Der Begriff „Flüchtlingskritiker“ ist nicht mehr ganz neu, zu den Euphemismen der Stunde kann man ihn dennoch zählen. Gerade ist er aufgetaucht im Vorspann eines Kommentars der Berliner Zeitung zur Pegida-Demonstration an diesem Montag: Die dort ungestört zur Schau gestellte „Galgen-Attrappe“ für Angela Merkel und Sigmar Gabriel sei „ein Symbol für das steigende Gewaltpotenzial von Flüchtlingskritikern“.
So verharmlosend der Begriff im Vorspann auch ist [Nachtrag, 19.42 Uhr: Die Formulierung wurde mittlerweile geändert], so plausibel ist Steven Geyers Bemerkung, dass die Aufregung über den Galgen zumindest in einer Hinsicht übertrieben sei:
„Denn ist die Sicherheit von Merkel und Gabriel in Dresden wirklich in Gefahr? Wohl kaum. Dagegen werden von der Pegida-Bühne bereits seit Monaten regelmäßig die Namen missliebiger Journalisten laut verlesen und ausgebuht. Der vorbestrafte Vordenker Lutz Bachmann gibt dazu, auch schriftlich, die Parole aus: ‚Merkt euch die Namen!‘“
Näheres zur Gefährdung von Journalisten durch das braune Milieu findet man auch in einem Artikel in der heutigen Ausgabe der Mitteldeutschen Zeitung, jedenfalls deutet eine Pressemitteilung der Zeitung darauf hin.
Um zum Thema Verharmlosung zurückzukommen: Davon ist auch ein Kommentar der Sächsischen Zeitung nicht frei - und das, obwohl er eine instruktive, an Klarheit nichts zu wünschen übrig lassende Beschreibung der Ereignisse enthält:
„Schon der Aufruf zur jüngsten Montagsdemo durch Pegida-Mitgründer Lutz Bachmann las sich als einzige Gewaltandrohung. Merkels ‚Kumpanen kommen auch nicht ungeschoren davon‘, schrieb er, jeder ‚Rote Volksverräter ... bekommt die Quittung für seinen Vaterlandsverrat‘ beziehungsweise ‚seine gerechte Strafe‘. Das fügt sich, gerade in Verbindung mit den Pegida-Hashtags MerktEuchDieNamen und JudgementDay (Tag der Abrechnung), zum erstaunlich offenherzigen Zukunftsversprechen einer standgerichtlichen Blut- oder Lynchjustiz, wie es nach 1945 nur noch vereinzelt von der NPD zu hören gewesen war. Und wie es heute von radikalen Islamisten zu hören ist, etwa dem IS.“
Verharmlosend ist dann aber das Fazit, das fast schon im Widerspruch steht zu dem vorher Geschriebenen:
„Misst man Pegida (...) auch an den Worten ihrer Redner, wird klar, dass die Bewegung von einer anfangs politisch teils heterogenen Gemeinschaft von Kritikern der Asylpolitik längst zur eindeutig rechtspopulistischen Gruppierung geworden ist.“
Der - auch - für die Sächsische Zeitung als Autor tätige Michael Bittner wird in seinem eigenen Blog deutlicher, er bezeichnet Pegida als „neofaschistische Bewegung“ - ausgehend von einem Vergleich der Pegida-Ideologie mit Joseph Goebbels' Propagandaschrift „Der Nazi-Sozi. Fragen und Antworten für den Nationalsozialisten":
„Wenn Pegida hier als faschistische Bewegung begriffen wird, so impliziert das nicht die Behauptung, jeder Anhänger oder auch nur die Mehrheit von ihnen hätte eine ideologisch verfestigte faschistische Weltanschauung. Aber der Charakter und die Dynamik einer solchen Bewegung wird eben nicht von den Mitläufern bestimmt, besonders wenn diese wie in Dresden so schafsmäßig gleichgeschaltet ihren Führern kritiklos zujubeln und hinterhertrotten. Eben diese Führer bestimmen darüber, wohin sich Pegida bewegt. Und an der Richtung kann es ein Jahr nach der Gründung kaum mehr einen Zweifel geben.“
[+++] Wenn man denn schon mit dem Begriff Rechtspopulismus operieren will: Angemessen zu sein scheint er mir derzeit für jene Journalisten, die es sich rechts von Angela Merkel gemütlich gemacht haben (so wie dieser akademische Kamerad, um mal auf ein aktuelles Beispiel hinzuweisen) und/oder das Lied von den Kapazitätsgrenzen (siehe Altpapier) singen.
„Günter Piening, ehemaliger Integrationsbeauftragter Berlins, nennt die mediale und politische Belastungsrhetorik rund um die Frage ‚Was können wir verkraften?‘ absurd. ‚Wer genau meldet sich hier mit seiner Angst zu Wort? Wovor genau hat er Angst? Kriminalität? Leistungseinschränkungen? Und an wen richtet er daraus abgeleitete Beschwerden?‘“
schreibt Spiegel Online in einem Bericht über die zweite Bundeskonferenz der Neuen Deutschen Medienmacher, einen Zusammenschluss von Medienschaffenden mit Migrationshintergrund. Piening nahm an der Konferenz teil.
In der vergangenen Woche hat Hans Hütt (anlasslos.de) dieses Milieu psychologisch folgendermaßen analysiert:
„Spott und Hohn gegen die Gutmenschen bezeugen fehlgeleitete aggressive Impulse. Ebenso wie die Scheinrationalität der Kapazitätsbeschwörer und Ursachenbekämpfer erfüllen sie symptomatisch, was Sigmund Freud als „Ersatzhandlung“ beschrieben hat.“
Zumindest teilweise in den Kontext passt, was Aram Lintzel in der taz (Dienstags-Ausgabe) beschreibt:
„Auch in den Feuilletons ‚kippt die Stimmung‘, wie die Formel des Augenblicks lautet, und die ‚Willkommenskultur‘ gerät immer mehr unter Druck. In der aktuellen Zeit bringt Adam Soboczynski die neue deutsche Härte auf den Punkt, wenn er die ‚naive Menschlichkeit‘ und die ‚rückhaltlose Begrüßung des Fremden‘ beklagt.“
[+++] Brauchen wir ein bundesweites Presseauskunftsgesetz? Diese Frage wirft ein Beschluss der Bundesverfassungsgerichts auf, eine Beschwerde des Bild-Reporters Hans-Wilhelm Saure nicht zur Entscheidung anzunehmen. Worum geht es?
„Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen ein klageabweisendes Urteil des Bundesverwaltunsgerichts (BVerwG) aus 2013 (...) Der Journalist hatte zuvor, im November 2010, beim Bundesnachrichtendienst (BND) Auskünfte über die NS-Vergangenheit von hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern verlangt und sich hierbei auf das Bayerische und das Berliner Pressegesetz sowie auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG) gestützt. Die Informationen lagen, so die Reaktion des BND, zu einem wesentlichen Teil nicht vor, sondern sollten erst von einer eigens zur Aufklärung der Geschehnisse eingesetzten Unabhängigen Historikerkommission erarbeitet werden“,
schreibt Legal Tribune Online. Ob man es wirklich glauben kann, dass dem BND die gewünschten Informationen „zu einem wesentlichen Teil“ nicht vorliegen, ist eine nicht uninteressante Frage, aber in der aktuellen Debatte um das Urteil geht es um Formalrechtliches: Positiv sei zu konstatieren, dass das Verfassungsgericht deutlich gemacht habe, dass
„auch auf Bundesebene das Niveau der Landespressegesetze maßgeblich ist“,
bemerkt kress.de. Die vom Branchendienst ausführlich zitierte grüne Medienpolitikerin Tabea Rößner meint:
„Dennoch verbleibt hier ein tatsächlicher Auslegungsspielraum, der besser geschlossen werden sollte.“
So sehen es, siehe ebenfalls kress.de, auch DJV und dju. Wer nur einen kürzeren Text zu dem Thema lesen will: Auf der SZ-Medienseite steht einer - mit der hübschen Überschrift „Black Box BND“.
[+++] Dass die Ankündigung des US-amerikanischen Playboy, ab 2016 auf die Abbildung nackter Frauen zu verzichten (siehe Altpapier), einige feuilletonistische Ergüsse (pardon!) nach sich ziehen wird, war absehbar. Bernd Graff schreibt in der SZ über das auf der Titelseite annoncierte „Ende einer Ära“:
„Der amerikanische Kulturkritiker Dave Hickey verglich (Hugh) Hefners Welt mit der eines Papstes zur Zeit Tizians. Hefner zeige eine ‚vollkommen renaissancehafte Mischung aus erotischen Vorlieben, Stilstreben, ästhetischem Ehrgeiz und Formbewusstsein.‘ Damit wurde eine Lebensform nobilitiert, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Mann auf die Rollen des treu sorgenden Familienvaters oder Kriegers festlegte, und bereicherte sie um die des genießenden Single und Connaisseurs.“
Mein lieber Herr Gesangsverein! Auch nicht von schlechten Eltern: Arno Widmanns Beitrag für die Frankfurter Rundschau:
„Der kunsthistorisch geschulte Blick erkannte sofort in den Bildern von Marilyn Monroe, June Wilkinson, der siebzehnjährigen Donna Michelle Wiedergeburten der Schönheiten der französischen Salonmalerei des 19. Jahrhunderts.“
Ranzigkeit kennt keine Grenzen, Ranzigkeit kennt keine Pardon. Und persönlich wird Widmann dann ooch noch:
„Den ersten Playboy sah ich Anfang der 60er Jahre. Einer hatte ihn mit ins Internat gebracht und wir steckten alle gemeinsam die Köpfe hinein. Ich weiß nicht mehr, wer das Centerfold war, geschweige denn welche Artikel in dem Heft standen. Aber 1946 in Frankfurt am Main geboren, las ich den Playboy immer wieder. Einige Playmates kamen in mein – gar nicht so – privates Traumteam (...) Allen voran die großgewachsene Engländerin Marilyn Cole aus dem Jahre 1972. Sie war das erste Playmate, das man nackt von vorne sah. Ich muss gestehen, das war mir nicht einmal aufgefallen. Ich lese das jetzt, während ich diesen Artikel schreibe. Damals war wichtig, dass sie groß war und sich so von meiner Gattin unterschied, der ich, von Ausflügen in die Pinup-Welt abgesehen, treu war.“
Schön, dass wir das jetzt wissen.
[+++] Mein Lieblingstweet des gestrigen Tages lautet:
„Auch die Agenten angelsächsischer Heischewirtschaft werden noch hilflos im Twitterfreibier atomisiert untergehen.“
Es handelt sich hier um eine - nur leicht übertriebene - Komprimierung eines Textes, den der Antidigitalisierungs-Kreuzzügler Roland Reuß bei der FAZ abgeliefert hat. Sein Antrieb, laut Vorspann:
„Eine von Freibierphantasien benebelte Bibliothekslobby lässt alles digitalisieren und bringt es kostenlos in Umlauf. Und der Bundesgerichtshof gibt auch noch seinen Segen dazu. Es ist eine Schande.“
Die erheiterndste Passage aus Reuß‘ Text:
„Den Chinesen kommt man bei politischen Verhandlungen gerne mit den Menschenrechten. Wenn es um die Rechte von Autoren und Verlagen geht, reicht dem Bundestag und dem BGH der weißrussische Ansatz.“
Von „eigenartigen Konsortien angelsächsischer Heischewirtschaft“ und dem „Terror der Mehrheit, die Freibier für alle will“, ist auch die Rede. Mit Dank an Christian Y. Schmidt für seine Zitatvorauswahl.
Altpapierkorb
+++ „Die ursprünglich von den Chefs im Mainzer Sendehaus des SWR erdachte Konstruktion ist dem Vernehmen nach (...) gestorben – weil sie ruchbar geworden ist.“ Mit diesen Worten geht Michael Hanfeld in der FAZ auf eine unlängst kritisierte Kooperation zwischen dem Sender und der Mainzer Allgemeinen Zeitung ein, die hier vor einer Woche kurz angerissen wurde.
+++ Zu den Gedankenexperimenten des Landes Thüringen, aus dem MDR aus- und beim HR einzusteigen - siehe Altpapier von gestern sowie vergangenem Mittwoch (im Korb) - hat die SZ beim HR nachgefragt: Es liege „bisher keine Anfrage aus Erfurt vor“, man messe „dem Ganzen keine hohe Bedeutung zu“, wird eine Sprecherin zitiert. „Frühestens zum 31. Dezember 2021“ sei der Ausstieg überhaupt möglich, informiert uns Bülend Ürük (kress.de): „Schon der Gedanke, von einem öffentlich-rechtlichen zum anderen Sender zu wechseln, (ist) ein Politikum, das in den kommenden Tagen noch für viel Diskussionsstoff sorgen wird. Denn - wie unabhängig können Intendanten ihre Anstalten noch formen, wenn sie sich davor fürchten müssten, dass eines der sie tragenden Bundesländer ausschert, weil ihm eine Entscheidung nicht passt?“ schreibt er des weiteren.
+++ Man kann an dieser Stelle daran erinnern, dass Ende der 1970er Jahre schon mal Länder raus wollten aus einem Sender. 1978 kündigte Gerhard Stoltenberg (CDU), der damalige christdemokratische Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, den NDR-Staatsvertrag, Niedersachsen wollte sich anschließen. Über die Hintergründe (und warum dann alles doch anders kam) schreibe ich ich in der Medienkorrespondenz im Rahmen eines Rückblicks auf das 50-jährige Jubiläum des NDR Fernsehens.
+++ Ebenfalls in der MK: Oliver Castendyk geht auf bisher weniger beachtete Aspekte des Produzentenberichts von ARD und Degeto ein, in dem der Senderverbund und seine Tochter erstmals Aufschlüsse darüber geben, „wie viel Geld bei den Auftrags-, Ko- und Mischproduktionen an abhängige bzw. unabhängige Produzenten fließt“. Unter anderem geht es um den gerade erwähnten HR: „Der Bericht beweist, dass es nur noch eine Landesrundfunkanstalt gibt, die ihre Sendungen fast ausschließlich selbst produziert, wie es vor 50 Jahren bei allen öffentlich-rechtlichen Sendern üblich war. Der Hessische Rundfunk (HR) sieht sich deshalb auch bemüßigt, diese im gesamten Wirtschaftsleben inzwischen ungewöhnlich gewordene Strategie (...) näher zu begründen. Ob Eigenproduktionen, wie der HR vorträgt, qualitativ und wirtschaftlich erfolgreicher sind als Auftrags- oder Koproduktionen, ist eine Frage, die man allerdings seriös erst dann beantworten kann, wenn auch die Zahlen zu den Eigenproduktionen in miteinander vergleichbarer Form vorliegen. Dies ist jedoch, obwohl von der Finanzkommission KEF mehrfach gefordert, noch nicht der Fall.“
+++ „Vor allem dank der großartigen Hauptdarsteller und der starken Bilder hätte dieser Film durchaus Kinoformat“, schreibt Joachim Käppner in der SZ über den ARD-Mittwochsfilm „Unterm Radar“. Inwiefern die Bilder „stark“ sind, wird nicht so klar, also schalten wir rüber zu Oliver Jungen (FAZ), der in seiner Rezension des Films, der „nach den Grenzen der Freiheit fragt“, schreibt: „Das größte Schreckensbild dieses sorgfältig inszenierten Films brennt sich ein: die Ruine eines in die Luft gesprengten Linienbusses mitten auf dem Berliner Gendarmenmarkt. Der Regisseur Elmar Fischer zeigt uns den Anschlagsort zunächst als Nachrichtenbild, ein Stillleben, das vom hyperventilierenden Atmen eines Betrachters begleitet wird. Später werden verschiedene Ansichten der Detonation hinzukommen, allesamt indirekt, wie von diversen Überwachungs- und Handykameras zufällig eingefangen, meist ohne Ton. Das hat Methode, verzichtet bewusst auf jede hochauflösende Kinooptik und wirkt ebendeshalb erschreckend real.“ Der Tagesspiegel bemerkt: „Während aus der Idee zu einem Drehbuch der Film wurde, hatte die Autorin (Henriette Buëgger) immer die Sorge, dass die Realität die Fiktion einholen könnte.“
+++ Ebenfalls im Tagesspiegel: US-Korrespondentin Barbara Junge analysiert die „erste TV-Debatte der demokratischen Präsidentschaftskandidaten“: „In der Mitte der Bühne (...) warfen Bernie Sanders und Hillary Clinton mit den Kampfbegriffen der Arbeiterklasse um sich.“ Uiuiui, Hillary, Kampfbegriffe, Arbeiterklasse - das alles in einem Satz. Hätte ich vor der Lektüre dieses Artikels ja nicht für möglich gehalten.
+++ Thomas Stadler greift in seinem Blog einen NDR-Bericht auf, „wonach Kriminelle im Netz gestohlene Identitäten missbrauchen und u.a. Onlineshops unter falschem Namen eröffnen“. Der Bericht sei „alarmistisch und auch juristisch falsch“.
+++ „Ich habe im vergangenen Jahr (...) so viele gefakete Interviews mit angeblichen Vertretern des Islamischen Staates, habgierigen Flüchtlingsschleppern und sonstigen Blödsinn gelesen, dass mir immer noch ganz schwindelig wird“, lautet eine der Antworten der in Istanbul lebenden Filmemacherin Sabine Küper-Büsch im Journalistenfragebogen der Prinzessinnenreporter. Details dazu würden mich ja sehr interessieren. Dazu dann gegebenenfalls später mehr.
Neues Altpapier gibt es am Donnerstag.