Wahrheit und Lüge

Wahrheit und Lüge
Diese Kategorien bestimmen schon längst die Debatten in der Politik und in den Medien. Ob diese Kategorien das Problem sein könnten, wird aber selten thematisiert. Dabei lohnt sich ein Blick in den vergangenen Bundestagswahlkampf, um zu verstehen, was mit dieser Gesellschaft gerade passiert.

Nichts ist älter als die Zeitung von gestern, aber manchmal lohnt sich doch ein Blick zurück. So diskutierten die Medien im Bundestagswahlkampf des Jahres 2013 über die Vortragshonorare eines SPD-Kanzlerkandidaten und die spannende Frage, ob ein Bundeskanzler im Vergleich zu Sparkassen-Direktoren genug verdient. Ob die Eurokrise oder die NSA-Affäre, nichts konnte diesen müden Wahlkampf in Schwung bringen. Er wirkte wie ein Musterbeispiel für eine entpolitisierte Politik, die einen Streit um Banalitäten als Politikersatz inszenierte. Der frühere Feuilleton-Chef der FAZ, Nils Minkmar, hat über diesen Wahlkampf ein weithin beachtetes Buch geschrieben. Vor dem Wahltag formulierte er seine Eindrücke über diese seltsame Zeit in der FAZ. Es lohnt sich die Lektüre, um besser zu verstehen, was noch nicht einmal drei Jahre später mit diesem Land passiert.

„Das ist die Gefahr, welche die Kanzlerin heraufbeschwört, wenn sie den Eindruck erweckt, man könne nichts machen und müsse das ja auch gar nicht; welche auch die Medien befördern, wenn sie die Möglichkeit einer anderen Politik als von vorneherein chancenlos und daher irrelevant karikieren; und die jene Intellektuelle in Kauf nehmen, die erklären, man könne ebenso gut auch nicht zur Wahl gehen. Es gibt in diesem Land eine manifeste Gefahr von Rechts, die sich ermutigt fühlt, je mehr alle anderen das Vertrauen in die Politik verlieren. Zudem ist der Eindruck, dass die Wahl entschieden sei, oder irrelevant und bloße Therapie, völlig falsch. Fast meint man, jemand habe ein Interesse daran, eine Macht, die alle teilen, permanent klein zu reden. Es ist aber echte und große Macht.“

Was nach dieser Wahl passieren sollte, konnte Minkmar damals nicht wissen. Die Flüchtlinge waren kein Thema gewesen, obwohl Fremdenfeindlichkeit schon immer zur Kernkompetenz von Rechtspopulisten gehörte. Aber mittlerweile gilt Politik nicht mehr als die Inszenierung von Belanglosigkeiten. Seit der Flüchtlingskrise wird wieder über die Möglichkeit einer anderen Politik gestritten, allerdings nicht zwischen den im Bundestag vertretenen Parteien. Diese waren lange Zeit dem Credo der Kanzlerin verpflichtet, man könne ja nichts machen. Eine andere Politik wäre von vornerein chancenlos und daher irrelevant. Es war die von Minkmar beschriebene Mentalität des Neobiedermeier, die zur politischen Krise des gegenwärtigen Parteiensystems führte.

Es spricht für die Vitalität einer parlamentarischen Demokratie, wenn sich das jetzt ändert. Dass die AfD in diese Rolle geraten konnte, haben die etablierten Parteien mit der Kanzlerin an der Spitze zu verantworten. Das Wahlrecht ist aber eine „echte und große Macht“, wie sich in diesen Wochen zeigt. Es führt zur Polarisierung und damit zu Zuspitzungen, die nicht zuletzt in dem Titel des Spiegel in dieser Woche ihren Ausdruck finden. „Die Hassprediger. Frauke Petry und die AfD: Bericht aus dem Inneren einer gefährlichen Partei.“ Der Spiegel bemüht sich keineswegs um Neutralität. Das muss er auch nicht. In Zeiten der Polarisierung dürfen sich Medien positionieren. Wobei es allerdings im etablierten Mediensystem niemanden gibt, der die AfD unterstützen könnte. Deshalb wird diese Debatte als ein Konflikt zwischen Insidern und Outsidern in Politik und Mediensystem empfunden. Aber diese Polarisierung, und damit die Revitalisierung der Politik, ist immer noch besser als das journalistische Elend vor der Bundestagswahl, das Minkmar so beschrieb.

„Ob die Probleme aber weggehen, wenn man sie sich nicht ansieht, diese Frage weckt ungute Gewissensregungen und entsprechende Verdrängungsmechanismen. … . Und beantworten stattdessen die Frage: Wie wirkt der Steinbrück auf mich? Bei Journalisten ist das perverserweise ganz besonders ausgeprägt. Statt zu prüfen, welche Vorschläge der Parteien für unseren Status in Europa besser wären, was den Geringverdienenden Entlastung verschaffen und den sozialen Frieden garantieren könnte, kümmern sie sich um Steinbrückiana von mittlerer bis kleiner Relevanz. So war es auch in der „Weinstube Bürgerspital“ zu Würzburg, wo der Kandidat Anfang der Woche ein Abendessen für Journalisten gab: Mögen Sie noch Sigmar Gabriel? Mag er Sie noch? Mögen Sie Frau Merkel? Mag die Sie? Wie wird es am Wahlabend ausgehen? Aber wie genau? Was sagen Sie dann? Freuen Sie sich, wenn Sie gewinnen, sind Sie traurig, wenn Sie verlieren? Und so weiter.“

Die AfD sollte allerdings aufhören, über ihre miserable Presse zu lamentieren. Sie benutzt Polarisierung zur Mobilisierung ihres Wählerpotentials. Dann sollte man sich über den entsprechenden Gegenwind nicht beschweren. Das ist genauso lächerlich wie Journalisten, die das Gefühlsleben von Politikern mit Politik verwechseln. Oder die eigenen Emotionen zur Grundlage ihrer Berichterstattung machen.

+++ Darüber gab Dunja Hayali bei der Verleihung der „Goldenen Kamera“ Auskunft. Sie hatte allerdings gute Gründe dafür. Frau Hayali wurde in den vergangenen Monaten als Frau und wegen ihrer Abstammung von irakischen Eltern auf übelste Weise angegriffen. Diese Mischung aus Sexismus und Rassismus läßt niemanden unberührt, wie sie in ihrer Dankesrede zum Ausdruck brachte.

„Ich setze immer noch auf den Dialog, mich interessieren andere Meinungen, andere Argumente. Aber was da gerade abgeht, ist wirklich mit Verrohung von Sprache überhaupt nicht mehr zu beschreiben. Bedrohung, Beschimpfung, Beleidigung, Vergewaltigungswünsche. Keiner hört keinem mehr zu, Worte werden einem im Mund verdreht, aus dem Zusammenhang gerissen und wenn man nicht die Meinung des Gegenüber vertritt ist man ein Idiot, ein Lügner, eine Schlampe oder total ferngesteuert.“ Hayali erzählte von privaten Begegnungen vor dem Supermarkt, in denen fremde Menschen ihr „Lügenpresse, Lügenfresse“ ins Gesicht gerufen hätten.“

Im Gegensatz zu manchen anderen Journalisten interessiert sich Frau Hayali tatsächlich für andere Meinungen, wie sie unter anderem in ihrer Talkshow in der Sommerpause von Frau Illner unter Beweis stellte. Das Problem ihrer Rede ist woanders zu finden.

„Das Schlimme daran ist, dass sich dieser Hass jetzt auch auf der Straße widerspiegelt. Leute, glaubt eigentlich irgendjemand, dass dieser ganze Hass etwas bringt, bei der Suche nach Lösungen, beim Ringen um Kompromisse?“

Nur gibt es keine Lösungen, die in der Flüchtlingskrise politisch nicht umstritten wären. Es gibt vielmehr höchst unterschiedliche Lösungsansätze, die von der Schließung der deutschen Grenze bis zu deren Abschaffung reichen. Daraus entstehen erst einmal politische Konflikte und nicht automatisch Lösungen oder Kompromisse. Frau Hayali hat jede Solidarität verdient, wenn es um die unflätigen Angriffe auf ihre persönliche Integrität geht. Aber ihr Politikverständnis ist offenkundig vom Neobiedermeier der Kanzlerin geprägt.

+++ Die ARD versuchte es am Samstag mit einem Themenabend über den Fall Uwe Barschel. Die Sehgewohnheiten haben sich verändert, weshalb der klassische Mehrteiler beim Publikum zunehmend weniger Akzeptanz findet. So konnte auch der Fall Barschel als Drei-Stunden-Film gesendet werden, ohne dem Publikum automatisch Überforderung zu unterstellen. Das ist es schließlich gewohnt, ganze Serien am Stück zu konsumieren. Ob es dem Film gelungen ist, den Spannungsbogen über diese lange Zeit aufrecht zu erhalten, konnte man allerdings bezweifeln. Er hatte unübersehbar Längen, was aber dem positiven Gesamteindruck keineswegs schadete. Das eigentliche Thema waren nämlich nicht die Umstände des Todes von Uwe Barschel, sondern wie Lüge und Wahrheit bei der Aufklärung dieses Falles zunehmend ununterscheidbar  wurden. Der Film spielt zwar vor der digitalen Revolution unseres Mediensystems, hat aber deren Probleme sichtbar werden lassen. Das kommt vor allem in jener Passage zum Ausdruck, die Reinhard Lüke in der Medienkorrespondenz thematisierte.

„Dass dieser Abschwung des Interesses sich einstellt, ist schade, denn dieser Drei-Stunden-Film (Produktion: Zeitsprung Pictures) ist ein an sich überaus ambitioniertes und lobenswertes Projekt. Doch leider verliert der Zuschauer sich in einem zusehends unüberschaubarer werdenden Labyrinth aus nicht immer überzeugend vermittelten Fakten und Vermutungen. So ist später zum Beispiel auch noch von der Iran-Contra-Affäre die Rede, deren Schlüsselfigur, der US-Offizier Oliver North, nur beiläufig erwähnt wird, wie das im Film bei so vielen Figuren der Fall ist. Wenn dann noch die These vorgebracht wird, dass Barschel habe sterben müssen, weil er mit seinen Aussagen zu dieser Affäre den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan zu Fall hätte bringen können, vermag selbst der Zuschauer nicht mehr ganz zu folgen, der vielleicht ein offenes Ohr für abenteuerliche Verschwörungstheorien hat.“

Diesem Mechanismus war der journalistische Held in dieser Geschichte zum Opfer gefallen. Es wurde für ihn unmöglich, in der Mischung aus Information und Desinformation, aus banalen Pannen und bewusster Verschleierung die Wahrheit zu finden. Am Ende musste er alles für möglich halten, sogar den Sturz eines amerikanischen Präsidenten durch einen norddeutschen Provinzpolitiker namens Barschel. Es gehört zum professionellen Verständnis von Journalisten, Informationen mit der nötigen Skepsis zu betrachten. Sobald sie aber zu Wahrheitssuchern werden, unterliegen sie der gleichen Gefahr wie die unzähligen anderen Akteure im Internet, die die Wahrheit schon immer gepachtet haben. Das wird in diesem Film in beeindruckender Weise deutlich, selbst wenn der Held noch auf einer Schreibmaschine geschrieben hat. Insofern war dieser Film von beeindruckender Aktualität.


Altpapierkorb

+++ Was die Medien heute bewegt, sind aber die Absagen der Karnevalsumzüge in Nordrhein-Westfalen. Nicht einmal auf das Wetter ist in diesen bewegten Zeiten noch Verlaß. So müssen die satirischen Kommentare auf den diversen Motivwagen heute im Depot bleiben. Zum Glück gab es aber noch den Sonntag. Im bayerischen Pfaffenhofen kamen Karnevalisten auf die famose Idee mit einem Papp-Panzer als Motivwagen an den Start zu gehen. Versehen mit einem Schild namens „Asylabwehr“. Ob Bürgerwehren in der bayerischen Provinz neuerdings heimlich an Wiederaufrüstungsplänen werkeln? Historische Vorbilder gibt es durchaus. Die Reichswehr übte in den 1920er Jahren an Papp-Panzern, weil ihr der Versailler Vertrag die echten Panzer verboten hatte. Diese wurden dagegen in der geheimen Rüstungskooperation mit der jungen Sowjetunion genutzt, was heute die schönsten Spekulationen ermöglicht. Üben die Pfaffenhofer Karnevalisten schon in Putins Russland? Nun waren die Motivwagen im Karneval schon immer ein Fall für sich. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Aber will man daraus wirklich jetzt das machen, was Spiegel online daraus macht? „An Fasching zeigt sich, wie sehr die Hemmschwelle gesunken ist, sich öffentlich rassistisch zu äußern. An vielen Orten sind Motivwagen mit hetzerischen Darstellungen vorgefahren. In Bayern ermittelt die Staatsanwaltschaft.“ Ist dieser Motivwagen wirklich die Aufforderung mit Panzern an der deutschen Grenze, eine „Asylabwehr“ zu errichten? Mit betrunkenen Karnevalisten auf dem Papp-Panzer? Medien werden zum Problem, wenn sie jeden Unfug als Beleg für gesellschaftliche Fehlentwicklungen betrachten. Aber vielleicht hat doch Putin seine Finger im Spiel.

+++ Dafür ersetzte Spiegel-TV sogar die Ermittlungsarbeit der Polizei. Was zwar in diesem Fall für die Recherche der Kollegen spricht, aber nicht unbedingt das Vertrauen in die Arbeit der Sicherheitsbehörden erhöht.

+++ Die NZZ berichtet dagegen über die Erfahrungen eines Bloggers mit dem russischen Mediensystem, das schon längst auf den berühmten Hund gekommen ist. Dort findet jeder Papp-Panzer die nötige Beachtung, wenn er der Regierung in den berüchtigten Kram passen sollte. "Was im Frühjahr 2014 begann, beschreibt Kowalew als die «Russia-Today-isierung» des russischen Medienbetriebs. Die Trennung von Journalismus und Auslandpropaganda war aufgehoben. Vor seinen Augen verwandelte sich eine seriöse Nachrichtenagentur in eine Unterabteilung von Russia Today. Nur dass alle russischen Medien plötzlich Meldungen in RT-Manier auf dem Ticker hatten. Heute zitiert RIA Nowosti neben seriösen Blättern obskure Blogs und fragwürdige Experten.“ Falls die Journalismus-Darsteller in Russland übrigens einen guten Spin bezüglich des Papp-Panzers aus Pfaffenhofen suchen, hier ist einer: Man könnte damit den deutschen Revanchismus bebildern, der schon in der Ukraine sein Unwesen treibt. Natürlich darf man unter dieser Voraussetzung nicht nach Verbindungen mit Putin suchen, sondern sollte die zur CIA herausstellen. So würde Pfaffenhofen zu einem Brennpunkt der Weltpolitik. Das wäre doch was!

+++ Was die Amerikaner gestern Abend interessierte? Der Super Bowl. Das Handelsblatt hat die Hintergründe.

+++ Dagegen hat Twitter Ärger mit seinen Nutzern, wie in der Frankfurter Rundschau nachzulesen ist. Der geplante Algorithmus ist nicht von Pappe, um das einmal so zu formulieren.

+++ Auf Kress liest man dafür, wie Christoph Pepper als Chefredakteur des Mindener Tageblatts einem Leser den Journalismus erklärt. Lesenswert.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?