Es ist nicht alles schlecht

Es ist nicht alles schlecht

Im deutschen Fernsehen ist es kein Erfolg, wagemutige Serienformate auszuprobieren, sagt ein Drehbuchautor. Das deutsche Fernsehen wird viel zu schlecht geredet, sagt ein Fernsehredakteur. Justus Pfaue ist gestorben. Marion Horn erzählt über die Schwierigkeiten als Frau in der Spitze von Springer. Jens-Jörg Rieck erzählt seinem Umfeld von seiner IM-Tätigkeit. Der Deutschlandfunk versucht mit Hörerkritik an sich selbst umzugehen.

Die Begeisterung für die "US-Serie" kennt in der Bubble, in der wir uns hier bewegen bekanntlich keine Grenzen. Oder um es in den Worten von Meedia-Chefredakteur Stefan Winterbauer zu sagen:

"Diese Woche an akutem Schlafmangel gelitten, weil ich die US-Serie 'True Detective' mit Woody Harrelson und dem frisch Oscar-prämierten Matthew McConnaughey auf Sky Anytime fast komplett durchgeschaut habe. 'True Detective' ist mal wieder so eine TV-Serie in kompromissloser Spitzenqualität, wie sie aus deutschen Landen vermutlich niemals kommen wird. Das Hohelied auf US-Serien ist nun wahrlich schon oft genug gesungen worden, doch es stimmt einfach. 'True Detective' schraubt das ohnehin schon hohe Niveau von HBO-Serien noch einmal höher. Drehbuch, Schauspieler, Kamera – alles Spitzenklasse. Allein der Vorspann ist ein kleines Kunstwerk."

Solches kompromisslose Spitzenlob hat in der deutschen Medienpublizistik einige Tradition; wenn mal wieder mehr Zeit ist, stellen wir auf Huffingtonpost.de die Liste der "17 'Breaking Bad'-Vergleiche, auf die man erstmal kommen muss" ein, versprochen. Bis dahin hilft zum Beweis der Popularität dieses kritischen Genres der Hinweis, dass Harald Staun in der FAS in seinem Kommentar zu den 48 Cent Rundfunkgebühr ermüdet vom ewigen Analogisieren schon mit Blindtext arbeitet:

"Sechs Verbände aus der Filmbranche hatten diese Woche eine total wahnsinnige Idee: ein gutes Programm 25 Cent pro Haushalt und Monat (insgesamt etwa 100 Millionen jährlich), so schlug eine Allianz aus Schauspielern, Drehbuchautoren und Produzenten vor, sollten für eine 'Programmoffensive' verwendet werden, also zum Beispiel dafür, eine Serie wie 'Tragen Sie hier Ihre aktuelle Lieblingsserie ein' zu produzieren."

Gegen die Erschlaffung in der Battle zwischen einer "Wir wollen 'Breaking Bad' in-Deutschland"-Kritik und den "Das deutsche Fernsehen ist besser als sein Ruf"-Apologeten dieses Fernsehens versucht's der Tagesspiegel mit gezielter Auseinandersetzung. Das ist ehrenwert, auch wenn das Aneinandervorbeirreden damit nicht aufhört.

Am Sonntag war Peter Henning, Vorstand des Verbands Deutscher Drehbuchautoren, in Vorlage gegangen. Sein Text beschränkt sich nicht nur auf das mackerhafte Beweisen eines guten Geschmacks, das zwar zum Sprechen über "US-Serien" gehört, bei dem man aber verstehen kann, dass es öffentliche-rechtliche Potentaten verärgert. Henning versucht vielmehr auch auf die Strukturen zu schauen, die gutes Fernsehen aktuell verhindern:

"Das Konzept der Entwicklung ist immer das gleiche. Zuerst werden die Autoren wegen ihrer originellen Idee verpflichtet, dann konfrontiert man sie so lange mit dem, was alles im deutschen Fernsehen nicht geht, weil es 'der Zuschauer' nicht mitmacht und am Ende bleibt es dann bei den gewohnten Konzepten. 'Lindenstraße' lässt grüßen."

Diese Feststellung ist nicht neu, genauso wenig wie die Erklärung für die Einhegung von Originalität in den bestehenden Brei (Quote), aber das macht sie nicht unplausibel.

Ebenso scheint der Hinweis interessant, dass der fehlende Wagemut nicht in einer persönlichen Verderbtheit der verantwortlichen Redakteur zu suchen ist, sondern in deren Abhängigkeit von Hierarchien:

"Der Erfolg der Redakteure besteht heute eher darin, die Wünsche ihrer Chefs zu erahnen, um innerhalb der Funkhäuser Karriere zu machen, als sich auf die Suche nach der besonderen, der relevanten oder gar provozierenden Geschichte zu machen."

Auch wohltuend für eine Öffnung der Debatte ist der Hinweis, dass Aufreger sich hierzulande nur mit "Reality-Formaten der Privaten" herstellen ließen – weshalb man gleich anfängt zu grübeln, warum RTL, das über seine Finanzierung durch Werbung direkt von Zuschauerzahlen abhängig ist, sich Günter Wallraff leistet und nicht wenigstens das einmal ein kalkulierbar andere "Farbe" im ewig gleichen Themenfernsehkrimifilmmittwoch-Programm von ARD und ZDF ist.

Im Tagesspiegel von heute antwortet nun mit Gebhard Henke der Leiter des Programmbereiches Fernsehfilm, Kino und Serie, also ein, zumindest vom Papier her, ziemlich einflussreicher Mensch für die deutsche Filmproduktion.

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Leider ist Henkes Antwort eine Enttäuschung Eine Enttäuschung ist Henkes Antwort nur für jemanden, der noch nie einer dieser zahl- und sinnlosen Diskussionen über Fernsehqualität mit Klaudia Wick oder Carl Bergengruen erlebt hat:

"Die Förderung des filmischen Nachwuchses durch die Redaktionen von ARD und ZDF ist großartig und einmalig."

Sagt Henke. Und imprägniert sich gegen Kritik mit dem Warum-immer-alles-so-schlecht-sehen-Spray:

"Mich irritiert in Deutschland seit langem ein ausgeprägter Selbsthass von Kritikern und auch Kreativen gegenüber unseren eigenen Hervorbringungen. Immer mit dem Unterton: Wir könnten es so viel besser, wenn man uns ließe."

In gewisser Weise ist eine solche Argumentation eine Bankrotterklärung, weil sie aus dem Kindergarten kommt: Selber doof!

Und deshalb kann man sich schon fragen, welcher Grad an Verblendung in den öffentlich-rechtlichen Sendern herrscht, dass man glaubt, die Realität des deutschen Fernsehens, bei allem unberechtigten, übertriebenen oder nur nachplapperndem Geschimpfe, einfach schön reden zu können wie das ZK der SED die DDR in den achtziger Jahren.

"Es grenzt doch an Haarspalterei, wenn man einen kategorialen Unterschied zwischen einem opulenten Mehrteiler bei uns und einer internationalen Mini-Serie konstruiert."

Meint Henke. Das Traurige an seiner Replik ist auch, dass er mit keinem Wort auf die strukturellen Kritikpunkte von Henning eingeht. Beziehungsweise mit rhetorischen Fragen:

"Und wer ist schuld daran? Die Redakteure der Sendeanstalten. Die ständig sich wiederholende Bezichtigung: Wie schaffen es Heerscharen von inkompetenten und feigen Redakteuren bloß, ganze Generationen von Kreativen an der Entfaltung ihrer Genialität zu hindern?"

Die nur leider das Problem haben, dass sie keine rhetorischen Fragen sind: Die Frage nach dem Wie lässt sich schlicht und einfach antworten – weil sie es können, weil sie darüber entscheiden.

Im Wunsch, den Vorwurf durch eine rhetorische Frage vom Tisch wischen zu können, spürt man die Verletzung des WDR-Redakteurs, der sich persönlich angegriffen fühlt. Dabei kann man gerade Hennings Text so lesen, dass es ihm eben nicht um ein billiges "Gebhard Henke ist doof, weil er Gebhard Henke ist" geht, sondern um eine Struktur, in der nur belohnt wird mit Anerkennung und Beförderung, wer sich nach oben nicht querstellt mit Filmen, die man nicht über kompromisslose Spitzenquoten rechtfertigen kann.

Wobei man auch Zweifel am Fernsehverständnis von Henke haben kann, der als Gegenbeweise für die Qualität des deutschen Fernsehens ausgerechnet die Serien wertschätzt, die die Öffentlich-Rechtlichen bei der Ausstrahlung stiefmütterlich behandelt haben: "Im Angesichts des Verbrechens" und "Weissensee".

Und natürlich den Tatort:

"Das Klagen über die fehlende deutsche Antwort auf 'Homeland', 'House of Cards' und 'Breaking Bad' und die nahezu manische Glorifizierung dieser Serien macht offenbar mehr Freude als darüber zu schreiben, dass die künstlerische Qualität, die kreative Kraft und viele Produktionsmittel in Deutschland seit Jahrzehnten in viele herausragenden Fernsehfilme bei ARD und ZDF gehen, zum Beispiel in die äußerst erfolgreiche 'Tatort'-Reihe, die gerade jüngere Zuschauer im Übrigen wie eine Serie rezipieren und die eindrücklich dokumentiert, wie man im Krimi-Genre gesellschaftlich relevante Zeitstücke erzählen kann."

Dabei – und da fragt man sich, ob Henke das als "Tatort-Koordinator" nicht sehen kann oder nicht sehen will – verdankt sich der Erfolg des Tatort gerade nicht seiner hochstehenden Qualität (die schwankt zwischen den Folgen mitunter drastisch), sondern einer gut gepflegten Sendeplatz-Vorspann-Tradition (was man nicht schlecht finden muss, es ist nur was komplett anderes als der Grund für die Beliebtheit von "Breaking Bad").

Am Ende des Text stirbt die Hoffnung nicht:

"Ich denke selbstkritisch, dass sich die Serie wahrlich in den letzten Jahren zu sehr nur der leichten Unterhaltung verschrieben hat und es einen Nachholbedarf gibt, gerade wenn man die Errungenschaften der 'kleinen' Fernsehländer Dänemark und Österreich betrachtet. Ich bin aber guter Dinge, dass die ARD hier auf die Wünsche avancierter Zuschauer reagieren und in nächster Zeit Serien mit einer anderen Ausrichtung produzieren wird."


Altpapierkorb

+++ Nicht ohne Ironie an Henkes Argumentation ist übrigens, dass er anfangs den jammernden Kritikern ihr Früher-war-alles-besser vorhält, um am Ende, wenn er Namen für deutsches Qualitätsfernsehen nennt, darauf hinweist, dass "nach den 'Unverbesserlichen' oder 'Familie Hesselbach' eine High-Quality-Serien-Tradition mit 'Rote Erde' oder 'Heimat'" gegeben habe (und zuletzt eben mit "Im Angesicht des Verbrechens" und "Weissensee", beide von 2010) – "Rote Erde" von 1983 und "Heimat" von 1984. +++ Aber der Hinweis, dass es durchaus eine Tradition gebe, an die sich anschließen ließe, ist nicht verkehrt – das kann man auch den Nachrufen auf den Drehbuchautor Justus Pfaue entnehmen. "Rund um die 80er Jahre konnte man beinahe sicher sein, dass die Zeit nach Heiligabend geprägt wurde durch die Werke des Berliner Autors. Damals leistete sich das Fernsehen, besonders das ZDF, noch den Luxus einer eigens produzierten Weihnachtsserie. Pfaue war ihr Stammschreiber, lieferte die Bücher und blieb doch stets im Schatten", schreibt Hans Hoff in der SZ (Seite 23). +++ "Mit Justus Pfaue verbindet sich ein Genre des deutschen Fernsehens, das ein Jahrzehnt lang prägend war, mit dem das ZDF noch heute identifiziert wird und an das man sich mit sentimentalem Anflug erinnert: die Weihnachtsserie. 'Timm Thaler', 'Silas', 'Oliver Maass', 'Patrik Pacard', 'Jack Holborn', 'Manni, der Libero', 'Clara' und 'Anna' – das stammte alles von dem Drehbuchautor Justus Pfaue. Ihm gelang es, gefühlsbetonte Geschichten so gerade eben am Kitsch vorbeizumanövrieren, den Taschentucheinsatz gleichwohl ohne Scheu herauszufordern", steht im Text von Michael Hanfeld in der FAZ (Seite 13, hier die kurze Online-Variante). +++ David Denk in der TAZ: "Drehbuchautoren sind – von ganz wenigen Stars abgesehen – die Unsichtbaren des Film- und Fernsehgeschäfts. Sie liefern die Vorlagen, beklatscht werden andere – Schauspieler, Regisseure, ja sogar Produzenten. Dies ist ein letzter Applaus für Justus Pfaue. Der Schöpfer vieler ZDF-Weihnachtsserien ist im Alter von 71 Jahren in Berlin gestorben." +++

+++ Bei der "Late Night Show" fehlt dagegen eine Tradition, sagt Friedrich Küppersbusch in seiner TAZ-Kolumne zum Abgang von Harald Schmidt: "Bei den US-Vorbildern wie Letterman und Leno funkelt bis zum Ende ein 50er-Jahre-Standmikrofon auf dem Studiotisch herum, um direkte Blutsabstammung zu den ursprünglichen Radioshows zu beblinddarmen. Bei uns ist es ein Format ohne Unterleib, ohne Geschichte, kein Möbel. Es besteht aus Schmidt und schiefgegangenen anderen Versuchen. Dass Schmidt nun fast synchron mit der FDP ins Reich der Untoten wechselt, kann man als Verlust von Gemütlichkeit empfinden." +++

+++ Welche Schwierigkeiten fürs Privatleben es mit sich bringt, bei Springer in verantwortungsvoller Position zu arbeiten, erzählt BamS-Chefredakteurin Marion Horn im Portrait von Claudia Fromme aus der Samstags-SZ (Seite 38): "Ihre ältere Tochter habe, als sie Teenie war, Bild nicht lesen dürfen. 'Ich wollte es nicht, dass sie so ein Bild von Frauen als Opfer entwickelt.' Damit sich etwas ändere, müsse man in den 'übermackerten Redaktionen' gegenhalten, bis sich etwas ändert." +++ Etwas vorenthalten hat offenbar auch der SWR-Sportreporter Jens-Jörg Rieck seiner Familie – seine Tätigkeit als IM für die Stasi: "Als der SPIEGEL Rieck mit seiner IM-Vergangenheit konfrontierte, bat er um ein persönliches Gespräch. Er sagte einige Tage später, er habe nach dem Anruf des SPIEGEL seine Familie, seine Freunde, Kollegen und Vorgesetzten über seine Spitzeldienste fürs MfS informiert. Die ganze Angelegenheit sei ihm sehr peinlich." Steht im Spiegel (Seite 76). Dort wie in den nachfolgenden Meldungen wird der Fall fast unaufgeregt sachlich behandelt. Der SWR sieht auch keinen Grund zur Empörung. +++

+++ Michael Moorstedt beschäftigt sich in der SZ (Seite 23) mit von Superreichen gefundetem Journalismus wie Ebay-Gründer Pierre Omidyars "The Intercept": "Was hat sich nach einem Monat getan? Es gibt eine schick-reduzierte Website und Büros in New York, Washington und San Francisco. Das Impressum zählt zwölf Mitarbeiter, und die Schar der Twitter-Follower ist mittlerweile auf mehr als 50 000 angewachsen. Knapp zwei Dutzend Artikel sind im ersten Monat erschienen. Nicht gerade viel in einer Zeit, in der das oberste Credo des Online-Journalismus noch immer die Output-Optimierung ist." +++ Anna Prizkau wundert sich in der Sonntags-FAZ über die Gewalt gegen Frauen im "Tatort". +++

+++ The New Republic lobt Tilo Jungs "Jung&Naiv"-Gespräche in der Ukraine: "He spoke to ethnic Russians, Ukrainians, Crimean Tatars, and many politicians and protesters among them as he traveled across Europe's largest country. 'On the roads between the major cities, you can't tell that the country's in the middle of a revolution,' Jung said." +++ Äußerst bemerkenswert: Der Deutschlandfunk versucht auf die Kritik der Hörer an der eigenen, als zu einseitig empfundenen Russland-Berichterstattung zu reagieren. Als Arzt, der sagen soll, ob die Diagnose stimmt, wird Gerd Koenen befragt, der zwar zu keinem klaren Urteil kommt und vom Thema auch irgendwie wegmäandert, bis er bei seinem Onkel in Stalingrad landet. Aber: Respekt. +++

+++ "Nun muss sich Leif, Chefreporter des Südwestrundfunk (SWR), wegen Betrugs in vier Fällen vor Gericht verantworten. Wie das Nachrichtenmagazin 'Focus' in seiner neuen Ausgabe meldet, hat die Staatsanwaltschaft Wiesbaden Anklage gegen den ehemaligen Vorsitzenden des Vereins Netzwerk Recherche erhoben", schreibt Thomas Lückerath auf DWDL.de. +++ Die Topfvollgold-Betreiber Moritz Tschermak und Mats Schönauer haben ihren Bachelor – mit dem ja alles anfing und nachdem es trotzdem weitergeht. Glückwunsch. +++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.

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