Heute geht es um Vergangenheit und Zukunft der Zeitungen. Die Süddeutsche hat jetzt auch eine Wochenzeitung, die aber am Samstag erscheint. Was bedeutet das aber für die Tageszeitungen? Außerdem zur Bedeutung gesellschaftspolitischer Themen in den Medien. Beispiele sind „Social freezing“ und Sterbehilfe.
Es gab einmal Zeiten, da standen Menschen am Freitagabend vor den Druckhäusern, um als erster an die Wochenendausgabe zu kommen. Sie brauchten zumeist eine Wohnung, aber diese Zeitung am Samstag war auch ansonsten unverzichtbar gewesen. Wenigstens dann, wenn man ein Auto, einen Job oder auch einen Partner suchte. Diese Zeitungen wurden damit so umfangreich, dass sie in keinen Briefkasten passten. Der Journalismus war am Samstag das hübsche Beiwerk der Anzeigenabteilung gewesen, die das Geld verdiente, was das Verlagsgeschäft zu einem Gewerbe mit beeindruckender Rentabilität machte. Der Sonntag war fest in der Hand von Axel Springer, weil sich am Samstag, außer die Fußball-Bundesliga, nichts ereignet hatte. Die Politik begann erst wieder am Montag mit dem Spiegel. Wer eines seiner Exemplare schon am Sonntag per Boten zugestellt bekam, galt als wichtig. Für jüngere Leser hört sich dieses alles an, wie die Legenden vom Drehwahlscheibentelefon oder dem Sendeschluss im Fernsehen. Wer etwas sucht, käme nicht mehr auf die Idee, vor einem Druckhaus nach Informationen zu suchen. Ohne ein Navigationssystem auf dem früher Telefon genannten Smartphone würden die meisten das noch nicht einmal finden. Nur die Süddeutsche Zeitung versucht jetzt nach der taz der Samstagsausgabe eine besondere Qualität zu verleihen. Es wird die Wochenzeitung, die am Samstag anstatt am Donnerstag oder am Sonntag erscheint. Sie muss damit überzeugen, was nach dem weitgehenden Verlust der Anzeigen noch geblieben ist: Den Journalismus. Deren Chefredakteur, Kurt Kister, hat allerdings auf einen weiteren Verlust hingewiesen.
„Die Tageszeitung ist längst nicht mehr nur Informationsquelle. Informationen, Nachrichten gibt es zuhauf und sehr schnell im Internet, über Radio und Fernsehen. Informationen ist beileibe nicht mehr das Hauptgeschäft der Journalisten. … . Was einst die Information war, ist heute die Exklusivität.“
Zudem ist noch von Unterhaltung, Einordnung, Recherche, Hintergrundgeschichten, den deutlichen Stellungnahmen von Kommentatoren die Rede, die „Andersdenkende provozieren“ und „Verschwörungstheoretiker verschiedener Couleur nach unseren vermeintlichen Auftragsgebern fahnden lassen“. In Kisters Aufzählung fehlt nichts, was guten Journalismus ausmacht, wenn auch der Hinweis auf Verschwörungstheoretiker etwas deplatziert wirkt. Es zeigt aber vor allem, wie sehr die Kritik am sogenannten „Mainstream“ mittlerweile selbst in Führungsetagen an den Nerven zerrt. Dabei werden die großen Nachrichtenportale immer noch von den alten Größen der Medienbranche geprägt. Etwas mehr Selbstbewusstsein täte hier gut, selbst bei bisweilen berechtigter Kritik an der „Mainstream“ Berichterstattung. Alle überregionalen Zeitungen hatten noch nie so viele Leser wie heute. Von dieser Reichweite hätte man selbst zu den Zeiten geträumt als die Kundschaft noch die Druckhäuser für die Wochenendausgabe belagert hatte. Sie kamen aber eben nicht wegen „Unterhaltung, Einordnung, Recherche oder Hintergrundgeschichten“. Nun muss man sich nichts vormachen. Die Süddeutsche scheute genauso wie die taz die Investitionen in eine Sonntagszeitung, wo neben Axel Springer noch die FAZ (und zahllose Gratiszeitungen) zu finden ist. Da bot sich der Samstag an, der heute für Verlage auch nur noch ein Werktag ist. Spiegel und Focus werden ab kommenden Jahr schon am Samstag erscheinen. Der Sonntag wird weiterhin von der Fußball-Bundesliga geprägt sein, den allerdings die Süddeutsche interessanterweise mit ihrer Digitalausgabe abdecken wird. Darin könnte ein Signal zu finden sein. Hat der Journalismus auf Papier nur noch als Wochenzeitung eine Chance? In der ersten Süddeutschen am Wochenende findet man etwa eine Reportage über deutsche Dschihadisten, die an das Dossier der Zeit erinnert. Warum soll man eine Tageszeitung eigentlich noch drucken, wenn sie noch nicht einmal mehr ein Privileg als Informationsquelle hat? Kister sagt nichts anderes als diese klassische Tageszeitung schon mit ihrem Erscheinen zum Altpapier zu deklarieren. Die Süddeutsche versucht sich also mit dieser Wochenendausgabe für eine Zukunft zu positionieren, wo die Tagesaktualität wie in ihrer Bundesliga-Berichterstattung nur noch digital erscheinen wird. Eine Gegenposition findet man übrigens im Newsroom. Dabei hat die Süddeutsche aber wie alle anderen Verlage ein Problem: Wie erklärt man das ihren Lesern? Die Zeitungsabonnenten sind an das Papierformat gewöhnt und die jüngeren Leser betrachten die Nachrichtenportale immer noch wie die Gratiszeitungen am Sonntag. Sie sollen zwar nichts kosten, aber gleichzeitig den Erwartungen am sogenannten Qualitätsjournalismus entsprechen. Wohnungen, Autos, Jobs und ihren Partner suchen sie bekanntlich woanders.
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+++ Wenn schon die bloße Information nicht mehr das Privileg der Zeitungen ist, sondern die Einordnung oder der Kommentar, hat das auch Folgen für die Berichterstattung. Über das was gerade passiert, hört, liest und sieht man überall etwas. So kann man sich nicht mehr positionieren. Wahrscheinlich liegt darin die Begeisterung für gesellschaftspolitische Themen begründet, die sich in heutigen Zeitungen wiederfindet. Ein Beispiel ist die Idee vom „Social freezing“. Mitarbeiterinnen wird von Monopolisten aus der Digitalbranche das Angebot gemacht, ihre Eizellen einfrieren zu lassen, um sich für die Familienplanung mehr Zeit lassen zu können. Das betrifft zwar in der Wirklichkeit noch nicht einmal 0,1 % der fraglichen Frauen in einer Population. Aber die Debatte darüber ist etwa in der Sonntagsausgabe der FAZ ein bestimmendes Thema. Es geht letztlich um die Frage, wie für ein gesellschaftspolitisches Problem eine technologische Lösung gesucht wird:
„Social Media und „Social Freezing“: zwei Facetten des „Sozialen“ (oder besser: des „Öffentlichen“), die Wissen über den Menschen sammeln, die ihn erfassbar und berechenbar machen. Die Logik der Eizellkonservierung folgt dabei ein wenig dem milieubedingten Vorbild des Programmierens: Man schreibt einen Code, der im Fall des Falles als Back-up gebraucht und mit einen Knopfdruck aktiviert werden kann.“
Insofern passt das zum skizzierten Medienwandel. Wo früher in Kleinanzeigen „spätere Heirat nicht ausgeschlossen“ stand, kommt man jetzt auf die Idee Eizellen einzufrieren. Vielleicht sollte Facebook besser „Flirt-Kurse“ und „Speed-Dating“ anbieten. In allen empirischen Untersuchungen über Ursachen der Kinderlosigkeit wird nämlich der „fehlende Partner“ als wichtigster Grund angegeben.
Altpapierkorb
+++ Zum Thema Medienwandel, allerdings mit Auswirkungen auf die Politik, passt die Meldung des Spiegel über die Zukunft des CSU-Parteiorgans Bayernkurier. In der CSU gibt es Widerstand gegen die Umstellung auf eine Digitalausgabe. CSU-Mitglieder empfinden das als Reduzierung seiner politischen Bedeutung.
+++ In dieser Woche gab es auch Jubiläen zu feiern. Zum einen feiert Netzpolitik seinen 10. Geburtstag. Es ist der Blog, der in seiner gleichnamigen Nische etwas wie politische Relevanz erreichte. Nur betrifft die Netzpolitik schon längst mehr als nur diese Nische. Die Digitalisierung umfasst mittlerweile alle Lebensbereiche. Zum anderen ist die deutsche Ausgabe des Rolling Stone 20 Jahre alt geworden. Die Musikindustrie war bekanntlich der Trendsetter in der Digitalisierung geworden. Sie hat diesen Wandel zwar ökonomisch bewältigt, aber die Pop-Musik auch ihre gesellschaftspolitische Funktion verloren. Ein Interview mit Billy Idol über sein Drogen- und Sexproblem bis zum Jahr 1990 ist insofern wohl nur für die Generation von Interesse, die auch noch vor Druckhäusern auf die Wochenendausgabe gewartet hat. Gleichwohl muss man fragen, ob die deutsche Ausgabe von Wired nicht 20 Jahre zu spät kommt.
+++ Eine gute Nachricht aus alten Zeiten. Der Briefmarkenabsatz ist erstaunlich stabil geblieben.
+++ ARD und ZDF sind gleichermaßen gefangen zwischen Tradition und Moderne. Zum einen setzen sie auf die Wiederbelebung alter Formate. So wird jetzt an eine Neuauflage von „Spiel ohne Grenzen“ gebastelt, an das jeder Babyboomer gerne zurückdenkt. Damals durfte man länger aufbleiben, wenn diese Form des Länderspiels ohne Fußball übertragen worden war. Zum anderen verzichten die Ministerpräsidenten der Länder auf einen eigenen Jugendkanal. Er soll nur im Internet angeboten werden. Dazu heute auch die taz. Nun müssen Eltern heute die Handys der Jugendlichen Abends einziehen, wenn sie die Nachtruhe durchsetzen wollen. So könnte Spiel ohne Grenzen für diese zum Argument werden: Nämlich länger aufzubleiben.
+++ Medien wussten an diesem Wochenende nicht, welches Thema das größte Empörungspotential bietet: Ebola? Dazu auch spannende Verschwörungstheorien via New York Times. Der Bahnstreik? Kobane und die Ukraine landeten allerdings nur auf die hinteren Plätze, genauso wie der Konjunktureinbruch oder das Gespenst der CDU namens Friedrich Merz. Dafür hat die FAZ die Worte CDU-Mitglied, Separatist, Mao, Assad, Heiliger Krieg und Ferrarifahrer in einem Artikel zum Thema Bahnstreik untergebracht.
+++ Der Chefredakteur der Zeit, Giovanni di Lorenzo, ist schon seit Ewigkeiten Moderator der ältesten deutschen Talkshow „Drei nach Neun“. Sie hat unter seiner Regie ihr früheres Image, kontroverse Debatten zu provozieren, schon lange verloren. Das muss in Zeiten digitaler Empörungsrituale nicht verkehrt sein. Umso erstaunlicher ist allerdings seine Einschätzung über einige ungenannt gebliebene Kollegen.
+++ Umstritten ist auch Günther Jauch. Er konnte aber gestern Abend zeigen, welche Bedeutung diese Sendungen für den politischen Diskurs in diesem Land haben. Die Familie von Udo Reiter erlaubte ihm, dessen Abschiedsbrief in seiner Sendung zu verlesen. Reiter hatte den Freitod gewählt und war in den vergangenen Jahren zu einem der Protagonisten dieser Form der Selbstbestimmung geworden. Sie ist heute Morgen positiv besprochen worden, unter anderem von Oliver Tolmein in der FAZ, der sich zum Thema zudem im Feuilleton der Printausgabe äußert. „Trotzdem retteten sich Jauchs Gäste nicht in belanglose Allgemeinheiten, sie redeten von ihren persönlichen Erfahrungen, ohne dabei aber unangenehm privat zu werden – und Günther Jauch ließ ihnen dafür den Raum, den sie brauchten. So hatte man über weite Strecken den Eindruck, einem konzentrierten Gespräch zuhören zu können und nicht einer Talkshow.“ Ähnlich positive Besprechungen findet man unter anderem auch bei Spiegel online, dem Stern oder dem Tagesspiegel. Auch dieses Portal hat dazu eine positive Rezension. Fraglich ist natürlich, warum eine Talkshow und ein konzentriertes Gespräch im Widerspruch zueinander stehen müssen. Es hat vor allem etwas mit dem Thema zu tun: In dieser existentiellen Frage nach dem Umgang mit dem Sterben verbietet sich Polemik.
+++ Dafür hat ein früherer Gast von Günther Jauch immer noch an den Folgen seines Auftritts zu tragen. Seine Moschee hat ihm als Prediger gekündigt.
+++ Wie der Medienwandel auch das Banking verändert, beschreibt Ralf Keuper in seinem Blog.
+++ Außerdem sucht die Welt nach einem U-Boot in Schweden. Ein Konteradmiral präsentiert sogar ein körniges Foto. Nessy wird es trotzdem nicht heißen.
+++ Auf Carta schreibt Hardy Prothmann ("Heddesheimblog") über Journalismus und deren Darsteller. "Wenn die Handwerksberufe auf dem Niveau der „Qualität“ des alltäglichen „Journalismus“ angekommen wären, würde nichts Alltägliches mehr funktionieren," so lautet sein Argument. "Kein Licht, kein Auto, keine Klospülung. Oder nur mal ab und zu. Redlichkeit und Unabhängigkeit müssen das „ideologische Fundament“ im Journalismus sein." Prothmann kann man die besagte Wochenendausgabe der Süddeutschen empfehlen. Zu gutem Journalismus gehört bekanntlich auch der Verzicht auf Pauschalurteile.
Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.