Kai Wiesinger hat Christian Wulffs Gefühle erfahren. Er wurde erpresst. Nico Hofmann hat kein Problem mit Kai Diekmann. Der Bremer "Tatort" wird als mutig gelobt. Die Welt stellt fest, dass er auch unrealistisch ist. Matthias Matussek brüllt seine größten Erfolge raus.
Gestern an dieser Stelle noch vermisst, geht heute doch noch was zum neuesten Nico-Hofmann-Schocker "Der Rücktritt" (Sat.1, 20.15 Uhr). Man kann auf jedem Fall von einem "Tagessieg" (Jens Schröder, Kress) in Sachen Aufmerksamkeitszuteilung sprechen, wobei ein Unterschied zum Standardfernsehfilm darin besteht, dass nicht nur routiniert durchrezensiert wird.
Es gibt Interviews mit Beteiligten. Skurril fällt die Variante in der Süddeutschen aus (Seite 35). Dort fragt Marc Widmann Kai Wiesinger, wie Christian Wulff sich gefühlt hat, weil Kai Wiesinger ja Christian Wulff spielt.
"Ein ganz starkes Gefühl von Machtlosigkeit, von Hilflosigkeit in einer Situation, in der man glaubt, dass man Fäden in der Hand hat, und plötzlich merkt, dass an den Strippen nichts mehr dranhängt. Wenn man dann noch eine ungeschickte Drehung macht, einmal falsch beraten wird, ist man in einer hoffnungslosen Situation."
Darauf souffliert Widmann, was aus der Berichterstattung jener Tage zu erinnern ist:
"Ein Getriebener?"
Wiesinger:
"Dieses Gefühl war immer da: Dass um einen herum Dinge passieren, auf die man nur noch reagieren kann. Und dass sich Menschen um einen herum zu Richtern aufschwingen, das ist schwer zu ertragen."
Es ist nicht 1. April. Aber man kann Wiesingers Wulff-Auskünfte auch als verschlüsselte Botschaften über die Arbeitsbedingungen beim Dreh lesen. Schauspieler haben es auch nicht leicht. Sie werden, nur um PR zu machen, zu Sachen gefragt, die mit ihren Rollen zu tun haben, nicht mit ihrer Arbeit.
Oder warum soll ausgerechnet Kai Wiesinger etwas Originelles auf folgende Frage von Jakob Buhre und Paula Emilia Huppertz im Gespräch der Berliner antworten:
"Das Verhältnis zwischen Medien und Politik scheint aus der Balance gekommen zu sein – was müsste passieren, damit wieder das richtige Gleichgewicht hergestellt ist?"
Eben. Hinten raus wird das Gespräch, dessen extended Variante auf planet-interview.de steht, noch interessanter, weil Wiesinger den Umgang mit Springers heißem Blatt aus eigener Erfahrung kennt:
"Frage: Aber warum haben Sie sich Anfang 2012 entschieden, Ihr Privatleben in einem Interview mit der 'Bild' zu besprechen?
Wiesinger: Weil es eine Situation in meinem Leben gab, wo man so anfällig ist und so labil, dass man erpresst werden kann. Außerdem können Überschriften und Texte durch Kürzungen so verändert werden, dass eine Wirkung erzielt wird, die nie beabsichtigt war. Und es können Wahrheiten im Netz kursieren, die nichts mit der Realität zu tun haben. Ich habe zwei Jahre lang still gehalten, mit meinen Kindern so viel Zeit verbracht wie möglich und mich nie irgendwo erklärt oder gerechtfertigt. Weil ich in eine Situation reingeraten bin, die ich niemandem wünsche, die ich nie wiederholen möchte und die nicht von mir zu steuern war."
Fürs Verständnis bleibt die Erklärung etwas vage, genauso wie man sich natürlich wünschte, Wiesinger sei nicht eingeschüchert von der Macht des Springer Konzerns und würde nicht nur über das "Dass", sondern auch das "Wie" der dort gepflegten Arbeitsmethoden reden.
"Es gibt Situationen, da wird man erpresst."
Kein Problem mit Kai Diekmann hat naturgemäß Nico Hofmann.
"Kai Diekmann und ich sind ironiefähig."
Sagt er im aufschlussreichen TAZ-Interview von David Denk und Jürn Kruse. Auf die naheliegende Frage, ob es nicht bedenklich ist, sich bei der Wulff-Geschichte auf Bild-Leute zu stützen, die in der Geschichte Partei sind, verleiht Hofmann gleich noch einen Nannen-Preis:
"Nein. Mit führenden Journalisten des Landes zusammenzuarbeiten, wie es übrigens in England und Amerika gang und gäbe ist, kann doch der Qualität eines Projekts nur nutzen."
Hübsch ist, wie hier in Weltläufigkeit geflohen wird, die bei qualitativen Diskussionen der eigenen Arbeiten dann aber besser draußen bleiben muss. Auf die weltumspannenden Erfolge von "Umuv" kommt Hofmann von sich aus zu sprechen, halb Opfer, halb reumütig:
"Wegen 'Unsere Mütter, unsere Väter' kann ich ja fast nicht mehr nach Polen einreisen. Wie sich die Polen durch den Film verletzt fühlen, das kann ich nachvollziehen. Und dennoch: Ich wäre gerne eingeladen worden, um zu den Vorwürfen persönlich Stellung zu nehmen."
Vielleicht kann solch ein Termin bei Gelegenheit noch organisiert werden, von Interesse wäre das ja.
Von Interesse ist auch, wie Hofmann nebenher über seine Arbeit redet.
"Die Marktsituation ist einfach viel problematischer geworden. Seit Jahren sinken die Budgets. Die Tagesgagen, die manche Top-Schauspieler fordern, sind damit nicht mehr kompatibel. Ich lege gegenüber den Agenturen das jeweilige Budget offen und bitte darum, zu verstehen, dass wir auch Geld verdienen müssen und nicht unter dem üblicherweise kalkulierten Gewinn produzieren."
Wo gekürzt werden kann, erklärt Hofmann am Beispiel des geplanten Grzimek-Films:
"Dafür haben wir ein Budget von knapp 6 Millionen Euro, das Drehbuch ist aber noch zu teuer. Ich habe also 48 Stunden Zeit, um das Drehbuch ans Budget anzupassen und dabei den Bedürfnissen aller Beteiligten Rechnung zu tragen."
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Besprechungen gibt es auch. Im TSP hält sich Kurt Sagatz an die Nico-Hofmann-PR-Linie:
"Produzent Nico Hofmann verbürgt sich dafür, dass sich sämtliche Äußerungen belegen lassen. Ein Teil der Fakten beruht auf dem Buch 'Affäre Wulff' der beiden 'Bild'-Journalisten Martin Heidemanns (im Film mit bohrendem Blick: Thorsten Merten) und Nikolaus Harbusch. Zudem war der 'Spiegel'-Mann Jan Fleischhauer Schadt beim Schreiben des Drehbuchs behilflich."
Nebenan schreibt the one and only TPG:
"Die Kombination von dokumentarischem Material und Spielszenen ist Schadt hier womöglich noch besser gelungen als bei seinem Kohl-Porträt, weil er die Affäre Wulff aus drei Perspektiven beleuchtet: Die Außenansicht der öffentlichen Auftritte, bei denen sich die Wulffs nichts anmerken lassen, wird konterkariert durch die Spielszenen, die buchstäblich hinter die Fassade blicken..."
Wobei man an der Relevanz dieses Hinter-die-Fassade-Schauens wie dem Sich-Verbürgen schon Zweifel kriegen kann, wenn Christine Käppeler im Freitag [für den ich arbeite] nicht einen vom Pferd erzählt:
"Und als man denkt, der Schokoladennikolauswitz sei endlich durch, weil der präsidiale Weihnachtsbaum nun aufgestellt ist, da sieht der soeben gefeuerte Wulff-Sprecher Olaf Glaeseker den von Wulff geschenkten Mini-Nikolaus auf seinem Schreibtisch und wirft ihn mit einer Träne im Auge in den Büromülleimer."
An dieser Stelle fällt einem dann auf, dass das für die Nico-Hofmann-PR typische Sichten mit einem Abgleicherexperten fehlt, der sagt, so war es.
+++ Ist aber auch egal, die Leute glauben es auch so. Schönstes Beispiel: die Räuberpistole von "Tatort" von vergangenem Sonntag (hier meine Kritik). Ein Film, der vorn und hinten nicht funktioniert, aber geschätzt wird als knallhart an der Dokumentation, weil er total mutig was ausspricht, was man nicht mehr noch sollen sagen dürfen können wird. Robert von Lucius bilanziert, nicht ohne Sympathie, in der FAZ die populärste Reaktion im RB-Chat: "Überwiegend aber, und nüchterner als sonst in Internetforen, wird der Mut von Radio Bremen gerühmt, einmal nicht auf politische Korrektheit zu setzen und Tabus zu brechen." Da kann man fast verstehen, dass Thilo Sarrazin sauer ist, weil der wegen etwas gedisst wird, das an anderer Stelle von der FAZ dann wieder gelobt wird. +++ Sonja Álvarez muss bei der Verlängerung der dpa-Meldung im TSP über ein Dementi aus der Bremer Politik mit Projektionen arbeiten, damit Sinn rauskommt: "Können sich Clan-Mitglieder dauerhaft von ihrer Umgebung lösen, gehörte zu den zentralen Ermittlerfragen." In den Drehbucherklärungen vielleicht, im Film hat man von einem Konflikt nichts gesehen. +++ Am übelsten ist eigentlich, dass einen dieser angstbesetze Gesetzlosigkeitsporno, den sich die weiße deutsche Mittelschicht reinzieht, damit sie immer noch was gegen "Ausländer" haben kann, zwingt, Miriam Hollsteins Realitätsabgleich in der Welt hervorzuheben. Die merkt etwa zur Aufgusslöffelszene mit dem Richter in der Sauna an: "Unrealistisch! Zwar kommt es vereinzelt vor, dass Angehörige von Straftätern versuchen, Richter zu bedrohen. Ein so krasser Fall ist allerdings noch nie bekannt geworden." +++
+++ Marvin Oppong eruiert auf Meedia.de, wie die vom Presserat angedachten Regeln zum Online-Kommentieren umgesetzt werden können. Welt.de etwa setzt auf "Prämoderation": "Ende Januar berichtete Welt.de zum Beispiel, dass etwa '120 Männer aus den Niederlanden … sich den Rebellen in Syrien angeschlossen' hätten. 'Im Video-Interview erklärt einer von ihnen, wieso er in den Krieg gezogen ist. Er ist gekommen, um zu sterben', so der Vorspann des Artikels. Unter diesem schaltete die Redaktion von Welt.de trotz der nun schon länger existierenden 'Prämoderation' mehrere Kommentare frei, die den Rebellen gutes Gelingen bei Ihrem Todeskommando wünschten, darunter auch folgenden: 'Dann sollten (sic!) man ihnen doch den GEFALLEN ganz schnell tun! Wie wär’s mit einer DROHNE…KAASKÖPP??'" +++ Lan-Na Grosse schreibt in der TAZ über das Ende von Piers Morgan als Larry-King-Nachfolger bei CNN: "Ein weitaus profanerer Grund könnten aber die sinkenden Einschaltquoten der Sendung sein. Morgan hatte die tägliche Show beim amerikanischen Nachrichtensender CNN vor drei Jahren übernommen. Damals legte er mit rund zwei Millionen Zuschauern einen fulminanten Start hin, verlor aber gleich bei der zweiten Sendung ein Drittel der Zuschauer - der Beginn einer Talfahrt, die bei weniger als 300.000 Zuschauern endete." +++ Klint Finley hält es auf Wired für keine gute Idee in Sachen Netzneutralität, dass Netflix in den USA in Gebührenzahlungen an den Kabelnetzbetreiber Comcast einwilligt. +++ David Denk schreibt in der TAZ zum Ende des Deutschen Fernsehpreises: "Klar ist: Das deutsche Fernsehen braucht keinen Preis, über den sich bei der Aftershowparty alle geladenen Gäste das Maul zerreißen. Was es aber braucht, ist ein Forum, in dem Programmqualität über Systemgrenzen hinweg diskutiert und definiert wird." +++
+++ Für die SZ (Seite 35) hat Claudia Tieschky die beliebte Schauspielerin Anna Loos besucht, die demnächst die Hauptrolle in einer Krimireihe spielen wird: "Anna Loos liebt skandinavische Krimis, und sie sagt, das Projekt müsse man sich vorstellen als Versuch, 'so ein Ding nicht in E-Dur sondern in Dis-Moll zu machen'. Die Figur ist in Zusammenarbeit zwischen Regisseur Matti Geschonneck entstanden, der die ersten beiden Episoden inszeniert hat, und dem Autor Magnus Vattrodt." +++ Eva-Maria Lenz schreibt in der FAZ (Seite 35) zu einem ausgezeichneten Hörspiel mit Nadja Tiller und Fritz Lichtenhahn: "Der Autor und Regisseur Jean-Claude Kuner hat alle Szenen mit den Akteuren ausgewählt und daraus souverän 'Traumrollen' montiert. Dabei gelingt ihm ein reiches, weises, witziges Stück und zugleich der Glücksfall eines Hörspiels. So gewann 'Traumrollen', eine Koproduktion von Deutschlandfunk und Hessischem Rundfunk, den Preis 'Hörspiel des Jahres', den die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste verleiht." +++
+++ "Vielleicht habe ich aber als Journalist versagt: Ich war zu wenig hartnäckig, habe nicht nachgebohrt. Und unterschätzte die Bedeutung dieser neuen Publikation." Rainer Stadler schreibt in seiner NZZ-Kolumne nicht über Sarrazin, sondern über das Wochenende in der Schweiz, an dem die Roger-Schawinski-Lebensgeschichte medial verwurstet wurde. +++ Die Maischberger-Sendung macht mit einer Sarrazin-Ausladung geschickt von sich reden. +++ Da könnte doch das Debattenportal TheEuropean in die Bresche springen und eine Kontroverse um Sarrazins Argumentation aus dem Buch "Der neue Tugendterror" eröffnen: Knackige Thesen von Sarrazin, scharfzüngige Contras von Alexander Görlach, herausfordernde Pros von Robert Spaemann – da läuft jedem Debattenheinrich das Wasser im Munde zusammen. Zumal Zeit und Platz ja wäre, da Matthias Matussek die spannende und ungemein lehrreiche Homophobie-Debatte gerade beendet hat. Mit einem Rechtfertigungsgebrüll, als käme er aus der DDR und müsste sich für seine Vergangenheit schämen: "Ich habe tatsächlich über Goethe, Schiller, Hesse, Heine, die Romantiker, kürzlich Büchner geschrieben, ohne Probleme mit 'Leseverständnis' und 'Interpretation' und trotzdem fand die 'taz', dass da 'Rock’n’Roll im Laden war'." Die TAZ, immerhin die TAZ! Und dann ist es noch nicht mal Zustimmung! Egal! Es war nicht alles schlecht. +++
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder