Woher kritische Begeisterung kommen soll, wenn die öffentlich-rechtlichen Sportreporter das teure Produkt Fußball verkaufen müssen. Dass sie das noch eine Weile tun. Wie NDR und WDR sich selbst gut finden. Wie man Twitter richtig einsetzt, zeigt die Berliner Polizei Udo Lindenberg. Warum beim BR die Radioprogramme erst 2018 ihren Platz tauschen. Wie über die Ukraine berichtet wird.
In zwei Tagen beginnt die Fußball-WM, also stimmen die Wochenendausgaben diverser Zeitungen auf Brasilien ein. Antizyklisch fragt dagegen der Spiegel-Titel "Ist da jemand?", hat nach dem Relaunch den Verweis auf WM-Stoff aber auch auf dem Cover ("Joachim Löw erklärt seine Titelstrategie").
Im Heft findet sich außerdem ein Interview mit dem Schriftsteller Jürgen Roth (hier der Hinweis darauf), in dem dieser mit Schmackes das mutmaßliche Geschäft der Medienseiten ab Donnerstag vorwegnimmt: die Kommentatorenkritik.
"Aber gerade bei ARD und ZDF merkt man den Moderatoren und vielen Kommentatoren inzwischen an, dass es ihr Auftrag ist, das Produkt Fußball, für das die Sender eine Menge Geld auf den Tisch geklatscht haben, auf Gedeih und Verderb zum Großereignis hochzujazzen. Sie blähen alles zur Jahrhundertbegegnung, zum Titanenkampf auf. Das ist unerträglich."
Der Zusammenhang ist naturgemäß aber interessant – zumal diese Konditionen die Arbeit der ARD- und ZDF-Reporter auch in den nächsten acht Jahren bestimmen werden; die Rechte sind vergeben, wie just informiert wurde. Dass so was geschieht, während die Vergabe der WM 2022 diskutiert wird, reicht auch nur für einen Tweet von Jens Weinreich – und würde nie Sensibilitäten wecken in einem gebührenfinanzierten Apparat, der von der Idee her mit Öffentlichkeit und Gemeinsinn verbunden werden sollte.
Auf mangelndes Bewusstsein bei ARD und ZDF verweist Roths Kritik – und wahrscheinlich geht man nicht fehl in der Annahme, dass die Paradoxie der Sportberichterstattung in den Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr wahrgenommen wird: Man sichert sich mit viel Gebührengeld Rechte an Sportgroßereignissen mit der zumindest offiziellen Erklärung einer Art Grundversorgung – zieht diese dann aber durch wie irgendein Butterfahrtveranstalter.
Das Stichwort verweist auf Arno Beyer, "den Chef des Landesfunkhauses Hannover, der für diesen Posten offenbar eine vielversprechende Karriere auf dem Fischmarkt, in der Fußgängerzone oder in einem Shopping-Sender aufgegeben hat", wie Stefan Niggemeier in seinem Blog schreibt. Beyer war einer der Protagonisten bei einer epochalen NDR-Sendung namens "Unser NDR – Reden wir darüber".
Was in diesem knuddeligen Titel schon klingt wie das ewige Mutti-Wir der DDR, auf die Niggemeier am Ende zu sprechen kommt:
"Ich habe die einstündige Sendung, die sicher unter dem Arbeitstitel entwickelt wurde: 'Der NDR ist das Tollste, was es überhaupt gibt auf der Welt', zufällig und etwas verspätet entdeckt, als ich für die FAZ über die zweite Ausgabe des 'WDR-Check' schrieb, in dem sich Intendant Tom Buhrow den Fragen des Publikums stellt. Auch die WDR-Sendung ist einigermaßen harmlos, überwiegend läppisch und sichtlich nur daran interessiert, den Eindruck einer kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Programm zu erwecken. Aber immerhin hat der WDR gemerkt, dass es eine gute Idee ist, diesen Eindruck zu erwecken. Der NDR verfilmt stattdessen original, wie eine Eigen-Propagandasendung des DDR-Staats-Fernsehens aussehen würde, wenn es das heute noch gäbe."
Auch wenn man seine Illusionen über das Fernsehen verloren hat und akzeptiert, darin durchaus eine sprechende Tapete für alte, einsame Menschen zu sehen – man wüsste doch gern, ob Bettina Tietjen, Lutz Marmor oder auch Arno Beyer noch irgendwie verstehen können, dass die DDR-Assoziationen nicht fern liegen.
Zurück zu Roth, der sich an falscher Begeisterung von Reportern reibt:
"Aber das aseptische, plastinierte Erregungsgebaren, das Fußballreporter heute an den Tag legen, ist eine Tortur."
Die Lage scheint so arg, dass Roth ein diffuses Früher als Gegenmodell aufruft:
"Ich habe lange auf Heribert Faßbender herumgehauen, aber dem gingen wenigstens manchmal die Gäule durch. In dem Spiel, in dem Rudi Völler bei der WM 1990 gegen die Niederlande von dem argentinischen Schiedsrichter Juan Loustau vom Platz gestellt wurde, schimpfte Faßbender: 'Schickt ihn ganz schnell in die Pampas, diesen Mann.' Das war keiner dieser vorbereiteten Sprüche, die bloß noch Füll- und Verpackungsmaterial sind."
Man ahnt, was er meint, und hält den ganz gewöhnlichen Chauvinismus alter Tage dennoch nicht für eine Alternative. Es ginge eigentlich nur darum, ernsthaft interessiert zu sein am Spiel und eloquent darüber reden zu können.
Auf nettere Weise erinnert Harald Stenger – erst Journalist, dann DFB-Pressesprecher, nun wieder Journalist oder zumindest für SpOn im Einsatz – im FAS-Interview, an die frühen Jahre, etwa 1986 in Mexiko:
"Meine Bericht habe ich nachts per Lochstreifen im Pressezentrum absetzen lassen. Ich war jedes Mal froh, wenn ich den Fußweg an Feuerschluckern, Bettlern und Prostituierten vorbei geschafft hatte und wohlbehalten im Hotel ankam. Ja, das waren noch Zeiten, da hat noch niemand an E-Mail oder Twitter gedacht."
Das ist heute nicht anders, könnte man Thomas Knüwers ausführliche Social-Media-Kritik eines Udo-Lindenberg-Konzerts in Düsseldorf auf den Punkt bringen. Die Veranstaltung produzierte schlechte Laune, weil der Veranstalter (eine Firma namens Think Big) unfähig war, die Kommunikationskanäle zu bedienen, die heute nun mal existieren. Wie Knüwer detailliert erklärt:
"Twitter-Walls – das ist Social Media Marketing für Anfänger – müssen gefiltert werden. Offensichtlich war Think Big auf diese Idee gar nicht gekommen. Und so löste die Behauptung: 'Udo sitzt im Hotel und liest alles mit' aus, was zu erwarten war – einen Shitstorm-Alarm."
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Geschickter hat sich dagegen die Berliner Polizei angestellt, die von Freitag auf Samstag #24hPolizei getweetet hat. Nicht nur Zeit-Online präsentiert Auszüge. Der Kreuzhainer lobt:
"Bemerkenswert ist die positive Resonanz auf die Aktion auch, weil die New Yorker Polizei mit einer PR-Aktion auf Twitter erst vor Monaten grandios gescheitert war: Sie forderte Bürger auf, nette Fotos mit Polizisten unter dem Schlagwort #myNYPD zu twittern. Doch statt dessen nutzten Kritiker den Anlass und das Schlagwort, um Bilder von Polizeigewalt gegen Demonstranten zu verbreiten. Das Berliner #24hpolizei-Programm enthielt dagegen neben dem werblichen Ziel auch einen Nutzwert für Bürger. Es zeigte zwar nur die Sichtweise der Polizei, lieferte aber einen Erkenntnisgewinn über ihre tatsächlichen Aufgaben an einem Sommerwochenende in der Hauptstadt."
Etwas pointierter formuliert Gereon Asmuth den letzten Gedanken in der TAZ:
"Von Freitag bis Samstag, insgesamt 24 Stunden, hat die Berliner Polizei dort zu nahezu all ihren Einsätze in der Hauptstadt 140-Buchstaben-News veröffentlicht. Eigentlich wollte sie damit um Nachwuchs werben; tatsächlich aber hat sie ganz nebenbei mal eben Kulturgeschichte geschrieben."
Ebenfalls in der TAZ findet sich eine WM-Geschichte, die erst noch entstehen muss (und auch nicht ohne Wehmut auskommt): Peter Unfried berichtet über die Aufgabe von Daniel Cohn-Bendit, während des Turniers in einem Bus namens Socrates durchs Land zu fahren für eine Arte-Dokumentation:
"Fußballer, die wirklich sozial und politisch engagiert sind, auch im Widerstand zu den herrschenden Verhältnissen: Cohn-Bendit nennt das "die brasilianische Ausnahme". In Frankreich gibt es Lilian Thuram, immerhin. In Deutschland gibt es solche Spieler nicht. Auch nicht Paul Breitner, dessen angebliches Sozialrevoluzzertum die bizarrste Falschdarstellung der Fußballgeschichte sein dürfte."
+++ Im Spiegel wird der Facebook-Kritiker und Buchautor Max Schrems vorgestellt (Seite 141). Am Ende von Martin U. Müllers Artikel heißt es: "Dass Facebook seine ganz eigenen Vorstellungen vom Geschäftemachen hat, musste Schrems gerade erst selbst feststellen. Er wollte einen Eintrag bei Facebook bewerben, er handelt von seinem Buch. Das Netzwerk ließ die Kampagne nicht zu. Die Erklärung: "Dein Beitrag wurde nicht beworben, weil er auf unangemessene Art auf Facebook Bezug nimmt oder ein Bild eines Facebook-Markenzeichens ernthält." +++ Felix Schwenzel ist auf wirres.net in konsequenter Kleinschreibung skeptisch gegenüber dem Buch und seinen Liebhabern: "bei solchen abschnitten, in denen arroganz und verachtung bei schrems durchscheint, habe ich mich immer wieder gefragt, warum (offenbar) niemand das manustript gegengelesen und korrigiert hat. möglicherweise sind solche absätze auch köder für papier-feuilletonisten wie ebbinghaus, die in solchen absätzen dann ihr intellektuelles vergnügen finden und das buch positiv rezensieren. ich finde solche passagen vor allem überflüssig und der sache nicht dienlich. benutzer als dämliches klickvieh, dass sich von der industrie mit 'roten Zuckerln' in 'Pawlowsche Hunde' verwandeln lässt oder in 'total willenlose Zombies' findet max schrems dann nach vier, fünf seiten wortschwall auch irgendwie 'überspitzt' und relativiert seine beschimpfungen dann als anregung zum 'überdenken'." +++
+++ Überdacht worden ist beim BR der Wellentausch im Radio (Klassik nur noch digital, Jugendsender auf UKW – siehe Altpapier), insofern er beschlossen ist, aber erst 2018 vollzogen wird. Wenn man etwas anderes als ein Manöver darin sehen will, den Protest erlahmen zu lassen, dann könnte man das als – ebenfalls DDR-Planwirtschafts-ähnliche – Praxis zur Programmsicherheit und gute Tradition begreifen: Dass Reinhold Beckmanns Talkshow am Ende dieses Jahres zu Ende geht, wurde schließlich auch zeitnah vor einem Jahr angekündigt. Jörg Michael Seewald schreibt in der FAZ zur 2018-Lösung: "Bleibt die Frage, ob der BR die Zeit nutzen kann, um gemeinsam mit den Privatradios DAB+ zum Durchbruch zu verhelfen. Wenn es nicht klappt, wird der Intendant Wilhelm sagen können, an ihm und dem BR habe es nicht gelegen. Und da der Rundfunkrat am 10. Juli 2014 beschlossen habe, die Plätze zwischen Jugendradio und Klassik-Kanal zu tauschen, müsse es nun so sein. Wobei die eigentliche Frage ist, ob das in vier Jahren überhaupt noch jemanden interessiert." +++ Bei Deutschlandradio Kultur stehen die Änderungen in diesem Monat an. Programmdirektor Andreas-Peter Weber bekommt im aktuellen "epd medien"-Heft den ersten Platz, um über die Pläne zu informieren, die durchaus für Diskussionen gesorgt hatten. Weber ist vorbereitet: "Wie bei jeder Programmveränderung wird es auch Kritik geben – Veränderungen führen gelegentlich zu Irritationen und nicht nur zu Jubelstürmen. Der Wandel ist ein Prozess. Mit Sicherheit ist das Programm mit der Erneuerung auf dem richtigen Weg." +++ Von Veränderungen bei der NZZ berichtet diese selbst; aus deutscher Perspektive sagt diese Personalie wohl am meisten: "Von der 'ZEIT' in Hamburg nach Zürich wechselt Peer Teuwsen. Er hat zuletzt die Ausgabe für Hamburg betreut und war zuvor Leiter der Schweizer Ausgabe der 'ZEIT'. Ab Herbst wird er bei der NZZ für die Entwicklung publizistischer Produkte zuständig sein, mit Schwerpunkt Magazine und Long Tail." +++
+++ Auf Dwdl.de stößt sich Hans Hoff an der Sieben-Tage-Frist, nach der Inhalte in den Mediatheken bei ARD und ZDF wieder verschwinden: "Das Argument, dass ein größeres Angebot der Öffentlich-Rechtlichen die Zahlungsbereitschaft der Privatkundschaft verringern würde, ist schal geworden, weil sich die Käufergruppen differenziert haben. Wer online einkauft und streamt, der bedient sich zum Großteil bei Filmen und internationalen Serien. Wer würde schon eine 'Unser Charly'-Staffel oder einen 'Tatort' käuflich erwerben?" +++ Stoßen kann man sich an der Haltung des BDZV, der auf einen Mindestlohn für die Zeitungsboten verzichten will, wie DLFs Markt und Medien berichtet: "Für eine Stellungnahme war der BDZV nicht zu erreichen. In einer Pressemitteilung heißt es dazu aber: 'Wer es mit der Rolle der Zeitung für die politische Meinungs- und Willensbildung ernst meint, der darf bei der Einführung des Mindestlohns nicht dogmatisch vorgehen.' Soll heißen: Der Mindestlohn soll nicht für die Zeitungsausträger gelten." +++
+++ Sonja Álvarez schreibt im Tagesspiegel über ein ukrainisches Portal, das gefakete Bilder im Krieg kenntlich macht. Wie die ARD Glaubwürdigkeit checkt, erklärt der stellvertretende Aktuell-Leiter: "Wie aber wird in der Hamburger Redaktion echtes von gefälschtem Material unterschieden? Beim Plausibilitätscheck würden folgende Fragen eine gewichtige Rolle spielen, erklärt Nitsche. 'Wann wurde das Video aufgenommen? Lässt sich der Urheber identifizieren? Gibt es weitere Berichte über das Ereignis in den Agenturen, auf Nachrichtenseiten, in den sozialen Netzwerken, von eigenen Korrespondenten und anderen Quellen vor Ort? Ist das Material ungeschnitten oder nachbearbeitet?'" +++ Wie die Perspektive von Deutschland aus dennoch trügen kann, schreibt Gemma Pörzgen am Ende ihres langen und lesenswerten Texts über die Ukraine-Korrespondenten in epd medien (zwei Deutsche sind noch vor Ort): "Angesichts des schnellen Informationsflusses über die Nachrichtenagenturen, der Vernetzung über die sozialen Medien wie Facebook und Twitter und einer gleichzeitigen Berieselung durch TV-Bilder in der Redaktion entsteht leicht das Gefühl, selbst mitten im Nachrichtengeschehen und über das Geschehen vor Ort völlig im Bilde zu sein. Vor allem im Umgang mit den freien Kollegen entsteht dadurch eine redaktionsgesteuerte Übermacht der Planung, die dazu führt, dass viele Kollegen vor Ort nur noch als Zulieferer bestellter Inhalte gesehen werden." +++
+++ Die aktuelle Harald-Krassnitzer-ARD-Serie "Paul Kemp – Alles kein Problem" regt zu möglichen Metaphern über die Arbeit des Psychiaters an. Heike Hupertz in der FAZ (Seite 15): "Der Psychologe ist Seelenklempner in Wien, er reinigt die mit seelischem Ballast verstopften Abflussrohre seiner Klienten, hilft ihnen, die vermeintlich größten Ärgernisse als Scheinprobleme zu entlarven, und erspart denen den Gang zum Anwalt oder vor Gericht, für die alles auch ein finanzielles Problem ist." +++ David Denk in der SZ (Seite 27): "Der Mann, der im Job mit traumwandlerischer, beinahe beängstigender Sicherheit die Konflikte anderer löst, als wären sie nicht mehr als ein Knoten in den Schnürsenkeln der Beteiligten, steht den eigenen Sorgen und Nöten ohnmächtig gegenüber."
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.