Die dystopischen Szenarien, die der weithin Internetkritiker genannte Publizist Evgeny Morozov ausgemalt hat, sind wohl selten auf so anschauliche Weise wahr geworden wie in dem Fall des Schriftstellers Dennis Cooper. Vor etwas mehr als einem Monat hat die zu Google gehörende Publikations-Plattform Blogger seinen Blog DC’s ohne Vorwarnung gelöscht bzw. „ein gewaltiges literarisches Werk vernichtet, das der Schriftsteller (…) kontinuierlich aufgebaut hatte“, wie es Bernd Graff im heutigen SZ-Feuilleton formuliert. Aktuell beschäftigen sich mehrere deutschsprachige Medien mit der Sache. Am Wochenende etwa Coopers Schriftstellerkollege Clemens Setz in der taz:
„In bestimmten Kreisen, zu denen ich mich zähle, war diese Webseite einer der wichtigsten Treffpunkte im Internet überhaupt“,
schreibt Setz, der aber auch betont, dass der Kollege in „deutschsprachigen Ländern verrückterweise wenig bekannt“ sei. Setz weiter:
„Bis heute gab es, trotz zahlreicher Anfragen, keine offizielle Erklärung der Firma zu dem Grund der Entfernung. Coopers Gmail-Adresse wurde ebenfalls deaktiviert.“
Noch einmal Graff:
„Cooper kann seine Arbeit nun nicht einmal mehr auf seinen persönlichen Rechner herunterladen, seine E-Mail-Kontakte und Korrespondenz bleiben perdu. Inzwischen hat sich die Autorenvereinigung P.E.N. America an Google gewandt, und es gibt eine Petition auf Change.org, die sich mit dem dringenden Appell an die Google-Chefs richtet, Blog und E-Mail von Dennis Cooper wiederherzustellen oder ihm wenigstens Back-ups seiner Arbeit auszuhändigen. Je nachdem dürfte dies aber sogar für Google schwierig werden, wenn es die Daten tatsächlich gelöscht hat. Cooper muss sich darauf gefasst machen, dass sein Werk von Jahrzehnten im digitalen Nirwana aufgelöst wurde."
Darauf, dass Cooper sich zur Sache derzeit nicht äußern darf (siehe sein Facebook-Post dazu), weist Marc Reichwein in der Welt hin. Er beschreibt sowohl Coopers Arbeit - „Seine Spezialität sind Internetromane, die sich aus GIF-Animationen speisen (…) Eigentlich sind solche Blinkelemente total 90er, aber sie erleben gerade ein Comeback“ - als auch die globale gesellschaftspolitische Dimension des Falls:
„Netzöffentlichkeit als Öffentlichkeit im klassischen Sinne ist der größte Irrtum unserer Zeit.“
Das würde wohl auch Adrian Lobe unterschreiben, der auf der heutigen FAZ-Medienseite schreibt:
„Kann es angehen, dass ein Internetkonzern einfach so das Werk und Wirken eines Autors löscht? Dass ein Tech-Gigant autoritativ und ohne Begründung bestimmt, was Eingang in den kulturellen Kanon findet? Diese Fragen müssen dringend verhandelt werden. Und zwar im öffentlichen Raum.“
[+++] Bis zum 17. Oktober 2016 wird sich der Weltgeist wohl noch einiges einfallen lassen - was genau, weiß wohl nicht einmal der Weltgeist selbst. Gerhart Baum und Burkhard Hirsch, zwei graue Eminenzen der FDP, haben aber bereits sehr genaue Vorstellungen davon, was am 17. Oktober nicht passieren soll. Die ARD dürfe die Verfilmung von Ferdinand von Schirachs Theaterstück "Terror" nicht zeigen. Das fordern die beiden Politiker in der FAS, die das Interview am Montag frei online gestellt hat.
Worum geht es? Ein Tagesspiegel/epd-Beitrag führt uns ein:
„Das umstrittene Theaterstück des Juristen Schirach ist derzeit eines der meistgespielten in Deutschland: Ein Kampfpilot der Luftwaffe muss sich darin vor Gericht verantworten, weil er trotz anderslautender Befehle ein von Terroristen gekapertes Flugzeug abgeschossen hat, das in ein vollbesetztes Stadion zu fliegen drohte. Über die Schuldfrage lässt Schirach das Publikum abstimmen. Bei den Aufführungen stimmte es bisher fast immer mehrheitlich für einen Freispruch des Piloten und entschied damit grundgesetzwidrig.“
In der ARD ist nun vorgesehen, dass es, wie die FAS uns informiert,
„nach der Verhandlung eine Pause geben (wird), die mit einer Diskussionsrunde, moderiert von Frank Plasberg, gefüllt wird. In der Zeit können die Zuschauer dann per Telefonanruf, Twitter oder Facebook abstimmen, und im Anschluss wird das entsprechende Urteil ausgestrahlt - und die Diskussion mit Plasberg wird danach fortgesetzt.“
Hirsch sagt dazu:
„In meinen Augen ist das Effekthascherei mit einem Vorgang, bei dem es um die Menschenwürde und die Wahrung der Grundrechte, die Substanz der Bundesrepublik, geht.“
Und Baum:
„Hier wird doch in Wahrheit über das Grundgesetz abgestimmt. Und die Richter sitzen im Wohnzimmer. Und welche Konsequenz soll eine solche Abstimmung haben? (…) Was soll daraus hervorgehen? Ich rate Herrn Herres, dem Programmdirektor der ARD: Lassen Sie das!“
„Die Sendung ‚Hart aber fair‘ sei das geeignete Forum, um sowohl das Zuschauervotum als auch die sachlichen Hintergründe des Stücks zu beleuchten und zu bewerten.“
Ich würde ja eher sagen, dass es kaum ein „Forum“ gibt, das dafür weniger geeignet wäre als die Sendung des „eitlen Jahrmarktbudenbetreibers" Frank Plasberg.
[+++] Regie geführt bei der Verfilmung des von-Schirach-Stücks hat Lars Kraume, der uns heute auch noch in einem anderen Zusammenhang begegnet. Gedreht hat er bekanntlich auch „Der Staat gegen Fritz Bauer“ (2015), und für die Medienkorrespondenz vergleicht Manfred Riepe das fiktionale Bild, das in diesem Film - sowie in „Im Labyrinth des Schweigens“ (2014) und „Die Akte General“ (2016) - vom langjährigen hessischen Generalstaatsanwalt gezeichnet wird, mit jenem realen, das sich das Fernseh-Zuschauer von Bauer in den 1960er Jahren machen konnte. Anlass des Textes ist die Doppel-DVD-(Wieder)veröffentlichung „Fritz Bauer. Gespräche, Interviews und Reden aus den Fernseharchiven 1961-1968“. Riepe schreibt:
„Durch die Beschränkung der drei Spielfilme auf die Auschwitz-Prozesse und den Eichmann-Komplex wird in diesen fiktionalen Produktionen nicht ganz klar, welch wichtige Rolle Fritz Bauer für den Demokratisierungsprozess in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland spielte (…) Nimmt man Bauers breite Medienpräsenz auf dieser eindrucksvollen Doppel-DVD zur Kenntnis, so entsteht dabei ein etwas anderes Bild als dasjenige, das die drei Spielfilme von dem hessischen Generalstaatsanwalt zeichnen. Die Kino- und Fernsehproduktionen zeigen einen einsamen, isolierten Fritz Bauer, der sich, wie er einmal selbst sagte, nach Verlassen seines Büros ‚in feindlichem Ausland‘ befinde. Die realen Fernsehauftritte relativieren dieses Bild. Denn in diesem ‚feindlichen Ausland‘ gab es so einige, die in Bauer eine Art Institution erblickten. Dazu zählten vorwiegend Vertreter der linken Medien, die in dem prominenten Juristen so etwas wie das Über-Ich einer progressiven Aufklärung erblickten.“
Wie Bauer im Fernsehen auftrat, dafür finden sich auch Beispiele bei YouTube, etwa dieses. Riepes Fazit:
„Kein Zweifel: Fritz Bauer ist in den 1960er Jahren so etwas wie das Gewissen der aufgeklärten Öffentlichkeit (…) Der spröde Charme der Schwarzweiß-Sendemitschnitte hat eine Qualität, die Spielfilme über Fritz Bauer nicht erreichen. Im Gegensatz zu den fiktionalen Produktionen kann man in diesen Fernsehbeiträgen aus den Archiven andere Facetten des Generalstaatsanwalts erleben. Während in den fiktionalen Filmen die Tendenz nicht zu übersehen ist, Bauer zum Helden zu verklären, zeigen ihn die TV-Ausschnitte als einen uneitlen Menschen, der hinter seiner Mission völlig zu verschwinden scheint. Und zwar mit einer spürbaren Leidenschaft und Überzeugungskraft, die man sich heute kaum noch vorstellen kann.“
Auf den aktuellen Streit um die Deutungshoheit in Sachen Fritz Bauer (siehe recht ausführlich dieses Altpapier) geht Riepe nicht ein, unter anderem angesichts dessen, dass der Text ohnehin schon recht lang ist (sieben Druckseiten), wäre das aber auch kaum möglich gewesen. Wer sich ein Bild machen will von „Die Akte General“ (der beste von den drei erwähnten Filmen, wie ich, trotz Abstrichen, finde): Bei dem Sender, der bald One heißt, aber derzeit noch Eins Festival (siehe Altpapier) läuft der Film am morgigen Mittwoch um 15.30 Uhr sowie zweimal am Donnerstag (um 6.45 Uhr sowie und 12.30 Uhr).
[+++] Bleiben wir vorerst auf dem medienhistorischen Feld. Lutz Hachmeister zieht in einem Interview mit Wolfgang Michal eine Bilanz seiner vor rund 20 Jahren begonnenen Recherche zur Frühgeschichte des Spiegel. Es geht also um die Rolle, die Ex-SS-Leute und andere Altnazis beim Nachrichtenmagazin gespielt haben, um die Spiegel-BND-Connection und die Reichstagsbrand-Serie (siehe dazu auch diverse Altpapiere, etwa dieses und dieses).
Michal fragt:
„1996 wollten Sie Ihre Recherchen in Manfred Bissingers Zeitung Die Woche veröffentlichen. Als Bissinger nach langem Zögern ablehnte, gingen Sie zur Zeit und anderen wichtigen Blättern der Republik, aber kein Chefredakteur wollte die Geschichte drucken. Warum?“
Zunächst geht es um einen Aspekt, der mit Blick auf die heutige finanzielle Situation von Autoren interessant ist:
„Bissinger hatte mich damals für die Woche als Autor angeheuert, mit einem sehr hohen Honorar – ich habe so 3000, 4000 DM für einen Artikel bekommen, heute unvorstellbar.“
Sauerei! Ich habe bei der Woche für längere Texte 1200 Mark bekommen. Doch zurück zum Wesentlichen: Bissinger, sagt Hachmeister, hatte den Text
„zur Absicherung an seinen Freund Stefan Aust vom Spiegel geschickt. Das weiß ich von Stefan Aust. Bissinger selbst hat es immer heftig bestritten. Das war im Vorfeld des 50-jährigen Spiegel-Jubiläums. Aust hat mir später erzählt, er habe Rudolf Augstein davon zu überzeugen versucht, es im Spiegel selbst zu drucken. Augstein habe das nicht gewollt. Als es bei der Woche über Wochen herumlag – Bissinger sagte, es liege an der Textlänge, er finde einfach keinen Platz dafür –, war mir irgendwann klar, dass es da nicht mehr erscheinen würde. Ich habe es dann anderen Blättern angeboten. Der Zeit-Chefredakteur Robert Leicht hat mit der verblüffenden Begründung abgesagt, die Geschichte sei spannend, aber wenn die Zeit das drucken würde, würden andere anfangen, über die Vergangenheit der Zeit zu recherchieren. Es gab auch bei anderen Blättern die Angst, eine Art elitejournalistischen Komment zu verletzen. SS-Leute beim Spiegel – das empfanden sie offenbar als zu harte Attacke auf den fragilen Berufsstand des Journalisten insgesamt.“
Der Text erschien dann im Übrigen in der taz. Um den aktuellen allgemeinen Kenntnisstand in Sachen Spiegel-Frühgeschichte geht es in dem Gespräch ebenfalls:
„Auch heute kennen nur wenige Insider diese Spiegel-Geschichte, während die Betroffenen, wenn man sie darauf anspricht, gern sagen: Das ist doch alles längst bekannt! Das waren doch nur wenige Ex-Nazis. Wie reagieren Sie auf solche Argumentationsmuster?“
„Das ist ein merkwürdiges Phänomen: Man kann ja Texte zur Gründungsgeschichte des Spiegel heute bequem und kostenlos im Netz lesen. Offenbar ist es Augstein doch gelungen, mit seinen Formeln ‚Sturmgeschütz der Demokratie‘ und ‚im Zweifel links‘ ein bestimmtes Image des ‚Spiegel‘ zu zementieren, das mit der Realität des Blattes nur teilweise übereinstimmt (…) Natürlich war das meiste nicht bekannt, vor allem die vielen durchaus antijüdischen Texte im frühen Spiegel und die Promotion für die ‚Organisation Gehlen‘ und die alten Kameraden von der Reichskriminalpolizei.“
[+++] Hachmeister erwähnt in dem Interview mit Michal auch, dass sich „heutige Studentinnen und Studenten gar nicht mehr vorstellen“ könnten, „wie durchschlagend die publizistische Wirkung des Spiegel jeweils montags war“. Als Reminiszenz an diese Zeit kümmern wir uns bis zum Beginn des Altpapierkorbs mal um Texte aus der Spiegel-Welt bzw. über den Spiegel. In der aktuellen Druckausgabe (die bekanntlich nicht mehr montags erscheint) kritisieren Markus Brauck und Christoph Schult, dass das ZDF dem Bundesregierungs-Pressesprecher Steffen Seibert und das Deutschlandradio der Justiz-Staatssekretärin Christiane Wirtz ein „Rückkehrrecht" einräumen:
„Es ist eine merkwürdige Konstruktion. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht schon lange im Verdacht, unter der Fuchtel der Politik zu stehen (…) Nun stellt sich auch noch heraus, dass er ein sicherer Hafen ist für Journalisten, die einmal einen Ausflug in die Politik wagen.“
Eine andere Form der Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen übt bei Spiegel Online Georg Diez. Die „Tagesschau“ etwa, die zuletzt ohnehin „immer staatstreuer geworden“ sei, habe sich gerade „in einen Sender für CSU-PR“ verwandelt:
„Kaum eine Sendung ohne den neuesten Law-and-Order-Vorschlag aus Bayern, die Art und Weise, wie es Seehofer und Herrmann schafften, sich mit alten und teilweise offen verfassungswidrigen Vorschlägen in die beste Sendezeit zu drängeln, war ein Beispiel für die gar nicht so hohe Kunst der Manipulation - und vor allem für die Anfälligkeit der Medien für Manipulierbarkeit.“
Wobei man natürlich noch hinzufügen könnte, dass die CSU in der Berichterstattung angesichts ihres Regionalpartei-Status ohnehin auf groteske Weise überrepräsentiert ist, und das ja nicht erst seit gestern.
[+++] In der August-Ausgabe der Literatur-Spiegel (die der aktuellen Nummer des gedruckten Spiegel beiliegt), ist ein Text erschienen, der es uns erlaubt, in dieser heute stark historisch geprägten Kolumne noch weiter zurückzublicken als in den Abschnitten über Fritz Bauer und zu dem Hachmeister-Interview, es geht hier nämlich auch um Alfred Kerr bzw. den neuen Alfred Kerr. Das sei Jens Balzer, meint Tobias Rapp. Anlass der Eloge: dieses Buch. Rapp schreibt:
„Balzer, 47, ist Popredakteur und der stellvertretender Leiter des Kulturteils der Berliner Zeitung. Das ist jene gebeutelte Ostberliner Tageszeitung, die (…) mehrmals den Besitzer wechselte, zwischenzeitlich von einer Heuschrecke angefressen wurde und heute nur noch als Schatten ihrer alten Größe am Kiosk hängt (…) Auf den Seiten dieses Blatts allerdings, und im Windschatten der Berliner Öffentlichkeit, führt Balzer seit gut 15 Jahren eine Show auf, die wahrscheinlich nur mit dem Schaffen des legendären Theaterkritikers Alfred Kerr aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vergleichbar ist. Nacht für Nacht treiben sich Balzer und seine zwei oder drei Mitarbeiter auf den Konzerten der Hauptstadt herum, um am nächsten Morgen brillant, kenntnisreich, subjektiv und ungerecht darüber zu schreiben (…) Jens Balzer ist der Großkritiker, von dem man seit dem Fall der Mauer immer geträumt hat.“
Wer „man“ ist, ist, bleibt naturgemäß unklar. Ich zumindest habe noch nie von „Großkritikern“ geträumt. Dass Balzer, der „nicht mal bei Facebook ist“, „eine neue journalistische Form eingeführt“ habe, indem er seine pop-feuilletonistischen Kritiken immer im Stil einer Meldung beginnt, erfahren wir auch noch.
[+++] Kommen wir zur aktuellen Kritik am Spiegel. Joachim Kalka (wuv.de), gerade erst an dieser Stelle erwähnt, wirft dem Magazin bei seiner Berichterstattung über den Mehrfachmörder von München unter anderem „die Verherrlichung der Tat und der Waffe mit gruseliger Wortwahl“ vor:
„‚Die Wahl fiel auf eine Glock 17, die gleiche Pistole, die ...(hier nennt der Spiegel zwei Täter mit vollem Namen) ... benutzt hatten. Mit der Glock können selbst ungeübte Schützen gut umgehen, weil sie wenig wiegt und sich der Abzug leicht bedienen lässt.‘ Die Tatwaffe wird auch optisch verherrlicht, mit einem riesigen Foto.“
Wie die Kritisierten (nicht) reagierten - darauf geht Kalka auch kurz ein. Weiterer Lektüretipp in diesem Zusammenhang: Joseph Hanimanns SZ-Medienseitenaufmacher-Text befasst sich anhand des Beispiels Frankreich mit der an dieser Stelle in den letzten Tagen nahezu permanent ventilierten Frage, wie die Medien mit Fotos von Attentätern umgehen sollen.
Altpapierkorb
+++ In einer Zusammenfassung eines Kress-Pro-Artikels nennt Bülend Ürük bei kress.de Tanit Koch gerade „Deutschlands wichtigste Zeitungsjournalistin“. Mir fallen für jemanden, der an der Spitze der Bild-Zeitung steht, ganz andere Superlative ein, die ich aus juristischen Gründen hier natürlich nicht nennen kann, aber das ist nicht der Punkt. Die Formulierung kommt nicht überraschend, denn in einem anderen Koch-Bild-Zusammenhang hat Ürük besagte Zeitung schon einmal als „Europas wichtigste Tageszeitung“ bezeichnet. „Ürük ist vermutlich der größte Springer-Freund, der (noch) nicht bei Springer arbeitet“, hat Christian Bartels hier kürzlich geschrieben, aber schlimmer ist vielleicht noch, dass Ürük praktisch jeden Kollegen, der in einer Hierarchie relativ weit oben steht, mit Formulierungen anpreist, die klingen, als arbeitete er für die PR-Abteilungen der jeweiligen Verlage. Vor wenigen Tagen meinte er, Cordt Schnibben als „Spiegel-Legende“ bezeichnen zu müssen, und zu Gruner + Jahrs Philipp Jessen fielen ihm hier die Formulierungen „Vollblutjournalist“ und „Es gibt nur wenige Journalisten, die die Welt des Boulevard so gut kennen wie Philipp Jessen“ ein. Was ein „Halbblutjournalist“ ist, wäre dann noch zu klären.
+++ Auf einen bei zeit.de veröffentlichten Anti-PC-Text des Schriftstellers Simon Urban antwortet, ebenfalls bei zeit.de, und zwar im Blog Stufenlos, Christiane Link: „Wenn Randgruppen nicht mehr am Rand stehen“, lautet die Überschrift. Link schreibt: „‚Liberale Normalität‘, wie Simon Urban es nennt, bedeutet nicht, dass die Mehrheit redet und die Minderheiten stumm nicken müssen, sondern dass möglichst viele Menschen an Diskussionen beteiligt werden und sich zu Wort melden können, wenn ihnen etwas nicht passt.“ Und Metalust und Subdiskurse Reloaded konstatiert, Urban docke an „an eine mehrheitsgesellschaftliche, medial akut weit verbreitete Mode. Eine, die öde wäre, würde sie nicht schlicht die Macht jener absichern, die gewöhnt sind, zu dem zu werden, was sie sind, indem sie andere abwerten“.
+++ Aus den türkischen Tagebüchern, die Yavuz Bazdar für die SZ verfasst. In der zwölften Ausgabe (am Montag erschienen) geht er unter anderem darauf ein, dass unter den zuletzt verhafteten Journalisten zwei Frauen seien: Lale Kemal, die sich bei Zaman einen Namen gemacht hat als Gerichtsreporterin, und Nuriye Akman. Akman arbeitet seit 25 Jahren als Journalistin, ist bekannt für ihre hervorragenden Langinterviews und hat drei Romane veröffentlicht.“ Und in der 13. Ausgabe (vom heutigen Dienstag) schreibt er: „Einige Journalisten scheinen Schadenfreude über die Verhaftung ihrer Kollegen zu empfinden und begleichen öffentlich uralte Rechnungen, statt die basalen Rechte ihres Berufsstandes zu verteidigen. Der Journalist Ahmet Altan ist erzürnt über die kollegiale Gleichgültigkeit gegenüber der Inhaftierung des achtzigjährigen Autors Hilmi Yavuz, und des in Handschellen abgeführten Professor ?ahin Alpay.“
+++ Für ungefähr einen Tag im Mai galt der Sender Servus TV schon einmal als eingestellt (siehe Altpapier), und nun ist es wirklich bald vorbei, aber auch wiederum nicht ganz, sondern nur in Deutschland und der Schweiz. Mehr dazu in der SZ und der FAZ.
+++ Die neuesten Entwicklungen in der uralten Geschichte um den Plagiator und Erfinder Tom Kummer (siehe NZZ vor knapp einem Monat, zudem Altpapier) nimmt Dominik Imseng zum Anlass für einen Text für das Magazin Schweizer Journalist - wobei er sich den Kunstgriff erlaubt, den Artikel „mit einer Lüge zu beginnen“. Er tut so, als habe er Kummer auf „einen Gin Tonic auf der Dachterrasse des Luxushotels Schweizerhof in Bern“ getroffen.
+++ Zwar bereits am Montag im Fernsehen, aber vermutlich noch längere Zeit im Gespräch: eine NDR-Dokumentation, die vor allem „die größte Sammelabschiebung“ in der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns zum Thema hat. Außergewöhnlich unter anderem: Dass Regisseur Hauke Wendler die nächtlichen Überfälle der Polizei auf Abzuschiebende überhaupt drehen durfte. Und: die Auftritte des Innenministers Lorenz Caffier. Dazu Wendler in einem Interview mit der taz: „Ich vermute, dass man vor den Landtagswahlen im September potenziellen Wählern zeigen wollte, dass hart durchgegriffen wird – und dabei kam es der Behörde vielleicht gelegen, unsere Kameras dabeizuhaben (…) Herr Caffier gibt sich ja als zupackender Typ von Politiker. Dazu passte sein Auftritt mit Cargo-Hose, Freizeithemd und sportlicher Mütze. Beim Gang zur ersten Wohnung drängelte er sich von hinten an der Kamera vorbei. Bei dieser und einigen anderen Szenen wollte er, glaube ich, unbedingt ins Bild. Deshalb thematisieren wir das in der Doku auch.“ Siehe auch Spiegel Online.
+++ Heute im Fernsehen (I): der Arte-Themenabend „Rio 2016 - Streit um sportliche Großereignisse". Mein Fazit für die SZ: „inhaltlich durchweg interessant, formal teilweise unbefriedigend.“
+++ Heute im Fernsehen (II): der Film „Alki Alki“. Oliver Jungen lobt ihn auf der FAZ-Medienseite: „Das Kunstmittel der Personifikation, zuletzt im Barock groß aufspielend, hat seine beste Zeit längst hinter sich. Man liebt es heute unscharf und indirekt. Das gilt für alle Kunst, aber ganz besonders für den Film. Allenfalls der Sensenmann darf noch durch den einen oder anderen Horrorstreifen schleichen. Und dann biegt plötzlich ein Filmemacher mit einer hochprozentigen Allegorie um die Ecke: In ‚Alki Alki‘ nimmt die Sucht eines Alkoholikers menschliche Gestalt an und weicht neunzig Minuten lang nicht von der Seite eines gemütlichen Berliner Familienvaters und Architekten.“ „Alki Alki“ ist im „Kleinen Fernsehspiel“ der Auftakt der neuen „Shooting Stars“-Staffel. Joachim Huber geht im Tagesspiegel auch auf die anderen Filme ein.
Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.