Das Wesen der Lanz-Petition ist noch immer nicht erfasst, auch wenn sich Stefan Niggemeier alle Mühe gibt, es zu erklären. Grundsätzliche Fragen über das Fernsehen werden nicht gestellt. Das "weltexklusive" Snowden-Interview einer NDR-Tochterfirma konnte aufgrund von Rechtefragen die Welt noch nicht erschüttern. Wofür Snowden auch gut ist.
Manchmal fragt man sich, ob Stefan Niggemeier sich nicht manchmal fragt, warum ihm seine Arbeit so leicht gemacht wird. Gestern im Korb hier just nach Erscheinen schon erwähnt, lässt Niggemeier die mediale Kritik an der Online-Petition von Maren Müller Paroli passieren. Eine Kritik, die in völlig abwegigen Begriffen denkt – wie Niggemeier am Beispiel des den Petitenten unterstellten "Mutes" zeigt.
"Es müsste, jedenfalls, irgendwie mutig sein. Auch das ist ein wiederkehrender Vorwurf an die Unterzeichner der Petition: Dass sie ja gar nicht mutig sind.
Alexander Kühn:
Im Schutz der Anonymität rufen die Ankläger: Ans Kreuz mit ihm! Und kommen sich wohl mutig vor.Kommen sie wohl? Halten ich für einen völlig abwegigen Gedanken. Vermutlich muss man dafür 'Spiegel'-Redakteur sein, um zu glauben, dass Menschen, die nicht den ganzen 'Spiegel'-Apparat hinter sich haben, die Dokumentation, das Justiziariat, die Ressortleitung, eine schlichte Meinungsäußerung für 'mutig' halten."
Die Vermutung "Wut" führte eher in die richtige Richtung, aber dass professionellen Journalisten angesichts der Petition (und der Zahl ihrer Unterzeichner) zuerst Mut einfällt, ist küchenpsychologisch fast zu billig, um es auszusprechen. Die unglaublich große Sehnsucht nach "Haltung" im Journalismus hat jedenfalls erst eingesetzt, als die, die sich nach ihr verzehrten, keine mehr hatten.
Es geht bei der Kritik an der Lanz-Petition also auch um Abwehrkämpfe eines prekär gewordenen Berufsstands. Niggemeier:
"Ist wirklich die Petition Grund dafür, dass die Debatte so ermüdend und hysterisch wirkt? Oder sind es die Reaktions-Reflexe der Medien darauf, die nicht aufhören können, auf die steigende Zahl der Unterzeichner zu starren und auf die Zahl der eigenen Seitenabrufe und aufgrund von beidem glauben, immer neue Artikel zu dem Thema veröffentlichen zu müssen?"
Noch mal küchenpsychologisch gesprochen: Masochismus.
"Sie verzweifeln daran, dass sie nicht nur ihr Meinungs-Monopol verloren haben, sondern den neuen anderen Stimmen auch noch zusätzlich Gehör verschaffen. Deshalb sehnen sie sich, wie das ZDF, nach Zeiten zurück, als die Leute einfach schweigend konsumiert haben: das Fernsehen und die professionellen Kritiken darüber. Und wenn ihnen etwas nicht gefiel, lieber Gulaschsuppe aßen, anstatt das anzuprangern."
Das mit der Gulaschsuppe geht auf Jörg Thadeusz zurück, der sich schon seit längerer Zeit als "The next Harald Martenstein" in Schale wirft. Constantin Seibt hatte dieses Genre kürzlich so beschrieben:
"Typ 2 schreibt freche Kolumnen, indem er sich jedes Mal wundert, warum ist, was ist. Woche um Woche ist er verblüfft, warum sich alle möglichen Leute aufregen – Ausländer, Politiker, Lesben, Rechtschreibforscher, Schriftsteller, Schwarze, Araber, Juden, Vegetarier. Dass, wenn man doch die Welt mit ein wenig Humor so gemütlich wie der Schreiber sehen könnte."
Frank Lübberding hat derweil in seinem Blog wiederum auf Niggemeier geantwortet, und gerade wenn man Lübberding schätzt, muss man feststellen, dass er die Sache missversteht:
"Allerdings beantwortet er [Niggemeier, Anm. MD] nicht die Frage, welche Konsequenzen die Demokratisierung via Online Petition eigentlich haben soll. Soll Lanz vom ZDF entlassen werden? Was machen wir eigentlich, wenn in der nächsten Petition die Verkostung von Hirschsperma bei Wetten dass gefordert wird? Weil sich etwa Niggemeier ansonsten langweilt? Man könnte Wetten dass bestimmt wesentlich interessanter gestalten, wenn man außerdem noch per Online Abstimmung die Strafen für verlorenen Wetten festlegte."
Für das Missverständnis spricht schon das "Hirschsperma", denn der Erfolg des Dschungelcamps hat weniger mit dem Ekel zu tun (der in solchen Superlativen kalkuliert Ausdruck findet, denen Lübberding dann mit verzogener Miene auf den Leim geht), als mit dem Tratsch über Leute, die man aus dem Fernsehen kennt, den es ermöglicht. Und für das Missverständnis spricht auch die – anderswo im Text versuchte – untaugliche Carl-Schmitt-Analogie.
Denn es geht bei der Maren-Müller-Petition nicht um eine Entscheidung für oder gegen Lanz, die sofort getroffen werden müsste, sondern um eine performative Form von Kritik, Unmut, Meinung. Und triftig ist diese, weil sie – medial befeuert – von vielen geteilt wird. Eine Petition für Hirschsperma bei "Wetten, dass..?" würde selbst als verabredeter Social-Media-Gag am 1. April schwerlich auf 200.000 Klicks kommen.
Christian Tretbar hatte schon am Freitag im Tagesspiegel geschrieben, dass es nicht der schiere Blutdurst wildgewordener Internetjunkies ist, der die Petition motiviert.
"Nein, Lanz kann einem leid tun, weil in diese Petition der ganze Ärger über das öffentlich-rechtliche Gebührensystem projiziert wird und er zum Symbol dieses antiquierten, wenig partizipatorischen Rundfunksystems wird. Viele Gebührenzahler wollen eines nicht mehr sein: eine Melkkuh, die Milch geben soll, aber nicht laut Muh rufen darf."
####LINKS####
Im aktuellen Tagesspiegel referieren derweil Markus Ehrenberg und Matthias Meisner die Weiterungen der Diskussion. Dazu gehört neben dysfunktionaler Schadenfreude von Linken-Politikern der Versuch, die Online-Petition mit ihren eigenen Waffen zu schlagen (was naturgemäß nicht gelingt):
"Der Berliner Piratenpolitiker Christopher Lauer startete am Samstag im Netz eine Gegen-Petition mit dem Titel: 'Markus Lanz soll mal bitte seine Show so machen, wie er will, immerhin ist er ja erwachsen', die bis Montagmittag ein paar hundert Personen unterzeichneten. 'Die Lanz-Debatte der vergangenen Tage ist doch etwas grotesk', begründete Lauer seine Initiative.'"
Dass ein Piratenpolitiker so pseudolocker medienkonservativ argumentiert, könnte man beinahe für eine Nachricht halten.
Wäre es nicht interessanter, dass beim Versuch, gegen die Petition zu argumentieren, sich unfreiwillig Chancen ergeben, grundsätzlich zu werden – die dann nicht genutzt werden. Das autonome Subjekt, das Lauers Petitionstitel adressiert, ist doch bei Markus Lanz gar nicht mehr anzutreffen.
Und Lübberding schreibt, ausgehend von der falschen Annahme, das ZDF müsse jetzt "handeln":
"Das ZDF kann jetzt nur noch 'Ja' oder 'Nein' zu dieser Forderung sagen. Beides erzeugt einen Legitimationsdruck, der aber zwei Fragen nicht beantwortet: Wie wir uns in Zukunft unsere politischen Diskurse, etwa in Talk Shows vorstellen, oder Unterhaltungssendungen, wo sich der Ekel noch in Grenzen hält wie bei 'Wetten dass'."
Wie wir uns in Zukunft unsere politischen Diskurse, etwa in Talk Shows vorstellen – das wäre doch etwas, was nicht Trübnis, sondern Freude in der Auseinandersetzung verbreiten könnte.
Mit einer Gegen-Petition, die sogar gelöscht wurde, hat sich Dieter Nuhr ins Gespräch gebracht.
"'So weit geht die Freiheit nicht, dass man sich über sie lustig machen darf', kommentierte Dieter Nuhr die Abschaltung seiner Petition heute gegenüber FAZ.NET."
Schreibt Cornelia Lütkemeier ebenda. Und wenn Sie jetzt denken, was bitte hat denn "Freiheit" mit solchen halbgaren Witzen zu tun – ich weiß es auch nicht. So san's halt, die jungen Burschen im Internet, immer etwas übererregt, gleich an der ganz großen Glocke.
Im Tagesspiegel führt Nuhr seine Motivation aus. Es macht die Sache nicht besser.
"Dass der Kabarettist damit indirekt auch dem heftig kritisierten Moderator zur Seite gesprungen ist, sei nicht Sinn der Sache gewesen. 'Über Markus Lanz habe ich ja gar nichts gesagt. Aber wenn Sie schon fragen: Ich habe ihn als sehr angenehmen, weit gereisten, gebildeten Menschen kennengelernt. Mit Markus Lanz hat das alles ja auch nichts zu tun. Das Volk will Opfer sehen, wie in der Urzeit. Und Markus Lanz hat gerade eine Linke kritisiert. Das geht gar nicht! Und das Besondere am Internet ist ja: Da ist Lynchjustiz erlaubt.'"
Wenn es nicht Nuhr Dieter wäre, könnte Stefan Niggemeier ganz, ganz, ganz vielleicht auf die Idee kommen, gleich noch mal auszurücken: Dass "Lynchjustiz" das "Besondere am Internet" ist, kann nur behaupten, wer auch an den Tatort aus Saarbrücken glaubt.
+++ Manchmal fragt man sich, ob Michael Hanfeld sich nicht fragt, warum ihm seine Arbeit so leicht gemacht wird. Der wundert sich in der FAZ worüber sic gestern hier verlinkt schon Tobias Gillen gewundert hatte: Warum der NDR aus seiner "Weltexklusivität" so wenig macht in Zeiten des Internets. Sendefolge, absurde Rechtefragen: "Denn so bringt sich der öffentlich-rechtliche Sender, der seinen Tochterfirmen das Geschäft überlassen will, das er einem unabhängigen Produzenten bei der Gelegenheit abknöpfen würde, um die Früchte eines journalistischen Erfolgs. Und eine sinnvollere Sendeabfolge kann man sich auch vorstellen. Eine Talkrunde über ein Interview, dass erst im Anschluss folgt, hat weniger das Zeug zum Coup, denn zum Treppenwitz der Mediengeschichte." +++ Wolfgang Michal betrachtet das Interview auf Carta aus einem sehr nüchternen Blickwinkel: "Auch für Deutschland ist Snowden ein Glücksfall. Seine Enthüllungen erinnern uns daran, wie misstrauisch die Amerikaner uns immer noch begegnen. Snowdens Kritik entschädigt uns aber auch für die 'Schmach', selbst nach 65 Jahren Nato noch immer wie ein unmündiger Vasall vom großen Bruder behandelt zu werden." Diese Perspektive ist interessant: "Vielleicht wird uns also der Patriotismus Edward Snowdens eines Tages enttäuschen." +++ Die Jauch-Performance vor dem Interview wertet Joachim Huber im Tagesspiegel schon als post Lanz-Petition: "Ehrlich gesagt, hätte an diesem Abend statt Jauch auch ein Sprechautomat in der Talkrunde sitzen können, der die Fragen vorliest. Könnte sein, dass die Abstrafung des ZDF-Manns durch Petition und die schlechteste 'Wetten, dass..?'-Quote ever die führenden TV-Arbeiter nachdenklich macht, wenn nicht einschüchtert. Die Liebe des Fernsehvolkes ist fragiler als gedacht. Günther Jauch also lebte das Motto: Wer wenig bis nichts macht, der macht auch wenig bis nichts falsch." +++
+++ In der NZZ schreibt Cigdem Akyol über Stringer: "Nur das Seelenheil der Stringer interessiert niemanden. Yassin und Mohammed Ali müssen lachen, als sie danach gefragt werden. Die permanente Gefahr hat sie bitter gemacht. 'Wir sind unsichtbar. Wir liefern die Kontakte, Radio-O-Töne und Bilder, die Reporter bekommen den Ruhm', sagt Mohammed Ali, 'und die Journalisten vergessen uns, sobald sie uns nicht mehr brauchen, nicht einmal unsere Namen werden bei den Veröffentlichungen genannt.'" +++ Johannes Boie bereitet in großer Form auf Buzzfeed in Deutschland vor in der SZ (S. 31): "Am unangenehmsten für die etablierten Medien sind aber – und das geht jetzt noch mal im Buzzfeed-Jargon – die folgenden drei Punkte: 1. Buzzfeed ist komplett kostenlos, verdient aber Geld mit Werbung, und zwar mit Werbung, die die Firma für Werbekunden selbst herstellt, und die verdammt ähnlich aussieht, wie der Rest der Internetseite. Außerdem sammelt das Startup ordentlich reiche Financiers. 2. Die Listen werden von Millionen Lesern wie irre angeklickt. 3. Buzzfeed hat neben dem ganzen Unsinn auch sehr gute, lange Texte zu sehr ernsten Themen, geschrieben von Investigativjournalisten wie dem mittlerweile verstorbenen Michael Hastings, die Buzzfeed für viel Geld von anderen Medienhäusern abwirbt. So kommen dann auch Geschichten zustande wie jene, in der anonyme Pentagon-Mitarbeiter dem Whistleblower Edward Snowden drohen, ihm 'liebend gerne eine Kugel in den Kopf schießen zu wollen.'" +++ In Ungarn, berichtet Ralf Leonard in der TAZ, hat womöglich ein Strohmann eine der unabhängigen Zeitungen gekauft. Die Hintermänner? "In Verdacht steht vor allem der Oligarch und ehemalige Finanzchef der regierenden Fidesz-Partei, Lajos Simicka. Gerade Népszabadság gehört zu den wenigen Medien, die von der rechtsnationalistischen Regierung noch nicht auf Linie gebracht werden konnten."
+++ Claudia Tieschky schreibt in der SZ über die Renovierung der ZDF-Kultursendung "Aspekte" (die künftig 45 statt 30 Minuten dauern soll): "Am 7. Februar ist das neue Aspekte zum ersten Mal zu sehen. Das Gewusel nach der Generalprobe erinnerte an eine Premierenfeier, mittendrin übrigens eine beschwingte Luzia Braun im knallorangefarbenen Pullover, die nach dem Abschied vom Schirm im Dezember 2011 nun als stellvertretende Aspekte-Leiterin offensichtlich mit Energie weitermacht, was ziemlich souverän ist." +++ Akutell im Fernsehen: eine Dokumentation namens "Putins Spiele" auf Arte. Die TAZ: "Alexander Gentelevs Sotschi-Film braucht zehn Sekunden, um zu zeigen, wie degeneriert die olympische Idee mittlerweile ist. So lange nämlich sieht man eine Texttafel zu Beginn: 'Das IOC (Internationales Olympisches Komitee; d. Red.) hält alle Rechte an offiziellen Filmaufnahmen im Zusammenhang mit Olympischen Spielen. Für den folgenden Film wurde kein Bildmaterial zur Verfügung gestellt. Auch musste das ursprünglich vorgesehene Wort 'Olympia' aus dem Titel gestrichen werden. Der Film sei 'offenbar politisch motiviert'.'" +++ Und eine Dokumentation namens "Putins Spiele" in der ARD. Der KSTA: "Zu Wort kommen Menschen aus der Industriestadt Norilsk und Pferdezüchter aus Jakutien; Einwohner des terrorgeplagten Dagestan sagen genauso wie Mitglieder in der Schwulen-Gemeinde St. Petersburg, was sie von Putins machtvoller Sotschi-Inszenierung halten. Sehenswerter Film, so erhellend wie erschreckend." +++
+++ Die TAZ meldet: "Deutschlandfunk-Literaturredakteur Denis Scheck erhält den mit 10.000 Euro dotierten Hildegard-von-Bingen-Preis für Publizistik. Der Preis wird von der Landeszahnärztekammer Rheinland-Pfalz vergeben. Geehrt werden Menschen, 'die ihr Bild von der politischen, sozialen und kulturellen Welt besonders markant weitergeben'."
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.