Über den Qualitätsjournalismus kann man jeden Montag reden. Oder auch Dienstags bis Sonntags. Der Sonntag eignet sich besonders gut, weil es dann in der theologischen Tradition des Abendlandes besonders feierlich zugeht. Eine Sammlung von Predigten hat jetzt „Die Deutsche Gesellschaft für Qualitätsjournalismus“ veröffentlicht, worauf uns Kress hinweist. Das Erstaunliche an diesem Almanach ist nicht die Betonung der Funktion des Journalismus, sondern wer sich mittlerweile um diesen alles Sorgen macht. Zu nennen wäre etwa der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG, Rüdiger Grube. Der Journalismus, so ist bei ihm zu lesen, „führt mir immer wieder vor Augen, wie wertvoll die Freiheit der Presse für den offenen und kritischen Diskurs in unserer Gesellschaft ist. Umso mehr geht es jetzt darum, dass Journalisten weiterhin in die Lage versetzt werden, den Lesern, Zuschauern und Zuhörern Orientierung zu geben, indem sie die Flut der Nachrichten zu einem Gesamtbild einordnen, bewerten und Hintergründe erläutern.“ Ähnliches ist von Jürgen Fitschen zu lesen, einem der beiden Vorstandssprecher der Deutschen Bank. „Unternehmen sind in der Pflicht, dazu beizutragen, dass Medien als anspruchsvolle und kritische Begleiter den Erwartungen an Qualität, Transparenz und Ausgewogenheit gerecht werden. Qualitätsmedien befruchten öffentliche Debatten, zeigen ungewohnte Perspektiven auf, tragen zum Meinungspluralismus und zu differenzierten Sichtweisen bei. Das kann nur im Sinne der Banken sein.“
„Zugegeben, es ist lange her: Aber für mich und meine Kolleginnen und Kollegen bedeutete Qualitätsjournalismus, dass wir auch für Haltungen eingestanden sind. Die einen konservativ, die anderen progressiv, manche rechts, manche links. Journalisten waren auch Täter, die die Welt verbessern wollten. Heute hat der Journalismus nicht nur seine Täterrolle eingebüßt, er ist dabei, auch noch seine Wächterfunktion aufzugeben. Dem Journalismus droht seine Qualität als Seismograph und Frühwarnsystem verloren zu gehen. Medien werden – oft nicht zu Unrecht – als gleichgeschaltet (ja, das ist ein schreckliches Wort) empfunden. Haben wir in den vergangenen Jahrzehnten immer öfter die so genannte Politikverdrossenheit beklagt, haben wir es inzwischen mit einer weit verbreiteten Medienverdrossenheit zu tun.“
Jetzt fragt man sich natürlich, was eigentlich passierte, wenn ein Laien-Medienkritiker den Begriff „Gleichschaltung“ benutzt hätte? Bissinger verpasst aber den entscheidenden Punkt, den das digitalisierte Mediensystem auszeichnet. An Meinungen fehlt es heute nicht, sie müssen noch nicht einmal fundiert sein. Aber es fehlt heute die parteipolitische Polarisierung, die die Presse zuletzt in den 1970er Jahren auszeichnete. Das kann mit der Theorie der Postdemokratie zu tun haben - oder mit der Bundeskanzlerin. Aber immerhin arbeitet sich mittlerweile wieder der Spiegel an ihr ab. Dafür muss man aber im Tiefseetauchen geübt sein. In jenen Gewässern, wo kaum noch etwas zu sehen ist, findet man die Kanzlerin im NSA-BND-Skandal. Man wird sehen, wie sich die Medien positionieren werden, wenn die SPD deswegen tatsächlich eine Koalitionskrise riskieren sollte. Postdemokratisch wäre eine Sichtweise, die den taktischen Nutzen zum alleinigen Maßstab für die Kommentierung machen sollte.
+++ Ein anderes Medienproblem hat der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Allerdings nicht mit dem Qualitätsjournalismus, sondern mit Qualitätsstudenten. Denn wo gibt es das heute noch, dass Studenten nicht nur in Vorlesungen gehen, um die dort gehörten Aussagen postwissenschaftlich zur Verbesserung des Notenspiegels zu nutzen? Um anschließend die Personalchefs in deutschen Großunternehmen davon zu überzeugen, sie auch einzustellen? Münkler hätte allen Grund, diesen Studenten dankbar zu sein, die den alten Grundsatz Wilhelm von Humboldts namens Persönlichkeitsbildung noch ernst nehmen. Studenten als Täter, die die Welt noch verbessern wollen, so könnte man Bissinger paraphrasieren. Ein Medienthema ist das aber deswegen, weil dieser Münkler-Watch-Blog über den „Extremismus der Mitte“ anonym agiert. Die Studenten, die Münkler mit der gebotenen Aufmerksamkeit kritisch rezipieren, trauen sich nicht, ihre Kritik als identifizierbare Person zu vertreten. Sie haben dafür ein interessantes Argument, das etwas über jenes Thema „Meinung“ aussagt, das Bissinger ansprach:
„Die Situation ist absolut asymmetrisch. Auf der einen Seite steht der Prof mit X-tausend Euro Monatsgehalt, der in der Vorlesung uneingeschränktes Rederecht hat und sich kritische Nachfragen explizit verbietet. Zudem hat Münkler wortwörtlich die Macht. Dozierende haben tausendundeine Möglichkeit, Studierenden ohne Beweise und informell das Leben zur Hölle zu machen. Sei es bei all den kleinen Ausnahmen (Reading Journal zu spät abgeben, Unpässlichkeit bei Terminen) die es dann „leider, leider“ nicht mehr gibt, oder miese Behandlung in Veranstaltungen, Auslegungssachen in Klausuren, bis hin zur sprichwörtlichen Ausgeliefertheit in mündlichen Prüfungen – gibt es jede Menge Möglichkeiten, die asymmetrische Machtverteilung in gesellschaftlichen Feld „Universität“ für Subalterne spürbar werden zu lassen. Darüber hinaus hat Münkler super Kontakte zu Medien und Politik und verfügt über die erfolgreiche Inszenierung als Universalgelehrtem, dem sehr viel Glaubwürdigkeit und soziales Prestige entgegen gebracht wird. Auf der anderen Seite stehen eine handvoll Studierenden, mit bestenfalls BaföG, denen als gesellschaftliche und mediale Gestaltungsmittel Blog und Flugblätter zur Verfügung stehen (zumal Münkler sich bereits jegliche Rückfragen verbat).“
Man kann sich kaum vorstellen, dass Münkler einem Studenten das Leben zur Hölle machen könnte, weil er sich kritisch mit seinen Thesen auseinandersetzt. Die guten Kontakte zur Politik hat Münkler zwar, aber er muss gleichzeitig die Erfahrung machen, dass außenpolitische Realisten nicht gerade die sind, deren Handlungsempfehlungen in Berlin gerne gehört werden. Die Sichtweise der Studenten, Münkler verträte den außenpolitischen Konsens, ist kurios. Nur wie kommen Studenten eigentlich auf die Idee, sanktioniert zu werden, wenn sie mit ihrer Kritik innerhalb eines wissenschaftlichen Diskurses erkennbar werden? Die Kritik an der Anonymität ist wohlfeil, wenn man die angeführten Gründe nicht zur Kenntnis nimmt.
„Leider zeigen jüngste Entwicklungen im online- und offline-Datenschutz, dass das nicht mehr so einfach sein wird. Potentielle Arbeitgeber_innen würden unsere Namen recherchieren können und dabei feststellen, dass wir in unserer Studienzeit kritische Diskurse organisiert haben – Heutzutage ist das Vertreten einer Meinung leider nicht sehr karrierefördernd. Deshalb müssen wir vorsichtig sein, wenn wir unser kleines bequemes bürgerliches Glück nicht mit postadoleszenter Revoluzzerei verspielen wollen. Trotzdem sehen auch wir uns innerlich konfrontiert: Sind wir feige, weil wir nicht zu unserem kritischen Standpunkt stehen?“
Das eigene Handeln als „postadoleszente Revoluzzerei“ zu charakterisieren, lässt zwar Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit zu, aber hier wird eben mehr deutlich. Anonymität gab es nämlich schon immer, wenn man etwa die Beweggründe des Finanzmarkt-Journalisten Lucas Zeise kennt. Er hatte Jahrzehntelang seine DKP-Mitgliedschaft verschwiegen, weil er davon ausgehen musste, unter dieser Voraussetzung keinen Job zu bekommen, außer im eigenen politischen Milieu. Die Bereitschaft, sich dem Konformitätsdruck zu widersetzen, war schon immer das Vergnügen einer Minderheit gewesen, auch unter Journalisten. Die Würdigung des Nonkonformismus war daher das Privileg der Historiker, keineswegs der Zeitgenossen.
Aber hier wird der Kollateralschaden deutlich, den die Überwachungshysterie der Geheimdienste im öffentlichen Diskurs angerichtet hat. Es ist ein Klima des Verdachts entstanden, das jede Sphäre des Lebens vergiftet. Das Internet vergisst nichts. Wenn Studenten um ihre Zukunft fürchten, weil sie sich kritisch mit ihrem Professor beschäftigen, sollte sich nicht nur Münkler über die Gründe Gedanken machen. Wobei er den Konformitätsdruck sogar selber fürchtet, den die Digitalisierung auslöst. Die Angst vor „verfälschenden Zitaten“, die in diesem Blog artikuliert werden könnten, hat er nämlich selbst. Die Studenten warten ja nur auf die Gelegenheit, jenen Satz zu finden, der den Realisten Münkler aus dem moralisierenden Konsens in Deutschland ausschließen wird. Insofern nutzen sie selber die Mechanismen, die sie für ihr „kleines bequemes bürgerliches Glück“ fürchten. Daher sollten Münkler und diese Studenten im kommenden Semester einen Lektürekurs veranstalten. In diesem Buch des verstorbenen Frank Schirrmacher finden sie die Dechiffrierung jener Mechanismen, die sie sich wechselseitig vorwerfen.
Altpapierkorb
+++ Es gibt einen berühmten Fall, wo Medien den Meinungsforschern zum Opfer gefallen waren. 1948 verkündete die Chicago Tribune den Sieg von Thomas Dewey bei den US-Präsidentschaftswahlen gegen Harry Truman. Es kam bekanntlich anders. „Der Wahlkampf war sonderbar“, so Jakob Augstein im aktuellen Spiegel, der nach den Wahlen in Großbritannien erschienen ist. „Die Kandidaten der beiden großen Parteien weigerten sich bis zuletzt, das Offensichtliche zu akzeptieren: Eine absolute Mehrheit war weder für David Cameron, noch für Ed Miliband erreichbar.“ Augstein wird es verkraften. Immerhin wird sich der neue und alte britische Premier nicht mit dem Spiegel in der Hand ablichten lassen, um seiner Schadenfreude Ausdruck zu verleihen.
+++ Wie berichtet man eigentlich in Indien über das Erdbeben in Nepal? Medienkritik findet man eben nicht nur in unseren Gewässern.
+++ Die Geheimdienste und ihr Verhältnis zum Journalismus waren auch an diesem Wochenende wieder ein Thema in den Medienmagazinen im Radio. Im DLF ging es um die Frage, ob das "Wir hätten fast den MAD auf Journalisten angesetzt" mit der früheren Cicero-Affäre zu vergleichen ist. Im BR ging es dagegen um das neue Mediengesetz in Frankreich. Die Geheimdienst-Affären sind auch sonst ein wichtiges Thema. In der FAZ liest man etwa, dass der BND mit 451 Geheimdiensten aus 167 Ländern kooperiert. Da muss sich niemand wundern, wenn man aus Versehen Siemens ausspioniert oder Geheimdienste das Parlament belogen haben sollen. Bei soviel Koordinierungsaufwand kann man schon einmal den Überblick verlieren.
+++ Gute Nachrichten haben es schwer wahrgenommen zu werden. Oder hat jemand mitbekommen, dass Liberia den Ebola-Virus besiegt hat? Wie im globalen Mediensystem Nachrichten einzuordnen sind, beschreibt die SZ am Beispiel der Meldung aus Katar, dass der Trainer des FC Bayern München im Sommer zu Manchester City wechseln könnte.
+++ "Wie in Hamburger Medien durch fragwürdige Heldenverehrung das Leid von NS-Opfern und deren Nachkommen 70 Jahre nach der Befreiung verdrängt wird." Damit beschäftigt sich Jens Berger in den Nachdenkseiten.
+++ Dass der Netflix-Gründer Reed Hastings der Meinung ist, dass kein Mensch ARD und ZDF brauche, muss nicht überraschen. Bisher sind nämlich die meisten Konsumenten wohl der Ansicht, Netflix nicht zu brauchen. Das könnte natürlich an ARD und ZDF liegen. Immerhin kommt aber Hastings nicht in Gefahr, ARD und ZDF so umzukrempeln, wie es Jeff Bezos bei der Washington Post praktiziert. Außerdem kann man sich natürlich mit Richard Gutjahr die Frage stellen, "was wohl passieren (wird), wenn Amazon oder Google eines Tages die Rechte an der Bundesliga kaufen? Keine Frage des Ob, sondern eine Frage der Zeit." Was dann passieren wird? Sie werden einen Haufen Geld für ein Produkt aus dem Fenster schmeissen, das sich für den Rechteerwerber kaum refinanzieren lässt. Insofern werden sie die gleiche Erfahrung machen, die ARD, ZDF, RTL und SAT 1 in Deutschland schon gemacht haben.
+++ Zum Schluss noch Roland Tichy zur Zukunft des Journalismus.
+++ Was jetzt nicht mehr fehlt? Constanze Kurz und Frank Rieger in der FAS über die Überwachungspraxis der Geheimdienste. "Die mehr als sechs Millionen an den BND als Wunschliste übermittelten Selektoren sprechen aber längst eine andere Sprache. Schon mit wenigen tausend Selektoren lassen sich etwa der gesamte politisch aktive Teil der Bevölkerung und die Wirtschaftselite eines Landes erfassen und deren Kommunikation aus den Datenströmen isolieren und überwachen. Es genügen die richtigen Schlüsselwörter und die Tatsache, dass sie im „Social Graph“ nah beieinander sind, weil sie intensiv miteinander kommunizieren. Bei mehr als sechs Millionen Selektoren, die allein der BND im NSA-Auftrag nur auf die von ihm abgefangenen Datenströme als Filter anwendet, muss man davon ausgehen, dass jeder, dessen Handeln oder Gedanken in erfassten Regionen auch nur ansatzweise von Relevanz ist, überwacht wird."
+++ Außerdem der DJV zur Akkreditierungspraxis des Bundespresseamtes beim bevorstehenden G 7 Gipfel. Zudem Seymour M. Hershs Version zur Tötung Osama bin Ladens. Hersh ist bekanntlich das, was man bis heute unter einem nonkonformistischen Journalisten versteht.
Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.