Die Bahnhofsbuchhandlung als Staatsbibliothek

Die Bahnhofsbuchhandlung als Staatsbibliothek

Was das Dschungelcamp ausmachte. Alice Schwarzer und die vermeintliche Medienkampagne. Ein Neuzugang auf Jeps Gnadenhof. Die Bert-Donnepp-Preisträger. Reste der Lanz-Debatte. Eine Radioreportage, die uns amüsiert fühlen macht. Und mehr.

Eine Debatte (Lanz) und ein weiteres Medienereignis (Dschungelcamp) sind einigermaßen beendet, die nächste Debatte (Schwarzer) beginnt. Da gesund durchzukommen, ist unsere Dschungelprüfung an diesem Montagmorgen. Wo ist Dr. Bob?

Beginnen wir bei Alice Schwarzer. Sie hatte, wie der Spiegel berichtet, "über viele Jahre" ein Konto in der Schweiz "und die dort angefallenen Zinsen nicht, wie vorgeschrieben, dem deutschen Fiskus zur Besteuerung angegeben". Es deute alles darauf hin, dass sie sich wirksam selbst angezeigt habe und "bei ihr wegen tätiger Reue der Schuldvorwurf der unterbliebenen Steuerzahlung" entfalle. Der Anlass zur Berichterstattung ist daher, dass nach Zeit-Herausgeber Theo Sommer mit Schwarzer "zum zweiten Mal in kurzer Zeit eine moralische Instanz der deutschen Presse wegen einer Steuerangelegenheit auffällig" werde.

Die Meinungen zum Fall und zu seiner Veröffentlichung sind gespalten, was mit einigen Einordnungsfallstricken zu tun hat. Die Sache mit der "moralischen Instanz" wird tendenziell (siehe etwa Welt und TAZ), aber nicht ausschließlich (siehe nochmal Welt) zu Ungunsten Schwarzers ausgelegt; auch zur Frage, ob man über ihren Fall überhaupt berichten sollte, gibt es eine klare Tendenz, aber nicht mehr als das. Hans Leyendecker etwa, Chefinvestigateur der Süddeutschen, rekapituliert und fragt mehr, als dass er klar einordnen würde:

"Es ist die Geschichte einer geglückten Selbstanzeige, die dann trotz des Steuergeheimnisses und der Persönlichkeitsrechte, die auch ein Steuerhinterzieher hat, publik wurde. Darf man über so was berichten?"

No answer auf diese Frage heute von ihm. Leyendecker zitiert allerdings den Präsidenten des Bundesfinanzhofs, Rudolf Mellinghoff, "jeder Steuerpflichtige müsse sich darauf verlassen können, 'dass die Vertraulichkeit und Verschwiegenheit der Finanzbeamten gewahrt bleibt'", was ungefähr auch Schwarzers Argumentation und die ihres Anwalts ist. "Mehreren Medien", schreibt Leyendecker, darunter Focus und die Bild-Zeitung (für die Schwarzer als Werbepartnerin und Autorin auffällig geworden ist, was ihr Franz-Josef Wagner heute so dankt), "waren in den vergangenen Wochen Angaben über den Fall von einem Informanten angeboten worden (...). Beide brachten die Geschichte über die Steuerhinterziehereien nicht." Es gibt da draußen, gut wahrnehmbar, auch die Meinung, man könne es übertreiben mit der Kritik an gemeinschaftsschädigenden Schweinereien, insofern hat diese Zurückhaltung eine Zielgruppe.

Schwarzer selbst springt dankbar auf, sieht in der Veröffentlichung durch den Spiegel den Beleg medienethischer Verzwicktheit und fügt ihrer Vorwärtsverteidigung in eigener Sache die These hinzu, es gebe wohl einen politischen Grund für die Veröffentlichung. Ihre Offensivverteidigung nicht selbstgerecht zu nennen, ist allerdings unmöglich. Sie spricht von Rufmord und einem "Dammbruch für die Medien. Mit einem Präzedenzfall Schwarzer wird in Sachen Persönlichkeitsschutz die eh schon tiefe Latte noch niedriger gehängt. Illegal? Persönlichkeitsverletzung? Na und!" Worüber nach dem heutigen Tag noch Gesprächsbedarf bestehen dürfte, ist unter anderem, was Straffreiheit nach einer wirksamen Selbstanzeige (Wikipedia) mit Unschuld gemein hat.

Der Tagesspiegel nennt Schwarzer "(d)ie Frau, die Jörg Kachelmann öffentlich noch einen Vergewaltiger nannte, als das Gericht den Wettermann schon nicht mehr rechtlich belangte", Friedrich Küppersbusch befindet in der TAZ mit angemessener Distanz zu den Dingen auf "Ein schöner Tag bei Kachelmanns daheim", und auf der Meinungsseite weist die Schwarzer-kritische TAZ deren Selbstdarstellung am deutlichsten zurück: "Alice Schwarzer ist (...) eine Täterin, die knallhart ihre Eigeninteressen maximiert hat."

Für die mediale Gesamteinordnung vielleicht wichtiger als Sympathie- und PR-Taktikfragen dürfte allerdings sein, was Ulrike Herrmann in der verlinkten TAZ über Schwarzers Vorwurf schreibt, die Spiegel-Veröffentlichung sei "illegal":

"Was stimmt: Es ist strafbar, Steuergeheimnisse auszuplaudern. Dies gilt aber nur für den Informanten, nicht für den Spiegel, solange er die Tatsachen der Steuerflucht richtig wiedergibt."

####LINKS#### +++ Bevor das Dschungelcamp drankommt: Was der Spiegel veröffentlicht und was nicht, ist so eine Frage, die auch in anderem Zusammenhang gestellt wird. Hochgewürgtes Einen islamkritischen Text der Schriftstellerin Monika Maron hat er jedenfalls in der aktuellen Ausgabe nicht veröffentlicht, was die Welt am Sonntag skandalös zu finden scheint:

"'Welt'-Chefredakteur Jan-Eric Peters und seine Stellvertreterin Andrea Seibel haben am Sonntag nun mit einem bemerkenswerten Hinweis einen Beitrag von Schriftstellerin Monika Maron empfohlen, der in der 'Welt am Sonntag' ('Wams') erschienen ist: 'Dieser Text... wurde vom Chefredakteur des 'Spiegel', Wolfgang Büchner, kurz vor Redaktionsschluss und gegen die Meinung aller beteiligten Redakteure noch aus dem Heft geworfen.' Es las sich ein wenig so, als ob der Text damit automatisch das Prädikat 'besonders wertvoll' trage",

schreibt Sonja Alvarez im Tagesspiegel. Dieses Prädikat trägt der Text nicht. Es beginnt schon damit, dass Maron den Islam mit ihren Büchern vergleicht. Die von einer einzelnen Gruppe gemachte Forderung, "die öffentliche Wahrnehmung" des Islam in Deutschland zu verbessern, deren Sinnhaftigkeit angesichts der von ihr selbst erwähnten 4,5 Millionen Muslime und öffentlicher Abwertungsversuche einem einleuchten könnte, wenn man Integration nicht als Einbahnstraße verstünde, kontert sie:

"Ich stelle mir vor, ich würde von deutschen Literaturkritikern wertschätzende Äußerungen über meine Bücher fordern, um deren öffentliche Wahrnehmung zu verbessern."

Welche Welt es ist, in der man auf solche Ideen kommt, schreibt sie nicht, aber es ist wohl die, in der man auch "den Eindruck haben könnte, wir lebten tatsächlich schon in einem halb islamischen Staat, dessen säkulare Verfassung unter den religiösen Forderungen der Muslime nach und nach begraben werden soll" – Eindruck haben "könnte" ist vermutlich in dem Sinn zu verstehen, dass sie selbst den Eindruck zwar auch nicht hat, weil das ja auch vollkommen weltfremd wäre, dass sie diesen Eindruck haben zu können aber schon deshalb in Betracht zieht, weil man ja sonst keinen Teufel hätte, den man an die Wand malen könnte. Und dass der Spiegel sowas nicht druckt – laut Tagesspiegel übrigens nur aus Mischungsgründen, nicht etwa, weil es islamophober Schrott sei –, findet die WamS dann herausstellenswert.

Während Jan-Eric Peters (@jep_) twitterte, der Text würde "als Beitrag zur Debatte" gedruckt, was er zweifellos ist, nur halt kein guter, schreibt Welt-Forumschefin Andrea Seibel bei Facebook, für sie sei er "ein Ausdruck gesunden Menschenverstandes". Gut zu wissen für alle, die ihr Zeug sonst nicht veröffentlicht kriegen, ist immerhin, dass auf Jeps Gnadenhof nicht nur Kerle, sondern auch ranzige Texte unterkommen.

+++ Um hier auch einen sehr unranzigen Text anzupreisen: Roger Willemsens Hymne aufs Dschungelcamp aus der Samstags-Süddeutschen. Nun ist "Ich bin ein Star – holt mich hier raus" seit der Nacht zum Sonntag vorbei, und das Format hat in diesem Jahr viel weniger polarisiert als in manchem Jahr zuvor; es war vielmehr ganz schön abgezockt bis leidenschaftslos (Fernsehlexikon) und – nicht am Samstag, aber über die ganze Strecke – subjektiv sehr viel langweiliger, als die Quoten glauben machen. Willemsen aber hat nochmal geschafft, zu vermitteln, warum das Camp auch in diesem Jahr nicht egal war: Es lag nicht an der Show selbst, und vor allem lag es nicht am Kaffeeautomatengewäsch der gelangweilten Kandidaten. Denn es spricht ja nichts gegen das Nichts und auch nichts dagegen, sich ihm hinzugeben, wenn es ein vorübergehender Zustand ist. Es lag an der Sekundärliteratur. Was störte am Dschungelcamp war die Überbeurteilung des Nichts, in den Tagesprotokollen auf Onlineportalen, in den lächerlichen Tagein-Tagaus-Storys und Engelbert-Interviews.

Andererseits, und hier kommt Willemsens Text ins Spiel, der das belegt, ist das Dschungelcamp das Rohmaterial einer Auseinandersetzung mit Medien, speziell Fernsehen, und Gegenwart, die reizvoller ist als das Fernsehen selbst. Dass "Ich bin ein Star – holt mich hier raus" diese Auseinandersetzung ermöglicht, dass sie eine Bahnhofsbuchhandlung erfolgreich als Staatsbibliothek verkauft, das ist die große Qualität dieser Show.

Falls übrigens jemand Lanz vermisst: Der kommt gleich im Altpapierkorb.


ALTPAPIERKORB

+++ Die Gratulation auch des Altpapier-Teams geht an den freien Fernsehkritiker Peer Schader und an Thomas Lückerath, den Gründer des Mediendienstes DWDL: Sie erhalten den Bert-Donnepp-Preis für Medienpublizistik, verliehen von den Freunden des Grimme-Instituts; die Begründung steht etwa bei DWDL selbst. Besonders gut gefällt mir, auch wegen der vielen Dschungelcamp-Ereignisprotokolle, die Passage, Schader arbeite "so, wie es Fernsehkritiker selten tun und auch kaum tun können, wenn sie auf Auftrag arbeiten. Wenn sie dagegen ein Fernsehblog führen, ist es möglich". Die Besondere Ehrung geht an die (u.a.) EPD-Autorin Barbara Sichtermann, und der geschätzte Kollege Edward Snowden wird als "Aufklärer des Jahres" geehrt +++

+++ Nun aber: Lanz. Zeit Online kommentiert die Debatte, an dieser Stelle glossierend: "Markus Lanz muss ins Dschungelcamp." Es gibt allerdings deutliche Anzeichen dafür, dass der derzeit noch daily stattfindende Lanz demnächst seltener auftritt: "Petition gegen Lanz mit 233355 Stimmen beendet", schreibt die FAZ auf Seite 9. Die Initiatorin hat sie vorzeitig geschlossen, was man ihr angesichts des Wirbels nicht verübeln kann. Den für meine Begriffe gerne als Schlusswort zu verstehenden Debattenbeitrag von Friederike Haupt druckte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung auf der Meinungsseite: "Man kann das als Meinungsäußerung verstehen, ungefähr so, wie wenn in einem Fußballstadion Zehntausende einen Spieler ausbuhen und insgeheim hoffen, dass er sich nicht vor einen Zug wirft". Die Petition sei das Medium der Wut, das Problem sei aber: "Dauernd ist jemand wütend über irgendwas. (...) In der Flut der Online-Petitionen, die alles für wenige wollen, geht unter, was zu vernünftig ist" +++

+++ Der Kritiker Thomas Thieringer ist 74-jährig gestorben. Die Süddeutsche Zeitung und das Grimme-Institut rufen ihm nach. Das Institut zitiert dabei u.a. den Grimme-Preisträger Matti Geschonneck: "Bei Thomas Thieringer ist nichts zu spüren von Besserwisserei oder Überheblichkeit. Obwohl er auch das harte, das pointierte Urteil nicht scheut. Aber es ist eben begründet. Man nimmt es an, weil man es ernst nimmt, weil man sich daran produktiv stößt, weil man sich damit auseinandersetzen kann" +++

+++ Die Bild-Zeitung versucht sich an einer medienkritischen Einordnung der Berichterstattung über den Tod des Schauspieler Philip Seymour Hoffman. Nicht +++

+++ "Könnten Hunziker und Kerkeling die 'Wetten-dass'-Moderation von Markus Lanz übernehmen?", fragt sich Sueddeutsche.de in der Besprechung der "Goldenen Kamera". Die Gegenfrage lautet: Who cares? +++ Die gedruckte SZ fand die Feier so schlecht nicht, notiert aber, "selbst auf den Fluren bei der Goldenen Kamera wurde fast mehr über das Dschungelcamp als über den eigentlichen Anlass des Abends geredet" – siehe hierzu auch den Quotenvergleich (Meedia). Nicht unschön wohl die Rede von Preisträger Bruno Ganz: "Mit feinem Spott sprach Ganz über die 'sexy Stadt' Berlin, die von schillernden Zugvögeln wie den diesjährigen Preisträgern Matthew McConaughey oder Gwyneth Paltrow mittlerweile ungefragt und ganz selbstverständlich für ihre angebliche Progressivität gelobt wird". Und über Friede Springer, abwesend, sprach er bei ihrer letzten Kamera auch – der Preis gehört dann demnächst via Hörzu zur Funke-Gruppe +++

+++ SZ und TAZ besprechen schon das Fernsehen von morgen: "Waffen für die Welt – Exporte außer Kontrolle" (Arte, Dienstag, 20.15 Uhr, sowie ARD, 24.2., 22.45 Uhr) +++ RTL plane eine von Nico Hofmann und Jan Mojto entwickelte Miniserie über Hitler (Spiegel) +++ Und die Berliner Zeitung bespricht die britische Reality-Serie "Benefits Street" +++

+++ Der Chefredakteur von El Mundo tritt ab (FAZ). "Genauer, er wird zur Seite geschoben. (...) Was Pedro J. Ramírez als Chef für einer war, sagen seine Mitarbeiter unverhüllt: leidenschaftlich, ruhelos, unerträglich. Charakterlich eine Zumutung. Aber dann: Das sei eben Zeitung" +++ Der Spiegel und Springer-Medien: nächste Episode "Himmler-Sensation", die keine sei +++ Stefan Niggemeier kritisiert einen weiteren sehr seltsamen Vergleich, diesmal von Harald Martenstein, diesmal mit den Taliban +++ Und die Radiozeile des Sonntags: "Nur noch zehn Minuten zu gehen hier", verkündete der Sport1-Kommentator am Sonntag gegen 17 Uhr beim Bundesligaspiel Berlin-Nürnberg. Das machte mich amüsiert fühlen +++

Das Altpapier gibt es am Dienstag wieder.

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