Ende letzter Woche bei einer Tagung in Berlin, bei der allerhand über Medien geredet wurde, sagte die noch amtierende RBB-Intendantin Dagmar Reim zwischendurch, dass ein Land, in dessen Schlagzeilen wochenlang Jan Böhmermann sei, doch ein glückliches Land sein müsse. Vielleicht zitierte sie damit jemand anderen; schließlich war der Idealzustand, dass alles zu einem Thema auch von jedem geäußert wird, schon letzte Woche beinahe erreicht. Jedenfalls: Dieses Glück soll, so weit es in den Händen der Beteiligten liegt, noch mindestens bis tief ins nächste Jahr anhalten.
Um kurz zu den Medienmeldungen hier nebenan zu schalten:
"SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte der 'Bild' (Mittwochsausgabe), er rechne damit, dass der Fall bis vor das Bundesverfassungsgericht gehe."
Falls Sie sich fragen, warum denn Oppermann: Wolfgang Kubicki und Katrin Göring-Eckardt äußerten sich ebenfalls, bloß wohl etwas weniger, äh, knackig. Die Leute von der Bild-Zeitung haben halt gemacht, was Journalisten in Zeiten, in denen sonst wenig los ist, gerne machen: überall rumgefragt, wer denn was sagen möchte, und das am wenigsten Uninteressante verbreitet.
Böhmermanns Witzanwalt hat inzwischen bestätigt, bis zum Bundesverfassungsgericht mitgehen zu wollen (u.v.a. welt.de). Ansonsten hat die Sache den hessischen Landtag erreicht (faz.net/ DPA), und das Politikressort der FAZ (S. 4) schätzt den Beitrag, den das erste Urteil des ersten der einstweilig drei eingeschalteten unteren Gerichte leistete (Altpapier gestern), so ein:
" ... Das Gedicht des Moderators erhält durch den Beschluss abermals große Aufmerksamkeit. Das Landgericht Hamburg veröffentlichte nämlich neben der Pressemitteilung eine eigene Version des Gedichts als PDF, in der die untersagten Passagen in roter Schriftfarbe, die erlaubten schwarz gedruckt sind. Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang vom 'Streisand-Effekt'. Die Schauspielerin Barbra Streisand hatte vor Jahren gegen die Veröffentlichung eines Fotos von einem ihrer Häuser geklagt – und so dessen Verbreitung ungewollt beschleunigt".
Womit also auch der Streisand-Spin von Ende März wieder Fahrt aufnimmt.
Die Süddeutsche Zeitung macht heute übrigens die Titelseite ihrer gedruckten, für Geld verkauften Ausgabe mit der Schlagzeile "Lammert nennt Erdo?an 'autokratisch'" auf, als herrsche das Sommerloch in sämtlichen Ressorts auf einmal. Heißt aber auch: Jeder Hinterbänkler, der strategisch bestreiten würde, dass Erdogan autokratisch ist, hätte ein paar Schlagzeilen sicher.
[+++] Und sonst so? Da war noch dieses bemerkenswerte, moderatorenfreie TV-Duell zweier hochrangiger Politiker, ja: Kandidaten fürs allerhöchste Staatsamt in Österreich. Man kann es bei atv.at online angucken. Dieses ATV ist übrigens (bisschen Zeit auszuholen bleibt an Tagen wie diesen) ein österreichischer Privatsender, dessen Alleingesellschafterin die deutsche GmbH Tele-München ist, die auch teils ehemalige deutsche Sender wie tm3 und Tele 5 betrieb bzw. betreibt und zu fast einem Drittel an RTL 2 beteiligt ist.
Die Idee, mal bei den deutschen Fernsehsendern, die vor den letzten Bundestagswahlen Kanzlerkandidaten-TV-Duelle veranstaltet hatten, rumzufragen, ob wer was sagen möchte, hatte Springers Welt. Extrem brisante Auskünfte kamen dabei nicht rum, aber die nächste Bundestagswahl steigt ja nach aktuellem Stand auch erst im Herbst '17.
Wenn übrigens Thomas Baumann, der sich im Rahmen dieser Umfrage noch als zuständiger ARD-Chefredakteur äußerte, dieses Amt gar nicht mehr bekleiden wird, sondern ein anderes, wie Boris Rosenkranz bemerkte (Twitter), der übrigens bei uebermedien.de den strategisch cleveren Zug auf die bislang frei gebliebene Position machte, die moderatorenfreie ATV-Diskussion überhaupt nicht doof zu finden ("Das Gute an diesem Format ist, dass es entlarvt, wie die Kandidaten ticken, was sie fachlich drauf haben ..., und wie sie in einer Unterhaltung agieren"). Natürlich lassen sich mit so einem "entlarvend"-Ansatz auch noch die übelsten Privatfernsehsendungen verteidigen (entlarvt das Dschungelcamp nicht auch immer?), aber in diesem Fall stimmt es wohl, dass "das TV-Format an sich ... hier nicht gescheitert" ist.
[+++] Vielleicht kann @Volker_Herres demnächst noch was dazu sagen. Jedenfalls ist der ARD-Programmdirektor gerade schön redselig. Erstens sagte er faz.net was ("... großartige Sache ...") über ein Showevent, das Deutschland, Österreich und die Schweiz gemeinsam auf die Beine stellen und das nach aktuellem Stand deutlich näher liegt als die nächste Bundestagswahl. Bzw. hat faz.net ein bisschen geschummelt und übernommen, was Herres' Stab für allgemeine Pressemitteilungs-Zwecke zum "Silvesterstadl" aufgeschrieben hat.
Aber zweitens hat Herres offenkundig mündlich ("Unsere späte Achse am Donnerstag ist auf einem guten Weg ...") eine Menge zu dwdl.de gesagt, sicher weil Uwe Mantel immer so artig "Das Erste" statt einfach ARD schreibt und überhaupt so geschliffen formuliert, wie Pressemitteilungs-Abteilungen es auch können sollten ("Allerdings konzentriert sich Das Erste hier nicht auf einige wenige Formate, sondern setzt auf Vielfalt ..."). Es geht um die Vielfalt bzw. "Vielfalt" der "Satire und Comedy"-Sendungen der ARD. Und überhaupt, ist Satire nicht dank Böhmermann gerade der heißeste Scheiß im Fernsehformate- und -programmfarben-Business? (Siehe auch tagesspiegel.des Hinweis auf die veranstaltete Diskussionsveranstaltung zum Thema, die gestern auch hier Thema war ...).
Wenn wir schon im Medienressort des Tagesspiegels sind, muss angemerkt werden, dass beim vergleichsweise heißesten Eisen in diesem Abschnitt Aussagen Volker Herres' fehlen! Der Tsp. hat einen
"Tweed von Dorothee Bär, CSU-MdB, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur",
also einer jungen, aufstrebenden und durchaus auch für Was-mit-Medien zuständigen Politikerin zum Anlass genommen, als erstes Medium das gewiss geräumige Fass aufzumachen, auf welche Weise Deutschland denn beim nächsten Schlager-Grand Prix besser abschneiden könnte als an diesem Wochenende. Bär forderte, vielleicht satirisch, vielleicht im Ernst (so was lässt sich in sog. soz. Medien nicht immer genau unterscheiden), dass statt des NDR ihre Heimatanstalt, der Bayerische Rundfunk, die nächste Kandidatenauswahl übernehmen sollte. Was sagt dazu der zuständige ARD-Unterhaltungskoordinator und "Abteilungsleiter beim NDR, der Sender, der traditionell beim ESC die Verantwortung trägt"?
"Thomas Schreiber ... sei unterwegs und nicht greifbar, teilte der NDR am Mittwoch dem Tagesspiegel mit".
Falls die Medien-Meldungslage so bleibt, muss noch mal jemand bei Volker Herres nachbohren.
[+++] Großes, beinahe ganzseitiges Interview mit dem Intendanten des gerade genannten Bayerischen Rundfunks, Ex-Regierungssprecher Uwe Ulrich Wilhelm, heute im Wirtschaftsressort der Wochenzeitung Die Zeit (Blendle-Link).
Regelmäßige Leser der im Feuilleton starken Wochenzeitung, die sich aus anderen Quellen über Medien informieren, könnten sich zwar wundern, warum die Interviewer den Intendanten überhaupt nicht nach dem Klassik-Radiosender fragen, den der BR ins wenig verbreitete und inzwischen nicht mal mehr als zukunftssicher geltende Digitalradio abschieben wird, um auf UKW Platz für noch mehr Popmusikwellen zu machen. Andererseits muss aber jeder Medienbeobachter Hamann und Wefing zugute halten, dass sie auch überhaupt nicht nach Jan Böhmermann fragen.
Dennoch: Falls Sie ein gutes Buch oder irgendwas anderes zum Lesen zur Hand, brauchen Sie das Wilhelm-Interview nicht vollständig zu lesen. Die Gratis-Vorabpressemitteilung, in der u.a. enthüllt wird, ob bei Kandidatenduellen zur nächsten bayerischen Landtagswahl (voraussichtlich im Herbst 2018) AfD-Vertreter teilnehmen werden, tut's auch.
+++ Aber das ist interessant: Ohne Zorn und Leidenschaft ist Daniel Bouhs für die TAZ noch mal der schon häufig leidenschaftlich bis zornig beleuchteten Bedeutung der "VG-Wort-Entscheidung" des Bundesgerichtshofs (siehe u.a. dieses Altpapier) nachgegangen: "Tatsächlich spüren nicht wenige Autoren seit dem Urteil Genugtuung und freuen sich auf den anstehenden Geldregen, während vor allem alternative Verleger nun mit der Laune eines durstigen Kamels in die Zukunft blicken". Wobei "die Zeitungsverlage ... bei dieser Frage raus" und und zumindest ein Buchverleger beziffert, welche nicht ungeheuer große Summe seinen Verlag die Entscheidung kosten dürfte. +++
+++ Falls Sie denken, alle österreichischen Spitzenpolitiker hätten fachlich nichts drauf und agieren ungeschickt in Unterhaltungen: Nein, der neue Bundeskanzler agiert zumindest enorm telegen (siehe Standard-Fernsehkritik zum ORF-Interview mit Christian Kern). +++
+++ Aufmacher der SZ-Medienseite ist ein Überblick über Anbieter von Medien für "zwei Millionen potenzielle neue Deutschlerner" wie den Spotlight-Verlag, die Deutsche Welle sowie diverse Apps-Anbieter. +++ Ferner werden die 3sat-Doku "Der tyrannische Kunde – Bewertungen als Wirtschaftsfaktor" und das Hörspiel "Manhattan Transfer" nach John Dos Passos besprochen. +++
+++ Auf der FAZ-Medienseite geht mit einem langen Beitrag des Antenne Niedersachsen-Chefs und VPRT-Vorstandsmitglieds Kai Fischer "Die Radiodebatte" weiter. Darin taucht die oben genannte Doro Bär wieder auf: "Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Dorothee Bär, hat unlängst festgestellt, dass sich die Art und Weise, wie die Menschen heute Radio hören, ändert. Daher fordert sie ein klares Signal für DAB+. Sosehr die CSU-Politikerin mit ihrer Feststellung recht hat, so sehr liegt sie mit ihrer Forderung falsch. DAB+ bringt nicht den erforderlichen technologischen Fortschritt, denn DAB+ ist nicht digital im Sinne der digitalen Transformation, sondern nur im Sinne der Digitalisierung des Übertragungsweges." Fischer plädiert dafür, dass "der Gesetzgeber die Integration und Freischaltung von Radio-Empfangschips in Smartphones vorschreiben" soll. Solche Multichips sollten "UKW, DAB+ und Internet auf mobilen Endgeräten ermöglichen und zugleich Reichweitenverluste durch einen Technikumstieg minimieren." +++ Außerdem geht's in der FAZ um "das Rencontre der Fernsehjournalistin Megyn Kelly" mit Donald Trump. Von Kellys "oppositioneller Haltung blieb nichts übrig, sie durfte, wie sie in einer anderen Sendung von Fox News sagte, sich sogar höchstpersönlich davon überzeugen, dass Donald Trump keine Perücke, sondern Echthaar trägt", berichtet Nina Rehfeld. +++ Und um erfolgreiche Proteste dagegen, dass die BBC "ihre Datenbank mit mehr als elftausend Kochrezepten aus dem Internet" entfernt, geht es. +++
+++ Wieviele Kunden womöglich ihr Sky-Abo kündigen könnten, falls Sky wichtige Fernsehrechte an der Fußball-Bundesliga verlöre, ist gleich noch ein Medien-Thema der Zeit (Vorabmeldung). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.