Egon Erwin Kommunist

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Angela Merkel sorgt in Sachen Schumacher für Entlastung, wird selbst aber durch Bildpolitiken der Macht gestresst. Journalisten werden verdächtigt, links orientiert zu sein. Sind sie aber nicht. Eine große Geschichte des aktivistischen Journalismus. Und ein Film über einen großen Friedensaktivisten.

"Wir gehen von niedriger Geschwindigkeit aus", ist fast schon ein Satz, den man in medienparodistisch versierten Kontexten erwarten würde. Gesagt hat ihn allerdings der Regierungssprecher über Angela Merkels Sturz beim Skifahren, der sich damit, ob er das beabsichtigt oder nicht, auf Schumis Sturz bezieht. So schafft Angela Merkel Entlastung von der Anspannung in Grenoble und anderswo.

Genesungswünsche für die Kanzlerin treffen ein. Derweil fragen sich Medien, wie die Nachricht vom Skiunfall Merkels zu covern ist. Schumi-äquivalent verfährt dieses Video, das auf welt.de zu finden ist: passende Archivbilder (2011 benötigte Merkel schon einmal Gehhilfen) und in Ermangelung anderer Quellen Ferndiagnosen von Ärzten, die nicht die behandelnden sind. In nuce und unaufgeregter könnte man da die ganze medienethische Diskussion noch einmal oder überhaupt führen: Ist es Information oder indiskutabel, wenn sich ein Arzt hinstellt, Beckenbruch erklärt und über Heilungschancen mutmaßt. Won't do that.

Für die Entlastung, den comic relief, den der Merkel-Unfall verschafft, spricht die Herangehensweise der TAZ. Daniel Schulz listet unter der Überschrift "Hoppala!" im ja eh lockereren Ressort tazzwei "eine kleine Typologie der Skiunfällle" auf.

"1. Die Prinzenrolle
Der Sturz des Adels als beherrschende Klasse war lang, tief und blutig. Ein Trauma, zu dessen Bewältigung auch heute noch gern und viel gestürzt wird.
Beispiele: Februar 2013, Prinz Laurent aus Belgien, Sturz in Österreich, verletzt. März 2002, Prinzessin Mette-Marit aus Norwegen, Unfall in Norwegen, Knöchelbruch. Februar 2001, Prinzessin Caroline aus Monaco, Skiunfall in Österreich, Kreuzbandriss. Eher untypisch: Februar 2012, Prinz Johan Friso aus den Niederlanden, in Österreich von Lawine verschüttet. Fällt ins Koma. Stirbt am 12. August 2013."

Nach Schumis schlimmen Sturz wäre das undenkbar, weil pietätlos gewesen, aber selbst jetzt, mithilfe von Merkels Malaise, liest es sich immer noch zwiespältig: Der Tod von Johan Friso will nicht recht zu dem launigen Tonfall passen oder umgekehrt.

Eine elegante Lösung über Merkels Unfall zu schreiben hat Nikolaus Bernau in der Berliner gefunden. Er konzentriert sich nicht auf den Sturz, sondern die Folgen, und verfasst eine kleine Kulturgeschichte der liegenden Macht.

"Papst Johannes Paul II. machte sein öffentliches Sterben zu einem Kampf gegen die Verachtung des Alters und der Gottergebenheit. Ein Bild von ihm auf dem Bett gab es aber erst, als er dann tot war. So wie auch der große britische Politiker Winston Churchill nur einmal in eine hilflosen Position zu sehen, als er 1931 einen schweren Unfall erlitt. Und selbst auf diesen Fotos ist er noch witzig Herr der Lage!"

Musste er ja, ist doch das Auf-Hilfe-angewiesen-sein das Problem für Mächtige im Besonderen mit solchen Situationen.

Dabei gibt es durchaus Varianten, das Liegen als Herrschaftsgeste zu performen:

Der Hochadel, dem Churchill als Mitglied des Hauses Marlborough angehörte, zeigte so, dass er es nicht nötig hat, früh aufzustehen, um schnöder, abhängiger Arbeit nachzugehen. Auch König Ludwig XIV. empfing beim Lever, oft noch im Bett liegend. Diese Aufsteh-Zeremonie war von ihm zu einer Kunstform entwickelt worden, ritualisiert bis hin zum Leeren des Nachtopfs."

Ach, möchte man fast wehmütig seufzen, im Absolutismus, da war die Welt noch in Ordnung, wohingegen Merkel unmöglich in solche Lazyness regredieren könnte. Der Turbokapitalismus fordert von allen Opfer: Es darf nur nicht so aussehen, als habe die Kanzlerin trotz, äh, Beeinträchtigung die Situation nicht im Griff. Auch anstrengend.

Gesundungsverläufe wie bei Churchill sind deshalb nicht zu erwarten, lautet die Pointe von Bernaus Text doch:

"Die Arbeitspause von einem Jahr nutzte Churchill 1931 übrigens, um sich vom reaktionären Imperialisten zum gemäßigten Konservativen zu wandeln. Eine Grundlage für jene große Koalition, mit der er Großbritannien dann so erfolgreich führte."

[+++] Auf die Frage nach Engagement und Journalismus (siehe Altpapier vom Donnerstag) gibt es heute weitere Antworten. Etwa von Sylvia Egli von Matt, Leiterin der Schweizer Journalistenschule MAZ, wobei das putzigste die Frage von Rainer Stadler von der NZZ ist:

"Journalisten stehen unter Verdacht, dass sie links orientiert seien. Wie sind die Jungen ausgerichtet?"

Stehen Sie das? Und wenn ja, wer verdächtigt? Sieht Frau Egli von Matt auch so und beruhigt nebenher die Befürchtungen Stadlers:

"Die parteipolitische Bindung ist geringer als früher. Ich glaube zudem nicht, dass die links-grün-alternativen Positionen bevorzugt werden."

Dabei böte die Lage Anlass zur Reflektion.

"Sie bekommen über die Studenten einen guten Einblick in die Medienbetriebe. Welche Schlüsse ziehen Sie?
Der Arbeitsdruck hat enorm zugenommen. Meines Erachtens ist es teilweise unverantwortlich, wie die Leute produzieren müssen.

Unverantwortlich in Bezug auf die Arbeitsbelastung oder in Bezug auf das, was aufs Publikum losgelassen wird?
Beides. Primär im Hinblick auf die Medienqualität. Aber auch im Hinblick auf die Ausbeutung der Arbeitskräfte. Zu uns kommen müde Studenten.

Müde?
Weil sie gute Arbeit leisten wollen, beuten sie sich selber aus. Selbstausbeutung ist jedoch kein nachhaltiges Programm."

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Zurück zum Aktivismus. Wolfgang Michal hat seinen Kommentar unter Gábor Páals Carta-Text (siehe Altpapier von gestern) zu einem eigenem Carta-Text ausgearbeitet. Was heißt Text – jeder, der ihn gelesen hat, könnte sagen, er habe noch bei Michal gehört, ohne die Unwahrheit zu behaupten.

Selbstergriffenen Me-and-Meinesgleichen-Auskünften hält Michal aufschlussreiche Fragen entgegen:

"Die Jahrzehnte lang als unumstößlich geltende 'Hanns Joachim Friedrichs-Doktrin' ('Ein Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten') ist durch 'aktivistische Journalisten neuen Typs' wie Glenn Greenwald, Jeremy Scahill, Jacob Appelbaum, Laura Poitras ins Wanken geraten. Diese Journalisten ‚neuen Typs’ gehen aufgrund ihrer Recherchen von einer Gefahren-, Ausnahme- oder Notwehrsituation aus, die den gegenwärtigen Journalismus zur Aufgabe der professionellen Distanz zwinge. Zu fragen wäre daher: Existiert dieser Notstand? Und wenn ja, rechtfertigt er ungewöhnliche journalistische Herangehensweisen? Tritt aktivistischer Journalismus nur zu bestimmten Zeiten auf? Und wird er durch politische Reformen überflüssig?"

In dieser Perspektive erfordern besondere Verhältnisse besondere Maßnahmen, also aktivistischen Journalismus:

"Man kann bis heute vier Hochphasen unterscheiden: die Wurzeln um 1900, die Zeit zwischen den Weltkriegen, den Umbruch der 68er-Jahre und die Ära der einzigen Weltmacht."

Hübsch bei Michals munterer Tour d'horizon durch die Geschichte des aktivistischen Journalismus sind Trouvaillen wie diese:

"Kisch und Lania sind Journalisten und aktive Kommunisten."

Dass bei dem Streit eine Konkurrenzsituation eine Rolle spielt, ist nicht ausgeschlossen: Was der Gleen Greenwald da macht, das sollte doch unsere Arbeit sein. Und dass die Verwechslung von aktivistisch und meinungslastig etwas mit Sozialisation zu tun haben könnte, ist der trockene Witz, den Michal am Ende macht:

"Heute kommen aktivistische Journalisten nicht mehr so sehr aus Parteien (wie noch in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts), sondern aus NG-Organisationen, aus Umwelt- und Protestbewegungen (Greenpeace, Attac, Occupy), Entwicklungshilfeprojekten und Bürgerrechts-, Dissidenten- und Menschenrechtsgruppen (Amnesty International, Reporter ohne Grenzen, etc.). Das unterscheidet sie von ‚normalen’ Journalisten, deren erste (und einzige) Erfahrung oft die Journalistenschule ist."


Altpapierkorb

+++ Sonst so: Fridtjof Küchemann hat in der FAZ mit dem Rechtsanwalt Carl Christian Müller über die Abmahnkanzlei gesprochen, die Müller aus berufsethischen Gründen nun verklagt. "Wir haben die fachliche Kenntnis und die Mittel, hiergegen vorzugehen, also tun wir es. Wir sehen in den Abmahnungen zudem den Versuch, schnell Einnahmen zu generieren, und wollen nicht zuletzt auch im Interesse unseres Berufsstandes ein Zeichen setzen, dass es noch Anwälte gibt, die nicht Vertreter vor allem ihrer eigenen Interessen sind und juristischen Laien mit haltlosen Forderungen das Geld aus der Tasche ziehen." +++ In der SZ (Seite 31) berichtet Katya Gorchinskaya, die stellvertretende Chefredakteurin der englischsprachigen Wochenzeitung Kyiv Post in Kiew, über die körperlich drangsalierten Journalisten in der Ukraine: "Allein am 1. Dezember wurden mindestens 45 Journalisten bei Massentumulten von Polizisten verprügelt. Videos und Fotos bezeugen die Ereignisse; sie zeigen, dass die Polizei gezielt gegen Journalisten vorging, diese identifizierte und Foto- und Filmaufnahmen von ihnen machte. Wochen später ist noch immer keiner der Angreifer bestraft worden. Damit setzt sich die Regierungstradition von Verschleierung und Nichtverfolgung von Verbrechen gegen Journalisten und Kritiker fort." +++ Und ein Nachtrag vom Wochenende: Bjarne Mädel steigt bei "Mord mit Aussicht" aus, weil er keine Lust mehr hat auf sich verschlechternde Arbeitsbedingungen durch die Sender bei gleichzeitig höchsten Lob durch die Sender. Schizophrenien des deutschen Fernsehsystems. Hans Hoff berichtet in der SZ. +++

+++ Sonst Fernsehen, und da ein Film, der unisono gelobt wird: Eric Friedlers Dokumentarfilm über Abie Nathan, "The Voice of Peace" (22.45, ARD). AP-Autor René Martens schreibt in der TAZ über den Aktivisten, der im Konflikt zwischen Israel und Palästina jahrelang mit dem Radio auf hoher See vermittelte: "Die Mehr-als-Dickköpfigkeit bringt Nathan mehrmals in Gefängnis. 1991 etwa, weil er sich verbotenerweise mit PLO-Chef Jassir Arafat getroffen hat. Drei Jahre macht sein Freund Peres, der ihn 1991 noch hinter Gitter gebracht hat, nichts anderes - und bekommt den Friedensnobelpreis. Will man wirklich etwas verändern, ist es halt nicht immer hilfreich, sich an Gesetze zu halten." +++ Joachim Huber im TSP: "Warum jetzt ein Film über Abie Nathan? Warum erst jetzt, das wäre die bessere Frage. Wenn Fernsehen ein Medium der Erinnerung und der Zeitgeschichte ist, dann gehört diese Person der Zeitgeschichte erinnert. Friedler sichtet, sammelt und sortiert, bis das Denkmal steht. Nicht in Stein, inhaltlich und visuell ein Fluidum. Die Produktion verfolgt und verknotet zwei Linien nach der Maßgabe der visual oral history." +++ Thorsten Schmitz für die SZ (Seite 31): "Eric Friedler ist ein großer Film gelungen. Rasant, vergnüglich und traurig stimmend zugleich zeichnet er den unglaublichen Weg eines Menschen nach, der mit Sadat, Arafat und Peres geredet und Millionen Menschen mit seinem Piratenschiff glücklich gemacht hat und 2008 nach zwei Gehirnschlägen in Tel Aviv verstorben ist." +++ Und Michael Hanfeld meint in der FAZ (Seite 31): "All diese Stimmen verbindet der preisgekrönte Filmemacher Eric Friedler, dem wir epochale Stücke wie 'Aghet' über den Völkermord an den Armeniern oder die Dokumentation 'Das Schweigen der Quandts' zu verdanken haben, zu einem meisterhaften Anderthalbstunden-Konzert." +++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.

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