Der Geschmack von Haferbrei

Der Geschmack von Haferbrei
Politico.eu puts the fun in Europe (und möchte dafür gerne noch ein „F“ kaufen). Evangelisch.de ist moderner als die Europäische Union und wird dafür von Google belohnt. Salafisten sind ein Lokalzeitungs-Thema. Mark Zuckerberg handelt nicht uneigennützig.

Was darf es denn diesen Morgen sein? Morning Energy? Morning Health Care? Oder vielleicht doch Brussels Playbook?

Was klingt wie ein Auszug aus dem Teeregal der esoterischen Nachbars-WG, ist der Beweis, dass Axel Springers Ausrutscher, doch mal wieder etwas mit Journalismus zu machen, nun gestartet ist: politico.eu ist online, und hat neben einem Interview mit Jean-Claude Juncker über die Möglichkeit eines Grexits (ihre Worte, nicht meine) den oben angeteaserten bunten Strauß an Newslettern mitgebracht. Außerdem gibt es ein Gespräch zwischen den beiden Chefredakteuren von Politico US bzw. EU, John F. Harris und Matthew Kaminski, in dem Letzterer noch einmal erklären darf, was das überhaupt alles soll:

„People are not getting enough of either. I thought I had a decent sense of that before I moved back to Brussels in January. It has been confirmed by countless conversations here since then. There isn’t enough journalism about this town that’s accessible and fun to anyone who lives in or cares about Europe. At the same time there isn’t enough journalism that’s credible and essential to anyone who’s an insider in Europe. And certainly there isn’t almost any journalism about ,Brussels’ (I use the scare quotes to denote that this town isn’t just a physical location) that hasn’t passed through a fairly thick national or ideological prism. For the readers we are after, the women and men who have a big say or a big stake in what happens in this time zone, we aim to be authoritative and a guilty pleasure. Too much of the traditional reporting on the EU looks and tastes like oatmeal. We’re here to put on a fun party for the people who live and breathe pan-European politics.“

Für diejenigen unter uns, deren erlernte Weltsprache Russisch ist: Die Damen und Herren der europäischen Politico-Ausgabe möchten, dass Berichterstattung über die EU Spaß macht und nicht länger wie Haferbrei schmeckt. Woran man erkennt, dass zumindest der Ansatz, von dem auch gestern hier schon die Rede war, dass man ohne die typische nationale Brille auf die europäische Politik gucken möchten, gelungen ist: Wäre dieser Text in einer deutschen Publikation erschienen, wäre das Vergleichsnahrungsmittel der Wahl sicher eine Gurke gewesen.

Doch wird diese Sichtweise überhaupt gewünscht? Oder, um es mit Rieke Havertz in der taz zu sagen:

„Ob sich dieses Konzept auf Europa übertragen lässt? Ein Zentrum wie Washington ist Brüssel nicht, Politik funktioniert dort anders. Doch sich von nationalen Grenzen zu lösen, könnte einem europäischen Journalismus guttun. Jenseits von Paywalls sucht die Branche nach wie vor nach Erlösmodellen im Netz, europäisch und zielgruppenspezifisch zu denken ist ,Politicos’ Angebot, um das US-Erfolgsmodell nach Brüssel zu bringen.“

An dieser Stelle könnte nun ein Satz mit „bleibt abzuwarten“ stehen, doch da die Finanzierung schon angesprochen wurde, sei das noch ergänzt: Eine Einnahmequelle von Politico ist der Sponsored Content. Wie es aussieht, wenn ein Unternehmen für das Veröffentlichen eines Artikels in ihrem Sinne bezahlt, kann man sich hier ansehen.

Zum Vergleich: Das hier ist ein herkömmlicher redaktioneller Artikel.

Sieht ziemlich gleich aus? Genau – mit Ausnahme des roten „Sponsored Content“-Hinweis’ in der Dachzeile. Was problematisch ist, wie aktuell praktischerweise noch einmal Adrian Lobe in der Medienwoche beschreibt.

„Die strikte Trennung zwischen redaktionellem und nichtredaktionellem Inhalt wackelt hier bedenklich. Medienexperte Pickard hält diese Entwicklung für problematisch: ,Ich denke, der Mangel an Transparenz und in manchen Fällen die bewusste Täuschung sind für jede demokratische Gesellschaft schädlich.’ Sein Kollege Jeremy Caplan, Ausbildungsdirektor am Tow-Knight Center for Entrepreneurial Journalism in New York, fragt sich vor allem nach den Langzeitauswirkungen dieses Geschäftsmodells. ,Wenn ein Teil des Contents von einem Konzern gesponsert ist, werden die Leser dann letztlich annehmen, dass es viel oder das meiste ist, und Schritt für Schritt das Vertrauen in die Unabhängigkeit des Mediums verlieren?’ Diese Frage müssen sich Medien, die Sponsored Content anbieten, auch stellen. Denn durch immer mehr Artikel aus der Feder von Unternehmensschreibern unterminieren sie letztlich ihre eigene Glaubwürdigkeit.“

Wie berechtigt die Sorge ist, dass Unternehmen, sind sie erst einmal im redaktionellen Teil angekommen, auch die Mitspracherechte eines Redaktionsmitglieds einfordern, demonstriert dieser Tage Buzzfeed. Drei Texte seien dort in der Vergangenheit auf Druck von Anzeigenkunden wieder von der Website verschwunden, beschreibt heute Andrea Diener auf der Medienseite der FAZ (und in längerer Form auf faz.net), bevor sie zu dem Fazit gelangt:

„Wie Buzzfeed künftig die Redaktion vor Einflüssen aus der hauseigenen Werbeabteilung schützen will, bleibt abzuwarten.“

[+++] Falls Sie sich fragen, warum seit ein paar Wochen hier alles so schön bunt ist:

Deswegen.

Ganz recht, im „Test auf Optimierung für Mobilgeräte“, den Google derzeit aus Gründen anbietet, schneiden das neue evangelisch.de ganz hervorragend ab.

„Großartig! Diese Seite ist für Mobilgeräte optimiert“,

lautet das erfreuliche Ergebnis. Womit, wer in Zukunft auf seinem Tablet oder Telefon nach „Altpapier“ googelt, ganz gute Chancen haben dürfte, neben den aktuellen Abholzeiten der blauen Tonne auch diese kleine Kolumne hier zu finden.

Wer hingegen eine Website hat, die lieber am Desktop gelesen werden möchte, wird vom Algorithmus seit heute abgestraft.

„Die Entscheidung von Google wird signifikante Auswirkungen auf die Suchergebnisse der Mobil-Suche haben. Treffen kann das besonders die Betreiber kleinerer Webseiten, deren Angebote nicht für die mobile Nutzung optimiert sind. Ihre Zugriffszahlen könnten massiv leiden. Doch es sind auch große Unternehmen, deren Angebote noch nicht optimiert sind. Dazu zählen etwa die Fluggesellschaft Ryanair, das Modelabel American Apparel oder die britische Zeitung ,The Daily Mail’. Unter dem Hashtag #mobilegeddon werden die Folgen der Änderung im Google-Algorithmus diskutiert“,

schreibt Maria Fiedler dazu im Tagesspiegel.

Dass ausgerechnet die für mehr Reichweite so ziemlich alles tuende Daily Mail nicht responsive ist, ist zumindest nach exklusiver AP-Recherche nicht ganz richtig. Man könnte sogar sagen: falsch. Was jedoch an der Problematik an sich nichts ändert.

Bei der FAZ lässt man sich eine solche Vorlage, auf Google zu schimpfen, natürlich nicht entgehen. Auf der Medienseite beschwert sich Fridtjof Küchemann darüber, wo die Änderung im Algorithmus angekündigt wurde:

„Das Nachbessern ist nicht schwer. Das größere Problem wird sein, davon überhaupt etwas mitzubekommen. Zwar hat das Unternehmen diesmal gemacht, was man nicht seinen allgemeinen Routinen zurechnen kann: Es hat überhaupt informiert. Im Vorhinein. Mit großen Worten. Aber Google gab den Hinweis hinten unten: in seinem Webmaster-Blog.“

Dass dieser dennoch von so ziemlich jedem Medium gefunden wurde, zeigt diese Suchanfrage, die zwar nicht mobil, aber auf Google News durchgeführt wurde, wo jedoch aus anderen Gründen nicht mehr alles angezeigt wird, was dieses Internet zu bieten hat.  

Es ist wirklich kompliziert.

Worauf an dieser Stelle eigentlich hingewiesen werden soll: im Wirtschaftsteil der FAZ hat man einen kleinen Treppenwitz ausgegraben. Nämlich, dass ausgerechnet die Website der Europäischen Union in Zukunft von Google auf den hinteren Rängen versteckt wird (Wo sie, kleine Randbemerkung, zumindest unter optischen Gesichtspunkten auch hingehört. Wer hat denn diese Seite gebaut? Die örtliche Werbeagentur aus Winsen an der Luhe mit dem 1&1-Baukasten?)

„Dass die Seite der EU deshalb in den Google-Ergebnissen an Boden verlieren könnte, enthält eine pikante Note. In der vergangen Woche hat die Europäische Kommission angekündigt, wegen seiner Marktmacht gegen Google ermitteln zu wollen. Allerdings ist die Startseite des Kommissionsauftritts im Netz mobil optimiert“,

heißt es auf Seite 19.

Mehr zu den Ermittlungen der Kommission gibt es in diesem Altpapier sowie auf der FAZ-Medienseite, auf der Chef der Hessischen Staatskanzlei, Axel Wintermeyer (CDU), heute seine Meinung präsentieren darf, die da wäre:

„Das harte Vorgehen der Wettbewerbskommission ist daher richtig. Es schützt den Wettbewerb und damit den Verbraucher. Aber die Beeinflussung von Verbrauchern im Netz ist nicht nur ein Wirtschaftsthema, und die kritische Aufmerksamkeit von Staat und Gesellschaft darf dort nicht enden.“

Für heute machen wir trotzdem weiter mit dem


Altpapierkorb.

+++ Gestern Abend wurden in New York zum 99. Mal die Pulitzer-Preise vergeben. Wer gewonnen hat, steht u.a. bei faz.net und sueddeutsche.de. +++

+++ Wenn Afrikaner auf ihrer Flucht Richtung Europa im Mittelmeer ertrinken, ist das afrikanischen Medien meist nicht einmal eine Nachricht wert, schreibt Wolfgang Drechsler im Tagesspiegel. „Symptomatisch für diese Berichterstattung – oder besser in großen Teilen: Nicht-Berichterstattung – ist Südafrika. Zwar berichten fast alle Blätter im größten Medienmarkt des Kontinents über das Schiffsunglück, doch werden ausschließlich westliche Agenturberichte verwendet. Dies liegt daran, dass fast keine einzige Zeitung am Kap über eigene Auslandskorrespondenten verfügt. (...) Selbst wenn die Medien in Afrika über die Flüchtlingsströme nach Norden berichten, werden selten Hauptschuldige dafür offen benannt: die afrikanischen Regierungen. Stattdessen ist, wie auch in den europäischen Medien, oft vom Versagen und der Schuld Europas die Rede.“ +++ In deutschen Medien machte hingegen gestern Harald Höppner von sich Reden, der bei „Günther Jauch“ am Sonntagabend eine Schweigeminute für die ertrunkenen Flüchtlinge erzwungen hatte. Wie es dazu kam, und wie die anderen Gäste reagierten, erzählt er ebenfalls im Tagesspiegel. +++

+++ Auf der Suche nach Medienthemen in die benachbarte Berliner Zeitung zu schauen, lohnt sich ja seit einiger Zeit kaum noch. Heute aber, denn Joachim Frank interviewt Medienethik-Professor Alexander Filipovic zur Berichterstattung über den Germanwings-Absturz. +++

+++ Dass Lokaljournalismus, ist er gut gemacht, auch mehr als Schweinepreisschießen besteht, kann man ja nicht oft genug wiederholen. Im Interview mit der Drehscheibe erklärt nun Volker Siefert, freier Reporter und Redakteur beim Hessischen Rundfunk, dass man es dort sogar mit Salafisten zu tun bekommen kann, wenn man denn will und zum Beispiel in sozialen Netzwerken zur lokalen Szene recherchiert, von wo das Thema dann wieder hochgebrochen werden kann: „Im Moment ist es leider noch so, dass viel Wissen an der Stadtgrenze verloren geht. Dabei ist gerade die Überregionalität dieser Netzwerke bezeichnend. Die ,Lies!’-Kampagne, die in Deutschland ihre Wurzeln hat, exportiert Propaganda in den ganzen deutschsprachigen Raum.“ +++

+++ Offenbar möchten sich Fernsehproduktionsfirmen nicht länger in den Sekunden des Abspanns verstecken und drängen in die Öffentlichkeit. Nachdem wir in der vergangenen Woche bereits die Bekanntschaft von Talpa Germany machen durften, deren betrunkene Mitarbeiterin nachts vor den Newtopia-Kameras auftauchte (u.a. dieses Altpapier), zog nun Tower Productions nach. Das Unternehmen produziert die neueste ZDF-Show „1000 - Wer ist die Nummer 1?“ mit Johannes B. Kerner und landete, weil dabei ein Kandidat einen Herzinfarkt erlitt, erst in der Bild-Zeitung und dann bei DWDL, wo Timo Niemeier weitere Aufzeichnungspannen dokumentiert: „So sei der Außen-Parcours nicht für 1.000 Menschen ausgelegt gewesen. Gleich zum Start musste alle Kandidaten durch ein Schaumbad laufen. Einige stürzten und wieder niedergetrampelt. Zudem wurden die Teilnehmer wohl trichterförmig auf das erste Hindernis geleitet - Gedränge und Geschubse waren die Folge. Da nur 500 Kandidaten die nächste Runde erreichen sollten, brach Panik aus, als bereits 400 Teilnehmer das Ziel erreicht hatten. Am Ende gab es aufgeschürfte Knie, Kreislaufzusammenbrüche und weitere kleine Verletzungen.“ +++

+++ Mit „Powers“ kommt nun die erste Serie für die Playstation. Ein guter Grund für Michael Moorstedt, um auf der Medienseite der SZ noch einmal über Inhalte, die nicht fürs Fernsehen produziert werden, zu schreiben. +++ Außerdem ist auf der Seite noch Platz für eine Rezension des ersten Teils von „Die wilden Zwanziger“, die morgen mit „Berlin und Tucholsky“ auf Arte startet. Gustav Seibt: „Natürlich ist Kurt Tucholsky, der stilprägende Feuilletonist, Dichter und Zeitanalytiker ein idealer Begleiter, wenn es darum geht, mit dem Fahrstuhl (oder der S-Bahn) in die Weimarer Republik zu reisen. Tucholsky fühlt, denkt und spricht fast wie wir (viele seiner Texte klingen wie gesprochen), sein unfeierlicher, meist trocken-witziger, gelegentlich gefühlvoller Ton lässt historische Distanz fast verschwinden. Er ist links, ohne doktrinär zu sein, modern ohne Allüre, und war mit einem gesunden Menschenverstand gesegnet, der ihn gegen die Phrasen seiner Zeit weitgehend immun machte.“ +++

+++ Wer heute schon fernsehen möchte: In der taz empfiehlt Sonja Vogel die georgische Tragikkomödie „Blind Dates“. +++

+++ Mark Zuckerberg möchte den bislang internetlosen Teil der Welt ans Internet anschließen. Warum das nicht ganz uneigennützig ist, erklärt Johannes Boie im SZ-Feuilleton auf Seite 13. „,Internet.org’ ist ein in die Irre führender Name, denn die Initiative wird den Menschen, die kein Internet haben, nur eine sehr bestimmte Form von Internet bringen: Facebook. Und, das der Vollständigkeit halber, noch ein paar zusätzliche Dienste, je nach Weltregion, die den Menschen von Nutzen sein können. Man nennt dieses Konzept ein Zero-Rating-Produkt.“ +++

Frisches Altpapier gibt es morgen wieder. 

weitere Blogs

Regenbogengottesdienst  in Adventszeit
Ein Gedicht zum Heiligen Abend aus queerer Perspektive nicht nur für queere Christ:innen.
Warum Weihnachten hinter einer Mauer liegt und was sie überwinden kann.
In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.