Die Unterstützung, die Stefan Plöchinger erfährt, und die Roboter, die künftig unsere Texte schreiben. Der HR nennt seine Kommissarin doch noch nicht Selma Jacobi. Dass jetzt Korrespondenten in Russland fehlen, ist keine Katastrophe.
Der Trubel um die Ankündigung bei der Süddeutschen Zeitung, Writebot Drei in die Chefredaktion zu berufen, hat sich noch nicht gelegt: 1000 vollautomatisierte Journalistenschreibprogramme solidarisierten sich mit dem Roboter, der die Gräben zwischen menschlichem und generischem Texteverfassen zuschütten soll.
Uups, da sind wir mal kurz in der Zeit verrutscht – ganz fasziniert von Rainer Stadlers NZZ-Kolumne. Darin geht's heute nämlich um Roboter, die von Schlafmangel, Selbstausbeutung und Einfallslosigkeit gebeutelten Journalisten wie uns, die Feder führen – oder wie auch immer die automatisierte Version dieser Metapher geht.
"Das Erdbeben in Kalifornien war nur leicht, dennoch fand die Meldung der 'Los Angeles Times' vor einer Woche sogar hierzulande Aufmerksamkeit. Dies wegen der kleinen Anmerkung: Der Text war automatisch hergestellt worden. Er trug zwar einen Autorennamen, doch die Schreibarbeit des Journalisten Ken Schwencke hatte bloss darin bestanden, den Computer zu befähigen, neuste Erdbebendaten selbsttätig in eine Nachricht umzusetzen. Dem Journalisten blieb die Schlusskontrolle vor der Publikation."
Das klingt doch sehr entspannt und nach dem alten, technikoptimistischen Traum von der Maschine, die die Arbeit für einen macht.
"Eine solche Prognose animiert zur Idee, dass Journalisten und andere Wissensarbeiter künftig ihre Texte regelmässig computergestützt verfertigen. Beispielsweise könnte ein elaboriertes Textprogramm, das mit den bisherigen Artikeln eines Autors gefüttert wurde, die Eigenheiten des Schreibers erkennen und entsprechend individualisierte Textvorschläge produzieren – dies, nachdem auch die zu verarbeitenden aktuellen Informationen eingegeben worden sind. Der Journalist hätte 'nur' noch die Aufgabe, maschinenbedingte Fehler zu beseitigen und den Text redigierend zu veredeln."
Prognose? Künftig? Dachten immer, dass 99 Prozent der Harald-Martenstein-Texte so entstehen.
An solchen schlechten Scherzen können Sie übrigens sehen, wie wir uns schon jetzt auf die Zeit vorbereiten, in der wir mit dem Computer um das Copyright an diesem Text hier streiten müssen: durch möglichst unkalkulierbare Ausflüchte von Individualität, und sei es durch Gags unter Niveau. Das kriegt der Algorithmus nie prozessiert.
Zu den eigentlich wichtigen Sachen. Als preisgekrönte Original-Medienkolumne, die – darin Twitter oder herkömmlichen Feuilletons nicht unähnlich – eh nur von denen gelesen wird, von denen sie handelt, kann man das mit Blick auf den Streit um den jetzt schon sogenannten Hoodiejournalismus ungenierter sagen als in Vollprogrammmedien, die mit einem "Leser" argumentieren.
"Wenn irgendwo in der Medienwelt etwas geschieht, dann kann sich das mitunter zum gefühlten Sturm auswachsen. Zwischen den Redaktionen pingt das dann hin und her – ohne dass es einen normalen Leser tatsächlich interessiert."
Schreibt Marc Röhlig im Tagesspiegel.de, wie wir jetzt mal total hybridisiert formulieren. Um sich zu Plöchingers Kapuzenpulli und den angeschlossenen Fragen (Medienwandel, Selbstverständnis) zu äußern.
"Das alles kann – und darf – als alberner Online-Spaß abgetan werden. Oder als Argwohn digitaler Wesen gegen böse Holzjournalisten. Aber eigentlich geht es hier nicht um Pullover und lustige Tumblr. Es geht um die Frage, als was wir Journalismus verstehen. Darf einer, der Bilderstrecken über das Oktoberfest verantwortet auch einen abgedruckten Kommentar zur Krim-Krise schreiben? Ist er weniger Journalist, wenn er eine Geschichte nicht in Worten sondern mit Videobildern erzählt?"
Rhetorische Frage, schon klar. Bei der Gelegenheit muss hier auch das Altpapier von gestern korrigiert werden: Da wurde die Genealogie der ganzen Hoodie-Selfies, die Plöchinger jetzt Unterstützung zusagen, und die – wie wir das nannten – "Brezn", die sich FAS-Mann Harald Staun mit seiner kurzen Mediengossipvermischtesmeldung eingefahren hatte, nicht zusammengedacht. Das passiert sonst nur so medienfernen Medienbeobachtern wie dem Zeit-Mann Marc Brost, der in dieser Woche Kamerakind Offizieller Redaktionstweeter beim beliebten Hamburger Wochenblatt ist.
Candystorm (Christian Schlüter in der Berliner et al.) für @ploechinger ging aber nicht nach dem Zeit-Text ab, sondern erst nach der von DvG aka Dirk von Gehlen getwitterten Staun-Frage:
"Wobei ja vielleicht wirklich nichts dagegen spricht, einen Internetexperten in die Führungsriege der Zeitung aufzunehmen. Wäre es aber dann nicht sinnvoll, auch einen Journalisten in die Chefredaktion von 'Süddeutsche.de' zu holen?"
An der wird heute also noch immer rumgedoktert. So meldet sich etwa die Natural Born Führungskraft (früher Geo, heute VW) Jens Rehländer zu Wort:
"Mit nur 21 Zeilen Text, versteckt in der Gossip-Rubrik 'Die lieben Kollegen' am unteren Rand der Seite 41, verscherzte er es sich mit Deutschlands #Online-Journalisten. Und zwar gründlich."
Von unserem Scherz oben angefasste Harald-Martenstein-Aficionados könnten hier fuchtelnd anmerken, dass Rehländer doch auch wie ein Rehbot schreibe ("verscherzen" à automatisch mit "gründlich" vervollständigen). Tut er, aber mit einer eliascanettihaften Idiosynkrasie gegenüber Sprache (und dem ganzen Rest) kommt man in diesem Biz einfach nicht weit, erst recht nicht nach oben.
Wo waren wir (take that, Algorithmus!)? Bei Rehländer:
"Man sollte die virale Erregung vom Sonntag nicht analytisch übertreiben. Aber ein Resümee sei erlaubt: Dass ausgerechnet ein Fachjournalist für den Mediensektor sich noch immer traut, die Haltung zu vertreten, Online-Journalismus sei was für Leichtmatrosen und richtiger Journalismus was für Print-Kerle – das ist schon erschütternd. Und selbst für ein konservatives Blatt wie die FAS ausgesprochen unzeitgemäß."
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Es gibt auch Staun-Apologeten, aber irgendwie will es nicht so recht gelingen, in die Frage nach dem Journalisten Ironie oder die eigentlich richtige Bedeutung ("keine Geringschätzung") überzeugend einzuerklären – kann damit zu tun haben, dass sie nicht da sind.
Ein durch die Stahlbäder von "Broderbillermatussek" (Christoph Dieckmann, ca. 1996) gegangener Debattenheinrich erkennt in Stauns höflicher Ätsche-Bätsche-Pointe eine domestizierte Form des "Ich hab ja nichts, aber"-Ressentiments – dass mit Rechten auch Pflichten einhergehen (bei Ostdeutschen), dass Gleichstellung (von Frauen) nicht zu neuen Ungleichstellungen (von Männern) führen darf und so weiter. Man hält dem Neuen also gleich und scheinbar konstruktiv vor, was es am Bestehenden auszusetzen hat.
Kann man machen (auch wenn das nicht so originell ist, wie es tut), das ist kein Weltuntergang, es fühlt sich in dieser Twitter-Echokammer nur manchmal fast so an, und das kann einen dann auch nachdenklich machen.
Denn es ist bezeichnend, wann die Candystürme sich entfalten: um die Beförderung von einem Chefposten auf einen noch höhren zu pushen, um es mal polemisch zu sagen. Es geht bei Plöchinger ums Selbstverständnis, keine Frage, und es geht auch um Akzeptanz und Anerkennung, die die People auf der "Galeere" (Rehländer) des Onliners, aus dem Aufstieg Plöchingers erfahren werden. Aber es ist, so komisch das angesichts der noch existierenden Printfürstentümer klingen mag, eben auch eine elitäre Diskussion. Was sich an so einem sportlich-gutgelaunt-harmlosen PS zeigt wie unter Röhligs TSP-Text:
ps.: Auch viele Kollegen von @tagesspiegel_de haben sich mit Pulli gezeigt, unter anderem - als einer der schnellsten am Sonntagmorgen - unser Online-Chef Markus Hesselmann.
Whatever happened to Klassenbewusstsein: Solidarität brauchen doch vor allem jene, die schwächer sind als man selbst.
Das Übertriebene an der Erregung (so isses halt, dieses Internet) zeigt sich auch in übertriebenen Lobpreisungen Plöchingers. Der ist bislang weder als Marktführermanager (Blumencron) noch Interneterklärer (Lobo) aufgefallen. Beispiel:
"Eine starke Marke ist nur eine, die ihre Qualität kennt – also mindestens eine Sache besser macht als andere Marken. Diese Qualität muss sie kennen und herausstellen, sonst scheitert sie, siehe Qualitätsdebatte, siehe Vision".
Muss er auch nicht. Daran erinnert auch Karsten Lohmeyers Carta-Text:
"Dass sich der Absolvent der Deutschen Journalistenschule als Schreiber für die SZ nicht sonderlich hervorgetan hat, mag auch daran liegen, dass er sich die vergangenen Jahre hauptsächlich darum kümmern musste, zu einer der wichtigsten deutschen Medienseiten auszubauen. Diese Management-Aufgabe erfordert Zeit und Kraft, wie viele (Print-)Chefredakteure wissen, die ebenfalls kaum zum Schreiben kommen."
+++ Beim HR-Tatort wurde dagegen erfolgreich bei der Namensgebung zurückgerudert. Im Tagesspiegel ausführlich: "Der hr erklärte, Jacobis Ur-Enkel habe zwar sein Einverständnis für den Rollennamen gegeben, außerdem habe es nur eine kleine Geste gegen das Vergessen sein sollen. Aber zum einen habe der Sender mit der angestoßenen Diskussion nicht die Gefühle einzelner verletzen wollen. Zum anderen benötige die Ermittlerin nach der Debatte auch aus künstlerischer Sicht einen anderen Namen: 'Die Rolle wäre immer mit dem Holocaust-Opfer Selma Jacobi in Verbindung gebracht worden. Eine freie Weiterentwicklung der Figur wäre unter diesem Aspekt nicht mehr möglich', sagte hr-Fernsehspielchefin Liane Jessen." Die Unsterbliche. +++ Katharina Riehl, die gerade im Hanfeld-Takt die Texte raushaut, in der SZ (Seite 31): "Den tatsächlich sehr freundlichen Brief jenes Nachfahren hängte die Pressestelle gleich mit an die Mail." Was fast schade ist, wenn man das so liest. Das Problem der geplanten Geste war wohl nicht die Geste, sondern die Begleit-PR: Man kann kleine Gesten einfach nicht auf Pressekonferenzen erklären. +++
+++ Johannes Boie schreibt interessant zum Ende des Fernsehers als solchem in der SZ (Seite 31): "So wird der Fernseher künftig mehr können, aber weniger bedeuten. Als Informations- und Unterhaltungsapparat konkurriert er mit den all den andern Geräten im Haushalt, mit denen er vernetzt sein wird. Wer die Nachrichten noch nicht zu Ende gesehen hat, aber dringend aus dem Haus muss, schaut halt auf dem Handy weiter." +++ Stephan Maaß bereitet in der Welt auf die heutige Verhandlung in München zum Rundfunkbeitrag vor: "Bei Rossmann mit rund 26.000 Beschäftigten und rund 1700 Filialen schlägt die Neuregelung mit einer Verfünffachung des Rundfunkbeitrags zu Buche. 'Warum sollte unser Konzern knapp 300.000 Euro im Jahr zahlen für eine Leistung, die niemand in Anspruch nehmen kann? Das ist doch ein schlechter Scherz', sagt Rossmann-Hausjurist Stefan Kappe. 'Würden alle unsere Mitarbeiter unter einem Dach arbeiten, wären jährlich gerade einmal 38.836,80 Euro Rundfunkgebühren fällig.'" +++ Aus diesem Anlass fährt Michael Hanfeld in der FAZ (S. 13) schon mal die Rechner auf Betriebstemperatur, an denen er morgen vermutlich Karlsruhe und München verarzten wird: "Es ist eine hübsche Koinzidenz: In Karlsruhe fällt das Bundesverfassungsgericht heute seine Entscheidung zum Staatsvertrag des ZDF. In München wird vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof die Klage gegen den Rundfunkbeitrag verhandelt. Zwei Verfassungsprüfungen an einem Tag, der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird geprüft auf Herz und Nieren. Wobei nur eine Operation den Lebensnerv trifft." +++ Ebenfalls in der FAZ: Das ZDF hat sich, natürlich, nichts bei seiner Erster-Weltkriegs-Bespaßung gedacht (heute, 20.15 Uhr, da wird rechtzeitig mal jemand auf das 100-jährige Jubiläum hingewiesen haben), kriegt es nun aber dummerweise mit Andreas Kilb als Rezensenten zu tun, dem zweifellos profundesten Schlachtenhistoriker des deutschen Feuilletons. Das liest sich sehr lustig: "Wer die Schützengräben überlebte, kehrte mit einem tiefen Hass auf den Krieg oder, wie Jünger und Hitler, mit brennendem Durst nach Rache zurück; Gleichgültige gab es kaum. Diese Art von Fernsehgeschichtserzählung produziert sie nun in Massen...Der Krieg, mit den Augen des ZDF betrachtet, ist eine Hölle mit Einzelabteil und Rückfahrschein." +++ Verlinken lassen sich mittlerweile die älteren Texte in der FAZ: Niggemeiers Quotenticker und Neelie Kroes.
+++ Ein Highlight: Daniel Bouhs ist auf den Feldherrenhügel geklettert, um sich für die TAZ von Zeit-Generaloberst Ulrich die Lage der Korrespondenten erklären zu lassen: "Wie unberechenbar Weltpolitik doch sein kann, erlebt im Moment nicht zuletzt Bernd Ulrich. Vor gut einem Jahr hatte der Leiter des Politikressorts der Zeit Russland an dieser Stelle noch 'eine Schein-Weltmacht' genannt. Das Land sei unter Wladimir Putin 'quasi eingefroren'. Ulrich verzichtete fortan auf einen festen Korrespondenten in der Region... Moskau hatte Ulrich geschlossen, um in Rio de Janeiro ein neues Büro aufmachen zu können, mit Blick auf die Fußball-Weltmeisterschaft und die Olympischen Spiele 2016 in Brasilien." That's how the rabbit runs, Pussies! +++
+++ Im Fernsehen: "Die Hebamme". Ursual Scheer in der FAZ (Seite 13): "Ob Mittelalter oder Goethe-Zeit – einerlei –, 'Die Wanderhure', 'Die Pilgerin' und nun eben 'Die Hebamme' durchleben alle den gleichen Film. Eigentlich wäre es mal eine spaßige Aufgabe für einen Cutter mit zu viel Freizeit, die drei Geschichten zu einem Opus magnum des deutschen 'Event-Fernsehens' für Frauen zu verschneiden, zumal zweimal dieselbe Hauptdarstellerin auftritt." +++ Katharina Riehl in der SZ: "Das ist insofern hübsch, weil Josefine Preuß auch die Hauptrolle spielte, als das ZDF vor ein paar Monaten im Weihnachtsprogramm etwas verspätet seinen Teil vom historischen Quotenwunder abhaben wollte und auch einen Roman des Wanderhuren-Autorenduos mit dem Kunstnamen Iny Lorentz verfilmte. Preuß gab Die Pilgerin, auch eine Frau auf verzweifelter Wanderschaft, nur ohne Sex." +++
+++ Ist das eine Nachricht? "Auf die Frage, wie lange es die Show noch gebe, sagte er dem Handelsblatt (Dienstagsausgabe): 'Ich weiß es wirklich nicht. In diesem Jahr werden wir sehen, wie stark die Marke noch ist.' Die Kosten von 'Wetten, dass..?' bezifferte er pro Ausgabe auf rund zwei Millionen Euro. 'In besonderen Fällen' könne die Show 'auch mal 2,5 Millionen Euro' kosten. Damit ist sie erheblich teurer als die Samstagskrimis, die das ZDF auf demselben Sendeplatz zeigt." +++
+++ Martin Schulze ist gestorben. Hans Hoff in der SZ (S. 31): "Als Journalist vom alten Schlag bedauerte er indes stets ein wenig, dass über die Jahre die politische Berichterstattung im Ersten an Bedeutung verlor. Er ließ sich davon aber nicht beirren und blieb stets in seiner einmal gewählten Rolle als solider Erklärer, der Zusammenhänge deutlich zu machen wusste, ohne sich in Floskeln zu verstricken." +++ Hanfeld in der FAZ: "Martin Schulze folgte der Maxime, dass es beim Journalismus auch im Fernsehen zuvörderst um die Nachricht gehe und nicht um deren Überbringer." +++ Markus Ehrenberg im TSP: "Das Gesicht von Schulze, seine unaufgeregt-sachliche Art vor der Kamera, stand wie kaum ein zweites für seriösen öffentlich-rechtlichen Polit-Journalismus."
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.