Nicht viel los. Reiner Calmund betätigt sich als Dampfplauderer. Journalisten haben erst hinterher alles gewusst. Blackfacing bei Wetten, dass..? regt offenbar noch nicht massenmedial auf. Fritz J. Raddatz amüsiert. Nixon würde Watergate heute überstehen. Willy Brandt wäre morgen 100 Jahre alt geworden
Hat ja was, das Jahresende, dass alles so runterfährt, und man dem Runterfahren auf Weihnachtsmärkten mit Glühwein zuschaut.
An Aufregern, die den Atem rauben, ist heute Mangel im Medienbiz. In der TAZ meldet Jürn Kruse die dauerhafte Entsendung des Döpfner-Assistenten Anton Waitz in dieses Silicon Valley, um was mit neuer Firmenphilosophie zu machen:
"Wie viel Waitz in den USA investieren darf, ließ sich das Unternehmen nicht entlocken; laut Handelsblatt soll pro Beteiligung nicht mehr als ein einstelliger Millionenbetrag ausgegeben werden dürfen."
Auf Meedia.de muss Chef Christian Meier selbst gähnen anhand der Top-News, dass Reiner "Calli" Calmund sich offenbar nicht nur vom Privatfernsehen als Promi mieten lässt, sondern auch von kriselnden Gewerben als Brandredner. This time: DuMont in Köln.
"Dass der Verlag einen bekannten, wenn auch eher abgehalfterten Fußballschwadronierer einsetzt, um Mitarbeiter zu motivieren, wirkt eher unfreiwillig lustig als bedenklich. Dennoch mögen sich sensible Gemüter darüber echauffieren, dass ihnen ein Dampfplauderer Beine machen will, wenn im eigenen Haus gerade ein Stellenabbau vollzogen wird."
Man weiß nicht so recht, was trauriger ist: die Tatsache, dass, wo gerade Leute entlassen werden, Hans Dampf performen kann, oder der Umstand, dass tatsächlich jemand glaubt, Hans Dampf könne der Motivation dienen. Gerade letzteres müsste den Angestellten des Kölner Verlags zu denken geben: Was soll man von einer Führung erwarten, die ihre Verzweiflung als Reiner Calmund verkleidet?
Ehe wir uns zu sehr in Rage reden, noch ein Schwenk zum Aufreger vom Samstagabend, dieser "Wetten, dass..?"-Saalwette feat. Blackfacing. Das wäre nämlich durchaus ein Gegenstand zum in Rage reden (siehe Altpapier von gestern).
Uli Hannemann will in der TAZ darauf schon irgendwie hinaus, aber leider sind ihm, um zur Auflockerung hier mal eine gepflegte Katachrese reinzuhauen, die Hände gebunden, was Stil und Reflektionsgrad angeht. Ich würde zum Beispiel, wenn es ums Interrupten von problematischen, weil rassistischen Bildpolitiken geht, einen Text nicht anfangen mit dem Satz:
"Manchmal kommt mir Deutschland dunkel vor."
Aber Hannemann meint das Richtige, und der TAZ darf man, wenn das jetzt nicht zu gönnerhaft, sondern tatsächlich von Herzen kommt, ebenfalls gratulieren, hat sie sich, Rassismen betreffend, in diesem Jahr nicht nur mit Ruhm bekleckert. Es ist doch immer schön, wenn etwas begriffen wird (das schreibt Hannemann ja auch), und so wird die historische Leistung von Markus Lanz eines fernen Tages vielleicht darin bestanden haben, eine gewisse Menge an Leuten überhaupt erst mit dem Begriff "Blackfacing" bekannt gemacht zu haben. Um es Brecht-Schlingensief paraphrasierend zu sagen: "Der Blick in das Gesicht eines Menschen, der etwas verstanden hat, ist der Blick in einer schöne Gegend. Freund, Freund, Freund."
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist dann eben auch, dass, diesmal ohne Brecht-Zitat, Peer Schader bei seiner FAZ-Besprechung von "Wetten, dass..?" den BF-Incident verschweigt. Schaut man sich in den Kommentaren Lesermeinungen wie die von Oliver Titze ("Flight") an, könnte man Prävention als Motiv vermuten.
[+++] Die Vermutung gehört zu den journalistischen Techniken. Wo sie ohne den Konjunktiv auftritt und sich als Tatsache behauptet, kann sie sich lächerlich machen. Gut gelaunt geht der schon gestern erwähnte Stefan Niggemeier jedenfalls, nun, da die Mitglieder der neuen Bundesregierung feststehen, durch die Spiegel-Artikel der letzten Zeit, die immer schon wussten, wer diese Mitglieder sein würden.
"Irgendwas an der Geschichte wird schon stimmen, und überhaupt kann man es ja nicht dem 'Spiegel' vorwerfen, wenn die Politiker sich nicht an das halten, was er ihnen vor-geschrieben hat."
Wäre der Tenor dieser Nachlese. Eine der schönsten Feststellungen, die keine war, fand sich etwa noch vor zwei Wochen im Spiegel, sie ging so:
"Weil Kristina Schröder und Ilse Aigner ausscheiden, darf Johanna Wanka (Bildung) als gesetzt gelten. Das gilt natürlich auch für Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, wenngleich die sich noch sträubt, das Gesundheitsressort zu übernehmen."
Dazu Niggemeier:
"Interessantes 'noch' — als wisse der 'Spiegel'-Redakteur im Gegensatz zu der Ministerin schon, dass das Sträuben natürlich am Ende fruchtlos bleiben werde."
Man kann nun Niggemeiers Arbeit für Klugscheißerei halten (was sie ja auch ist - hier mittlerweile in der Verlängerung), allerdings gefällt sie sich eben nicht darin, Kollegen nachträglich besseres Wissen vorzuhalten:
"Da das schon nicht stimmte, zweifle ich nun auch an einer weiteren Tatsache, die der 'Spiegel' im selben Text behauptete:
Erst die Inhalte, dann das Personal? Dieser Satz wird zwar in diesen Tagen oft gesagt, er ist aber — wie bei jeder Koalitionsverhandlung — falsch.
Ja, komisch. Dabei ist die aktuelle Erklärungsstrategie der Medien für die diversen (für sie) überraschenden Personalien, dass da in letzter Minute noch Entscheidungen getroffen wurden."
Ulrike Winkelmann widmet sich in der TAZ ebenfalls dem prophetischen Journalismus:
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"Dann dauerte es nach der Ernennung Ursula von der Leyens zur neuen Verteidigungsministerin nur Stunden, bis Verteidigungspolitik klarerweise als Sprungbrett für Kanzlerkandidatinnen gehandelt wurde. Neu bei der Meinungsbildung ist, dass das Lob im Reich des großkoalitionären Lächelns nicht an der SPD-Grenze haltmacht. Auch Sigmar Gabriel, noch gestern ein Politik-Flummi, läuft plötzlich als Topstratege. Seine Mitgliederbefragung trägt jetzt den Beinamen 'Coup'."
Sie ist aber etwas versöhnlicher als Niggemeiers Witz:
"Es gehört zum Journalismus, dass jeder sich irren darf, davon profitiert nicht zuletzt diese kleine Zeitung. Und weil Journalisten sich zwar immer so fühlen, als regierten sie ein wenig mit, am Ende aber doch nie gefragt werden, erinnern sie sich zum Trost nicht an ihre verkehrten Vorhersagen."
Wer von falschen Annahmen und Es-mit-den-Fakten-nicht-so-genau-nehmen spricht, darf von Fritz J. Raddatz nicht schweigen. Dessen Schlampigkeiten aka Irrtümer sind Legende, auch wenn sich seine Arbeit in den Selbstauskünften wie Tagebüchern oder Biografie immer nach irre genauer Vorbereitung liest. Das dem Feuilleton auf die allerliebste Weise verbundene Interportal Der Umblätterer feiert Big Fiete nun den ganzen Dezember über mit sogenannten Festwochen. Michael Angele vom Freitag [für den ich arbeite] hat die Verantwortlichen interviewt, die klug und unterhaltsam Auskunft geben, etwa in der Frage von Raddatzens legendär größtem Fehler, der Bahnerfindung zu Goethes Lebzeiten, der angeblich das Ende als allergrößter Zeit-Feuilletonchef bewirkte:
"Raddatz wurde jedenfalls damals bei der 'Zeit' nicht deshalb auf Immerwiedersehen rausgeschmissen, weil ihm mangelndes Bildungsbürgerwissen angekreidet worden wäre. Vielmehr muss die Chefetage instinktsicher sofort erkannt haben, dass man sich völlige Ironieresistenz im Feuilleton ab sofort nicht länger leisten kann. Wir fühlen in diesem Fall sehr mit Raddatz mit, denn natürlich war die NZZ in den Achtzigern die wirklich allerletzte Zeitung, von der man geglaubt hätte, dass sie zu Ironie überhaupt fähig ist."
Das ist doch mal eine Lesart.
+++ Wenn wir schon hoffnungslos sentimental in den Zeiten schwelgen, in den Reiner Calmund ein Name war, den keiner kannte, müssen wir uns dem Riemen hingeben, den Andreas Mink für die NZZ verfasst hat: über Harry Rosenfeld, den Lokalchef der "Washington Post", Vorgesetzter von Woodward und Bernstein zu Zeiten der Watergate-Affäre, im Film gespielt von Jack Warden, ein "hard ass", wie es ihn heute wohl nicht mehr gäbe. Wie es heute die Watergate-Affäre wohl nicht mehr gäbe, meint zumindest Rosenfeld: "Schliesslich würden die ideologisch geprägten Nachrichtenplattformen im Kabelfernsehen und im Internet nun einer bedrängten Regierung beispringen, brisante Enthüllungen anzweifeln und damit die Öffentlichkeit verwirren. So würde Nixon den Skandal heute womöglich überstehen." Der Text hat was, gerade weil er fast protokollarisch Chronologie performt. Als Ergänzung zu dem, was Niggemeier und Winkelmann meinen, kann man diese Stelle lesen: "Bei der 'Trib' erlebte Rosenfeld zudem die Blüte des 'New Journalism', mit dem sein Kollege Tom Wolfe Furore machte. Der Name löst einen Seufzer aus: 'Tom ist ein Freund von mir. Aber seine besten Arbeiten sind Romane wie 'Fegefeuer der Eitelkeiten' – da dürfen die Protagonisten gerne imaginierte Gedanken haben. Journalismus verlangt dagegen Bescheidenheit. Wir sind keine Hellseher und müssen uns mit Fakten und Aussagen begnügen.' Auf diesen Prinzipien ruhe ein Journalismus, den jede Demokratie als Grundlage wohlinformierter Diskussionen benötige." +++
+++ Ehe wir vollends selig werden: Rainer Stadler erinnert in seiner NZZ-Kolumne, ganz ohne Schaum vorm Mund daran, dass auch dieser Job hier irgendwann von einer Maschine übernommen wird (was den Vorteil hätte, ausschlafen zu können): "Zum Jahresende ein kleiner Blick in die Zukunft: Automatisieren, was automatisierbar ist – diese Devise dürfte die unter Kostendruck stehende Medienbranche in der kommenden Zeit stark beschäftigen. So prüft das Schweizer Fernsehen (SRF) Möglichkeiten, die Herstellung der Nachrichten zu verbilligen, indem es die Abläufe in der Regie automatisiert." +++ Schäumend as ever dagegen Ulf Poschardt in Springers Welt, der mit CDUs Peter Tauber neben Alexander Dobrindt einen weiteren Kandidaten gefunden hat, in den er alle seine Träume von einem ungemein coolen Neoliberalismus Konservatismus Wirtschaftsliberalismus projizieren kann. Wenn man weiß, dass Poschardt das schon mit der FDP versucht hat und bedenkt, wo die FDP heute steht, muss man sich wegen solcher, von der eigenen Begeisterung betäubter Elogen keine Sorgen machen: "Das Digitale hat Tauber bekannt gemacht, aber der drahtige Politiker wird sich darauf nicht beschränken. Zwei gedankliche Fluchtlinien der digitalen Revolution führen in liberale beziehungsweise wirtschaftsliberale Gefilde. Die Eigenverantwortung ist, so Tauber, in der digitalen Welt wichtiger denn je. Und auf der anderen Seite ist die digitale Wirtschaft etwas, das das Wachstum in einem Hochlohnland wie Deutschland ankurbeln kann. Das gilt auch für Medien. Tauber bekennt sich dazu, für journalistische Produkte in der digitalen Welt Geld zu bezahlen. Zeitungen liest er als Online-Abo oder als E-Paper." Wer würde von so einer coolen Ratte nicht auch gern zum Geburtstag eingeladen werden? +++
+++ Beispiele für einen gelungenen performativen Journalismus: Die TAZ meldet, dass die WOZ nach Klagen ihre Markusseiler-Seite einstellte, weil diese ihren Zweck erfüllt habe. +++ Einer muss es ja tun: In der SZ (Seite 31) portraitiert Frank Nienhuysen kurz den ukrainischen Blogger Nayyem, mit dem angeblich alles angefangen hat: "Nayyem ist ein bekannter Blogger, aber er ist auch ein bekannter ukrainischer Fernsehjournalist. Ein unbequemer. Aufsehen erregte er einmal, als er in einer großen Pressekonferenz Präsident Janukowitsch fragte, wie es sein könne, dass es diesem immer besser gehe und den Menschen in der Ukraine schlechter und schlechter." +++ Während Michael Hanfeld in der FAZ tatsächlich noch in den Keller der Medienpolitik steigt. Zur RTL-Freude über Passagen aus dem Koalitionsvortrag (den auch Hans Hütt und Thilo Jung auf Carta gelesen haben): "Von der großen Aufgabe, der sich der Verkehrs-Internetminister Alexander Dobrindt und seine Ministerkollegen in der digitalen Welt widmen müssen – nämlich grundlegende Freiheitsrechte zu sichern –, haben wir bei der Gelegenheit allerdings noch gar nicht geredet." +++ Zur Unterfinanzierung des HR wegen Rückstellungen für Pensionen: "Der HR muss Pensionsrückstellungen, die erst in den nächsten Jahren ausgezahlt werden, schon jetzt ausweisen und die Summen vorhalten. Und die Grundsumme für die Rückstellungen erhöht sich bedeutend, weil die Zinsen zurückgehen. Das Problem haben viele Unternehmen mit ihren Pensionsrückstellungen – sie schlagen ins Kontor, weil das Geld, das man anlegt, kaum noch Zinsen bringt. Beim HR zeigt sich das nun in gravierender Weise." +++
+++ Verdienstvoll im Tagesspiegel: Markus Ehrenberg über die Redtube-Abmahnungen, die sich als mieses Geschäft von Kanzleien lesen, die auch das Haus im Grünen und die Ausbildung der Kinder finanzieren müssen: "Zusammengefasst: Jemand hat sich also mit der URL-Eingabe leicht vertippt (womit immer zu rechnen ist) und erhielt daraufhin gezielt eine Abmahnung. Dass sich die Streaming-Abmahnwelle am Rande der Legalität befindet, und in diesem Zusammenhang auch populäre Videostream-Portale wie Youtube sowie das Urheberrecht generell unter Verdacht geraten, ist offenkundig. Ein neues lukratives Betätigungsfeld für Anwälte? Ein Fall für den Gesetzgeber, für Heiko Maas? Muss nicht der neue Minister für Justiz und Verbraucherschutz User vor solchen undurchsichtigen Abmahnungen schützen?" +++ Apropos Youtube: noch nicht geeinigt mit der Gema, meldet Kurt Sagatz ebenfalls im TSP: "Der Gesamtvertrag, den die Gema mit dem Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) geschlossen hat, umfasst die Youtube-Konkurrenten MyVideo, Clipfish, tape.tv und Putpat. Sie erhalten für ihre werbefinanzierten Musikstreaming-Angebote einen Nachlass von 20 Prozent auf die tarifliche Vergütung. Dies teilte die Gema am Montag mit." +++
+++ In der FAZ (Seite 31) stellt Stefan Schulz den Podcast-Legende Tim Pritlove vor. +++ Katrin Gänsler schreibt in der TAZ über die Deutsche Welle in Nigeria: "Allerdings sendet nicht nur die Deutsche Welle auf Haussa; auch Voice of America, Radio France Internationale und die BBC tun das. Neuerdings haben auch die Chinesen den Markt für sich entdeckt. China Radio International hat ebenfalls Sendungen auf Haussa ins Programm aufgenommen. "Sie sind sehr aktiv und haben viele Chinesen, aber auch ein paar Nigerianer, die für das Programm arbeiten", sagt Abubakar Jijiwa, Generaldirektor von Voice of Nigeria, einem der Partnersender der Deutschen Welle." +++ Und Jochen Hieber bespricht in der FAZ eine Willy-Brandt-Doku – "Naturgemäß können auch neunzig Minuten nicht hinreichen, um die Stationen von Brandts Wirken und die zentralen Aspekte seiner Wirkung ausführlich in Szene zu setzen. Abbreviaturen sind nötig" –, wobei das größte Verdienst dieses Textes darin besteht, den aufmerksamen Leser daran zu erinnern, dass der 100. Geburtstag Willy Brandts, den er seit zwei Monaten mit allen möglichen Zeitungen gefeiert hat, morgen ist. +++
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.