Welchen Mehrwert hat es, wenn ein Artikel statt von einem von 101 Autoren geschrieben wird? Wie reagiert man bei NDR, WDR und SZ auf Kritik am Rechercheverbund? Und wie schön ist eigentlich Julia Jäkel?
####LINKS####Heutzutage ist man ja schon froh, wenn Artikel nicht von Algorithmen oder Affen, sondern noch von lebenden Menschen geschrieben werden. Wenn also heute auf Seite 11 des Feuilletons der Süddeutschen Zeitung ein Text erscheint, an dem 101 Personen mitgeschrieben haben, ist das nicht nur ein lustiges Experiment, sondern auch ein erfrischender Gegentrend zur permanenten Rationalisierung. Obwohl, das sei auch gleich gesagt, die Zukunft des Journalismus so auch nicht aussehen kann. Schließlich wurde von den 101 Autoren nur einer bezahlt; allen anderen blieb mit Ruhm und Ehre nur die Entlohnung, die freie Journalisten immer mit dem Einwand zurückweisen müssen, solange ihr Vermieter diese Währung nicht akzeptiere, könnten sie es auch nicht tun.
Doch worum geht es eigentlich?
Anfang Oktober rief Dirk von Gehlen bei der SZ Leser dazu auf, in einem virtuellen Lesesalon gemeinsam das Buch „Makers“ von Chris Anderson zu rezensieren. Der Titel verrät schon, dass die Auswahl kein Zufall war; den letzten Beweis liefert das ins Zentrum der Rezension gestellte Zitat
„Außerdem schätzen Kunden Produkte eher mehr, die ihnen das Gefühl geben, an der Entstehung beteiligt gewesen zu sein, egal, ob sie dafür einen Bausatz zusammengebaut oder die Entwickler nur online ermutigt haben“.
Ist das die Lösung für das Produkt Journalismus und sein akutes Problem, seine Kunden bzw. Leser dauerhaft bei der Stange zu halten?
Für die 100 Leser und SZ-Autoren scheint das Prinzip funktioniert zu haben.
„Sie arbeiteten also am Bausatz der Kritik mit. Sie markierten, diskutierten und analysierten die Thesen des Buches – weil sie darin einen Wert sehen, der über das Endprodukt hinausgeht. (...) Der Wandel zeigt sich auch daran, dass Menschen sich nicht nur dafür interessieren, sondern auch sehr inspirierend daran beteiligen, wie eine Buchkritik entsteht.“
Schreibt „Dirk von Gehlen (mit der Unterstützung von 100 Leserinnen und Lesern der SZ)“ (so die Autorenzeile in der gedruckten Ausgabe; online scheint das CMS das nicht herzugeben, sodass die 100 Unterstützer wieder unter den Tisch fallen).
Auch die Krautreporter folgen dieser Idee, indem sie ihre zahlenden Leser zu einem Club mit besonders großer Nähe zur Redaktion erklären, die im Gegensatz zu allen Nicht-Zahlern kommentieren und mit den Autoren diskutieren können und zu Workshops, Lesungen und sonstigen Events eingeladen werden.
Früher hat man Leser mit Kolumnen, Lesereisen und edlen Weinkollektionen ans Blatt zu binden versucht. Heute lässt man sie einfach mitmachen.
Wer jetzt aber glaubt, das Optimum herausholen zu können, indem er das Schreiben ganz den Kunden überlässt, blicke bitte mal in die Sektion „Leserreporter“, die manche Zeitung schon heute ihr eigen nennt.
Was die einzelnen Leser des Salons produzierten, soll online hier erscheinen.
[+++] Einem Gemeinschaftswerk ganz anderer Art widmet sich in der aktuellen Funkkorrespondenz Altpapier-Autor René Martens. Er hat Ende Oktober die Veranstaltung mit dem klingenden Namen „Mitbestimmung und Transparenz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ besucht, bei der unter anderem der Rechercheverbund von NDR, WDR und SZ als intransparente Kungelei kritisiert wurde.
„Irritationen löst die Kooperation zwischen NDR, WDR und SZ unter anderem deshalb aus, weil in diesem Fall einerseits öffentlich-rechtliche Sender von den privatwirtschaftlich finanzierten Kompetenzen einer Zeitungsredaktion profitieren (Stephan Wels nannte während der Tagung explizit die Kontakte von SZ-Redakteur Hans Leyendecker zu den Sicherheitsbehörden) und weil andererseits einer Zeitung, die im freien Wettbewerb mit anderen Zeitungen steht, Rechercheleistungen zugute kommen, die der Rundfunkbeitragszahler finanziert.“
Gar nicht gut kommt zudem an, wenn öffentlich-rechtliche Mitarbeiter des Rechercheverbundes an Veröffentlichungen in der SZ beteiligt sind und unter den Artikeln für ihre zum Paket gehörenden Sendungen werben, ohne dass die Verbindung erklärt wird.
Reagiert wurde auf die Kritik, wie man es gewohnt ist: mit Zurückweisung.
[+++] Zum Glück ist für „3 nach 9“ weder NDR noch WDR, sondern Radio Bremen zuständig. So kommt man nicht in Verlegenheit, sich zu fragen, ob die freundliche Besprechung von Holger Gertz auf der Medienseite der SZ zum 40. Geburtstag der Sendung auch eine Gefälligkeitsleistung ist.
„Die Unordnung war Programm, der Fernsehdirektor selbst hatte sie sich ausgedacht. Dieter Ertel hatte schon in seiner Stuttgarter Zeit eine Art Anti-Magazin machen wollen, aber erst in Bremen hatte die Idee sich zur Sendung verdichtet, alles sollte transparent sein, spontan, wahrhaftig. Gern hart politisch, aber gern auch mal: leicht. Nicht ausgeprobt, nicht gekünstelt. Routine is the enemy. Das war die Idee. (...) Mutig waren sie bei III nach neun, das immer aufregender war als die NDR-Talk-Show. Die NDR-Talk-Show fühlte sich nach Außenalster und Sylt und Segeltuch und Cigarrenclub an. Bremen war undergroundig und selbstgedreht und rau und links und rot. Kein Wunder, dass der Bayerische Rundfunk der Übernahme ins Programm skeptisch gegenüberstand, er hielt ja auch die Plüschterroristen aus der Sesamstraße unter Verschluss.“
Wohlwollend ist auch die Besprechung von Barbara Sichtermann im Tagesspiegel, auch wenn sie die Sendung wesentlich näher an Sylt und Cigarrenclub sieht als Gertz.
„,3 nach 9’ hat ein unzerstörbares Wohlfühlklima erschaffen. All jenen, die finden, dass Wohlfühlerei nicht ins Fernsehen gehört, sei erwidert, dass es darauf ankommt, wie man eine solche Atmosphäre nutzt. Gerade beim Kamingespräch kann es ernst zur Sache gehen. Der TV-Gast, der sich von Wellness getragen fühlt, geht aus sich heraus. So können beim Geplauder auch bittere Themen der Zeit anklingen.“
Mit Giovanni di Lorenzo habe der Wellnessclub auch den passenden Direktor:
„Di Lorenzos Ausdruck ist eher ein skeptischer, Humor steht ihm nicht auf die Stirn geschrieben. Aber was er gut kann und was ein Moderator von ,3 nach 9' auch können muss, ist, sich geschlagen zu geben, wenn ein Gast, den er verbal gezaust hat, dann doch noch einen Punkt macht. Di Lorenzo braucht weder das letzte Wort noch die letzte Pointe. Fast scheu senkt er den Blick, lehnt sich zurück, schaut wieder auf und lächelt in die Runde, als wollte er sagen: Was ist das doch für ein zauberhafter Zoo, dessen Wärter ich hier sein darf.“
[+++] Zum Schluss noch ein Blick auf das Frauenbild Peter Turis. In seinem Lexikon2 bei Turi2 (bis3) stellte er gestern Julia Jäkel vor, nicht unbedingt die beliebteste Frau im deutschen Medienbusiness derzeit, was bei Turi eine Art Beschützerinstinkt geweckt zu haben scheint. Immerhin ist Frau Jäkel: schön.
Knapp 1400 Zeichen hat der Text; gleich im Einstieg werden ihre wichtigsten Charakterzüge genannt, nämlich ihre Schönheit und das geringe Gewicht. („Julia Jäkel ist das schöne, immer schmaler werdende Gesicht der Krise bei Gruner + Jahr.“). Wer das überlesen haben sollte, für den wird es später noch wiederholt („Julia Jäkel, Jahrgang 1971, eine schöne Frau, die täglich hässliche Entscheidungen treffen muss.“), ergänzt noch um Beschreibungen ihrer „empfindsame Seele“.
Nach dieser Einführung kommt man nicht umhin, auch die Bildunterschrift „Julia Jäkel hat viel um die Ohren“ eher auf ihr wallendes Haar als ihre berufliche Situation zu beziehen.
Nun stelle man sich kurz vor, die zitierten Sätze bezögen sich auf Mathias Döpfner oder Alfred Neven DuMont, und erkenne: manchmal muss man wirklich Mitleid mit Julia Jäkel haben. Aber nicht, weil Menschen derzeit recht heftig auf ihre unternehmerischen Entscheidungen reagieren, sondern weil manche die gar nicht richtig wahrnehmen, weil ihr Haar so schön glänzt.
+++ Wer sich für Preisverleihungen interessiert, hat die des Bambis gestern Abend vermutlich schon gesehen. Wer das nicht tut, scolle schnell weiter. Unentschlossene können bei sueddeutsche.de, faz.net oder dpa/Berliner Zeitung nachlesen, wie es war. +++
+++ Dig, Dag und Digedag heißen die drei lustigen Wesen, die heute die Titelseite der FAZ zieren, um an ihren am Wochenende verstorbenen Zeichner Hannes Hegen zu erinnern. Auf Seite 12 findet sich der dazugehörige Nachruf auf den Kopf hinter der Zeitschrift Mosaik, die zwar eins war, aber in der DDR nicht als Comicheft bezeichnet werden durfte. „Immer war alles sofort verkauft, die Hefte gingen von Hand zu Hand und wurden später bewahrt wie Kostbarkeiten. In die Sero-Annahmestellen zur Rohstoffwiederverwertung kam da nichts. Denn mit den von Hegen ersonnenen Helden Dig, Dag und Digedag konnte ihr ostdeutsches Publikum das tun, was ihm im Alltag unmöglich war: durch die ganze Welt reisen.“ +++
+++ Die Hamburger Morgenpost setzt ab der kommenden Woche auf Laterpay. „Wir haben uns dagegen entschlossen, die kompletten Inhalte kostenpflichtig anzubieten, weil wir glauben, dass es per se keine hohe Zahlungsbereitschaft für reine Boulevard-News-Inhalte gibt“, sagte Geschäftsführerin Susan Molzow dem Kressreport. Den man kaufen muss, will man noch mehr wissen. Sind ja schließlich keine Boulevard-News, die dort vertrieben werden. +++
+++ Jeder kann sich Journalist nennen, aber einen Ausweis für Journalisten herausgeben, das sollten nur ausgewählte Gewerkschaften können, meinen ausgewählte Gewerkschaften. Weniger Auserwählte gehen nun ihren eigenen Weg, schreibt Daniel Bouhs in der taz. +++
+++„Verstehe ich das richtig: ,RT deutsch’ sieht seine Rolle nicht darin, das ganze Bild zu zeigen, sondern nur den angeblich fehlenden Teil?“- „Genau.“ - „Aber das heißt ja, eine eigene Einseitigkeit gegen die behauptete andere Einseitigkeit zu setzen.“ – „Man könnte das so bezeichnen.“ Stefan Niggemeier interviewt für die Krautreporter Nicolaj Gericke vom deutschen Ableger des russischen Auslandssenders Russia Today. +++
+++ „Dass fünf Jahre später an einem Samstagabend, an dem die Bundesliga nicht spielt, um 19 Uhr im Ersten nicht die Sportschau läuft, sondern ein Film über Robert Enke und damit ein Film über Depression – das allein ist schon eine Folge dieser tieftraurigen Nacht. Noch immer wird wenig gesprochen über diese Krankheit, schon gar nicht im Spitzensport, aber immerhin häufiger als nie. Und sei es nur zu den Todestagen von Robert Enke.“ Schreibt Ralf Wiegand auf der Medienseite der SZ über den Film „90 Minuten sind kein Leben“, der am Samstagabend in der ARD läuft. +++
+++ „7959 Menschen haben sich beworben, 1500 wurden gecastet, nach psychologischen und anderen Tests sind 150 übrig geblieben, unter ihnen: ein Obdachloser, ein Professor, eine Hausfrau, die ihr Leben radikal ändern will. 15 Teilnehmer werden ausgewählt, alle müssen sich vertraglich verpflichten, ein Jahr lang ihr altes Leben ruhen und sich ständig beobachten zu lassen.“ Im Frühjahr ziehen sie für die neue Sat1-Show „Utopia“ auf einen Hof in Königswusterhausen, um eine neue Gesellschaft zu schaffen. Schon heute berichtet Claudia Fromme auf der Medienseite der SZ darüber.
Der Altpapierkorb füllt sich Montag wieder.