Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Das gilt sogar für Peter Oborne in England. Er hat als Chefkommentator des Daily Telegraph gekündigt. Letzterer ist das ehrwürdige Flaggschiff der konservativen Publizistik in Großbritannien. Allerdings ist nicht diese Kündigung von Interesse. Das kommt bekanntlich öfter vor, sondern die Begründung. Die hat es in sich. Oborne wirft seinem ehemaligen Blatt nichts anderes als „Verrat an den Lesern“ vor. Der Anlass kommt den deutschen Lesern seit vergangenem Montag bekannt vor. Der Bankenriese HSBC hatte seinen reichen Kunden dabei geholfen, in der Schweiz steuerpflichtige Vermögen und Einkommen zu verstecken. Der Telegraph hatte darüber in einer Form berichtet, die letztlich nur den Interessen der Bank diente, wie der Guardian berichtet.
„The Telegraph’s recent coverage of HSBC amounts to a form of fraud on its readers,” he said. “It has been placing what it perceives to be the interests of a major international bank above its duty to bring the news to Telegraph readers. There is only one word to describe this situation: terrible.”
Der Guardian hatte nach der Berichterstattung die Folgen zu tragen: Die Bank stellte ihre Werbeaufträge auf Pause, wie er schreibt. Für Oborne wird hier aber ein grundsätzliches Problem deutlich, das „direkt auf das Herz der Demokratie zielt und nicht länger ignoriert werden kann“. Es ist die Aufhebung der klassischen Trennung zwischen Redaktion und Vertrieb. Die Berichterstattung wird zum Gegenstand von PR, die sich letztlich an den Interessen der Gruppen orientiert, die die Medien finanzieren. Entweder indirekt über Anzeigenaufträge oder direkt über die Kontrolle der Medien selbst.
„Oborne, who joined the Telegraph from the Daily Mail five years ago, accused it of a “collapse in standards” under its owners, the Barclay brothers, the reclusive multi-millionaire owners of the Ritz hotel, who bought it in 2004.“
Das hat Folgen, die wie in der Berichterstattung über die HSBC gerade kein Einzelfall mehr sind, sondern hier kommt ein grundsätzliches Problem zum Ausdruck.
“It has long been axiomatic in quality British journalism that the advertising department and editorial should be kept rigorously apart. There is a great deal of evidence that, at the Telegraph, this distinction has collapsed.“
####LINKS####Ansonsten hätte er auch darauf verzichtet, die Gründe seiner Kündigung öffentlich zu machen. Deswegen muss man diesen Fall in den entsprechenden Kontext stellen, der weit über den Vorwurf der Korrumpierbarkeit von Journalisten hinausgeht. Sie sind dieser Gefahr bekanntlich genauso ausgesetzt, wie alle anderen Berufsgruppen auch: Politiker, Polizisten, Beamte, Ärzte, Apotheker, um nur einige zu nennen. Oborne beschreibt ein strukturelles Problem digitalisierter Medien. Das Fehlen eines Geschäftsmodells bedroht die journalistische Unabhängigkeit, weil es die Machtverhältnisse umkehrt. Es gibt heute unzählige Möglichkeiten, seine PR-Botschaften zu platzieren. Die alte Abhängigkeit von den Medienunternehmen ist schon längst durchbrochen worden, aber der Journalismus ist auf diese Einnahmen weiterhin angewiesen. Dazu kommt die fehlende Bereitschaft von Lesern, für Journalismus Geld auszugeben. Am Ende wird es ein mediales Umfeld geben, das lediglich noch von den PR-Botschaften von Interessengruppen bestimmt wird. Die aber gleichzeitig alles tun werden, um diese Interessengebundenheit zu verstecken. Das journalistische Korrektiv fehlt anschließend – und das Mediensystem selbst gerät in den Generalverdacht der Lüge. Oborne sollte endlich der Anlass sein, dieses Problem zu thematisieren. Bisher verstecken sich die Medien, oder versuchen sich nur noch zu rechtfertigen. Es betrifft eben nicht nur den Telegraph oder die Süddeutsche Zeitung. Alle sind hier angesprochen: Verlage, Journalisten und die Leser.
+++ Sebastian Heiser hat somit am Montag einen wunden Punkt getroffen. In seinem Blog gibt er eine Diskussion mit Anja Reschke wieder, die ihm den Vorwurf machte, erst nach acht Jahren diesen Fall öffentlich gemacht zu haben. Heiser antwortet dort mit Hinweis auf das angesprochene strukturelle Problem:
„Beilagenredaktionen der Print-Titel sind oft der erste Einsatzort für Jungjournalisten – andere Absolventen meiner Journalistenschule arbeiten bei oder für die Beilagen von anderen Blättern und berichten von dort ähnlich Erschreckendes. Notwendig wäre aus meiner Sicht eine breitere Recherche über die Käuflichkeit der einzelnen Medien. Und dabei geht es nicht nur um Service-Themen wie Reise, Auto und Versicherungen, auf denen die Unternehmen die Themen vorgeben und den Umfang der Berichterstattung bestimmen. Es gibt auch Image-Beilagen, in denen es darum geht, das Ansehen einer ganzen Branche zu verbessern.“
Die Kritik von Frau Reschke war allerdings ein klassisches Eigentor gewesen. Heiser veröffentlichte nämlich einen Briefwechsel mit Frau Reschke aus dem Jahr 2009, wo er seine Erfahrungen mit der Süddeutschen Zeitung zum Gegenstand eines Panorama-Beitrages machen wollte. Ihr Interesse hielt sich damals in Grenzen. In einem Interview mit Newsroom ist Heiser aber auf diese nicht nur von Reschke formulierte Kritik eingegangen.
„Ich habe lange davor zurückgeschreckt, es ganz alleine und privat zu machen. Sie kennen ja das Sprichwort: Man liebt den Verrat, aber nicht den Verräter. Es gab jetzt zwei Entwicklungen, die mich dazu dann doch ermutigt haben: Einerseits wird Steuerhinterziehung immer verpönter. Und andererseits sind Whistleblower sozial immer stärker akzeptiert - die Süddeutsche Zeitung hat sie am Wochenende sogar zu ihren Mitarbeitern der Woche erkoren. Den letzten Ausschlag gaben dann die Swiss-Leaks. Ich fand diese Heuchelei unerträglich, mit der die SZ sich heute als Kämpferin für Steuerehrlichkeit darstellt, obwohl sie damals genau diese Steuerhinterziehung im Ausland befeuert hat.“
Die Süddeutsche Zeitung hat sich mittlerweile zu den Vorwürfen geäußert. Sie sollte aufpassen, sich nicht wie der Telegraph anzuhören. Der hat seine Position gegenüber dem Guardian so formuliert.
“We aim to provide all our commercial partners with a range of advertising solutions, but the distinction between advertising and our award-winning editorial operation has always been fundamental to our business. We utterly refute any allegation to the contrary. It is a matter of huge regret that Peter Oborne, for nearly five years a contributor to the Telegraph, should have launched such an astonishing and unfounded attack, full of inaccuracy and innuendo, on his own paper.”
Abwiegeln, bestreiten, fehlendes Problembewusstsein. Die Süddeutsche Zeitung und der Telegraph handeln halt so, wie es alle Unternehmen in vergleichbaren Fällen tun: Sie machen PR in eigener Sache. Allerdings handeln sie nicht mit Altpapier. Es steht der Willensbildungsprozess in Demokratien auf dem Spiel.
+++ Was darunter zu verstehen ist, hat heute Charlotte Wiedemann in der taz formuliert.
„Wie kann es sein, dass das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit von Medien bei den Nutzern auf unter 30 Prozent gesunken ist, während sich deren Macher für die Brandmauer der Demokratie halten? Es wäre mutig, sich in der Berichterstattung über die Ukraine und Russland den Ursachen jenes "Konformitätsdrucks in den Köpfen der Journalisten" zu stellen, den sogar unser Außenminister erstaunlich findet. Meinungsfreiheit ist immer die Freiheit einer Minderheitenmeinung. Aber wo sind die abweichenden Positionen? Wo wird ein Diskurs über die wesentlichen Fragen der Außenpolitik, der Finanzpolitik offen, verständlich, massenwirksam gepflegt? Die neue griechische Regierung als "Geisterfahrer" und "Halbstarke" zu denunzieren, war eher wenig mutig.“
Aber eines kann man dem Telegraph oder der Süddeutschen Zeitung nicht absprechen: Den Mut zur Minderheitenmeinung. Tipps zur Steuerhinterziehung sind nur für besagte Minderheiten interessant. Und die Perspektive von Banken wie der HSBC müssen nur wenige teilen: Nämlich die, die davon profitieren.
Altpapierkorb
+++ Über #szleaks berichtet auch Meedia. Es schildert die Verunsicherung der Medien im Umgang mit dem Thema: "Für die Medienbranche ist die Diskussion um “SZ-Leaks” nicht ungefährlich. In der Tat wäre es naiv zu glauben, dass die beschriebenen Praktiken Einzelfälle der SZ-Sonderthemen-Redaktion waren. Bei der Süddeutschen Zeitung ist das Gefälle zwischen Qualitäts-Anspruch und Vermarktungs-Wirklichkeit nur womöglich besonders hoch. Bislang wurde über solche Praktiken der Vermarktung nur schlicht nicht gesprochen. Das scheint sich jetzt zu ändern aber was folgt daraus? Die Verlage werden ungern auf Anzeigen-Erlöse aus Sonder-Veröffentlichungen verzichten. Gleichzeitig (v)erklären sie ihre Medien zu den Hütern des Wahren, Schönen und Guten. Beides passt nicht zusammen."
+++ Allerdings wird selbst die PR-Branche am Ende kein Interesse daran haben können, wenn der Journalismus zur PR wird. Sascha Soltenow hat schon im Jahr 2012 auf einen vergleichbaren Fall aufmerksam gemacht. Es ging allerdings um die FAZ. Im PR-Journal formulierte er seine Kritik so: "Wenn man die Regeln des Deutschen Presserates und des Deutschen PR-Rates beachtet und ernst nimmt, dürfte das eigentlich nicht sein. Ein eventueller Stolz der Artikelfertiger Ingo Reichardt und Nadja Merl-Stephan vom communication-college auf die anscheinend "erkaufte" Veröffentlichung würde zwar nicht wundern, wäre aber trotzdem höchst unprofessionell."
+++ Der frühere Chefredakteur des Handelsblatts, Bernd Ziesemer, beschäftigt sich im Newsroom mit den Bedingungen der Auslandsberichterstattung. Sie wird vor allem von den Verlagen immer mehr zurückgefahren und das hat Folgen: "Wie immer in den Medien, stellt sich Qualitätsverlust nur schleichend ein. Die großen Hintergrundberichte und Porträts, die ich als Handelsblatt- und Wirtschaftswoche-Mann in Moskau und Tokio noch in Ruhe recherchieren konnte, liest man schon jetzt immer seltener. Stattdessen müssen die Auslandskorrespondenten irgendwelche Quotes und Details für Großgeschichten heranschaffen, die irgendjemand in der Zentrale dann mehr oder weniger gut zusammenschreibt. Diese Tendenz treibt neben dem allgemeinen Sparzwang den zweiten Sargnagel in die Auslandsberichterstattung. Viele Redaktionen setzen, so glaube ich, die falschen Prioritäten." Eine Frage muss man aber stellen: Wie lange sind die Verlage überhaupt noch zur Prioritätensetzung in der Lage?
+++ Twitter ist bekanntlich ein Format zur Kommunikation unter Journalisten. Alle anderen bevorzugen die Produkte von Mark Zuckerberg. Dazu gehört auch Til Schweiger. Er setzt sich dort mit dem Tatort-Twittern auseinander. Wie bei Meedia zu lesen ist, hält sich beim Chuck Norris der deutschen Krimikultur die Begeisterung darüber in Grenzen. Allerdings vor allem deshalb, weil die Berichterstattung darüber zu einem beliebten journalistischen Format geworden ist. "Die Twitter-Kommentare zum Leipziger Tatort kämen von “Spackos, die sich hinter irgendwelchen Phantasieprofilbildern verstecken”, ätzte er weiter und bat Arno Frank, der die Tweets für SpOn zusammengestellt hat, erst einmal “selber ein gutes Drehbuch” zu schreiben." Spiegel online ließ diese Kritik nicht auf sich sitzen. Christian Buß hielt nichts von Schweigers Meinung, Vox populi wäre Vox Rindvieh: "Schließlich haben Sie sich irgendwann entschlossen, Ihre Filme nicht mehr vorab professionellen Filmkritikern zu zeigen, weil Sie deren Meinung nicht interessiere. Stattdessen interessiere Sie die Meinung der normalen Leute, die an der Kinokasse ihr Urteil abgeben, indem sie Tickets für Ihre Filme kaufen. Wir geben nun normalen “Tatort”-Zuschauern die Chance, ihren Unmut, aber auch ihr Lob für die aktuellen Episoden zu artikulieren. Das kann Sie nicht allen Ernstes stören." Was aber Schweiger wie Buß vergessen. Tatort-Twittern funktioniert zumeist wie die Werbung. Dort suchen alle vor allem nach Bestätigung ihrer vorgefassten Meinung. Dafür braucht man auch keine Tatort-Drehbücher, sondern nur das, was der Twitterer schon um 20:15 Uhr im Kopf hat. Der professionelle Filmkritiker, dessen Meinung Schweiger aber nicht interessiert, kann diese Gefahr für sich selbst ebenfalls nicht ausschließen. Aber er sollte wenigstens ein Bewusstsein davon haben. Insofern hat Schweiger wohl nicht verstanden, worum es eigentlich geht.
+++ Der Focus hat mit seiner Ausgabe über den Islam und die AK-47 am Kiosk gepunktet. Das Titelbild hat damit seinen Zweck erfült, während die inhaltliche Botschaft wie immer umstritten ist. Dafür ist in der aktuellen Ausgabe ein Essay von Martin van Creveld zu empfehlen. Der so kluge wie umstrittene Militärhistoriker beschäftigt sich dort mit den Krisen in der internationalen Politik. Creveld bringt damit alles mit, was Charlotte Wiedemann in ihrem taz-Artikel ansprach. Eine abweichende Position. Schließlich ist es nicht Sinn der Sache, nur solche Meinungen für lesenswert zu befinden, denen man selbst zustimmt.
+++ Gestern Abend hat Report Mainz über die Besenstiele der Bundeswehr berichtet. Der Beitrag passt in eine lange Reihe von Artikeln über die Bundeswehr, die alle unter einem Motto stehen: "Gar nicht abwehrbereit!". Man könnte das aber so interpretieren, wie es schon im Altpapier im September vergangenen Jahres gemacht worden ist. Als PR-Instrument, um endlich den Veteidigungsetat zu erhöhen. Die Bundesverteidigungsministerin hat an solchen Beiträgen ein politisches Interesse. Nur könnte man es auch zur Abwechslung mit einer politischen Debatte versuchen. Das soll jetzt allerdings unter www.weissbuch.de passieren. Man will dafür die berühmte Schwarmintelligenz nutzen. Jeder kann mitmachen. Sogar der Chuck Norris der deutschen Krimikultur. Und das Tolle daran: Til Schweiger kann sogar seine Kinder mitbringen! Kompetent ist er ja. Ein Weißbuch ist eine Art Drehbuch der Bundesregierung zur deutschen Sicherheitspolitik.
+++ Ansonsten noch ein Fernsehtipp. Heute Abend läuft in der ARD um 20:15 Uhr "Meine Tochter Anne Frank". Eine Rezension findet man unter anderem in der Welt. Den Hintergrund des Films erläutert die FAZ.
+++ Was fehlt? Der politische Aschermittwoch. Was nicht mehr fehlt, ist dieses lesenswerte Storify zu #Szleaks von Vera Bunse.
+++ #SZleaks wird immer bunter.
Das nächste Altpapier gibt es am Donnerstag.