel erlaubt sind.
„Bei Forsa ist von Konkurrenten aber auch der Verdacht zu hören, die niedrigen AfD-Ergebnisse könnten politisch motiviert sein. Manfred Güllner warnt seit langem davor, die AfD zu wichtig zu nehmen. In dieser Woche schrieb er anlässlich der Kommunalwahlen in Niedersachsen zum wiederholten Mal, dass die AfD-Wähler „einem bestimmten und recht homogenen radikalisierten Segment der Gesellschaft“ entstammten. Der große Unmut über die politischen Akteure zeige sich dagegen eher durch Nichtwahl. Seit über einem Jahr sagt er voraus, dass die AfD ihren Höhepunkt erreicht oder überschritten habe. Ende November 2015 sagte er, dass die AfD „mit sieben oder acht Prozent die Schallmauer erreicht hat. Sie wird keinesfalls zweistellig werden. Das ist absoluter Unfug.“ Im Februar 2016 nannte er eine Schallmauer von zehn Prozent: „Damit hat sie ihr Potenzial weitgehend ausgeschöpft.“ Aktuell sieht Forsa die AfD bundesweit bei 13 Prozent.“ (links von Niggemeier)
Offensichtlich betrachtet Güllner die Demoskopie als eine Variante des Meinungskampfes, den er aber immerhin mit einer gewissen Methodik verfolgt.
+++ Die schönsten Geschichten schreibt bekanntlich das Leben. So geisterte in den vergangenen Wochen jene Geschichte aus dem österreichischen Kärnten herum, dass eine junge Frau ihre Eltern verklagt hatte. Diese hatten auf Facebook wohl nicht immer ganz so nette Fotos von ihr veröffentlicht. Die Eltern sollten diese Fotos entfernen. Weil sie das unterließen, ging die junge Frau vor Gericht. Mit den schönsten Geschichten aus der Regenbogenpresse kennt sich FAS-Kolumnist Jörg Thomann besonders gut aus. Er recherchierte den Hintergrund in der FAZ von Samstag und stellte einige Ungereitheiten fest.
„Anderes passt nicht ganz so gut. Anna, deren Namen „Die ganze Woche“ geändert haben will, stammt angeblich aus Kärnten, allerdings ist beim Landesgericht Klagenfurt, das in Kärnten für derartige Fälle zuständig wäre, nichts von einer Klage bekannt – obgleich „Die ganze Woche“ schreibt, voraussichtlich im November müsse sich der Vater vor Gericht verantworten. „Wir haben mit dem Fall nichts zu tun. Wir kennen das Mädchen nicht“, sagt auch der Wiener Medienanwalt Peter Zöchbauer, dessen Mitstreiter Daniel Bauer von der „Ganzen Woche“ zitiert worden war; allerdings sei er von der Zeitschrift nur ganz allgemein zu dem Thema befragt worden, erst am Ende des Gesprächs sei ihm mitgeteilt worden, dass es da einen konkreten Fall gebe. Und noch anderes ist verwirrend: Warum zum Beispiel beklagt sich die junge Frau über Kinderfotos, die sie nackt zeigten, welche nach den Facebook-Richtlinien umgehend gelöscht werden müssten?“
Lauter Fragen, die bis dahin niemand stellte. Das gilt übrigens auch für den Autor dieser Kolumne. Diese Geschichte passte nämlich einfach zu gut in sein Weltbild, um sie nicht interessant zu finden.
+++ Ansonsten ist die von der CSU ausgelöste Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens weiterhin ein Thema. Der frühere ZDF-Kollege Wolfgang Herles macht sich in Tichys Einblick grundsätzliche Gedanken.
„Zwei Korrespondentennetze sind keine überflüssige Doppelstruktur. Wenn man sie nur nutzen würde. Nicht bloß für oberflächliches Gemenschel, für Fast-Food-Journalismus auf Illustriertenniveau. Grundversorgung müsste sein: Treibstoff der Demokratie. Die Bürger in die Lage zu versetzen, mit wachem Verstand den komplexen Zusammenhängen zu folgen. Dem Urteilsvermögen des demokratischen Souveräns eine Grundlage zu schaffen, das wäre Grundversorgung. Davon sind ARD und ZDF weit entfernt. … . Über lammfrohes Regierungsfernsehen etwa im Bayerischen Rundfunk hat sich die CSU jahrzehntelang nicht beschwert.“
+++ Um Unterhaltung geht es auch beim ESC. Siehe das Altpapier von Freitag. taz-Kollege Jan Feddersen hat in seinem ESC-Blog dazu Stellung genommen. Aber geht es beim ESC wirklich um Musik? Spötter könnten meinen, sicher, aber eben um schlechte.
„Nie hat sich Stefan Raab wirklich über den ESC lustig gemacht, niemals. Heißt: keine Sekunde. Er ist einer der wenigen unter den deutschen Topleuten im Showbusiness, der den ESC als Sport verstand. Und damit lag er richtig. Es geht ums Gewinnen und Nichtgewinnen. … . Beim ESC aber besieht sich ein Land das Ergebnis für einen Titel, den es per Televoting wollte. Und stellt fest: Oh, so denkt Europa über uns! Dieser Rückschluss ist zwar nicht richtig, aber die spontanen Gefühle drücken sich so aus. Man erkennt nicht mehr an, dass ein bestimmtes Lied die eurovisionären Publikumsgefühle nicht traf, sondern identifiziert sich mit einer schlechten Platzierung und glaubt, dass das ein Urteil über das eigene Land ist.“
Schon immer waren die Juryvoten und das Auszählen der Stimmen der eigentliche Höhepunkt dieser Sendung. Es waren die ersten Europawahlen bevor überhaupt jemand ernsthaft an solche gedacht hat. Aber seit wann ist das mit dem Glauben verbunden, mit dem Wahlergebnis werde „ein Urteil über das eigene Land gesprochen“? Diese Sichtweise ist wohl erst das Ergebnis der Demokratisierung dieses Wettbewerbs. Ansonsten wäre es nämlich reichlich absurd, den bis dahin anonymen Jurys irgendeine Form der Repräsentativität zuzubilligen. Und daraus zu schlussfolgern, es könnte sich um „ein Urteil über das eigene Land“ handeln. Damit wird dieser Veranstaltung eine Bedeutung gegeben, die angesichts ihrer faktischen Irrelevanz aber schon wieder komisch ist.
Altpapierkorb
+++ Wie sollen die Nachrichten in Zukunft über die Parteien berichten, die aus einer gewissen Gewöhnung heraus, immer noch Volksparteien genannt werden? Darüber macht sich heute Udo Stiehl in seinem Blog Gedanken: „Aus Sicht der politischen Berichterstattung – vor allem in Nachrichten – sollte deshalb der Begriff der „Volkspartei“ dringend in Frage gestellt werden. Aus der Tradition heraus mag er noch eine gewisse Einordnung bieten. Was aber die realen Zahlen angeht – sowohl bei den Mitgliedern, als auch in den Stimmenanteilen – ist diese Formulierung nicht mehr begründbar. „Volkspartei“ gibt es nicht mehr. Die logische Folge sollte sein, in der Berichterstattung Abschied zu nehmen vom Begriff der „Volkspartei“ – die Zeiten haben sich geändert. Was bleibt, sind kleinere Maßstäbe, um die Verhältnismäßigkeiten in der Parteienlandschaft möglichst neutral darzustellen.“ Es gibt schon seit den 1980er Jahren eine vielfältige Literatur über den „Abschied von den Volksparteien“. Über ihre Existenzvoraussetzungen findet man übrigens in diesem Buch alles, was man wissen muss.
+++ In Los Angeles wurde die Emmys verliehen. Über diese launige Veranstaltung erfährt man etwa in der Welt und bei Spiegel online. Dazu passt auch dieser Artikel. Dort geht es um eine Studie, wo die Wissenschaft angeblioch festgestellt hat, dass „diejenigen, die einen großen gemeinsamen Freundeskreis hatten und diejenigen, die weniger gemeinsame Freunde hatten, dafür aber gemeinsam Serien schauten, am zufriedensten“ waren. Leider hat noch niemand den Zusammenhang zwischen einem befriedigenden Beziehungsleben und dem Zuschauen beim ESC untersucht. Damit könnten sich unter Umständen aber die Sozialforscher von Forsa beschäftigen.
+++ Über die Mühsal der Ebene informiert uns die Medienkorrespondenz. Es geht um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Dort ist unter anderem folgendes zu lesen: „Dieses Papier hatten die Rundfunkreferenten der Länder erstellt, ohne dass sie dabei Rücksicht nehmen mussten auf den Umstand, dass solch ein Papier normalerweise zwischen den Beteiligten abgestimmt werden müsste. In dem Papier wurde unter anderem aufgelistet, welche strukturelle Maßnahmen ergriffen werden könnten, sofern erreicht werden solle, die Beitragshöhe auch über das Jahr 2020 hinaus auf dem heutigen Niveau zu halten. Als eine Variante wurde dabei die Privatisierung des ZDF genannt, was aus der FDP seit Jahren gefordert wird. Auch von der Abschaffung des Ersten Programms der ARD und damit der Konzentration der Landesrundfunkanstalten auf ihre regionalen Angebote war die Rede. Diese in dem Papier genannten Vorschläge („Giftliste“) ging den Staatssekretären und Ministern jedoch zu weit.“
+++ Ob Promi-Big-Brother ebenfalls das Beziehungsleben seiner Zuschauer verbessert? Wir wissen es nicht. Aber die schlechten Einschaltquoten könnten das der Programmverantwortlichen bei SAT 1 beeinträchtigen. Es ist schließlich bekannt, welche Auswirkungen Stress auf der Arbeit auf das Familienleben haben kann.
+++ Am Mittwoch geht es vor dem Bundesverwaltungsgericht um das Recht der Presse auf Aktenzugang, wie Kress berichtet. Diese Entscheidung wird über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung haben.
+++ In der taz gibt der neue Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni unter anderem Auskunft über seine Erfahrungen als USA-Korrespondent. Auf die Frage von Klaus Raab, wie deutsch das deutsche Fernsehen ist, antwortet Zamperoni so: „Es gibt jedenfalls große Unterschiede zu italienischen oder US-amerikanischen Medien. In Italien gibt es fast lyrische, blumige Formulierungen, etwa in La Stampa oder Corriere della Sera. Unser Journalismus ist dagegen sehr angelsächsisch geprägt. Wir bringen erst die News, dann den Rest. Der Unterschied zu den USA ist: Dort ist das Tempo sehr viel höher. Kaum ein O-Ton ist länger als drei, vier Sekunden. Es gibt unheimlich viele audiovisuelle Reize, das wirkt manchmal wie ein sehr lautes Feuerwerk. Das entspricht so noch nicht unseren Sehgewohnheiten. Wenn man sich die „Tagesthemen“ vor 20 Jahren anschaut, denke ich allerdings auch, boah, ist das langsam.“ Dem Familienleben hat das aber nicht geschadet, so die Vermutung.
+++ Am vergangenen Samstag starb der langjährige ZDF-Sportreporter Günter-Peter Ploog.
Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.