Geschenkpapier, siebte Ausgabe: Unser heutiger Gastautor Dirk Liedtke ist Redakteur für Digitales im Wissen-Ressort des stern in Hamburg. Davor hat er sich sechs Jahre lang im Investigativ-Team des stern mit Nazis, Geheimdiensten, Wettbetrügern und anderen Wirtschaftskriminellen beschäftigt.
+++ Deutschland 83: Heute ist ein guter Tag für Fernsehzuschauer, denn bei RTL laufen um 20:15 Uhr die ersten beiden Folgen von "Deutschland 83". Über diese süffig inszenierte Mischung aus „Weissensee“ und „Homeland“ ist schon sehr viel geschrieben worden. Zur Premiere in den USA beim Robert-Redford-Sender Sundance fühlte sich Emily Nussbaum im New Yorker an die KGB-Spione-Serie "The Americans". Härter ist das Urteil von Matthias Dell im Freitag
„Deutschland 83 mag hübsch ausschauen, mehrfach einen Walkman ins Bild halten, altes Fernsehmaterial zitieren und bekannte Pop-Hits spielen (Nena, Billy Idol, Tears for Fears). Alles andere ist wie bei SOKO Leipzig, wo Jörg Winger sonst arbeitet: Es passiert zu viel, es ist immer hell, es gibt kein Gefühl für Raum und Zeit und die Charaktere entwickeln sich nicht.“
Das ist viel zu streng. Allerdings: "SOKO Leipzig" habe ich noch nie gesehen, kann daher nicht mitreden. Ich empfehle, heute Abend RTL zu gucken oder noch besser: Zunächst alle Folgen aufnehmen, und dann am Stück weg-suchten.
[+++] Neues aus den Anstalten: Gestern traten die ARD-Intendanten in Hamburg vor die Presse. Die wichtigsten Aussagen in Tweets:
@ARD_Presse Lutz Marmor: „Wir brauchen nicht drum herumreden: Der NDR hat mit der Nominierung von #XavierNaidoo einen Fehler gemacht.“
@ARD_Presse Frank Beckmann (NDR TV Direktor): „Es gab mündliche Absprachen mit #XavierNaidoo, keinen schriftlichen Vertrag.“
@ARD-Presse @Volker_Herres: „Thomas Schreiber hat mein volles Vertrauen."
@eurovisionde Möglicherweise kann das Publikum den #ESC2016 Kandidaten wählen, so NDR Intendant und ARD-Vorsitzender Marmor
@ARD_Presse @Volker_Herres: „Im Krieg + auf Twitter stirbt die Wahrheit zuerst.“ Verlässlichkeit + Wahrhaftigkeit von ör Rundfunk daher wichtig.
@medienmagazin Faktencheck: Letzter Wetter-„Brennpunkt“ sei im Juni 2014 gewesen, korrigiert @volker_herres den anders gefühlten Eindruck eines Kollegen
@ARD_Presse Der Vertrag von @CarenMiosga wird um drei Jahre verlängert:
@ARD-Presse @rotkaeqpchen @ardde Diese Vidiwall ist einfach der Burner! Warten Sie ab, bis der Jumbo ins Studio fliegt.
@DasErste Der #Tatort ist ab sofort 30 Tage lang unter http://www.tatort.de und in der Das Erste Mediathek als Video verfügbar!
Die angeblich ganze Pressekonferenz von gestern Mittag gibt es auch in voller Länge als Video:
[+++] Deutschland im Herbst 2015: „No go-Areas für Journalisten“ hat der Deutsche Journalistenverband in bestimmten Städten ausgemacht. Den „Lügenpresse“-Rufen folgen in Dresden und anderswo Tätlichkeiten. Anlass für einen Aufruf:
„Übergriffe auf Journalisten, Schlagen, Prügeln, Treten kommen bei rechtsradikalen Demos immer öfter vor. Wir sammeln jetzt die Fälle. Journalisten, meldet euch!“
E-Mail an den DJV genügt: djv@djv.de. Ob der DJV auch Rempeleien mit Fake-News-Reportern der "heute-show" zählt?
[+++] Das offene Netz ist bedroht: Konrad Lischka hat den Essay „Das Netz verschwindet – das offene Internet, seine Gegner und wir“ als e-Book veröffentlicht – leider noch nicht bei sobooks.de, wo ein solches Debatten-Thema hingehört. Eine Leseprobe gibt es hier und 13 Thesen in Tweetlänge hier .
Lischka ist ein optimistischer Widerstandskämpfer:
„Niemals wurde das Internet so intensiv genutzt wie heute. Doch immer seltener verlassen die Menschen zentrale Plattformen wie Facebook, um Vielfalt im Netz zu genießen und zu gestalten. Unternehmen stülpen dem Netz eigene Dienste über, die weit weniger offen sind. Diese Entwicklung der Vielfalt im Netz (das Verb fehlt im Original - Anm. DL) schleichend den Nährboden. Aber Widerstand ist möglich und macht Freude – davon erzählt dieser optimistische Essay.“
Im Grunde geht das ganz einfach, etwas so:
„Strategischer Konsum hilft: Wenn Ihnen Vielfalt im Netz wichtig sind, nutzen und fördern Sie Alternativen.“
Also weniger Netflix und mehr "Tatort".
[+++] Ösiplag mit deutscher Connection: Der österreichische Verlagsmanager Hermann Petz hat ein Buch verfasst, bei dem er sich großzügig bei deutschen Medienwissenschaftlern bedient haben soll. Das hat der Blogger Markus Wilhelm entdeckt. Der Standard fasst die wenig anregende Kernthese des Werkes "Die Zeitung ist tot?" Es lebe die Zeitung!" so zusammen: „Journalistische Qualität kann nur auf Papier gedruckt stattfinden.“
Hermann Petzist laut Standard neben seiner Funktion als Vorstandschef der Moser Holding auch Schriftführer des Verbands Österreichischer Zeitungen (VÖZ) und im Vorstand der Austria Presse Agentur (APA). Neben dem deutschen Journalisten und Medienwissenschaftler Christoph Fasel, der allerdings als eine Art Co-Autor fungiert haben soll, habe sich Petz auch bei heise.de, handelsblatt.com und dem Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen bedient. Christoph Fasel erklärte dem Standard:
"Es handelt sich bei dem Buch von Hermann Petz nicht um ein wissenschaftliches Werk, sondern um einen Essay. Ich gab meine Zustimmung, dass meine Gedanken verwendet werden, im Quellenverzeichnis sind meine Bücher gelistet."
Man darf gespannt auf die Reaktionen der anderen „Co-Autoren“ sein.
[+++] Bilder sollen nicht mehr lügen: Heise.de weiß, dass die Nachrichtenagentur Reuters ihren freien Fotografen keine Fotos mehr im „Raw“-Format abnimmt. In der Vergangenheit wurden bei Wettbewerben immer wieder Aufnahmen von Jurys aussortiert, die nachträglich bearbeitet worden waren und dann im auch bei Normalknipsern JPEG-Format eingereicht wurden. Jetzt sollen die Profis gleich im komprimierten, aber weniger leicht manipulierbaren Format fotografieren. Das ist eine gute Entscheidung, denn das Vertrauen in Pressebilder hat in den letzten Jahren zunehmend abgenommen, wobei die „Lügenpresse“-Schreihälse auch schon bislang nicht zwischen Reportern, Fotografen und Kameraleuten unterschieden haben.
Altpapierkorb
+++ Abschiede: Die FAZ erinnert ohne erkennbare Quellenangabe an alleine im laufenden Jahr 50 weltweit getötete Journalisten. Das traurige Fazit: „Die Motive hingegen sind immer wieder dieselben: Korrupte Regierungen, religiöse Fanatiker und mächtige Drogenkartelle.“
+++ Abschied: Manfred Harnischfeger (71) ist tot. Der ehemalige Bertelsmann-Sprecher und Spin Doctor ist damit in diesem Jahr der zweite Todesfall im Umfeld des einstigen Bertelsmann-Bosses Thomas Middelhoff. Im Sommer starb der ehemalige AOL-Europa- und Bertelsmann-Manager Andreas Schmidt in Panama. Ex-Gruner-+-Jahr-Sprecher Kurt Otto erinnert bei turi2 an das professionelle Selbstverständnis Harnischfegers: „Für seinen Bereich des Kommunikationsmanagements empfahl er Interessierten die Sekundärtugenden Fleiß, Dienstbarkeit und Eigenständigkeit. Man müsse in seinem Metier den anderen davon überzeugen, gleichzeitig nützlich und ein guter Kumpel sein zu können, ohne viel Führungsaufwand zu benötigen.“
+++ Expansion: „Die Huffington Post will ihre internationale Expansion weiter forcieren. Innerhalb der nächsten zehn Jahre soll die Onlinezeitung in insgesamt 50 Ländern mit eigenen Editionen präsent sein. Derzeit hat die Huffington Post 15 internationale Ausgaben.“ Das berichtet Franz Scheele für den Kontakter. Native Advertising mit den Schwerpunkten „Gesundheit“ und „Achtsamkeit“ solle das nötige Geld einspielen.
+++ Mehr Native Advertising: Daniel Bouhs prophezeit der bisweilen perfiden Art, Lesern bezahlte Artikel als Journalismus unterzujubeln, in der taz den baldigen Niedergang: „Dabei droht dem dezenten bis unterschwelligen Native Advertising aber dasselbe Schicksal wie den aufdringlichen Werbebannern. Die Entwickler von Adblock Plus planen, auch diese Form zu blockieren.“
+++ Roboterjournalismus: Wie turi2 meldet, lässt der Bremer Weser-Kurier seine Fußball-Spielberichte von der 4. Liga abwärts künftig von der Software „rtr textengine“ auf Basis von Daten der Vereine generieren. Ob die Texte vor Drucklegung noch von Redakteuren angefasst werden, ist nicht bekannt.
+++ Boykott: Die WAZ berichtet, weshalb sie nicht über ein Pressegespräch von Herbert Grönemeyer berichtet: „Doch sollten die Journalisten dazu eine schriftliche Vereinbarung unterzeichnen, die dem Künstler im Extremfall einen massiven Eingriff in die Berichterstattung ermöglichen würde. So sah die Vereinbarung vor, dass nicht nur die Zitate im Interviewtext autorisiert werden sollten, sondern auch 'Zitate auf dem Titel, in der Überschrift und in Bildunterschriften'. Darüber hinaus sollte zuvor abgesprochen werden, welche Fotos im Zuge der Berichterstattung benutzt werden dürfen.“ Eine nachvollziehbare Entscheidung.
+++ Listicle-Meta-Medienkritik: "Deutschland 83" spielt (auch) in Berlin, die aktuelle Staffel von "Homeland" sowieso, aber was wäre, wenn auch „The Big Bang Theory“ dort angesiedelt wäre? Sebastian Fiebrig hat das für Buzzfeed Deutschland durchgespielt und dabei auch an die Medien-Nerds gedacht: „15. Als Sheldon mal beim Deutschlandfunk in der Sendung 'Wissenschaft im Brennpunkt'' eingeladen wird, spielt ihm Barry Kripke einen Streich.“ Die gesamte Liste umfasst 62 (!) größtenteils amüsante Punkte.
Neues Geschenkpapier gibt es wieder am Freitag.