Uneingeschränkt schöne Geschichten lassen sich aus der Welt der Medien, wenn man die Produktionsbedingungen mit bedenkt, in den letzten Jahren nur selten erzählen.
Aber an diesem Freitag mal: Am Dienstag ist die Einstellung eines deutschsprachigen Privatfernsehsenders verkündet worden (Altpapier vom Mittwoch). Auch wenn dieser vom Hörensagenlesen durchaus auch nördlich des Mains bekannte Sender sich vor allem an den südlichen deutschsprachigen Raum wandte, konnte das offiziell verkündete Abschaltungs-Argument ("weil digitale Angebote die klassischen, linearen Programme verdrängen") globale Gültigkeit beanspruchen. Dann aber, noch vor dem Feiertag Christi Himmelfahrt am Mittwochnachmittag kam die "Positive Wendung Servus TV" (weitere Pressemitteilung). Es macht doch nicht dicht.
Also, servus, Servus TV. Schließlich lässt sich dieses "Servus" dort, wo es gesagt wird, außer leise zum Abschied (wie einige Überschriftenmacher gerne getitelt hatten) auch beliebig laut zur Begrüßung verwenden; es ist eine freundliche Vielzweck-Floskel.
Klar, dass die doppelt überraschten Mitarbeiter des Senders noch etwas benommen sind, zumal ihr Beitrag zur wundersamen Rettung im "in bestem Wissen und Gewissen um des Erhalts ihrer Jobs willen" hinterhereilenden Verzicht auf die Gründung des Betriebsrats (den einige von ihnen vor der Abschalt-Ankündigung hatten gründen wollen) bestand. Das berichtet z.B. der wie Servus TV österreichische Standard unter der Überschrift "Katerstimmung nach dem Aus vom Aus".
Doch braucht dieser Mitarbeiterbeitrag sicher nicht überschätzt zu werden. Auch durch breite öffentliche Solidarität, etwa in sogenannten sozialen Medien oder vor plötzlich massenhaft eingeschalteten Fernsehgeräten, durch Petitionen, Crowdfunding oder dergleichen kam die positive Wendung nicht zustande. Ausschließlich an einer Stelle hat sie sich vollzogen: in Dietrich Mateschitz persönlich. Der schon am Mittwoch "Süßgetränkemogul" und "Gutsherr" (Altpapier) genannte Chef des Red Bull-Konzerns wird nun auch als "Gnädiger Herr" (Süddeutsche), der "allen gezeigt [hat], wo der Hammer hängt" (FAZ-Medienseite), apostrophiert, bzw. sogar als "Sonnenkönig": "Der Red-Bull-Chef gefällt sich in der Rolle, des starken, aber gerechten Patriarchen", schreibt der Standard noch mal (anderer Artikel).
"Auch in Zukunft wird Servus TV abhängig sein von der Tagesform seines Mäzens",
fasst dwdl.de zusammen.
[+++] Der Entertainer, dessen Fernseh- und Audioformate-Comeback in Kürze bevorsteht, scheint sich palettenweise Energydrinks besorgt zu haben und und bespaßt weiter auf allerlei Ebenen seine Zielgruppen.
Einerseits dürfte das bereits am Mittwoch hier verlinkten E-Mail-Interview der Zeit kurz davor stehen, Blendle zu sprengen, während es immer noch weitere Reaktionen nach sich zieht. "Sprechdurchfall", ruft nun Joachim Huber (Tagesspiegel), ebenfalls nicht mit Worten ("Quassel-Satiriker", "böhmermannhafte Hypertrophie" ...) geizend, Böhermann zu, bevor er zum Punkt kommt:
"Schau doch mal über dich hinaus, schau doch mal in die Türkei. Dort wird am Freitag ein Urteil im Prozess gegen die regimekritischen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül erwartet. Ihre Recherche über vermutete Waffenlieferungen an Extremisten in Syrien hat ihnen eine Anklage wegen Spionage, versuchten Umsturz der Regierung und Unterstützung einer Terrororganisation eingebracht. Den Journalisten droht eine lebenslange Haft. Kein Witz."
Die Gegenposition (nicht, was Dündar und Gül, sondern was die Böhmermann-Einschätzung betrifft) wurde auch bereits bezogen. Böhmi bediene "sich halt der Mittel ..., die einen Satiriker ausmachen: Humor, Überhöhung, Biss", findet Jürn Kruse (TAZ). Michael Hanfelds Satz "So liefert Jan Böhmermann seine bislang größte Satire ab" heute ist indes selbst satirisch gemeint; dass die FAZ ihm einen "gewissen intellektuellen Reifegrad" könnte Böhmi in besonnenen Momenten sogar wurmen.
Andererseits drosselt Böhmermann das Tempo der Böhmermann-News-Beschleunigung und "hat einen geplanten Auftritt in einer US-Talkshow wegen der Kontroverse um sein Schmähgedicht ... verschoben" (DPA/ zeit.de). Um welche Talkshow genau es geht, geht womöglich aus dem unter der Meldung verlinkten Facebook-Video hervor, falls Sie in der Zielgruppe enthalten sind, für die die Seite "nur ... sichtbar" ist. Wohingegen das Periscope-Video, das @janboehm vertwitterte, mediengenre-gemäß verpufft, also ohnehin unsichtbar ist ...
Dritterseits sind da noch die Antipoden des Entertainers in der "Staatskrise um die Mimosen Erdogan und Böhmermann" (Reinhard Müller vorn auf der FAZ: "... zeigt auch, wie gut es uns geht und was der Türkei noch alles fehlt"), darunter eben Erdogan. Der ist auf einem guten Wege, noch erkennbarer zum Despoten zu werden. Offensichtlichere Indizien für so etwas als zum Nachfolger eines abgesetzten Ministerpräsidenten (Ahmet Davutoglu, in hiesigen Zielgruppen nicht zuletzt bekannt als Gesprächspartner bei einem Telefonat, in dem die Bundeskanzlerin sich dooferweise zu einer Einschätzung einer doofen Fernsehsatire hinreißen ließ bzw. Steffen Seibert sich doofererweise hinreißen ließ, das zu verkünden ...) seinen Schwiegersohn zu ernennen, gäbe es wohl kaum.
Wobei diese politische Entwicklung in dieser Medienkolumne natürlich nicht erwähnt werden müsste, wenn dieser Schwiegersohn Berat Albayrak nicht "vor seinem Eintritt in die Politik einen regierungsfreundlichen Medienkonzern" geleitet hätte (Tsp., voriger Link) und/ oder gerade erst im Altpapier aufgetaucht wäre - als einer von über 1.000 Klägern in einem der islamistischen, grotesk außereuropäischen Gerichtsverfahren, die in der Türkei permanent laufen.
Ein Böhmermann-Antipode, der heute aber noch erwähnt werden muss, ist auf der Ebene der gerade erst an- und vermutlich dann ziemlich langwierig verlaufenden deutschen juristischen Auseinandersetzung der genannten Mimosen die Mainzer Staatsanwaltschaft. Sie
"lässt noch offen, ob sie das 'Zeit'-Interview des Satirikers Jan Böhmermann über sein Schmähgedicht in die Ermittlungen wegen möglicher Beleidigung einbezieht",
meldete tagesspiegel.de im Rahmen einer weiteren dieser schon durch ihre Illustration klickattraktiven Gaga-Must-Have-Meldungen, die auf allen Kanälen laufen. Darin kommt dieselbe Staatsanwaltschaft zunächst wegen einer anderen Sache vor: Wegen des Hakenkreuz-Schnitzels aus dem Facebook-Auftritt der ZDF-"heute-show" (siehe ebenfalls Altpapier) leitet sie kein Ermittlungsverfahren ein. "Das 'Nazi-Schnitzel' ... weitet sich nicht zum 'Schnitzel-Gate'", scherzt der Satiriker Huber. Michael Hanfeld, der denselben Stoff für faz.net aufbereiten musste, schrieb mit ähnlich flinker Feder auf seiner Tastatur: "Das von der Sendung bei Facebook gepostete Schnitzel in Hakenkreuzform, das in Österreich übel aufstieß, gilt als genießbar" unter der Überschrift "Nazi-Schnitzel darf auf den Teller".
Bleibt nur zu hoffen, dass er Gastronomen vom rechten Rand (oder solche, die zuviel Böhmermann-Entertainment genossen haben und ihren Kunden auf Metaebenen ermöglichen möchten, durch das Zerschneiden von Hakenkreuz-Schnitzeln auch anders interpretierbare Zeichen zu setzen ...) nicht auf den Gedanken bringt.
+++ Eine nicht schöne Medien-Geschichte gibt es tagesaktuell auch. "Nur neun Wochen nach ihrer Gründung ... schon wieder eingestellt" wird die englische Tageszeitung The New Day (TAZ/ AFP). "Der Verlag hatte eine Auflage von 200.000 Exemplaren angestrebt, verkauft wurden nur 30.000 Stück", weiß Gina Thomas auf der FAZ-Medienseite und bedauert, "dass die Signalwirkung der Einstellung ... größer ist als der Publikationsstart vor neun Wochen. Die Niederlage ist auf die mangelnde Qualität des Produkts zurückzuführen. Mit Lesern, die sich von Zeitungen 'entliebt' haben, wie es in der Werbung hieß, hat das weniger zu tun." Der Sonnenaufgang (den ich vor neun Wochen hier mit "Hach, ist das schön" verlinkt hatte ...) ist noch online. Die Stimmung nach dem Aus im Verlag beschreibt der Guardian. +++
+++ "Der Auftritt von Sasha Lobo war sicherlich einer der bestbesuchtesten Talks. Nach einem zynischen Ammoklauf durch die aktuelle deutsche Digitaldebatte ... ..." Da (sicsicsic also) präsentiert der Tagesspiegel, eine unserer Qualitätszeitungen, freilich in einem seiner Blogs, "die zehn besten Momente der zehnten re:publica". +++
+++ "Liebe re:publica. Du hast deine Ideale an einen Zensor verkauft. Du prostituierst dich fuer einen Gatekeeper, der eine heterogene Publishing-Landschaft zerstoert ...": Da zürnt mobilegeeks.des Sascha Pallenberg, wie die Umlaute zeigen, wohl aus Fernost, der Republica wegen Adblock. +++ Die Eyeo GmbH hatte dort die "neue Funktion 'Flattr Plus'", mit der "Nutzer von Adblock Plus freiwillig einen Betrag für die Ersteller von Web-Inhalten beisteuern sollen" (heise.de), vorgestellt. +++
+++ Das Wirtschaftsressort der FAZ (S. 24) meldet, dass die mehrheitlich von Hubert Burdas Konzern besessene Tomorrow Focus AG "in Holidaycheck Group AG umfirmieren" will. Während Focus ja eine Zeitschrift und ein Portal bezeichnet, die noch bestehen, besteht die Zeitschrift namens Tomorrow schon länger nicht mehr. +++
+++ Burda im Bett mit der ARD, was die Zeitschrift namens ARD Buffet betrifft, lässt den Bauer-Verlag von einem "schwerwiegenden Eingriff in die Pressefreiheit" reden (kress.de). +++
+++ Den Hörspielpreis der Kriegsblinden, von dem am Mittwoch hier die Rede war, hat tatsächlich die MDR-Produktion "Und jetzt: Die Welt!" von Sibylle Berg und Marina Frenk sowie Regisseur Stefan Kanis gewonnen. Das berichtet Mitjurorin Eva-Maria Lenz auf der FAZ-Medienseite. Auf filmstiftung.de sind dieses Hörspiel und die anderen nominierten zu hören. +++
+++ Der ebenfalls am Mittwoch hier verlinkte Ulf J. Froitzheim-Blogbeitrag zur verzwickten VG Wort-Lage zog dann leider auch leider Twitter-typische Verwicklungen nach sich. +++
+++ Über eine Diskussion in Berlin, bei der Ruhr Nachrichten-Reporter Peter Bandermann berichtete, wie Neonazis ihn in Dortmund zuhause belästigen, berichtet die SZ-Medienseite nur kurz. +++ Mehr Platz gibt's dort für die Vorstellung einer Netflix-Serie, die aber keine US-amerikanische ist, sondern die "erste europäische Netflix-Eigenproduktion": "Marseille" mit Gérard Depardieu. +++
+++ Die hierzulande von Amazon Prime vermarktete Serie "The Night Manager", die die FAZ-Medienseite heute vorstellt, ist eine amerikanisch-britische und wurde von der Dänin Susanne Bier inszeniert. +++
+++ "Gebühren sind aber nicht dazu da, die Ablösesumme Mats Hummels’ zu erwirtschaften. Die Quotenjunkies in den Sendern haben ihren Auftrag nicht verstanden ...": Da hat Wolfgang Herles, der "Renegat" bzw. im Ruhestand scharf die Öffentlich-Rechtlichen kritisierende Elch, seine Argumentation für den Tagesspiegel etwas aktualisiert. +++
+++ Merkel und Erdogan übrigens auch auf Augenhöhe (hübsche, vergleichsweise haaarmlose Karikatur des Spectator, Twitter). +++
Neues Altpapier gibt's dann wieder am Montag.