Selbstbetrug und Feigheit

Selbstbetrug und Feigheit
Heute berichten wir über das Dilemma, indem sich Regierungssprecher Steffen Seibert befindet. Im NSA-Skandal muss er sich zwischen Ahnungslosigkeit und einem politischen Skandal entscheiden. Wahrscheinlich siegt aber die Staatsräson.

Heute fällt uns nichts ein. Es geht uns damit wie der Zeit, die auf diese Weise ihren heutigen Titel gestaltet. Aber zum Glück haben die Kollegen in Hamburg ein Rennpferd wie Harald Martenstein im Stall. Er gibt uns „Feiglingen“ den „guten Rat“, wie man die Leere ausfüllt, der auch die Autoren dieser Medienkolumne ausgesetzt sind. So dürfen wir zitieren, was er heute auf Seite 57 auf das Papier gebracht hat.

„Du musst die viel begangenen Pfade verlassen, du musst bereit sein, dich zu entblößen und dich lächerlich zu machen. Du darfst nur nach Deinen eigenen Regeln spielen. Es muss dir egal sein, ob du dir Feinde machst, ob deine Freunde dir die Freundschaft kündigen, ob dein Zeug überhaupt gedruckt wird. Du brauchst Mut. Feiglinge schreiben keine guten Texten.“

Hier schreibt der Kolumnist Martenstein über den Kollegen Martenstein, der kein Feigling ist, sich entblößt und lächerlich macht, außerdem nach seinen eigenen Regeln spielt. Nur eine Frage muss er sich nie stellen: Ob seine Texte auch gedruckt werden. Die sind fest vereinbart. Aber will man wirklich eine Zeitung lesen, die nur von Mutigen bestückt worden ist? Das wäre auf Dauer recht anstrengend. Als Leser will man schließlich vor allem über das Tagesgeschehen informiert werden. Journalismus ist insoweit Handwerk, das weniger von Kreativität lebt, diesem laut Martenstein zu Tode gerittenen Gaul, als von solider Arbeit. Mutig muss man dafür zum Glück noch nicht (immer) sein.

+++ In der Zeit ist natürlich auch von der Bundesregierung zu lesen. Sie hatte 2013 den Mut des Wahlkämpfers bewiesen, der aus Rücksicht auf ein gutes Wahlergebnis schon einmal auf gute Texte verzichtet. Im Leitartikel zieht Mariam Lau aber seltsame Schlussfolgerungen über die „No-Spy-Affäre“. „Macht von uns aus weiter, was ihr wollt“, so Frau Lau über die vermutliche Sichtweise der damaligen Bundesregierung auf spionierende Verbündete aus Washington, „aber gebt uns öffentlich irgendein Zeichen“ mit dem „wir im Wahlkampf arbeiten können. Wir sind doch Freunde! Es kam aber - nichts, gar nichts.“ Woraus Frau Lau jetzt folgert, dass die Bundesregierung nicht das Volk, sondern „sich selbst belogen“ habe. Dafür muss man aber der Meinung sein, es mit Feiglingen zu tun zu haben. Die neigen bekanntlich zum Selbstbetrug.

Nur ist wohl eher von professionellen Politik-Handwerkern auszugehen, die kalkuliert handeln und jede ernsthafte politische Debatte über die politische Regulierung der Geheimdienste in digitalisierten Öffentlichkeiten vermeiden wollen. Die Bundesregierung, so ist das zu verstehen, teilt in Wirklichkeit die Implikationen des totalitär anmutenden Überwachungsstaates. Sie will sich den politischen Nutzen einer Kontrolle von Öffentlichkeiten nicht nehmen lassen. Dafür brauchte man nämlich eine entsprechende Einschränkung geheimdienstlicher Kompetenzen durch den Gesetzgeber. Das ist eine Machtfrage, wie in der FAZ heute richtigerweise formuliert worden ist. Worum soll es in der Politik denn sonst gehen? Mit solchen Überlegungen macht man sich aber bestimmt nicht nur Freunde, um Martenstein zu zitieren.

+++ Wikileaks gibt es noch. Sie haben gestern die Protokolle aus dem NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages online gestellt. Nun fahndet man in Berlin nach dem eifrigen Dokumentensammler, der diese Veröffentlichung erst möglich gemacht hat. Kurioserweise ist dort nichts zu finden, was schon bisher keiner journalistischen Aufarbeitung zugänglich gewesen wäre. Entweder konnten Journalisten bei diesen Sitzungen anwesend sein oder die Mitglieder dieses Ausschusses informierten die Presse über die Dinge, die in nicht-öffentlicher Sitzung besprochen worden waren. Jetzt hat jeder das Vergnügen, diese Protokolle selber lesen zu dürfen, was aber angesichts des Umfangs ein ambitioniertes Unternehmen ist.

Hier zeigt sich doch die Funktion des Journalismus. Dem Publikum jene Mühsal abzunehmen, um dem viel beschworenen „mündigen Bürger“ eine eigene Meinungsbildung zu ermöglichen. Schließlich muss dieser zumeist noch arbeiten, hat andere Interessen oder ihm fehlt das nötige Hintergrundwissen zur Einordnung solcher Aktenberge. Wie man in diesen Veröffentlichungen einen Skandal sehen kann, bleibt aber ein Rätsel. Nichts von Substanz, was in solchen Sitzungen gesagt wird, bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Wer etwas geheim halten will, informiert relevante Personen informell. Damit zieht man diese in Mitverantwortung, aber kann eventuelle Veröffentlichungen dementieren oder noch besser ignorieren. Falls aber etwas schief geht, sitzen die anderen mit im Boot. Das gehörte schon immer zum politischen Kalkül von Regierenden beim Umgang mit der Öffentlichkeit.

+++ Nun soll es schon Zeiten gegeben haben, wo Regierungssprecher erst aus der Presse erfuhren, was die Bundesregierung so treibt. Nicht jeder hatte so ein Vertrauensverhältnis zum Bundeskanzler wie der verstorbene Klaus Bölling zu Helmut Schmidt. Welches Verhältnis Steffen Seibert zu Angela Merkel hat, wissen wir nicht. Auf jeden Fall wäre es peinlich, wenn er in der Affäre um das nie geplante „No-Spy-Abkommen-mit-den-USA“ einräumen müsste, keine Ahnung vom politischen Kalkül der Kanzlerin gehabt zu haben. Das spräche nicht für ein Vertrauensverhältnis zur Kanzlerin. Oder soll man jetzt die Aussagen von Seibert in der Bundespressekonferenz so interpretieren? Tilo Jung hat die Höhepunkte des beredten Schweigens zusammengefasst. Seibert habe immer „nach bestem Wissen und Gewissen“ gehandelt. Mit anderen Worten: Er hatte keine Ahnung, was die eigene Bundesregierung macht.

Ein Regierungssprecher, der die Öffentlichkeit über deren Arbeit informieren sollte, macht nicht den besten Eindruck, wenn er so argumentiert. Seibert kann sich jetzt das Dilemma aussuchen. Entweder legt er Wert auf die Feststellung eigener Ahnungslosigkeit und offenbart damit seine politische Bedeutungslosigkeit. Oder er hat im Namen der Staatsräson gelogen. Die Staatsräson wäre hier das Interesse einer Bundesregierung an ihrer Wiederwahl und an der fortgesetzten Überwachung der Bürger. Seibert hätte damit zweifellos politische Bedeutung - und er wäre kein Feigling. Beides ist zugleich die Voraussetzung für einen politischen Skandal. Bekanntlich darf man sich als Politiker beim Lügen nicht erwischen lassen. Politik heißt die Ausübung von Macht. Jeder in solchen Funktionen neigt dazu, sie zu missbrauchen. Es ist die Aufgabe der Öffentlichkeit – und damit auch der Medien - diesem möglichen Missbrauch Grenzen zu setzen. Auf das gute Gewissen der Mächtigen zu setzen, wäre Selbstbetrug. Ansonsten hätte man nämlich die Idee der Gewaltenteilung nicht verstanden. So warten wir auf Steffen Seibert. Er sollte Harald Martenstein lesen. Feiglinge schreiben ja keine guten Texte.


Altpapierkorb

+++ Welchen Einfluss Medien haben, zeigt sich an einem Rundschreiben von Bernd Lucke. Er ist der noch nicht ausgetretene Bundesvorsitzende der AfD und sorgt sich um das Image der Partei. „Das erste Problem ist untrennbar verbunden mit dem Schmuddelimage, das politische und mediale Gegner der AfD in der öffentlichen Wahrnehmung verpasst haben. Hierauf gibt es in der Partei im wesentlichen zwei Reaktionen. Ein Teil der Partei hat sich damit abgefunden und betrachtet es als den notwendigen Preis, den man bezahlen müsse, wenn man gegen den „Mainstream“ agiere. Ein anderer Teil der Partei aber ist zunehmend besorgt, weil die Mitgliedschaft in der AfD immer öfter vom Arbeitgeber missbilligt wird, weil sie zu beruflichen Nachteilen führt, weil Kunden verloren gehen und weil man sich sozial ins Abseits gerückt sieht, wenn man merkt, dass Freunde und Bekannte, ja manchmal sogar Familienmitglieder auf Distanz gehen. Und diese Mitglieder ziehen sich resignierend zurück und verlassen früher oder später die Partei.“ Um es mit Martenstein zu sagen: Es ist ein Dokument der Feigheit. Offensichtlich sind Mitglieder der AfD nicht bereit, die vergleichsweise läppischen Folgen ihres politischen Engagements hinzunehmen. Ihnen drohen bekanntlich keine staatlichen Repressalien, sondern nur jene sozialen Folgen, die man hinnehmen muss, wenn nicht alle die eigene Meinung teilen.

+++ Jonas Schaible nimmt diesen Vorgang zum Anlass, um über den richtigen Umgang mit den Medien nachzudenken. Wie selbst umstrittene Inhalte so formuliert werden, dass nachteilige Folgen aus der Berichterstattung nicht zu fürchten sind, zeigt er an einem spannenden Vergleich der AfD mit Jobbik aus Ungarn. „Dagegen fürchte ich, dass es dem Politprofi Vona tatsächlich gelingt, auch die brachialsten Jobbik-Anhänger mit der Aussicht auf noch mehr Stimmen weitgehend ruhigzustellen und die Außendarstellung der Partei systematisch weichzuzeichnen. Wenn nicht noch Unvorhergesehenes geschieht, wird man sich an die Beinahe-Volkspartei Jobbik gewöhnen müssen.“

+++ In der Welt findet man einen spannenden Artikel über Homosexuelle in Uganda und sie machen das, was wir früher Aufklärung genannt haben. Sie versuchen sich durch die Herstellung von Öffentlichkeit zu wehren. Das verlangt in einem repressiven Milieu, wie es in Uganda gegenüber Homosexuellen existiert, sehr viel Mut. Das aber nur als Hinweis an die Feiglinge bei uns.

+++ Was jetzt nicht mehr geht? Die Sperrtafeln bei YouTube. Dafür immer noch der Stress bei Journalisten.

+++ Außerdem gibt es ein spannendes Gerücht. Angeblich hat der Axel Springer Verlag Interesse an der Huffington Post.

+++ Am nötigen Geld wird diese Übernahme wahrscheinlich nicht scheitern. Über das Geld der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten berichtet Michael Hanfeld in der FAZ. Der Geldsegen habe sich abgezeichnet. „Die für die Gebühren zuständige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs war zum Jahreswechsel 2013/2014 mit der gesicherten Schätzung hervorgetreten, dass es einen Gebührenzuwachs von 1,15 Milliarden Euro, gerechnet auf vier Jahre, geben werde. Eine Hochrechnung des Beitragsservice ging dann sogar von Mehreinnahmen von 1,89 Milliarden Euro aus. Bei 3,868 Milliarden Euro mehr landet man mit Blick auf den Zeitraum von 2013 bis 2020 – eine schöne Stange Geld. Bei der Genese der wundersamen Geldvermehrung sollte man allerdings im Blick behalten, dass dies von Beginn an sehr wohl beabsichtigt war. Wie sagte der damalige Geschäftsführer der GEZ, Hans Buchholz, vor dem Medienausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags im Sommer 2011? Die Ministerpräsidenten hätten vorgegeben, das Beitragsaufkommen um ein Prozent zu steigern, 400.000 Betriebe und 200.000 Kraftfahrzeuge seien neu „in den Bestand zu heben“. Dafür würden 69 Millionen Datensätze der Einwohnermeldeämter abgeglichen und 23 Millionen Briefe verschickt.“ Jenseits von ARD und ZDF. Bei der Einführung der Maut sollte sich Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt an den GEZ-Geschäftsführer wenden. Der scheint riesige Datenmengen problemlos abgleichen zu können. Es fehlt jetzt nur noch, dass sogar Dobrindts Berechnungen stimmen.

+++ Im Deutschlandradio beschäftigte man sich gestern mit Herfried Münkler (siehe auch das Altpapier von Montag). Warum die Studenten in der Tradition von Robespierre stehen sollen, ist aber nicht so richtig deutlich geworden. Welche kuriosen Wendungen diese Debatte nimmt, zeigt sich auch auf Twitter. Es ist offensichtlich schwierig, den Münkler-Watch-Blog als das wahrzunehmen, was er erst einmal ist: Ein Debattenbeitrag der Studenten. Warum jetzt ausgerechnet Münkler in diesem Blog kommentieren soll, ist ein Rätsel. Poschardt kommentiert nämlich auch nicht alles, was über seine Artikel so zu lesen ist. Trotzdem kann wohl niemand bestreiten, dass dort über seine Sichtweisen debattiert wird. Nicht jeder Dissens ist gleich Denunziation, selbst wenn die Begründungen völliger Unsinn sein sollten.

+++ In der taz berichtet Silke Burmester von ihren Eindrücken aus Israel. Sie war dort auf Einladung der Bundeszentrale für politische Bildung unterwegs. „Also, Israel. Ich hatte angenommen, dass ich mich zu diesem Zeitpunkt, am vierten Tag, unterwegs mit der Bundeszentrale für politische Bildung, gar nicht retten könnte vor Infos. Zumal wir so schöne Termine hatten, wie die Korrespondenten von ARD, ZDF, der Zeit und der Welt zu treffen. Aber, was soll man sagen? Außer mir hatte keiner Lust, was über das Korrespondentendasein zu erfahren. Darüber, was man so als staatstreuer ZDF-Mann sagen darf und was nicht. Und ob es nicht etwas eigenartig ist, wenn man sich als Journalist des Weltenretters Axel Springer verpflichtet, für "die Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes" einzutreten. Eine Leitlinie, gegen die "kein Journalist des Hauses ungestraft verstoßen darf" - ungeachtet dessen, dass auch ich den Anspruch eines jeden Volkes auf ein Lebensrecht nicht infrage stellen möchte. Nee, darauf hatte irgendwie keiner Bock. Stattdessen haben vier Korrespondenten und ein Psychiater in jeweils gefühlten 87 Minuten ihre Sicht der Koalitionsbildung in Israel dargelegt. Und sich dann gefühlte 59 Minuten lang gegenseitig ergänzt, bevor 27 Minuten lang einander widersprochen wurde.“ Hoffentlich war das Wetter schön gewesen. Morgen ist Himmelfahrt. Die meisten Väter können ja nicht darauf hoffen, ihre Ausflüge von der Bundeszentrale für politische Bildung bezahlt zu bekommen. So sollte wenigstens das Wetter mitspielen.

+++ Was jetzt nicht mehr fehlt? Kompetenzzentren bei der Funke Mediengruppe, die ältere Zeitgenossen noch als WAZ in Erinnerung haben. Darüber berichtet Meedia. Solche Zentren wären auch nicht schlecht, wenn es um die Kontrolle von Geheimdiensten geht.

Das Altpapier gibt es wieder am Freitag.

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