Filterblasen zum Ausprobieren

Filterblasen zum Ausprobieren
Eine Zeitung zieht bald von einem weniger schönen Berliner Platz an einen anderen um. Viele Berliner Plätze bekommen bald freies W-LAN. Samsung und Google in frischen Gerichtsprozessen zwischen Frankfurt und Frankreich. Sollten Datenschutzregeln weltweit gelten? Außerdem: "Mein Screen gehört mir"; Sauce Hollandaise (für Journalisten sowie bei Böhmermann); Mathias Döpfners Anti-Erdogan- und Axel Springers Dogan-Engagement.

Falls es gerade wirklich ein Medien-Sommerloch gab, so ist es bereits vorbei. Schon warten wieder knifflige Fragen zuhauf und eine Chef-Personalie bei einer Tageszeitung, die noch Anfang des Jahrtausends überregional ausgestrahlt hatte. Ganz zu schweigen vom "Spargelessen der Berliner Pressekonferenz", dessen Mischung aus "in Deutschland so kaum je gehörter Religionskritik" sowie eben Spargeln es dem Tsp. angetan hat.

Der Onlineauftritt des Medienressorts der Berliner Zeitung überrascht an diesem Freitagmorgen mit gleich zwei nachtaktuellen Fernsehshow-Besprechungen. Erstens hat Daland Segler "maybrit illner" gesehen ("... ließ in ihrer Talkshow erneut über Renten diskutieren"), zweitens füllt Jennifer Stötzel eine in der Medienmedienlandschaft tatsächlich bestehende Lücke mit einer Frühkritik zur gestrigen Jan-Böhmermann-Show. Dort habe es außer "lahmen Gags" ebenfalls, also wie in der Berliner Pressekonferenz, Sauce Hollandaise gegeben. Böhmermann hat sie selbst zubereitet und dann gemeinsam mit Jürgen von der Lippe gebrutzelt, oder so. Klicken Sie bei Interesse hier!

Jedenfalls könnten sich die Dumont-Strategen etwas dabei gedacht haben, im Ressort, das es in ihrer Zeitung längst nicht mehr gibt, gleich zwei frische Texte anzubieten. Gerade besteht Grund, es anzusteuern. Darauf deutet die aktuell an dritter Stelle platzierte News "in eigener Sache", bei der es sich um eine etwas hübschere bzw. mit viiiel größeren Bildern aufgemotzte Version der offiziellen DuMont-Mediengruppen-Pressemitteilung "Berliner Verlag zieht in Feratti-Neubau und richtet sich neu aus" handelt.

Das heißt erstens: Der Berliner Verlag, in dem außer der Tageszeitung Berliner Zeitung auch die ebenfalls tägliche Boulevardzeitung Berliner Kurier erscheint, wird Ende des Jahres vom Alexanderplatz weg zum Spittelmarkt ziehen. Für Nicht-Berliner: Der Spittelmarkt ist keinesfalls hässlicher als der Alexanderplatz, was mindestens auf sämtliche Plätze Deutschlands zutrifft, aber auch kaum erheblich schöner. Wobei es deutsche Tageszeitungen gibt, deren Redaktionen sehr viel weiter jwd ansässig sind als es die der BLZ künftig sein wird.

Zweiter Inhalt der Pressemitteilung: BLZ-Chefredakteurin Brigitte Fehrle hört zum Oktober auf, um "neue Aufgaben (zu) übernehmen", die noch nicht genannt werden. Ihr Nachfolger wird der aktuelle Chefredakteur der DuMont Redaktionsgemeinschaft in Berlin, Jochen Arntz.

Vor ein, zwei Jahrzehnten, als die Berliner Zeitung zumindest Journalisten noch durch ihren zweitweiligen Anspruch, "die deutsche Washington Post" zu sein, geläufig war, hätte so eine Personalie allerhand kühne Interpretationen und spitzzüngige Analysen im damaligen Blätterwald nach sich gezogen. Inzwischen wissen alle Zeitungen, dass es allen Zeitungen nicht so gut geht, zumal was Zukunftsperspektiven angeht. Teils kooperieren sie auch oder planen das, teils wollen sie nicht immer über Zeitungskrisen berichten.   

Insofern ist das Medienmedien-Echo heute bescheiden. Der Tsp. macht sich einen Späßchen daraus, ziemlich unterschiedliche Fotos vom neuen Chefin und der alten Chefin kontrastreich nebeneinander zu stellen. Die SZ meldet's knapp, die FAZ nicht einmal. Spiegel Online nennt die Pressemitteilung "einigermaßen nebulös" und hat damit absolut recht.

Eine kühn-spitzzüngig analytische Interpretation liegt dennoch vor. Sie stammt vom Chefredakteur des Werbermediums Horizont, der schon deshalb für so etwas berufen ist, weil er in derselben Funktion gleich zweimal bei der BLZ tätig war. Uwe Vorkötter schreibt:

Dass das Haus am Alexanderplatz nicht bloß denkmalgeschützt, sanierungsbedürftig und ungeeignet "für moderne Newsrooms" sei, sondern wegen Fehleinschätzungen des Immobilienmarkts "längst zu einer schweren finanziellen Belastung für den Berliner Verlag" geworden sei. Dass Brigitte Fehrle "wohl irgendwie zu lange dabei und nicht digital genug" sei, um beim nächsten "Neustart" (eine Formulierung der nebulösen Original-PM) dabei zu sein. Dass Nachfolger Jochen Arntz "in der Berliner Redaktion ... erst noch manche Vorbehalte gegen seine Berufung ausräumen" müssen werde. Und vor allem, dass Dumonts von Köln aus gelenkte Zeitungsgruppe "eigentlich zu klein und zu divers" sei, um mit den größeren Zeitungsgruppen Funke und Madsack, deren in Berlin ansässige Zentralredaktionen ja einigen Wind machen, konkurrieren zu können.

Um Kooperationspläne der Berliner Tageszeitungsverlage geht es überdies. Raten Sie bei Interesse, ob Vorkötter deren Aussicht positiv beurteilt ...

[+++] Da wir gerade bei Berliner Plätzen waren: Bald "sollen zum Beispiel von der Friedrichstadtkirche aus auch der komplette Gendarmenmarkt und von der Gedächtniskirche aus der Breitscheidplatz mitversorgt werden", und zwar mit freiem W-LAN. Das berichtet netzpolitik.org. Wer diese gute Idee verwirklichen will: der Betreiber der genannten Kirchen, die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Siehe also auch hier nebenan.

Und wenn wir bei freiem W-LAN sind, das sich mutmaßlich stark verbreiten wird, wenn erst eine neue Gesetzeslage es erlaubt: Wer zurzeit Internet von Kabelnetzbetreibern bezieht und dieses zuhause per W-LAN nutzt, muss schon jetzt aufpassen. Sowohl Unitymedia, eine Firma der US-amerikanischen Liberty Media, in Nordrhein-Westfalen als auch Vodafones Kabel Deutschland scheinen dabei zu sein, die bei ihren Kunden stehenden Geräte dafür, die Router, für allgemeinen Internet-Empfang in der Umgebung umzumünzen. Das mag toll sein für Leute, die immer überall gratis online sein möchten. Doch könnten Kunden der genannten Unternehmen am Ende ihre Router gar nicht mehr ausschalten dürfen.

Das berichtet ebenfalls netzpolitik.org mit Hinweis auf Verbraucherschützer, die zuerst darauf aufmerksam machten.

[+++] Womit wir bei den kniffligen, oft nicht sofort beantwortbaren Fragen sind.

Zum Beispiel zog Google "am Mittwoch vor das höchste Verwaltungsgericht Frankreichs, den Staatsrat", und zwar gegen "die Pariser Datenschutz-Aufsicht CNIL" wegen Auslegung des vom Europäischen Gerichtshof gegen Google durchgesetzten Rechts auf Vergessenwerden. Gilt es nur in einem Land und kann von suchenden Nutzern in anderen Ländern und solchen, die Geo-Blockaden aushebeln, umgangen werden?

"Wenn französisches Recht weltweit gilt, wie lange wird es dauern, bis andere Länder - die vielleicht weniger offen und demokratisch sind - fordern, dass ihre Gesetze zum Umgang mit Informationen ebenfalls eine globale Reichweite bekommen?",

formuliert futurezone.at die Frage, um die es geht, aus Google-Sicht.

Bevor jetzt jemand denkt, es ginge Google grundsätzlich eher um Offenheit und Demokratie als auch darum, jeweils die für den Konzern-Profit günstigsten nationalen Gesetze auswählen zu dürfen: An seinem Ruf als Datenkrake feilt es natürlich weiterhin.

Was auf der jüngsten Entwicklerkonferenz "Google I/O" so vorgestellt wurde, dürfte den meisten Internetnutzern kaum entgangen sein. Falls doch: Kurt Sagatz informiert im Tagesspiegel über das spektakulärste Produkt "Google Home": Das

"ist ständig online, so dass wiederum sprachgesteuert Anfragen an die Suchmaschine gestellt werden können. Damit dies funktioniert, sind die eingebauten Mikrofone in ständiger Bereitschaft. Google Home bekommt alles mit, was in seiner Nähe gesprochen wird, um auf den nächsten Befehl zu warten."

Und wenn wir dabei sind, lohnt es, nochmals zu futurezone.at schalten, das von einem Prozess zwischen einem koreanischen Fernsehgeräte-Hersteller und der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen berichtet: Diese hatte

"Samsung verklagt und wirft ihm vor, dass seine Smart-TV-Geräte ohne Einwilligung des Kunden schon Daten an seine Firmenserver schicken, sobald sie mit dem Internet verbunden sind."

Wer das klären möchte, ist das Landgericht Frankfurt. Die vielen Landgerichte sind also außer Böhmermann-Stoff auch mit sinnvolleren Fragen beschäftigt.

[+++] Eine Datenkraken-Umschau wäre unvollständig ohne Facebook, das vielleicht doch nicht entzaubert wird. "Mark Zuckerberg hat die Vorwürfe zurückgewiesen und sich mit konservativen Politikern getroffen", fasst wiederum netzpolitik.org die Entwicklung nach der vergleichsweise größeren, sogar US-amerikanischen Aufregung über ungenannte und unterbezahlte Filterblasen-Kuratoren zusammen, die Facebook womöglich beschäftigt, um dann das Tool graphics.wsj.com/blue-feed-red-feed vorzustellen.

Als Filterbubbles zum Ausprobieren führt es eingeloggten Facebook-Nutzern vor, wie schön unterschiedlich Filterblasen von Menschen mit unterschiedlichen Ansichten aussehen. Vielleicht wäre die Welt besser, wenn alle Mediennutzer statt einer immer mehrere Filterblasen angezeigt bekämen.

[+++] Rasch zu einer kleinen deutschen Partei, die in hiesigen Filterblasen zuletzt oft kaum vorkam, weil sie im aktuellen Bundestag nicht vorkommt.

Es gibt erste Berichte, die EU-Kommission könnte Videodiensten wie Netflix eine Quote mit europäischen Produktionen oder so etwas auferlegen (politico.eu auf englisch, faz.net auf deutsch) wollen. Bis es dazu kommen könnte, dürfte es noch ein weiter Weg sein. Außerdem dürften die EU-Mitgliedsländer, die teilweise ähnliche Regelungen schon kennen, unterschiedlich damit umgehen. Aber Christian Lindner von der FDP twitterte schon mal:

###extern|twitter|c_lindner/status/733275282115833856###

Ist gegen "Kulturprotektionismus" zu sein eine schön liberale Haltung? Oder wollen Standortpolitiker von vielen Zielgruppen längst nicht mehr angeguckte, volkswirtschaftlich gewiss unwichtige europäische Kunstfilme (oder gar drisse Versuche, endlich ein "deutsches 'Breaking Bad'" hinzukriegen?) über die Klinge springen lassen, vielleicht im Gegenzug für Vorteile für die Automobilindustrie?

Die nächste knifflige Frage folgt unterm Strich.


Altpapierkorb

+++  Hat Mathias Döpfners vorerst nur vor Landgerichten stattfindendes, vielleicht exemplarisch sinnvolles, vielleicht bloß posenhaftes Pro-Böhmermann- und Anti-Erdogan-Engagement mit dem verzwickten "Dogan-Engagement seines Hauses" Axel Springer zu tun? Die Frage wirft Ulrike Simon in der aktuellen Madack-Medienkolumne auf. +++

+++ "Warum Deutschland im Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen nur auf Platz 16 steht"? U.v.a., weil Staatsanwälte "aus Mainz ... gerade einen ZDF-Moderator im Visier" haben, "der ein ausländisches Staatsoberhaupt beleidigt haben soll", meint zumindest Jürn Kruse in der TAZ. +++

+++ Im Iran wurde die schwer kranke Journalistin Narges Mohammadi zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt (reporter-ohne-grenzen.de). +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite be-glossiert Reiner Burger das Aus des NRW-Regionalteils im Spiegel nach nur dreimonatiger "Testphase" ("Es war eine verwegene Vorgabe, ein Business-Plan als self fulfilling prophecy des Scheiterns"). Lustvoll  scharf tut er das vor dem Hintergrund, dass am letzten Samstag "eine Verlags-Sonderbeilage namens 'Nordrhein-Westfalen. Starkes Land'" begeheftet war, "die von einem österreichischen Medienunternehmen stammt. Sie hat nicht läppische acht, sondern stolze 62 Seiten Umfang, soll zweimal jährlich erscheinen und die 'Stärken des Riesen an Rhein und Ruhr' thematisieren. ... Das Ergebnis ist pseudokritischer Pseudojournalismus, der wie das regierungsfreundliche Kontrastprogramm zum scheidenden NRW-Teil wirkt." Diese Beilage gibt's auch digital als PDF! +++

+++ Ferner vermeldet die FAZ-Medienseite den gestern von drei identischen Pressemitteilungen vermeldeten Drehstart "für die potentiell aufwendigste deutsche Serienproduktion aller Zeiten" unter der schön hintersinnigen Überschrift "Du warst so wunderbar". Es handelt sich um Sky-ARDs "Babylon Berlin", dem auch bereits ein Internetauftritt gilt. +++ Außerdem geht ebd. Adrian Lobe der von der "Watson 2016 Foundation" gestellten Frage nach, ob es sinnvoll wäre, den "Supercomputer Watson, der als allwissende Maschine in der Quizshow 'Jeopardy!' für Furore sorgte, für die Präsidentschaftswahl" zu nominieren. +++

+++ Die SZ-Medienseite stellt derkontext.com vor, "das interaktive Hintergrundmagazin": "Der Kontext will Hintergrundwissen zum aktuellen Zeitgeschehen vermitteln – jeweils mithilfe einer großen Karte. 'Wie eine Art Google Maps für Themen', sagt Gründerin" Julia Köberlein, die einst noch Frank Schirrmacher für ihr Projekt begeisterte. +++ Außerdem geht es um unterschiedliche Bezahlung für "House of Cards"-Stars je nach Geschlecht. +++ Und um die mit Reinhold Beckmann und weiterer Medienprominenz veranstaltete Gedenk-Lesung "In Memoriam Hellmuth Karasek". +++

+++ "Biete Götze, suche Schürrle": der Tagesspiegel über die neuen Sammelbilder-Alben zur Fußball-EM. +++

+++ "Im Artikel der 'Welt' wird auch angedeutet, dass Ihre Kritik an 'Spotify', dem Unternehmen würde es an einem Geschäftsmodell mangeln, unberechtigt sei, weil die Öffentlich-Rechtlichen selbst keines hätten." - "(Anm. d. Red.: Die Pressestelle des „rbb“ hat die Antwort auf diese Frage im Zuge der Autorisierung des Interviews gänzlich gestrichen.)"
Interessantes Interview mit einem recht bekannten RBB-Radiomann auf jungpublik.de mit interessantem Making-of bei meedia.de. +++

+++ Und dann sucht rivva.de-Macher Frank Westphal noch einen neuen Sponsor, weil ihn Süddeutsche Zeitung demnächst nicht mehr sponsert.+++

Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.

 

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