Die Gesichtszüge der Kanzlerin

Die Gesichtszüge der Kanzlerin
Zur Kommunikationslinie der Bundesregierung gehören ein neuer Instagram-Aufritt, schon traditionsreiche Internetausbau-Broschüren und vielleicht sogar, wenn sie halt kommen, "Jubelägypter". Eher nicht dazu gehören Leaks ihrer "Kommunikationslinien" gegen "Negativschlagzeilen in der Presse". Aber es gibt nun wohl eines. Außerdem: Neues vom Presserat.

Die Bundespressekonferenz ist in letzter Zeit kein Ort, an den die Medien gespannt schauen, außer vielleicht auf die schwierigen, aber auch umfänglich gewürdigten Performances des früheren "heute journal"-Moderators Steffen Seibert.

Aber gestern war großes Hallo am Schiffbauerdamm 40. Gestern gastierte der ägyptische Präsident Abdelfattah al-Sisi in der deutschen Hauptstadt. Im Vorfeld hatten etwa die Reporter ohne Grenzen auf Medienschaffendenverfolgung in Ägypten ("wegen vorsätzlicher Verbreitung falscher Nachrichten") hingewiesen, hatte aber auch, wie hier erwähnt, die ägyptische Regierung zwei ganze Anzeigen-Seiten in der FAZ gebucht, für einen "Offenen Brief an den deutschen Bundestag" und für die zeitungsähnlich gestaltete Seite "Ägyptens Weg in die Zukunft". Das hindert FAZ-Reporter nicht, kritisch über das Land zu berichten, sogar zwischen den beiden Anzeigenseiten. Für faz.net beleuchtete Markus Bickel ebenfalls die Lage der Journalisten in Kairo, und aus der Bundespressekonferenz berichtet ebd. Majid Sattar:

"Der ägyptische Gast glaubte wohl zu wissen, was ihn in der Pressekonferenz erwarten würde. Allein achtzig Journalisten hatte er selbst mit nach Berlin gebracht. Und auf die konnte er sich verlassen. Als er bemerkte, das ägyptische Volk habe auf der Straße seinen Willen zum Ausdruck gebracht, als es sich gegen seinen Vorgänger Mohammed Mursi wandte, brandete Applaus unter den Claqueuren auf, allesamt westlich gekleidete Männer und Frauen des säkularen Teils der Gesellschaft. Die Kanzlerin hatte da ein erstes Mal Schwierigkeiten, ihre Gesichtszüge zu kontrollieren. So etwas hat auch sie offensichtlich in ihrem Dienstsitz noch nicht erlebt."

Wobei es auch die Ansicht gibt, die Kanzlerin hätte das durchaus so geplant (Michael Thumann, der bei zeit.de auch von "peinlichen Jubelägyptern") schreibt.

[+++] Wo jedenfalls die Gesichtszüge sitzen, und zwar vielfach: auf instagram.com/bundeskanzlerin.

Den frisch freigeschalteten Auftritt auf der "Plattform ..., auf der Nutzer kostenlos Fotos teilen können", also im Foto-Netzwerk des Datenkraken Facebook, hat der Tagesspiegel schon leidenschaftlich durchgeklickt:

"Bislang waren es aber vor allem die Nutzer mit dem Namen @cdu_hamburg, die Merkels Bilder nahezu durchgeliked haben. Allerdings: Bis Mittwochnachmittag waren auch erst 46 Bilder unter @bundeskanzlerin zu finden. Immerhin knapp über 1000 Follower zählte der Account da schon - und was nicht ist, kann ja noch werden. Vielleicht hat Barack Obama ja noch einige Instagram-Tipps für Merkel parat."

Und wenn nicht, hätte das Berliner Blatt unter der Sexy-SEO-Überschrift "Was die Kanzlerin von Kim Kardashian lernen kann" noch Tipp-Tipps parat.

Unterdessen haben die Diskussionen, die Nutzer neben den gratis teilbaren Fotos führen können, sich inzwischen übrigens vor allem in kyrillisch geschriebene Sprachen verlagert. Was für die Verantwortlichen im Sinne des Presserechts kein Problem darstellen dürfte. Selbstverständlich hält sich @bundeskanzlerin an die Gesetze, von denen sie manche schließlich selbst mitgeprägt hat. Das Impressum springt im Instagram-Auftritt ins Auge und verweist auf eine Internetredaktion mit durchaus starker Man- bzw. vor allem (unterhalb der Chefebenen) Womanpower; da sollte wohl jemand russisch können. Selbstverständlich sitzt die Redaktion im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, dem seit 2010 von Staatssekretär Seibert geleiteten Laden mit der schönen E-Mail-Adresse internetpost@bundesregierung.de.

[+++] Die Leistungen dieses Ladens auch bereits unter Seiberts Vorgänger Ulrich Wilhelm, inzwischen ja eine wichtige Persönlichkeit unseres Rundfunksystems, würdigt Sascha Lobo in seiner neuen SPON-Kolumne. Dabei konzentriert er sich, nachdem er die Youtube-Remixe des Seibert-Fanboys Tilo Jung ausreichend verlinkt hat, auf die in Broschüren oder anders publizierten Internet-Ausbau-Versprechen der seit 2005 verantwortlichen, von stets derselben Kanzlerin geleiteten Bundesregierungen. Lobo legt los mit einem Zitat aus einer ganz frisch erschienenen Broschüre, auf deren Download hier (digitale-agenda.de) ein raffiniertes Supersymbolfoto Lust macht:

"'Bis 2018 sollen alle Haushalte über schnelles Internet verfügen.' Diese Ankündigung macht wirklich Mut. Anfang 2008 wollte die Regierung Merkel das Problem fehlender Breitbandanschlüsse 'binnen 12 Monaten lösen' . 2009 traute sich Merkel zu sagen: 'Wir haben uns sehr ambitionierte Ziele gesteckt, nämlich den Zugang zum Breitband erst einmal in der schmalen Variante von einem Megabit…'. Außerdem versprach Merkel drei Viertel der Haushalte 50 Mbit/s bis 2014, 'und zwar mindestens'. 2010 bekräftigte sie beide Zahlen ..."

Undsoweiter. Lobos Fazit: "Die in der Digitalen Agenda vorgetragene Breitband-Strategie ist nicht bloß Quark, sondern Traditionsquark seit 2005." Wobei eben auch Traditionsquark klein angefangen hat ...

[+++] Jedenfalls macht die Bundesregierung sich echt Gedanken, wie sie in den Öffentlichkeiten rüberkommt. Wie sehr "Negativschlagzeilen in der Presse" bestimmen, was die Regierung so tut, beweist auch eine Veröffentlichung, die mal nicht von ihrem Presse- und Informationsamt kommt, ja, gegen die sie vielleicht sogar etwas hat. Sie könnte ein recht heißes Eisen sein. Netzpolitik.org scheint sich die eigentlich "nur für den Dienstgebrauch" vorgesehenen Dokumente "Stand der Verhandlungen mit den USA zu einer Vereinbarung zwischen BND und NSA sowie zu einer politischen Erklärung" und die dazu konzipierte "Kommunikationslinie" "organisiert" zu haben. In ersterem Dokument soll dem Blog zufolge stehen:

"Im Laufe der Verhandlungen zu einer Vereinbarung zwischen den Diensten ist deutlich geworden, dass die USA nicht bereit sind, alle unsere Petita zu berücksichtigen. Dies gilt vor allem für die Respektierung deutschen Rechts bei Aktivitäten der Fernmeldeaufklärung (SIGINT) auf deutschem Boden sowie die die Zusage, bei nachrichtendienstlichem Vorgehen mit Auswirkungen auf den Partner dessen Interessen maßgeblich zu berücksichtigen ..."

Und weiter unten:

"Hinweise auf einen möglichen Abbruch der Verhandlungen zu einem Abkommen zwischen den Diensten haben bereits für Negativschlagzeilen in der Presse gesorgt ..."

Was dann zur noch weiter unten angefügten, beinahe etwas Mitleid erregenden "Kommunikationslinie" führte. Die nun womöglich gegen die schon mehrfach gestreiften, aber halt auch vielfachen "Bestes Wissen und Gewissen"-Formulierungen der Regierungssprecher verwendet werden könnte.


Altpapierkorb

+++ "Klickt mal wieder zum Presserat (Pressemitteilungen)", hieß gestern einer unser weiterführenden Links. Es gäbe auch Grund, gleich an diesem Donnerstag wieder dorthin zu klicken. Bei seinen Beratungen zur Berichterstattung über den Germanwings-Absturz hat der Presserat die Bild-Zeitung erneut gerügt, zum 162. Mal wohl (Altpapier gestern), wie der Bildblog und sein Beziehungspunkt jeweils twitterten. Allerdings wohl nicht-öffentlich, weshalb sich in den Presserats-Pressemitteilungen auch nichts geändert hat. +++

+++ Indes hatte faz.net wegen der vergleichsweise harmlos erscheindenden, nach Umwegen durch mecklenburg-vorpommernsche Instanzen weniger harmlosen "Rabauken"-Frage des Nordkuriers (siehe zuletzt dieser Altpapierkorb) beim Presserat angefragt. "Es trifft jedenfalls nicht zu, dass der Beschwerdeausschuss über den Text und insbesondere die Überschrift eine dezidierte Entscheidung getroffen hätte", wird Pressereferent Oliver Schlappat zitiert. +++

+++ Die TAZ gestattet sich heute zum ägyptischen Staatsbesuch übrigens einen etwas seltsamen Titelseiten-Scherz. +++

+++ "Bei tagesschau.de verschwand die journalistische Distanz noch schneller" als bei Spiegel Online: Da hat Stefan Niggemeier in seinem Blog die sehr gut vergleichbaren Vermeldungen der News über vielleicht gefälschte russische Fotos zum Abschuss des Malaysia-Airlines-Flugzeugs auf deutschen Nachrichtenportalen verglichen. +++

+++ Neues zum 2016 erwarteten öffentlich-rechtlichen Onlineangebot für die Jugend hat dwdl.de der Horizont entnommen, die das aktuelle Konzept auch schon ins Netz gestellt hat. +++

+++ In derselben Werberzeitung kündet Ulrike Simon von vielleicht ein bisschen neuer Aufregung im Sturmgeschütz der Demokratie. Soll der Kultur Spiegel, das Supplement zum Heft, verändert , vielleicht gar in Spiegel Kultur umbenannt werden, wenn Volker Weidermann zum Fernsehgesicht aufsteigt? Siehe auch meedia.de. +++

+++ Sehr aufmerksamen Lesern fiel auf, dass gestern hier die FAZ-Medienseite gar nicht vorkam. Weil das Blatt aus dem gar nicht besonders katholischen Frankfurt am Main am katholischen Feiertag Fronleichnam nicht erscheint, wird das heute nachgeholt: Die FAZ sprach mit dem Autor der "Comedy über die Grenze", die deutsch-deutsche, mit deren Dreh die ARD gerade begann. "Es ist eine Koproduktion von Bayrischem und Mitteldeutschem Rundfunk unter Regie von Paul Harather. Ich bin hinzugebeten worden, weil ich ein ostdeutscher Humorist im richtigen Alter bin, also noch ein bisschen DDR-Deutsch kann, und meine Frau an der Grenze großgeworden ist", sagt Stefan Schwarz. "Man darf den Errichtern dieser Mauer nicht den Triumph lassen, sie nur als Schrecken zu umschleichen. Man muss sie auslachen. Unter anderem auch deswegen, weil schon die Grenzsoldaten sich über sie lustig machten. Die Abkürzung von 'Grenztruppen' war GT, was unter der Hand sogar bei den Offizieren als 'Gammeln und Triefen' übersetzt wurde", gibt er schon mal einen Vorgeschmack. +++ Ferner bespricht Michael Hanfeld die neue ZDF-Sitcom ". . . und dann noch Paula", die heute abend bei ZDF-Neo anläuft. "Für eine Sitcom vom Lerchenberg ist diese Reha-Maßnahme in Sachen Humor gar nicht schlecht geraten". +++ Einen erschütternden Bericht aus der Welt gibt es ebenfalls. "Zwei Journalisten, die in brasilianischen Lokalmedien über Bandenkriminalität und Korruption berichten, werden verschleppt; kurz darauf werden ihre übel zugerichteten Leichen gefunden. Sie weisen Folterspuren auf", schreibt Matthias Rüb. +++

+++ Indes von "Tiraden Erdogans gegen Medien in der jüngsten Zeit" berichtet Deniz Yücel in Springers Welt aus der Türkei. +++

+++ Noch'n Nachtrag: Wilfried Urbe ging in der TAZ gestern den "rund 400.000 Euro pro Jahr" nach, die die Bundeszentrale für politische Bildung "in 'zielgruppenspezifische' TV- und Web-Formate" investiert und die u.a. der RTL2-Serie "50667 Köln" zu Gute kamen. +++ Und falls Sie noch nicht von den deutschen Darstellern in der neuen "Homeland"-Staffel gelesen haben: Tsp.. +++

+++ Außerdem schildern derzeit viele ambitionierte Rezensenten ambitioniert, wie Olli Dittrich für die ARD einen Franz-Beckenbauer-Doppelgänger spielt (frei online etwa im Tagesspiegel). +++ "Aber nicht nur Beckenbauer kriegt sein Fett weg. Es soll ein omnipräsentes TV-Format vorgeführt, ja entlarvt werden: die investigativen Dokumentationen, auf die sich die Öffentlich-Rechtlichen, die ARD noch ein bisschen mehr als das ZDF, in Sachen Programmauftrag viel einbilden. Der altgediente ARD-Zuschauer wird die Vorbilder der Sendung 'Historystory Spezial' unschwer ausmachen. Dittrich und Ko-Autor/-Regisseur Tom Theunissen haben sie sich genau angeguckt und gut zugehört. Dass Sprecher Mark Bremer den Ton so präzise trifft, kommt nicht von ungefähr - er ist regelmäßig als Sprecher für die journalistischen Formate von ARD und ZDF im Einsatz. Er beherrscht diesen spezifischen, scheinbar sachlich daherkommenden und dabei doch immer auch reißerischen Sound" (Jens Müller, TAZ). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

 

 

 

weitere Blogs

Warum Weihnachten hinter einer Mauer liegt und was sie überwinden kann.
In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.