Nicolaus Fest gehört zu Springer

Nicolaus Fest gehört zu Springer

Der islamophobe Kommentar von Springers Führungskader ruft weiter Reaktionen hervor: Presseratsklagen. Betrachtungen der Konzernhierarchie. Hilflose Erklärungsversuche von Subalternen. Außerdem: Was Christian Wulff damit zu tun hat und wie er trotzdem seine größte Chance verpasste

Der Tagesspiegel vermeldet in beeindruckender Geschäftigkeit das Nach-wie-vor-Thema auf den Medienseiten:

"Integrationshindernis Islam? Die Kritik am Kommentar von 'BamS'-Vize Nicolaus Fest reißt nicht ab"

Unter dieser Unterzeile referieren Kurt Sagatz und Lisa Fritsch Wortmeldungen verschiedener publizistischer und gesellschaftlicher Akteure durch. In einem zweiten Text weiß Sonja Álvarez zu berichten:

"Gegen den islamkritischen Kommentar in der 'Bild am Sonntag' sind bereits 148 Beschwerden beim Deutschen Presserat eingegangen, wie Geschäftsführer Lutz Tillmanns am Montag dem Tagesspiegel auf Anfrage mitteilte."

In der Berliner steigt Markus Decker mit der Reaktion eines unserer Darlings hier ein: good ol' Ruprecht Polenz, ZDF-Fernsehratschef:

"Der Kommentar des stellvertretenden Chefredakteurs der Bild am Sonntag, Nicolaus Fest, zur Antisemitismus-Debatte sei 'nicht nur dumm' gewesen, monierte Polenz am Sonntag auf Facebook, sondern 'rassistisch und hetzerisch'. Dazu muss man wissen, dass der 68-Jährige das Mediengeschehen auch von anderer Seite kennt."

Nicht ganz so breit gestreut sind dagegen Insiderismen und Reflektionen. Dahin geraunte Augenzeugeberichte, wie Kai Diekmann, der Helmut Markwort von Springer, in der montäglichen Morgenrunde Springers "religionsfreundlichen Atheisten" rasiert aka einen Kopf kleiner gemacht hat, sucht man noch vergebens. Dabei hat sich "Hieb-und-Stich"-Fest ja durchaus beworben für ein bisschen Zuwendung von oben – wie er da noch den Versuch von Krisenmanagement durch den Oberboss als Debattenbeitrag seines Hasspredigertums rahmt, das kann man unabhängig nennen:

"Morgen inBILD: Diekmann zu #IntegHindernisIslam. Aber gibt es Grenze zw. Islam / Islamismus? Antisem.Demonstranten waren Mütter & Normalos."

"IntegHindernisIslam" – eigentlich erzählt die Idee eines solchen Hashtags schon die ganze Armseligkeit von Fests Denken. Man kann arg pessimistisch werden, was die Möglichkeiten von Bildung angeht, wenn selbst das Aufwachsen in gutsituierten Bibliotheken nicht vor solcher Verdummung bewahrt. Da leitet Papa seinen ganzen Stolz aufs eigene Leben aus dem eigensinnigen Nicht-Mitmachen der Familie ab, und dann kommt beim Sohnemann so ein Furz heraus: "#IntegHindernisIslam".

Dass Fest noch so twittert, kann auch skeptisch machen. Markus Decker hatte in der Berliner diese Idee:

"Mochte man anfangs noch glauben, der Fest-Kommentar sei ein 'kalkulierter Tabubruch' (Linken-Chef Bernd Riexinger) des Springer-Verlags gewesen, um mit Islamfeindlichkeit Auflage zu machen, so legen Diekmanns Einlassungen nunmehr einen anderen Schluss nahe. Er meint es ernst."

Bettina Gaus ist sich im Seite-1-Text der TAZ nicht so sicher. Sie orientiert auf die spannende Frage, wie der sog. Kommentar des "religionsfreundlichen Atheisten" überhaupt ins Blatt kommen konnte:

"Wichtiger - und interessanter - als strategische Spielchen in diesem Zusammenhang ist die Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass der Text erschienen ist. Vermutlich weiß der Autor gerade gar nicht, wie ihm geschieht und was da plötzlich über ihn hereinbricht. Er dürfte sich durchaus auf der sicheren Seite gewähnt und geglaubt haben, dass er im Kern doch nichts anderes geschrieben hat als Kolleginnen und Kollegen anderer Medien. Nur eben etwas deutlicher. Damit hätte er recht."

Was das heißt, lässt sich etwa unter dem Tagesspiegel-Kommentar von Andrea Dernbach nachlesen – da kann eine Großzahl auch kein Problem entdecken in Fests, äh, Text.

Für Gaus-These spricht, dass Fests Vorgesetzte Marion Horn vor dem Druck offenbar kein Problem hatte – und danach auch erst, als Diekmann die Konzernlinie ausgab. Auf diesen Aspekt der Geschichte fokussiert Lutz Meier in seinem stern.de-Blog:

"Interessanter als die Frage, wo die Grenze ist, ist im vorliegenden Fall die Frage, wer die Grenze zieht (und wie). Nach dem Chefredakteursprinzip wäre es an 'Bild am Sonntag'-Chefin Marion Horn gewesen, ihrem Stellvertreter Fest die Grenze aufzuzeigen. Trotz heftiger Kritik an Fests hanebüchener These aus allen wichtigen Parteien, verteidigte Horn per Twitter aber zunächst ihren Autor tapfer ('ist kein Islamhasser'). Das änderte sich erst, als Kai Diekmann aktiv wurde."

Wobei Meier den Umstand heraushebt, dass Diekmann sich in seinem Kommentar dann explizit auf Springer-Chef Döpfner bezieht:

"Man muss das noch einmal festhalten, so aufschlussreich wie dieser Vorgang ist: Auf der zweiten Seite der 'Bild'-Zeitung definiert Diekmann unter Einschluss Döpfners die Linie für alle Publikationen des gesamten Verlages."

Aufschlussreich ist das auch, weil man daran sehen kann, wie sich Springer-intern daran jetzt ausgerichtet wird. So widerspricht Marion Horn ihrem Untergebenen via Twitter, als der renitent die Grenze in Zweifel zieht, von der Diekmann spricht:

"@Nicolaus Fest Natürlich gibt es diese Grenze!!!"

####LINKS####

Wird dann Diekmann mit RT belohnt. Ob's der Nici auch noch checkt? Putzig ist, bei den jungen Friseuren weiter unten nach Auswirkungen, sprich Krisen in den Selbstentwürfen zu suchen. Dort tut sich etwa Springers "Online-Editor" @MattBangert damit hervor, dass er die Sprachregelung von der "Pauschalisierung" schon auswendig gelernt hat

"kann ich nix für die Entgleisungen einzelner Mitarbeiter. Das ist das, was du mit Pauschalisierung nicht verstanden hast. (2/2)"

–, was aber leider trotzdem nichts hilft im Disput (hier mit Michalis Pantelouris), weil damit ja nicht begriffen ist, was das Problem ist. Dass Bannert das nicht verstanden hat, zeigt der Neologismus vom "Bild-Hass", der angeblich genau so schlimm sei wie Islam-Hass. Hübsch ist auch – wozu hat man schließlich Online-Editing von der Pieke auf gelernt – Bannerts Storify. Und natürlich das Erstargument (1/2), warum er als grundanständiger Springer-Angestellter natürlich nichts mit Fests "Pauschalisierungen" zu tun hat:

"Erstens war das die BamS und nicht BILD und zweitens (1/2)"

Ist klar.

Die schönste Pointe der Angelegenheit serviert unter anderem Michael Hanfeld in der FAZ:

"Wie sagte einst der frühere Bundespräsident Christian Wulff? Auch der Islam gehöre zu Deutschland. Zumindest diesem Satz aus seiner verunglückten Amtszeit erweist Springer damit eine deutliche Reverenz."

Etwas weiter führt diesen Gedanken Bettina Gaus in der TAZ aus:

"Schön, dass sich der Herausgeber der Bild-Gruppe von einem islamfeindlichen Kommentar eines Untergebenen distanziert hat. Ob er das auch ohne Christian Wulff getan hätte, weiß man nicht, aber es gibt gute Gründe, das zu bezweifeln. Der frühere Bundespräsident behauptet bekanntlich, die Bild habe eine Kampagne gegen ihn begonnen, nachdem er gesagt hatte, der Islam gehöre zu Deutschland. Vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzung brauchte Kai Diekmann den Kommentar in der Bild am Sonntag so nötig wie Masern. Er dürfte sich geärgert haben. Es sei dahingestellt, ob über den Inhalt oder über den Zeitpunkt der Veröffentlichung."

Wenn Christian Wulff nur twittern a) würde und b) könnte – es hätte die Stunde seines größten Triumphes after all werden können: Scheiß auf den Spiegel-Titel, vergiss die Illner-Sendung – ein adäquat-ironischer Tweet ("Nicolaus Fest gehört zu Springer!" oder so) in die Zerknirschung von Diekmann am Sonntagabend und er hätte sich so zufrieden wie seit Jahren nicht mehr schlafen legen können.


Altpapierkorb

+++ Apropos Wulff, Spiegel, Springer: Wolfgang Michal trägt noch eine Stelle aus dem Wulff-Buch nach, die im Spiegel-Interview nicht vorkam. Es geht darum, wie der Wunsch nach Wulff-Interna bei Nachfragen in Hannover mit freundlichen Drohungen an den Nachfolger untermauert wird: "Doch vielleicht sollten wir es – weniger moralisch – einen Deal nennen, einen Deal jenseits der Aufklärungspflicht eines Nachrichtenmagazins. Dieser Deal lautet: Gibst du mir den erbetenen Aktenordner, lasse ich den problematischen Leihwagen-Rabatt deines Ministerpräsidenten unter den Tisch fallen." +++

+++ Lesenswert ist das TAZ-Interview mit "Mother Jones"-Chefredakteurin Monika Bäuerlein, weil die einen Unterschied zwischen amerikanischem und deutschem Journalismus erklärt: "In den USA besteht die Grundeinstellung, dass der Journalismus dem Journalisten gehört. In Deutschland gibt es zum Teil eine andere publizistische Tradition. Dort sind Journalisten Teil der Elite und verhandeln folglich mit den Mächtigen. Mehr als in den USA. Aber auch in den USA bricht diese Attitüde zum Teil ein, und die Presse kann den Entscheidern in Washington nahestehen." +++ Bestes Beispiel wäre die Außenpolitik, die beim Spiegel mit seinem Springer-Cover (vielleicht sollte man von Spriegel sprechen) gemacht wird in Sachen Ukraine. Da klingt der Leitartikel schon so, wie man sich die Politikerreden wünscht, die man danach zitieren will. Markus Kompa wartet deshalb bei Telepolis mit naheliegenden Vorschlag auf, dass die deutschen Elitejournalisten doch gleich in den Kampf ziehen sollten: "Als Stellvertretender Kommandant fungiert der stellvertretende SPIEGEL-Chefredakteur Nikolaus Blome (vormals BILD), der einst im NATO-Hauptquartier gedient hatte und nun Putin stoppen will. Im Stab dient auch ZEIT-Soldat Josef Joffe, der sich bereits um den Irakkrieg verdient machte und die Truppe von Pazifisten wie Jürgen Todenhöfer militärisch abschirmen will. Bei einer internen Pressekonferenz sang die neue Truppe 'Wie gehen die Russen? So gehen die Russen! Wie gehen die Deutschen? So gehen die Deutschen!'" Das wäre doch was! Weil Putin so stark ist, würde man sogar zugestehen, dass Blome mit einem Kollegen zur Unterstützung antritt. +++ Ein Kandidat wäre Jochen Bittner von der Zeit, der vor einigen Tagen allen Ernstes behauptet hat, was Dominic Johnson in der TAZ auch andeutet: Der Flugzeugabschuss sei Europas 9/11. Interessant sind die Kommentare, die für eine Umkehrung des journalistischen Modells plädieren: "Ich wünschte mir... Kommentatoren wie sie wären Zeitredakteure und die Bittners dieser Zeitung könnten sich in den Foren austoben. Es wäre beiden Seiten gedient!" +++ Johannes Boie und Tim Neshitov heute folglich mit dem Artikel der Stunde (über Kriegspropaganda) auf Seite 11 der SZ: "Glauben Sie das?" +++

+++ Noch mal Boulevard an Orten, an denen man ihn nicht erwarten sollte: Matthias Meisners TSP-Text über den Twitter-Account von Johannes Kahrs, der pornografische Accounts, den Kahrs folgt, mal eben mit dem Verdacht von Kinderpornografie ausschmückt: "Vom Tagesspiegel befragt, erklärt Kahrs: 'Ich folge Gott und der Welt.' Auf die Frage, ob darunter auch Accounts mit pornografischen Inhalten seien, sagt er: "Kann sein. Ich muss mal nachgucken. Es ist mir noch nicht aufgefallen.' Wenn es Ärger mache oder Probleme gehe, dann lösche er das wieder. Aber so richtig versteht er die Frage nicht: 'Ich finde es nicht wirklich aufregend.'" +++ Ruth Ciesinger wurde dann für eine Beschwichtigung rausgeschickt, so richtig konnte sie sich dazu aber nicht durchringen: "Auch Bundestagsabgeordnete dürfen sich Pornos anschauen. Darum geht es nicht. Aber alle, die jetzt so darauf pochen, das sei doch Privatsache, sollten bitten darüber nachdenken: Sollte es dann nicht auch im Privaten bleiben?" +++ Hier eine Kritik auf queer.de. +++

+++ Das ist doch mal eine steile Verknüpfung: Burdas Personalchef in Moskau (der im Zuge des Ukraine-Konflikts regimekritische Journalisten entlassen hat) war bei der Stasi. Und der Welt-Text moderiert das so durch: "Der Buchautor Jürgen Roth fragte [nach besagter Entlassung, Anm. AP]: 'Burda-Verlagshaus als Handlanger des KGB/FSB in Moskau?' Dafür gibt es keinen Beleg. Die 'Welt' ist jetzt allerdings auf einen anderen Geheimdienstbezug gestoßen: Burdas Moskauer Statthalter Setzepfandt war als junger Mann hauptamtlicher Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und wurde darin geschult, wie man politische Gegner effektiv bekämpft." +++ Eher flach als These: René Hamann versucht in der TAZ zwei Handyfilme mit Bastian Schweinsteiger zu deuten. Dass es ihm gelungen ist, kann man nicht sagen: "Ständig politisch korrekt sein zu müssen, ist auch ein Funkiller, aber nur dann, wenn man unter "Fun" partout das aggressive Schmähen des Gegners versteht." +++

+++ Mark Siemons schreibt in der FAZ (Seite 13) über die neuen Reglementierungen des chinesischen Journalismus: "All diese Bestimmungen laufen darauf hinaus, dass sich die Medien um keinen Preis zu einer eigenständigen Kraft entwickeln sollen. Bisweilen wurde zwar auch von offiziellen Thinktanks die Meinung vertreten, die Öffentlichkeit könne einen wichtigen Beitrag bei der Kontrolle der Funktionäre und der Bekämpfung der Korruption leisten; doch spätestens seit Xi Jinping ist klar, dass dies allenfalls ein seinerseits streng kontrollierter Beitrag sein kann." +++ Auf die Selbstbeschneidungen trifft Katharina Riehl, die Hans Janke zum 70. Geburtstag für die SZ (Seite 31) so antrifft, wie Thomas Bellut es in der Abschiedszeitung vom ZDF vorhergedrohtgesagt hatte: "Ganz vorne auf Seite eins gab es noch ein Horoskop, verfasst von Thomas Bellut, inzwischen Schächters Nachfolger als Chef am Lerchenberg. In der Rubrik 'Karriere' schrieb Bellut: 'Sie werden gefragt sein: als Autor, Experte für Fiktion und das öffentlich-rechtliche System an sich. Sie werden kritisch sein, aber doch nicht alles sagen, was sie könnten.'" +++

Neues Altpapier gibt's morgen wieder.

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