Der Spitzwegerich, raunt die Kräuterexpertin der Gefolgschaft ihres Videokanals zu, markiert den Zugang zur Unterwelt, und das stimmt sogar: Hinter ihr, am Fuß des Teufelssteins, liegt eine Leiche. Dorothea Blum ist nicht die erste, die sich hier das Leben genommen hat. Sie hat vor einiger Zeit den Tod einer Radfahrerin verursacht, und weil sie alkoholisiert war, hätte sie demnächst eine zweijährige Gefängnisstrafe antreten müssen. Andererseits: Würde sich eine junge Mutter deshalb umbringen? Lisa Taubenbaum, nach wie vor Aushilfsbestatterin im Unternehmen ihres Vaters, der seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt, ist skeptisch. Den Beweis für ihre Vermutung liefert das Video der Kräuterfrau: Dorotheas Telefon mit der Abschieds-SMS ist erst nachträglich vom Himmel gefallen, als seine Besitzerin bereits tot war.
"Tote leben länger" ist der vierte Film mit Anna Fischer in der Titelrolle als Bestatterin auf der Schwäbischen Alb und bleibt der Ausrichtung treu, die die Reihe nach dem Auftakt eingeschlagen hat. "Der Tod zahlt alle Schulden" (2019) war eine stark von Mundart geprägte Mischung aus Krimi und Heimatkomödie, aber mit dem zweiten Fall ("Die unbekannte Tote", 2021) änderte sich der Schwerpunkt. Der Dialekt signalisiert zwar nach wie vor einen tendenziell unernsten Krimi, doch selbst die Beziehung zwischen Lisa, eigentlich Physiotherapeutin, und dem Stuttgarter Kriminalkommissar Zellinger (Christoph Letkowski), bislang ein zuverlässiger Heiterkeitsquell, steht diesmal unter keinem guten Stern.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Anders als er ist sie mit dem Status "Freundschaft plus" ganz zufrieden und hätte auch nichts dagegen, wenn er das Angebot annimmt, zum Bundeskriminalamt nach Wiesbaden zu wechseln. Dass dort auch seine Ex-Frau mit dem gemeinsamen Sohn lebt, gefällt ihr allerdings weniger. Gewohnt amüsant und typisch für Krimis, in denen Menschen wie Lisa klüger sind als die Polizei, sind dagegen die kleinen Kompetenzstreitigkeiten, diesmal belustigt beobachtet von Zellingers neuer Kollegin Alessia (Alina Sokhna M’Baye), die sich fragt, wie der Kommissar ohne sein Zweithirn beim BKA klarkommen will.
Das Drehbuch stammt von Matthias Kiefersauer und Alexander Liegl, die bereits die Vorlage zum letzten Fall ("Zweieinhalb Tote", 2023) geliefert haben. Interessanter ist jedoch die Regie: Lydia Bruna hat abgesehen von "Soko Leipzig" vorwiegend fürs Kinderfernsehen gearbeitet. Sie war die bislang jüngste Regisseurin der Kinderkrimireihe "Die Pfefferkörner" und hat außerdem Episoden für "Schloss Einstein" und die Kurzfilmreihe "Geschichten von Überall" gedreht. Ihr Langfilmdebüt beeindruckt nicht zuletzt durch die sorgfältige Bildgestaltung (Clemens Majunke). Ein Augenschmaus sind vor allem die sparsam, aber effektvoll illuminierten Szenen im Gewölbe eines nahen Klosters, wo Lisa schließlich ein Liebesnest entdeckt.
Zuvor hatte ein Fremder namens Tassilo darum gebeten, sich von Dorothea verabschieden zu dürfen. Natürlich erkennt Lisa den Mann wieder, als sie gemeinsam mit Bruder Hannes (Frederik Bott) seine Leiche abtransportieren soll, weiß aber nur noch, dass er "Othello oder so" hieß; das hilft Zellinger erst mal nicht weiter. Schließlich stellt sich raus, dass Tassilo im Kloster lebte und dort einen lukrativen Handel mit vermeintlichen Reliquien getrieben hat. Selbstredend glaubt außer Lisa und dem versierten Krimipublikum niemand, dass die beiden Morde miteinander zusammenhängen. Trotzdem braucht die Hobbykriminalistin ziemlich lange, um rauszufinden, was viele Menschen nicht zuletzt wegen der einzigen prominenten Gastdarstellerin (Anna Unterberger) deutlich früher ahnen werden; von der Andeutung im Titel ganz zu schweigen.
Die Auflösung ist daher nicht ganz so verblüffend, wie sich das die Autoren sicherlich erhofft haben, aber die Erklärung für die Todesfälle ist immerhin interessant. Das genretypische Ablenkungsmanöver mit dem äußerst zornigen Witwer der Radfahrerin sorgt ebenfalls für einen überraschenden Umweg auf dem Weg zum Ermittlungsziel. Eine weitere Dreingabe ist ein Berliner Lebenskünstler: Yannick (Fridolin Sandmeyer) bringt zur Freude von Alfons Taubenbaum (Artus Maria Matthiessen) neuen Schwung in den Bestattungsbetrieb; bis der Alte erkennt, dass Lisas flüchtiger Verflossener noch viel weitergehende Pläne hat. Sehenswert ist "Tote leben länger" auch wegen der Schauplätze: Die "Teufelsstein"-Szenen sind am Wiesfels in der Nähe von Metzingen gedreht worden, als Kloster-"Double" fungierte das mittelalterliche Kloster Bebenhausen im Schönbuch südlich von Stuttgart.