Man muss auch mal nach Hause

Man muss auch mal nach Hause

Die Welt ist bunt: Die FAZ denkt über die Krise vom Magazinjournalismus nach, die TAZ über den medialen Sprachgebrauch bei Ferguson. Das ZDF versucht sich an mehr Transparenz. Und die Grammatik von Raed Saleh.

Heute eher so Meldungsstyle. Freitag ist für werktäglich erscheinendes Online ja so was wie die letzte Seite, "Vermischtes", "Panorama" oder was immer Sie dazu sagen.

Außerdem ein Tribute to the Berliner Zeitung, wo das Konzept der integrierten Medienseite im eh nicht dicken Kultur-Buch dazu führt, dass "Medien" heute von zwei Meldungen in der Randspalte repräsentiert wird ("Ein ZDF-Film kostet bis zu 2,6 Millionen", "Printmedien sorgen für Umsatzplus bei Bauer Media").

Dass Meldungsstyle (allerdings der hocherhitzte mit den Pluszeichen, den wir radikal entschleunigt weiter unten auch pflegen) gerade dick im Geschäft ist, zeigt der Text von Jürn Kruse in der TAZ, der frühere eine Kritik zum Veronica-Ferres-als-ja-als-Kanzlerin-Film von Sat.1 gewesen wäre.

"36. Min.: Es stellt sich heraus: Der Guy Dupont war gar nicht so schlimm. Er hatte der Kanzlerin nach der einen Nacht im November 1989 eine Nachricht hinterlassen. Doch die war vom Dach geweht worden."

Darüber hinaus gibt es Fernsehen, das quasi schon als Vermischtes-Meldung daherkommt "Adam sucht Eva", eine Nackt-Dating-Show von RTL.

Über die Alexandra Spürk dann eben "Vermischtes"-Ähnliches verfasst im KSTA, auch weil zwei Kandidaten aus Köln kommen (wer sich nach mehr Kritik sehnt, kann auf Welt.de nachlesen):

"Der 27-jährige Thomas arbeitet als selbstständiger Berufscoach und ist seit drei Jahren Single. Auf den Castingaufruf sei er zufällig beim Surfen im Internet gestoßen. 'Da stand etwas von Dating im Paradies und ich dachte sofort, es wäre doch schön, eine Frau unter Palmen am Strand kennenzulernen. Da ist man nicht vom Alltag abgelenkt und kann sich ganz auf die Person einlassen.'"

Wenn er sich da mal nicht täuscht. Zwar versucht das Fernsehen dauernd vergessen zu machen, dass es da ist, wenn es echtes Leben zu verkaufen versucht. Aber ist ja immer noch da. Wie eine AFP-Meldung in der SZ (Seite 39) illustriert (die Details in der NYTimes):

"Während eines Drehs für die Reality-Serie Cops ist ein Tontechniker von Polizisten erschossen worden. Der 38-jährige Bryce Dion war bei einem Überfall auf ein Schnellrestaurant im US-Bundesstaat Nebraska zwischen die Fronten geraten. Auch der Räuber wurde erschossen – dabei war er nur mit einer Luftdruckpistole bewaffnet. Omahas Polizeichef Todd Schmaderer nannte die Unterstellung, einige Beamte hätten vor den TV-Kameras angeben wollen, 'absolut lächerlich'."

Wenn Todd Schmaderer mal nicht mehr Polizeichef von Omaha ist – würde man ihm wohl er eine Karriere als Sendersprecher denn als Medientheoretiker empfehlen.

Zu noch mehr Nachdenken veranlassen News aus Indien, die Ursula Scheer in der FAZ glossiert. Dort müssen die Mitarbeiter der größten Tageszeitung "The Times of India" ihre Social-Media-Accounts dem Arbeitgeber zur Verfügung stellen:

"Mitarbeiter seien von nun an gehalten, dem Verlag alle privaten Accounts in sozialen Netzwerken zu melden. Auf diesen sollten sie in Zukunft keine eigenen Geschichten oder Links mehr posten – was eine bemerkenswerte Verschärfung der Strategie ist, mit der 'The Hindu', eine andere indische Zeitung, die privaten Online-Botschaften seiner Angestellten steuert."

So bieder der Hinweis mancher deutscher Zeitungsjournalisten auf Twitter klingen mag, sie performten hier ihre persönliche Meinung (welche denn sonst?) – am indischen Beispiel kann man dann doch unangenehm deutlich sehen, wie weit die Freiheit in der Angestelltenwelt des Kapitalism im 21. Jahrhundert reicht. Twitter und Facebook sind, ohne das überhöhen zu wollen, ja Toole von Selfempowerment, insofern eben nicht der die meiste Aufmerksamkeit hat, der bei der größten Zeitung arbeitet, sondern die, die die schönsten Geschichten erzählt. In diesem Sinne könnten Social-Media-Auskenner dann sagen, dass "The Times of India" Twitter nicht verstanden habe. Voll nicht.

Um das Schönste-Geschichten-erzählen, nur mit weniger Versuchen, geht es – eine Hammerüberleitung – auch in Michael Hanfelds Blick in der FAZ auf die Aufregung der letzten Tage: die Chefredakteurserosionen bei Spiegel, Stern und Focus. Hanfeld argumentiert in gewisser Weise auf der Klaus-Raab-Linie (Altpapier von gestern), dass es langfristig nichts bringt, dem hinterher zu laufen, was kurz kickt, aber nicht bindet.

"Wer nicht weiß, womit er seine Leser am ehesten überzeugt, hat ausgespielt. Im Wettlauf mit dem Internet die eine Geschichte zu finden, die ein paar Tage hält, die ein Thema setzt, die aus möglichst vielen anderen guten noch ein Stück herausragt und die dazu taugt, das Gesamtpaket an den Leser zu bringen, ist eine der anspruchsvollsten Aufgaben, die der Journalismus zu bieten hat. Die Halbwertszeit für Chefredakteure von Magazinen, die sich nicht einem Spezialinteresse verschrieben haben, sinkt."

Der überzeugende Leser sollte heute die TAZ lesen. Da wundert sich zum einen Ralf Hutter über die Ferguson-Berichterstattung:

"Ständig sind zusammengesetzte Begriffe zu finden, die nach den Regeln der deutschen Sprache besagen, dass es heute verschiedene Menschenrassen gibt - das ist der Normalzustand. Am häufigsten ist dabei der offensichtlich unkritisch von rassistischen Regimen übernommene Begriff 'Rassentrennung' – aber eben auch 'Rassenunruhen'."

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Das Text argumentiert ganz ruhig und geht nachfragen, etwa bei der SZ:

"Fritz Elster, Leiter der SZ-Schlussredaktion, sagt: 'Das Wort ,Rasse' ist im internen Sprachgebrauch der SZ als Nazi-Ausdruck konnotiert und steht im Bezug auf Menschen auf dem Index der nicht zu verwendenden Wörter. Natürlich rutscht der Begriff manchmal durch, wohl auch, weil ,Rassenunruhen' in den USA etwas anderes bedeutet als ,Rasse' im Nazideutsch, wo dieses Wort zu verbrecherischen Zwecken missbraucht und damit für den deutschen Wortschatz verbrannt wurde.'"

Es gibt zwar auch abweichende Meinungen, aber bemerkenswert an den Schilderungen ist, dass das Unwohlsein mit dem Begriff meistens schon klar ist, manchmal, wie beim DLF, eher hinter den Kulissen.

Und zum anderen geht Sebastian Heiser in ganz großer Form dem gefühlten Wissen nach, der Berliner Bürgermeisterkandidat Raed Saleh spreche kein grammatikalisch richtiges Deutsch, verursache "Grammatik-Tinnitus". Heiser hat transkribiert und kontrolliert, und zwar bei einer freien Rede Salehs in einer Fernsehsendung, in der auch der TAZ-Kollege Stefan Alberti saß.

Das Ergebnis:

"Saleh bringt auch seine verschachtelten Nebensätze sauber zu Ende. Die Worte sind in der richtigen Reihenfolge und haben die richtigen Endungen. Ich habe zehn Minuten komplett transkribiert. Saleh spricht 1.257 Wörter, und es gibt nur wenige Stellen, an denen sein Deutsch nicht ganz korrekt ist. Einmal sagt er zum Beispiel ein Wort doppelt: 'Und da ist doch die Sicherheit doch relevant, oder?' An anderer Stelle sagt er, ohne Nachwuchs drohe eine 'veraltete Polizei', wo es genaugenommen 'überalterte' heißen müsste. Insgesamt gibt es 9 solcher Stellen, also ein Fehler alle 140 Wörter."

Das ist mal Medienkritik, die den Namen verdient. Die Gegenprobe:

"Der taz-Kollege kommt in dem Gespräch auf verhältnismäßig viel mehr Fehler. Stefan Alberti sagt 'da' statt 'damit', er bricht einen Gedanken in der Mitte ab und setzt den Satz anders fort, er verspricht sich und muss sich korrigieren. Bei ihm gibt es alle 34 Wörter eine Stelle, die nicht ganz richtig ist."

Das Fazit:

"Der Grammatik-Tinnitus hat offenbar ein Rassismusproblem."


Altpapierkorb

+++ Ab ins Fernsehen. Das handelt mitunter irrational: "Geld oder Liebe", die Jürgen-von-der-Lippe-Sendung soll wiederbelebt werden, aber nur einmal mit Jürgen von der Lippe. Was den Sinn vom Ganzen (wenn es den überhaupt gibt – wofür könnte das Recycling von alten Sendungen gut sein, wenn nicht nur dafür, die eigene Gedankenlosigkeit und Angst zu überdecken?) durchaus in Frage stellt. Markus Ehrenberg im TSP: "Der Reiz dieser Spielshow bestand gerade in der Art, wie normale, unbekannte, sympathische Singles am Ende von diversen Spielrunden zusammengeführt wurden, unterstützt von Charme und Ironie des Gastgebers. Wie soll das ohne von der Lippe funktionieren?" +++ Mark Stöhr fragt sich dagegen auf stern.de im Angesicht von RTLs "Was wäre wenn", warum Jan Böhmermann oder Katrin Bauernfeind für Sachen engagiert werden, die nicht die Sachen sind, die sie gut können: "Was für ein Konzept steckt hinter so was? Man castet sich anderswo erprobtes, junges und aufregendes Personal zusammen und zwingt es zum Abstieg in die Barth-Ceylan-Boes-Liga? Ist das eine Umschulung zum RTL-Comedian?" +++

+++ Transparenzschub beim ZDF. Eine Liste mit durchschnittlichen Ausgaben für Sendungen ist raus. Meedia.de listet auf: "... Auslandsjournal: 54.000 Euro, Aspekte: 91.000 Euro, Doku ZDF.zeit (35 Sendungen im Jahr): 240.000 Euro, TerraX: 270.000 Euro, 37 Grad (70-75 Ausgaben pro Jahr): 64.000 Euro, Doku-Soap (45 Minuten): 40-50.000 Euro." +++ Dwdl.de merkt an: "Wieviel einzelne Formate und Sendungen konkret kosten, verrät das ZDF zwar nicht, auf der Website der Mainzer lässt sich ab sofort aber nachvollziehen, mit welchen Beträgen im Schnitt Sendungen eines bestimmten Genres zu Buche schlagen und wieviele Ausgaben davon pro Jahr produziert werden." +++ Was man dann doch so verstehen kann, dass der grundlegende Gedanke von Transparenz noch nicht ganz verstanden wurde. Dazu empfiehlt sich auch der Text aus der aktuellen epd medien von B. Thomaß und I. Dupuis. "Es wird nicht entlang der verschiedenen politischen Interessen sachlich zu Programm und Funktion der Öffentlich-Rechtlichen diskutiert, sondern vor allem allgemein über die Rundfunkgebühren geklagt, ohne angemessen Bezug auf die damit zu finanzierenden Leistungen zu nehmen. Darüber hinaus wird stattdessen – in Qualitätszeitungen – der Interessenkonflikt zwischen Printunternehmen und ARD/ZDF um ihre publizistische Präsenz im Internet ausgetragen. Hin und wieder wird auch das gesamte System infrage gestellt und eben nicht im Sinne von nachhaltigen, wohlüberlegten Zielen die Regulierung und Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Anbieter diskutiert." +++

+++ Tatjana Kerschbaumer favorisiert im TSP von den drei ZDF-TV-Lab-Kandidaten die mit dem depressiven Tod ("Jetzt ist Sense"), sieht allerdings kaum eine Chance gegen das Voting-Potential, das Eko Fresh mobilisiert bekommt: "Das war schon früher ein großer Kritikpunkt am Fernseh-Labor: Immer wieder gewannen nicht die – angeblich – besten Formate, sondern die, deren Paten die meisten Anhänger mobilisieren konnten. Bei Eko Fresh muss es dieses Mal ähnlich sein, denn sowohl Handlung als auch Witze sind eher mau." +++ Hans Hoff preist in der SZ (Seite 39) Peter Rütten und seine Kommentierung von "Crash Games" als Medienkritiker im System: "Er will mit Gewohnheiten brechen, ein bisschen aufdecken, wie pervertiert sich das Unterhaltungsgewerbe inzwischen inszeniert. Mit klatschmarschsüchtigen Zuschauern und abgefuckten Machern. Hört man genau hin, kann man aus Crash Games viel Medienkritik heraushören, aber auch ein bisschen Hoffnung, dass sich alles noch einmal zum Besseren, sprich Kreativeren wenden könnte." +++

+++ Radio: Stefan Fischer lobt, ebenfalls in der SZ, Martin Zeyn als neuen Nachtstudio-Verantwortlichen beim BR: "Bemerkenswert am Nachtstudio unter Martin Zeyn ist: Hier findet ein aufgeklärtes, überwiegend urbanes, linksliberales Publikum nicht zur Selbstvergewisserung im Konsens zusammen. Sondern sein Weltbild wird hinterfragt. Aus der eigenen Mitte heraus." +++

+++ Man kann über Angela Merkel sagen, was man will, aber die Fähigkeit mit dürren Worten fast lyrisch zu werden, ist ausgeprägt: "'Ich muss nicht zum nächsten Termin. Ich muss jetzt nach Hause. Man muss auch mal nach Hause, weil man sonst nicht fröhlich sein kann.'" (via Anja Maier in der TAZ vom Cicero-Auftritt im Berliner Ensemble). +++

Neues Altpapier gibt's Montag wieder.

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