Der König von Bayern legt im Spiegel seinen Pressekodex vor. Stefan Aust soll Welt-Herausgeber werden. 100 Tage Wolfgang Büchner beim Spiegel. Und eine kleine Bitte: Wer noch keinen Vorschlag gemacht hat, was mit den Gebührenmehreinnahmen geschehen könnte, möge doch jetzt vortreten.
Das mit dem König war nur ein kleiner qualitätsjournalistischer Witz: Bayerns Ministerpräsident – so stimmt's! – Horst Seehofer hat dem Spiegel ein Interview (online eine Zusammenfassung) von der Tiefe und Analyseschärfe einer Keynote bei den Münchner Medientagen gegeben. Seine Kernaussage:
"Es gibt einen Qualitätsverlust in manchen Medien. Und die Herabsetzung von Politikern und Parteien nimmt zu. Macht braucht Kontrolle, aber der Umgang sollte immer respektvoll bleiben."
Der Kontext ist allen Ernstes immer noch das – so kann man es selbst (oder gerade) nach reiflicher Überlegung auch sehen – "mustergültige Interview, das Marietta Slomka vergangene Woche geführt hat" (FAS), nach dem Seehofer, der als bayerischer Ministerpräsident den ZDF-Verwaltungsrat mit Qualitätseinwürfen bestückt, sich als ZDF-Kritiker hervorgetan hat. Das Spiegel-Interview ist trotzdem lesenswert, erstens weil Markus Feldenkirchen und René Pfister die richtigen Fragen stellen (unter dem Strich lautet ihre wiederkehrende Frage, ohne dass sie je so formuliert würde: "Finden Sie nicht ziemlich bigott/selbstgerecht, was Sie da sagen?"). Zweitens weil Seehofer Dinge sagt, die die "Heute Show"-Satire vom Freitag über "Horst Seehofers Journalistenschule" (etwa ab Minute 12:00 oder bei Youtube) regelrecht dokumentarisch wirken lassen.
Hübsch, wie er BR-Fernsehchefredakteur Sigmund Gottlieb (Altpapier) verteidigt (der bei der "Heute Show" am Freitagabend übrigens auch vorkam; Oliver Welke behauptet, ihn zu sehen, als er seinen Kopf in den Papp-Botero rechts steckt). Seehofer: "Wenn man nach so einer Zeit die absolute Mehrheit holt, darf doch auch ein Journalist sagen, dass der Mythos CSU lebt."
Toll, wie er den Anruf seines Pressesprechers beim ZDF (Altpapier) zur "Petitesse" verschmust und die Angelegenheit anschließend ein für allemal beendet: "Außerdem glaube ich Herrn Strepp, wenn er sagt, er habe das ZDF-Programm nicht beeinflussen wollen."
Originell, warum er kein Problem darin sieht, dass Regierungssprecher anschließend z.B. BR-Intendanten werden können: "Diese sind oft die kritischsten. Warum soll ein Journalist nicht mal einer Regierung dienen?"
Stilprägend, wie er, fast stolz ob der simulierten Transparenz, seine SMS zitiert, die er nach dem Slomka-Gabriel-Gespräch verschickt habe, wobei interessant an der SMS weniger ihr Wortlaut ist – der steht etwa beim Tagesspiegel oder bei Zeit.de –, sondern dass er sie dem ZDF-Intendanten und nicht der für das Interview verantwortlichen Redaktion geschickt hat.
Prima auch, dass er darauf hinweist, dass man sich Zeitungsüberschriften wie "Crazy Horst" nicht gefallen lassen sollte – wer den entsprechend betitelten FAS-Text sucht und liest, versteht womöglich den Humor gleich besser: "Bei Seehofers Ironie, mit der er sein politisches Raubtiergebiss verblendet hat, besteht meist Verwechslungsgefahr mit Zynismus."
Vor allem aber lesenswert ist die Passage, in der Seehofer erklärt, warum er seinen Auftritt im Jahresrückblick des ZDF (dazu gibt es auch schon eine Kritik von Barbara Sichtermann) abgesagt habe. Kürzlich hieß es noch (Altpapier), er wolle "ein Geschmäckle" vermeiden, nun sagt er: "Ich will (...) nicht, dass irgendwer übers ZDF sagen kann: Schauen Sie, der Markus Lanz hat ihm zehn Minuten lang lauter nette Fragen gestellt, als wenn nichts gewesen wäre."
Beide Begründungen sind auf unterschiedliche Art bemerkenswert. Wenn ein Ministerpräsident nicht in eine Sendung kommen kann, weil es ein Geschmäckle haben könnte, ist die Konsequenz kaum verhandelbar: Politiker raus aus den Rundfunkräten! (wie der damalige ARD-Vorsitzende 1989 forderte und zuletzt Markus Brauck Ende Oktober).
Wenn aber Seehofer deshalb nicht erschien, weil er dem ZDF nicht erlauben wollte, ihm freundliche Fragen zu stellen, mit denen womöglich der Eindruck einer Kampagne zerstört werden könnte – heißt das dann zum Ende dieses seltsamen Qualitätsjournalismuslehrgangs, nicht Lanz frage zu nett, sondern andere Journalisten zu hart?
Nicht Medienkritik ist jedenfalls falsch; dieses Blog, zum Beispiel, ist voll davon. Aber diese Medienkritik ist grundfalsch.
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+++ Das Spiegel-Cover übrigens ist – das wird, aber das ist reine Spekulation, kaum großen Zoff verursacht haben – Nelson Mandela gewidmet, der am Donnerstag gestorben ist. Andere Titel, schrieb Ulrike Simon dieser Tage in der Berliner Zeitung, hätten seit Wolfgang Büchners Antritt als Chefredakteur – der Anlass ist der Ablauf seiner ersten 100 Tage – dagegen intern schon Widerworte erregt:
"Büchners Vorvorgänger Stefan Aust sagt: 'Der Titel, also die Kombination aus Geschichte, Bild und Zeile, das ist für einen Chefredakteur der einzige, wichtigste und schnellste Hebel, etwas zu bewirken'. Büchner hat dem Vernehmen nach bisher nur ein Mal einen Titel durchgesetzt, gemeinsam mit Blome, wider alle Warnungen aus der Redaktion. Es war jener zur SPD-Basis mit dem einbrechenden Sigmar Gabriel auf einem Thron, im Hintergrund die Kanzlerin. Das Heft verkaufte sich schlecht wie lange nicht. 'So etwas spricht nur Hardcore-Spiegel-Leser an', sagt ein Redakteur und vermutet nicht als Einziger, Büchner habe kein Gespür für den Spiegel."
Seit Steffen Grimbergs Wechsel von der TAZ zu "Zapp" ist Ulrike Simon, vielleicht neben Kai-Hinrich Renner vom Hamburger Abendblatt Handelsblatt, eventuell die Medienjournalistin, die ihre Kontakte in praktisch alle wichtigen deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen am intensivsten nutzt. Ihr Büchner-Text dient hier allerdings auch als Überleitung. Stichwort: Stefan Aust.
Die Branchennews des Wochenendes betrifft den früheren Spiegel-Chef. Nach Matthias Matussek und Georg Mascolo (und, um die relativ ausführliche Süddeutsche zu zitieren: natürlich auch nach Hellmuth Karasek und Henryk M. Broder, sowie, um das Spektrum noch auf nahe Verwandte zu erweitern: Klaus Boldt vom zur Spiegel-Gruppe gehörigen Manager-Magazin) geht offensichtlich auch er zu Springer, er soll Herausgeber der Welt werden, berichtet der – wie so oft montags – größte Mediengeschichtenproduzent, der Spiegel. Im Grunde ist damit alles gesagt, die Meldung ist dort 13 Zeilen lang (nicht formulierungs-, aber inhaltsgleich online). Die TAZ schreibt dazu nicht: "Jeps Gnadenhof verzeichnet einen prominenten Neuzugang." Wahrscheinlich wäre die Einordnung von sowohl Aust als auch vor allem Mascolo und Boldt in die Reihe auch nicht ganz sachgemäß.
Die Folgefragezeichen stellt der Tagesspiegel in einer neueren und einer älteren Version in den Raum: "Interessant wird sein, ob Aust sein umfangreiches Engagement bei N24 aufrechthält. Auch ist noch unklar, wie die Zukunft von Thomas Schmid aussieht", also die des jetzigen Welt-Herausgebers. Dass er zum Spiegel geht, ist dann doch eher unwahrscheinlich – aber immerhin kommt Schmid nicht von der Bild-Zeitung. Die SZ:
"Springer und Spiegel, die trennte jahrzehntelang Unüberwindbares, nur so kann man ja auch verstehen, wie groß die Empörung war, als Bild-Mann Nikolaus Blome beim Spiegel Mitglied der Chefredaktion wurde. Wahr ist aber auch, dass die Grenzen zwischen Spiegel und Welt auch früher schon viel durchlässiger waren als zu Springers großem Boulevardblatt."
+++ Bitte jetzt vortreten, wer noch keinen Vorschlag gemacht hat, was mit den möglichen/wahrscheinlichen "Mehreinnahmen aus dem Rundfunkbeitrag" geschehen könnte! Heute hätten wir neu im Angebot ein Focus-Interview mit BR-Intendant Ulrich Wilhelm, der plädiert, damit jene zu entlasten, die "überproportionale Kostensteigerungen zu verzeichnen haben", etwa Firmen mit vielen Filialen oder großem Fuhrpark +++ Dann hätten wir den Spiegel, der die Idee von Fernsehproduzenten zitiert, das Geld den Fernsehproduzenten zu geben, die im Vergleich zur internationalen Konkurrenz nicht gut genug ausgestattet seien +++ In einem Pressegespräch hat sich Deutschlandradio-Intendant Willi Steul geäußert (ausführlich siehe Tagesspiegel), und fiel nicht irgendwo auch der Name Malu Dreyer? Die FAZ hat heute jedenfalls SWR-Intendant Peter Boudgoust im Zitat: Er "sieht (...) in den erwarteten Mehreinnahmen, die sein Kollege Willi Steul vom Deutschlandradio zwischenzeitlich auf 1,15 Milliarden Euro bezifferte (gerechnet auf vier Jahre,) einen Beleg dafür, dass der neue Rundfunkbeitrag und damit die solidarische Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks greife. Dies könne 'perspektivisch sogar zu einer Entlastung der Beitragszahler führen'" +++ Harald Staun schreibt in der FAS eine kleine Zusammenfassung: "Die Sender selbst würden nichts lieber tun, als jedem Zuschauer Eineuroirgendwas mit großer Geste zurückzuzahlen" +++
+++ Was, außer in der TAZ und beim Kölner Stadt-Anzeiger, der für die Nachricht verantwortlich ist, auf Medienseiten noch nicht überall steht, ist: Ermittlungen gegen Günter Wallraff gegen Geldauflage eingestellt (Standard.at, Focus Online, Stern.de). Darum (Spiegel, Altpapier) ging es. Was nun eigentlich zu erwarten wäre: ein großer Leyendecker +++
+++ Die FAS analysiert die Geschichtsformate des ZDF: "In solchen 'History!'-Ausgaben findet man in konzentrierter Form fast alles, was schrecklich ist am modernen Fernsehen für Zuschauer mit Aufmerksamkeitsdefizit: Infantilität, Beliebigkeit, musikalische Plumpheit (...), Straßenumfragen, Jo Groebel" +++ Die SZ fragt sich, ob das Gehirn die schneller werdenden Youtube- und Fernsehschnitte überhaupt verkraftet; Antwort: nein und ja, Stress und Kick +++ Heute im Fernsehen: "Die Gruberin" (20.15 Uhr, ZDF), ein Film, der Michael Hanfeld (FAZ) zufolge "etwas zu unentschieden zwischen Komödie und Naturalismus changiert" +++ Und der Tagesspiegel wundert sich über die Berichterstattung zur WM-Gruppenauslosung +++
+++ Die FAZ bespricht außerdem Evgeny Morozov: "Morozov ist kein Kulturpessimist, er regt sich nur über Phrasen auf, so sehr, dass er sich sogar von mehr ethischer Besinnung etwas verspricht. Nicht die Ansammlung heterogener Tatbestände, die wir das Internet nennen, ist also für ihn problematisch, sondern die teils törichten, teils geschäftstüchtigen Projektionen, nichts könne mehr ohne sie gut werden. Bildung? Schulen ans Netz! Gesundheitsprobleme? Self-Tracking und DNA-Analyse! Demokratieverdruss? Rund-um-die-Uhr-Demoskopie und Open Government!", schreibt Jürgen Kaube im FAZ-Feuilleton, findet aber auch, "der Autor regt sich zu sehr auf". Dass der Autor des Buchs, also Morozov, FAZ-Kolumnist ist, hätte man theoretisch natürlich erwähnen können +++
+++ Und Hans Hoff will "Tatort"-Kommissar werden (DWDL-Kolumne) +++
Das Altpapier gibt es am Dienstag wieder.
Dieser Text wurde nachträglich verändert: Ursprünglich stand da "Keyword" statt "Keynote"; und dass Oliver Welke auf dem Bild links zu sehen ist, kann man vermutlich auch ohne Hinweis erkennen. Dieser wurde daher gelöscht.