Selbstverschuldete Unmündigkeit

Selbstverschuldete Unmündigkeit
Kritische Berichterstattung nützt unseren Gesellschaften. Daran muss man die Türkei tatsächlich erinnern. Sie ist der Ausweg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Das gilt sogar für die Regierung in Ankara.

Wenn Barack Obama die Hannover-Messe besucht, wird er anschließend sicherlich nicht von der Bundeskanzlerin nach Berlin eingeladen, um den Flughafen BER als Beispiel für deutsche Ingenieurskunst kennenzulernen. Insofern ist jeder Staat bei solchen Visiten darum bemüht, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Das ist in der Türkei nicht anders. Als die Kanzlerin dort am Samstag zu Gast war, bekam sie daher nicht die Schattenseiten der türkischen Flüchtlingspolitik zu sehen. Die Umstände des Arrangements seitens der Regierung in Ankara erinnerten ältere Zeitgenossen an längst vergangen geglaubte Zeiten.

">>Das ist wie in der DDR<<, schimpft der amerikanische Journalist Roy Gutman. 1989 war er dabei, als die Berliner Mauer fiel, er hat lange in Bagdad gearbeitet, jetzt lebt er in Istanbul. "Diese Inszenierung ist dumm", sagt Gutman. >>Und so unnötig. Die Türkei leistet hier sehr gute Arbeit, diese Menschen mögen alle Davutoglu und Merkel, sie so abzuschirmen ist sinnlos. Die Türken verpassen eine Riesenchance.<<“

Ein guter Hinweis. Schon im früheren Ostblock verstand man sich auf die Erzeugung des schönen Scheins, der die triste Wirklichkeit zu verbergen suchte. Es glaubt allerdings kein Journalist, der sein Handwerk versteht, an solche regierungsamtlichen Possenspiele. Die Lage der deutschen Wirtschaft wird nämlich auch nicht besser, wenn man die kritische Berichterstattung über die Dauerbaustelle BER unterbindet. Oder über die Nöte der deutschen Autoindustrie. Diese versetzt eine Gesellschaft auch überhaupt erst in die Lage, sich über seine eigenen Verhältnisse zu verständigen. Kritische Berichterstattung wird so zur Grundlage ihrer Lernfähigkeit. Das war letztlich auch das Erfolgsgeheimnis des Westens gegenüber den realsozialistischen Diktaturen des Ostblocks. Sie waren lernfähig, konnten sich besser an veränderte Umstände und Rahmenbedingungen anpassen. Der Westen war auf dieser Grundlage weniger borniert als der große weltpolitische Rivale im Kalten Krieg.

So ist gar nicht die Inszenierung dieses Türkei-Besuchs der Kanzlerin das Problem. Diese gibt es auch in demokratischen Gesellschaften, bekanntlich nicht nur von Regierungen. Vielmehr ist die selbstverschuldete Unmündigkeit der Regierung in Ankara zu thematisieren. Deren Folgen hat die taz dankenswerterweise zusammengefasst. So wurde eine niederländische Kolumnistin in der Türkei festgenommen und einem Fotoreporter der Bild die Einreise in die Türkei verweigert. Das Ziel dieser Maßnahmen ist die weitere Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei. Dabei werden nicht mehr, wie früher nach einem Putsch, schlagartig die Grundrechte beseitigt, sondern es ist ein schleichender Prozeß zur Etablierung eines autoritären Regimes. Die Instrumente sind Einschüchterung und die Aushöhlung rechtsstaatlicher Verfahren. Die Justiz wird zum Vollstrecker staatlicher Willkür – und ist anschließend keine unabhängige Instanz mehr zur Überprüfung staatlichen Handelns. Daher sollte sich die taz schon fragen, ob in ihrer Aufzählung das Beispiel des Piratenpolitikers Bruno Kramm dazugehört. Er hatte auf einer Demonstration vor der türkischen Botschaft in Berlin umstrittene Passagen aus dem Schmähgedicht Jan Böhmermanns zitiert. Deren rechtliche Bewertung ist bis heute nicht geklärt. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte daher deren Aufführung untersagt. Das ist mit der Willkürpolitik der türkischen Regierung nicht gleichzusetzen. Gerade die Medien müssen solche Unterschiede in der gegenwärtigen Lage deutlich machen. Es ist nämlich eines der Ziele autoritärer Regime, solche Differenzen möglichst zu vertuschen.

Dabei ist das die Voraussetzung, um in unseren Gesellschaften die kritische Berichterstattung zu gewährleisten. Sie ist auch bei uns ein gefährdetes Gut, wie nicht zuletzt die Debatte um die Enthüllungen Edward Snowdens deutlich machte. Sie wird nicht in erster Linie von den demokratischen Überzeugungen unserer Regierungen geschützt. Im Gegensatz zur Türkei funktionieren bei uns noch die institutionellen Sicherungen zugunsten der Meinungs- und Pressefreiheit. Wir brauchen nicht den guten Willen einer Regierung oder einer Kanzlerin, sondern diese ist gezwungen, sich wie jeder Staatsbürger an Recht und Gesetz zu halten. Am Ende entscheidet das Bundesverfassungsgericht, was darunter zu verstehen ist. Es schützt uns vor der Borniertheit der Regierungen und somit uns alle vor der selbstverschuldeten Unmündigkeit autoritärer Regime.

+++ Regierungen unterliegen Zwängen. Das zeigt nicht zuletzt die deutsche Politik in ihrem Verhältnis zur Türkei. So hat die Bundesregierung nicht die Verantwortung für die innenpolitischen Verhältnisse in der Türkei. Das gilt in gleicher Weise für die türkische Regierung, wenn es um die Innenpolitik in Deutschland geht. Regierungen bewegen sich dabei immer in einem System widerstreitender Interessen. So werden gute Wirtschaftsbeziehungen zumeist höher bewertet als etwa die Achtung von Menschenrechten. Wenn diese Wirtschaftsbeziehungen durch Sanktionen eingeschränkt werden, wird das von den betroffenen Staaten entsprechend als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ gewertet. Sie sind das einzige Mittel, um effektiv Einfluß auf diesen anderen Staat zu nehmen. Entsprechend muss es gute Gründe geben, um solche Sanktionen zu verhängen. Mit kritischer Rhetorik über die innenpolitischen Verhältnisse in einem anderen Staat wird eine Regierung wenig verändern, lediglich die Atmosphäre für eine weitere Zusammenarbeit belasten. Diese Debatte gab es schon im Kalten Krieg und jetzt auch wieder im Verhältnis zur Türkei.

Die Kritik an der Kanzlerin wegen ihrer Zurückhaltung gegenüber Ankara ist wohlfeil, wenn sie die politischen Konsequenzen ignoriert. Medien haben vor allem eine Aufgabe: Die kritische Berichterstattung zu gewährleisten. Dabei gibt es keinen Grund zur politischen Zurückhaltung, ob gegenüber einer Regierung in Ankara oder der in Berlin. Es gelten die Prinzipien einer fairen und möglichst objektiven Berichterstattung. Die Adressaten der Medien sind die Leser, Zuschauer und Hörer ihrer Angebote. Sie ermöglichen so deren Meinungsbildung. Welche politischen Rückschlüsse diese Mediennutzer daraus ziehen, ist deren Sache. Sie werden so kontrovers sein, wie es bei allen politischen Themen gewöhnlich der Fall ist. Politik und Medien unterliegen jeweils ihrer eigenen Logik. Deutliche Worte in den Medien sind daher etwas anderes als die gleiche Rhetorik in der Politik. Bisweilen hat man zur Zeit den Eindruck, dass dieser Unterschied in Vergessenheit gerät. Eine Bundeskanzlerin wird zur Fernsehkritikerin. Und manche Journalisten verwechseln ihre Rhetorik mit Politik.

+++ Über dieses Problem gab es gestern in der FAS einen interessanten Artikel. Die iranische Journalistin Bahareh Ebrahimi schildert in „Texte ohne Kopftuch“ was passiert, wenn diese unterschiedlichen Logiken in Konflikt geraten. Sie führt zur Selbstzensur.

„Eine Art dieser Angst trage ich immer bei mir, sogar in Deutschland, wo es Meinungsfreiheit gibt. Wenn ich die Tabuthemen meiner Heimat kritisch behandeln möchte, muss ich mich immer daran erinnern, ohne Selbstzensur zu schreiben. Auch wenn die sich stets wiederholenden ideologischen Werte meiner Gesellschaft mein Denken nicht beeinflusst hatten, brachten sie doch eine passive innere Angst hervor, die ab und zu aktiv wird – so als ob die problematische Zeichnung aus meiner Kindheit noch irgendwo in meinem Hinterkopf hängengeblieben wäre. Vor allem frage ich mich, ob ich wirklich die Meinungsfreiheit habe, die Journalisten in Deutschland genießen, oder ob für mich als Iranerin weiterhin die Drohungen und Tabus der Heimat gelten. Diese Länder fordern stets den Respekt vor den sogenannten Werten der eigenen Kultur ein, ohne selber die Werte anderer Länder zu respektieren. Ausländische Politikerinnen sollen in Iran ein Kopftuch tragen, aber als der Präsident Irans im Januar nach Frankreich reiste und zum Essen Wein serviert wurde, erschien er noch nicht einmal. Konnte er die Kultur eines anderen Landes nicht ein bisschen respektieren und wenigstens zum Essen kommen und dann einfach Wasser trinken? Wohin führt diese Einbahnstraße sonst? Und was wird aus der deutschen Meinungsfreiheit, wenn sie aus diplomatischen Rücksichten in den Hintergrund gerät?“

Es gibt allerdings keinen Zusammenhang zwischen diplomatischer Rücksichtnahme und der Meinungsfreiheit in Deutschland. Diese wird lediglich von den geltenden Gesetzen eingeschränkt, die aber an erster Stelle die deutsche Diplomatie binden. Es wird Zeit, daran wieder zu erinnern.


Altpapierkorb

+++ Die Wege Erdogans in die europäische Innenpolitik sind scheinbar unergründlich. So hat jeder dafür Verständnis, wenn die Regierung in Ankara über die kritische Bestandsaufnahme der türkischen Geschichte in Dresden nicht begeistert ist. Nur ist es nicht die Aufgabe der EU-Kommission, sich im Rahmen ihrer Kulturförderung über die Begeisterungsfähigkeit anderer Regierungen Sorgen zu machen. Kultur dient schließlich ebenfalls der Selbstverständigung einer Gesellschaft, was nicht zwangsläufig mit der Zustimmung von Regierungen zu verwechseln ist. Daher ist diese Antwort der EU-Kommission auf die Kritik der Regierung in Ankara doch eher unverständlich: „Die Brüsseler EU-Kommission bestätigte, dass der Text von der Website entfernt wurde. Es habe Bedenken gegeben bezüglich der Wortwahl. Daher sei der Text vorübergehend entfernt worden, um mit dem Vermarkter über neue Formulierungen zu sprechen. „Eine neue Projektbeschreibung wird in den nächsten Tagen veröffentlicht werden“, versicherte eine Sprecherin. Die EU-Kommission unterstütze das Projekt mit 200.000 Euro. „Seine Umsetzung ist nie in Frage gestellt worden“, erklärte sie.“ Nur damit es auch die Herrschaften in Brüssel verstehen. Weil jemand in Dresden den Begriff „Völkermord“ benutzt und dieser daher auch in der Projektbeschreibung auftaucht, muss sich die EU-Kommission diesen nicht zu eigen machen. Sie ermöglicht lediglich eine Debatte über den Mord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg. Das ist etwas anderes als wenn die EU-Kommission diesen Begriff in ihren politischen Stellungnahmen verwendet. Oder ist neuerdings die europäische Kulturförderung von den politischen Leitlinien der europäischen Kommission abhängig? Daher kann jeder Bürger in der EU weiterhin den Eindruck haben, dass der Massenmord an den Armeniern an einen Völkermord erinnert. Während die europäische Politik aus nachvollziehbaren Gründen die Verwendung dieses Begriffs weiterhin vermeidet. Dafür gibt es aber keine Gründe, die in der Natur dieses damaligen Ereignisses liegen. Vielmehr sind politische Überlegungen ausschlaggebend. Diese sollten aber nicht die Meinungsbildung von EU-Bürgern dominieren. Wir sind ja nicht in der Türkei.

+++ In diesem Kontext lohnt es sich, auf die Meinungsbildung zur Lage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einzugehen. Dazu gibt es jetzt eine offensichtlich lesenswerte Dissertation über den Fall Brender im ZDF.

+++ Barack Obama besucht nicht den BER. Er ist auch schwierig zu erreichen, was aber wohl nicht der ausschlaggebende Grund für den Verzicht auf den Besuch dieses deutschen Kleinods sein könnte. Was aber über die TTIP-Demonstration in Hannover und die Berichterstattung darüber zu sagen ist, weiß Norbert Häring in seinem Blog.

+++ Zum Glück ist Geldverschwendung nicht das Privileg der Berliner Politik. Was Medienkonzerne dabei zu leisten vermögen, ist hier nachzulesen.

+++ Wo wir gerade beim Geld sind. Über das Urteil des BGH zu den Tantiemen der VG Wort war schon in diesem Altpapier berichtet worden. Wolfgang Michal hat dazu noch folgende Feststellungen zu machen: „Wenn verdienstvolle Verleger nun verschreckt aus allen Wolken fallen, weil sie Gelder auf falscher Grundlage erhalten haben, ist das nicht den Autoren (oder den Richtern des BGH) anzulasten, sondern jenen Funktionären, die bis zuletzt stur darauf setzten, dass die Klage gegen die VG Wort keinen Erfolg haben würde. Und noch etwas: Wohin die jetzt so lauthals beschworene „Partnerschaft“ zwischen Autoren und Verlagen im umgekehrten Falle führt, kann man an der Entwicklung des Leistungsschutzrechts gut studieren. Da haben sich die Verleger sehr schnell von ihrer ursprünglichen Idee verabschiedet, die Hälfte der zu erwartenden Tantiemen an die Autoren auszuschütten. Von der einst geplanten gemeinsamen Verwertungsgesellschaft ist längst nicht mehr die Rede. Obwohl es – logischerweise – ohne Autoren auch keine Verlagsleistungen geben kann, die unter den Schutz des Urheberrechts fallen.“ Inteessengruppen fällt es halt manchmal schwer, argumentative Widersprüche zu vermeiden. Gerade wenn es um Geld geht.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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