Es gibt einen Netzminister, aber nicht wirklich. "Wetten, dass..?" ist entweder instinktlos und weltfern, oder instinktlos und kühl mit Aufmerksamkeit kalkulierend. Medien fordern das Ende der Journalistenentführungen in Syrien. "Anne Will" verlängert Vertrag.
Wir haben einen Netzminister. Oder nee, doch nicht. Alexander Dobrindt (CSU) wird Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur, was u.a. zu Datenautobahntweets führt, die sich ungefähr so anfühlen. "(D)ie Netzgemeinde tut das, was man von ihr erwartet. Sie spottet", schreibt Spiegel.de, auch Stern.de macht aus den Reaktionen die das Wesentliche überlagernde Geschichte. Netzpolitik.org, nicht als GroKo-Verlautbarungsorgan aufgefallen, ist einen Schritt weiter und findet: "Aus netzpolitischer Sicht sieht das gar nicht so schlecht aus, zumindest von den aufgestellten Personen her." Markus Beckedahl dröselt dort die Zuständigkeiten auf – das übergreifende Netzministerium gibt es eben nicht:
"Jugendschutz wird auch im Familienministerium gemacht, das Außenministerium macht weiter Cyberaußenpolitik und Förderungen gibts im Forschungsministerium. Außerdem haben wir noch das Kanzleramt samt Kulturstaatsbeauftragte. Das soll Monika Grütters (CDU) werden. Und den Kanzleramtsminister Peter Altmaier, als Pofalla-Nachfolge auch für die Geheimdienste zuständig. Was noch unklar ist: Wer koordiniert denn zukünftig die unterschiedlichen Ministerien und ihre netzpolitischen Aktivitäten oder läuft das weiter eher Nebeneinander wie bisher?"
Das, was man "von der Netzgemeinde erwartet", ist auch darüber hinaus das größte Thema heute. Ein anderes zentrales Mediendebatten- oder -nachrichtenthema gibt es nicht, und die redaktionelle Kernaufgabe besteht ja bekanntlich darin – da spreche ich als erfahrener Sonntagsdienstler –, auch dann etwas zu schreiben zu haben, wenn sonst wenig geht. André Rieu hat seinen Walzer-Strauß, Leitartikler haben ihr "Bleibt abzuwarten", und Fußballer haben ihren Übersteiger. Medienjournalisten haben "Wetten, dass..?" und Social-Media-Aufreger. Heute kommen diese beiden Standards zusammen. Es gibt bei Twitter das, was Markus Lanz im Stern einen "Shitstorm" nennt. Wer eine beispielhaft ernüchternde, aggressive Twitter-Diskussion nachvollziehen will, in der kein Dialog stattfindet, sucht nach #blackfacing und #wettendass. Allerdings ist "Shitstorm" ein Begriff, mit dessen Benutzung man bereits ausdrückt, dass er unberechtigt sei. Und so einfach ist es in diesem Fall nicht.
Zunächst einmal folgen nach den Vorberichten zur Samstags-"Wetten, dass..?"-Ausgabe, die auch die Nachberichte zu Lanz' Stern-Interview (Altpapier) gewesen sind, etwa in der TAZ ("Das Free-TV wirkt schlaff wie selten zuvor") und im Tagesspiegel (Pro und Contra Lanz), nun die folgerichtigen Kritiken. Der lustige Randerkenntnisaspekt dabei ist, dass, solange darüber gesprochen wird, ob man "Wetten, dass..?" noch braucht, man "Wetten, dass..?" offensichtlich noch braucht – weil ja darüber geredet wird. Die Rezensionen künden zunächst einmal von einer eher unspektakulären Sendung mit einem Moderator, der... moderierte:
"Nun ist es so, dass Moderator Markus Lanz (...) an Routine gewonnen hat, indem er sich nur noch auf ganz sicherem Terrain bewegt, abwechselnd ausgiebige Freundlichkeiten austeilt und Sätze zitiert, die eingeladene Prominente schon mal zu angenehmeren Anlässen gesagt haben, um sie sich dann bestätigen zu lassen. Und wenn das die Anforderung sein sollte, die das ZDF heute an den Gastgeber seiner wichtigsten Unterhaltungssendung stellt, erledigt der Neue seine Aufgabe hervorragend."
Schreibt Peer Schader bei Faz.net, der einer der wenigen ist, die kein Wort über das Social-Media-Thema hinter "Wetten, dass..?" verlieren. Das Fernsehfachportal DWDL (das selbst auf Seiten von "Wetten, dass..?" steht) rückt die Zahlen in die Reihe:
"Innerhalb der ersten beiden Stunden von 'Wetten, dass..?' hat es am Samstagabend knapp 9.000 Tweets mit Hashtag #wettendass gegeben. Angesichts von geschätzt sechs bis sieben Millionen Zuschauern eine fast schon verschwindend geringe Zahl."
####LINKS####
Nur liegen nicht zwangsläufig relativ wenige Leute deshalb in der Sache daneben, weil sich viele nicht äußern. Weil die Show in Augsburg stattfand, der Stadt der Puppenkiste, war die Menschheit aufgefordert, als Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer verkleidet zu erscheinen. "Jim sollte natürlich schwarz geschminkt sein, Schuhcrème, Kohle, was auch immer", sagt (nicht Moderator Markus Lanz, wie es hier und da heißt, sondern) die Puppe Lukas (siehe ZDF-Mediathek).
Der Vorwurf des Rassismus (bzw. der Reproduktion einer rassistischen Praxis) verwischt die Unterschiede zwischen z.B. einer Minstrel-Show-Hirnlosigkeit von Denis Scheck (Altpapier vom 29. Januar) und einer Jim-Knopf-Hommage bei "Wetten, dass..?".
Was die Verteidiger der Wette sagen: Jim Knopf sei, anders als die in Minstrel-Shows von Weißen dargestellten Schwarzen, ein "positiver Held". Stern.de schreibt, wer die Wette rassistisch finde, dürfe nicht zum Karneval ins Rheinland fahren. Hmjöu. Das ZDF selbst, offenbar wahnsinnig debattenfreudig, wird bei Tagesspiegel.de zitiert: "Solche Vorwürfe entbehren jeder Grundlage." Und die Augsburger Allgemeine argumentiert, falls man das so nennen kann: "Eine Jim-Knopf-Verkleidung ohne dunkle Hautfarbe aber wäre ungefähr so gut zu erkennen wie ein Biene-Maya-Kostüm ohne Streifen. Markus Lanz hat, wenigstens in diesem Fall, alles richtig gemacht." (Und andere Verteidiger der Wette gab es auch.)
Zwischen die Stühle stellt sich Hans Hoff in der Süddeutschen Zeitung:
"Eine vernünftige Redaktion hätte möglicherweise (...) eine Stadtwette weggelassen, bei der sich Menschen als Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer verkleiden und dabei auch vor dem Einsatz von schwarzer Gesichtsfarbe nicht zurückschrecken sollten. So etwas sorgt im auf politische Korrektheit ausgelegten elektronischen Himmel naturgemäß für wenig Begeisterung, eher für heftiges Getwitter",
schreibt er, was ich aber nicht verstehe. Gibt es nun einen Grund für eine Diskussion, oder gibt es keinen?
Im mutmaßlich auf politische Korrektheit (ach so) ausgelegten elektronischen Himmel jedenfalls gibt es ein zentrales Argument, das einem eigentlich – aber vermutlich ist das nur eine Meinung – schwerlich nicht einleuchten kann: Wenn man Leute auffordert, Jim und Lukas darzustellen, und dabei explizit sagt, Jim solle sich schwarz anmalen, werden automatisch all jene von der Beteiligung ausgeschlossen, die schwarz sind. Es fällt in Blogs, etwa hier: "Der Aufruf richtet sich ausschließlich an weiße Menschen"; hier: "Schwarz wird man durch Einschmieren, weiß ist man (als Deutscher)"; oder beim viel zitierten astefanowitsch.tumblr.com. Außerdem fällt es auch bei Onlinemedien wie Spiegel.de: "Gruseligerweise ist es eine Marionette, die verfügt: 'Jim Knopf muss natürlich geschminkt sein, schwarze Farbe oder Schuhcreme, ganz egal!' Warum das nun? Weil es womöglich nicht genug Schwarze in Augsburg gibt? Weil echte Augsburger unmöglich eine schwarze Hautfarbe haben können?" Und bei Abendblatt.de.
Die Kollegen haben an dieser Stelle das Schlusswort. Erst Abendblatt, dann SpOn:
"Wie bitte konnte der Aufruf zum 'Blackfacing', der mit der Stadtwette einherging, durch sämtliche Checks & Balances der Redaktion laufen?"
"Dass (...) ein öffentlich-rechtlicher Sender die Organisation eines heiteren 'Blackface'-Flashmobs im Jahr 2013 noch für opportune Folklore hält, ist kurios peinlich."
Korrekt.
+++ Üblicherweise werden montags die Medienmeldungen aus dem Spiegel und, seltener, aus dem Focus auf den Medienressorts der Tageszeitungen, Print wie Online, weiterverarbeitet. Die Exklusivnachrichtenlage ist heute allerdings eher dünn. Zu erwähnen, da am Wochenende gedruckt in FAZ und SZ, ist die Nachricht, dass Anne Will bis mindestens Ende 2015 "Anne Will" moderiert. Allerdings ist das die Hund-beißt-Mann-Version der Nachricht, weil im Ringen der ARD um die eine Talkshow, die den Orkus kennenlernt, die Entscheidung bekanntlich bereits längst gefallen ist (Altpapier) +++ An weiteren Mediennews hätten wir noch, dass sz.de-Chef Stefan Plöchinger in die Chefredaktion der gedruckten SZ aufsteigen soll (Spiegel), was eine Aufwertung von Süddeutsche Online bedeuten könnte (SZ-Vizechef Krach: "Eine Entscheidung darüber steht aber noch aus"). Sowie (ebenfalls Spiegel) dass Ingo Zamperoni seinen Job als ARD-Korrespondent in New York nicht nur als "Trostpflaster" sieht (wir erinnern uns: ARD-Hauptanker wurde ein anderer). Sondern als – klar – "mehr als ein Trostpflaster" +++
+++ Am Rande passend zum Medienthema des Tages interpretiert der Spiegel "junge Comedians mit ausländischen Wurzeln": "(P)olitische Korrektheit ist oft nur das Synonym für Langeweile" +++ Ein Synonym für Kurzweile ist der "Bericht aus Berlin" (die ARD kann auch tolle Sachen): "'Bericht aus Berlin' blamiert sich mit halbnackter von der Leyen", schreibt Focus.de – wobei halbnackt ein handwerklich hervorragend irreführender Klickreiz ist. Es geht um diese Fotomontage der künftigen Verteidigungsministerin, die vom Twitter-Account des "Berichts aus Berlin" am Sonntag verschickt und wieder ohne Kommentar gelöscht wurde, was die Verbreitung bekanntlich nicht aufhält (siehe auch RP-online.de) +++ Dass Hans-Peter Friedrich als Innenminister gesetzt sei, hat sich erledigt (Stefan Niggemeier über das mediale Personalgeeiere) +++
+++ "Die geplante 'Stiftung Vielfalt und Partizipation', mit der die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen den Lokaljournalismus fördern will, soll nun unter dem Dach der Landesanstalt für Medien (LfM) in Düsseldorf eingerichtet werden. Geplant ist nach epd-Informationen die Gründung einer gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung" (epd) +++
+++ Abmahnungen: "Nutzer von Pornokanälen wie Redtube und Youporn, die nach Abmahnschreiben wegen angeblicher Urheberrechtsverletzung das geforderte Geld gezahlt haben, können Schadenersatz vom Land Nordrhein-Westfalen verlangen" (Focus) +++ "Im Fall der massenhaften Abmahnungen an angebliche Nutzer der Porno-Plattform Redtube muss sich das Landgericht Köln heftige Kritik gefallen lassen" (Spiegel) +++ Dirk von Gehlen verfasst nach den Redtube-Abmahnungen tatsächlich einen "Aufruf für das Urheberrecht": "vom Urheberrecht – so der Eindruck im Fall Redtube – profitieren nicht Urheber, sondern Anwälte" +++
+++ Dreizehn Nachrichtenorganisationen, darunter New York Times und Guardian, haben einen Brief an Rebellengruppen in Syrien verfasst, in dem sie um ein Ende der Journalistenentführungen bitten (FAS) +++ Die SZ begibt sich auf eine "Spurensuche" in Istanbul: "Wo liegen Scharfschützen? Welche Bäckerei hat geöffnet? Weil Syrien lebensgefährlich für Journalisten ist, begleiten Oppositionsmedien im sicheren Exil den Alltag ihrer Heimat" +++ Noch eine große wichtige Auslandsgeschichte hat die FAS: Der Schriftsteller Viktor Jerofejew schreibt über seinen Freund, den russischen Fernsehmoderator Dmitri Kisseljow, der nun "zum Leiter einer neuen Nachrichtenagentur bestellt worden [ist], die den Ausländern in aller Welt die wahren russischen Werte erklären soll", anders gesagt: zu Putins Propagandachef. Wobei Jerofejew seine Meinungsunterschiede deutlich betont: "Aber – so erregen sich meine liberalen Freunde – wie kann man mit einem befreundet sein, der sonntags in seiner polemischen, offen antiwestlichen und antiliberalen Fernsehsendung fordert, die Herzen schwuler Verkehrstoter zu verbrennen, damit sie nicht als Spenderorgane verwendet werden!" +++
+++ Der Fotograf der Begegnung von Bettina und Christian Wulff vor Gericht schreibt, wie das Foto zustande gekommen sei. Mir kam es so vor, als sei es etwas irreführend: Die Wulffs tuschelten ja nicht angeregt miteinander und waren möglichst nett zueinander, wie das Bild glauben macht, sondern begrüßten sich nur kurz +++ Statt sich über Selfies auszulassen, "sollten wir zur Kenntnis nehmen, dass konservative und liberale Politiker mehr Zeit miteinander verbringen und mehr gemeinsam haben als wir zu glauben bereit sind", schreibt polycymic.com und zeigt acht Fotos von Barack Obama in Südafrika, die ihn nicht beim Selfiefotografieren zeigen. Denkbar, dass er die Fotos auch selber gerne verbreitet sähe +++
+++ Der neue "Sportstudio"-Moderator Jochen Breyer wurde in der SZ (S. 4 vom Samstag) porträtiert: "Viele sehen im Sportstudio eine Art 'Wetten, dass ..?' mit Torwandschießen: Ein katzbuckelnder Moderator stellt gefällige Fragen und bekommt harmlose, erwartbare Antworten. Breyer hat den Ruf, anders zu sein. (...) Die Personalie Jochen Breyer zeigt: Das ZDF hat erkannt, woran es krankt" +++
+++ Zum Wochenende erfreute Michael Hanfeld in der FAZ mit einem Text über die Öffentlich-Rechtlichen und die voraussichtlichen Mehreinnahmen von laut Hanfeld bzw. Deutschlandradio-Intendant Willi Steul 1,15 Milliarden Euro durch die neue Gebührenordnung. Er zitiert dazu diverse Stimmen: "Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), sagte auf Anfrage, er wolle (...) eine Reform in zwei Schritten – eine Senkung des Rundfunkbeitrags um fünfzig Cent bis zu einem Euro und dann eine Strukturreform, insbesondere zur Entlastung der mittelständischen Wirtschaft. (...) Der Medienstaatsekretär der NRW-Regierung, Marc Jan Eumann (SPD), will einen Dreischritt: 'Eine Beitragsreduzierung, das Beseitigen möglicher Unwuchten bei der bisherigen Berechnung. zum Beispiel bei der Wirtschaft, und einen weiteren Schritt in Richtung Ausstieg aus der Werbung bei den Öffentlich-Rechtlichen'" +++
+++ Im Fernsehen: "Eine nett verdrehte, mit Witz inszenierte, von einem wunderbaren Ensemble gespielte Familienkomödie", findet die FAZ: "Beste Bescherung" (ZDF, 20.15 Uhr) +++ Die TAZ bespricht den blugarischen Film "Zwei Klassen" (ZDF, 0.10 Uhr) +++ Die SZ hat mit Elke Heidenreich über ihr Hobby gesprochen, die Soap "Verbotene Liebe", wo sie nun zum dritten Mal mitspiele (Montag und Dienstag) +++ Außerdem druckt die TAZ einen Nachruf auf den Autor und Satiriker Horst Tomayer von Altpapier-Autor René Martens +++
+++ SZ-Chefredakteur Kurt Kisters Jahresrückblick im "SZ-Wochenende" enthält Lustiges über Springer: "Unter uns Journalisten gibt es keine Revolutionäre vom Schlage Reeds oder gar Morrisons. Welche, die ihr Selbst nicht mehr wiederfinden, gibt es schon. Einige von ihnen sind zu Springer gegangen, auch 2013, vielleicht weil der Springer-Konzern 2013 auf der Suche nach der verlorenen Zukunft auch einen Teil seines Selbst verloren hat und jedenfalls kein Verlag mehr ist, obwohl doch der Chef den Journalismus so sehr liebt. Es ist völlig okay, dass Springer jetzt ein digitaler Dienstleistungskonzern wird. Auch die Investoren finden das gut. Investoren lieben Veränderung jeder Art, selbst wenn sich die durch einen Taliban-Vollbart oder den Zukauf eines Gestütsbesitzers ausdrückt" +++
Das Altpapier gibt es am Dienstag wieder.