Die Soße zum Quatsch

Die Soße zum Quatsch

Was haben die Medien mit Parlamenten gemein? Vollzieht sich heute beim WDR endgültig ein „Kulturbruch“? Machen uns Serien wie „Homeland“ zu Geheimdienstfans? Außerdem: eine Spiegel-Titelgeschichte aus theater- und literaturkritischer Perspektive.

Die Clubkultur ist eher selten ein Thema im Altpapier, und daher nehmen wir die Gelegenheit, die uns Tagesspiegel-Autor Peter von Becker bietet, doch gern wahr, heute damit einzusteigen. Auf der Meinungsseite der Zeitung benennt er den Tod von Dieter Hildebrandt (Altpapier) als eine „Zäsur“ („Kein zweiter hat den deutschen Humor derart belebt und beleuchtet“), die er zum Anlass nimmt, über den Transformationsprozess zu sinnieren, den das hiesige Humorwesen hinter sich hat.

„Humor ist heute auch, wenn es beim Raab, beim Rapper oder in der Club-Kultur kracht“,

konstatiert von Becker. Diese Aufzählung hat durchaus auch einen gewissen humoristischen Wert, erweckt sie doch nicht den Eindruck, dass der Autor weiß, wovon er da spricht. Dass von Becker je zugegen gewesen ist, wenn es „in der Club-Kultur kracht“, würden wir an dieser Stelle jedenfalls leise anzweifeln wollen.

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[+++] Krachen wird es heute möglicherweise auch in den WDR-Arkaden im Studio 2 (Elstergasse 1), denn um 16 Uhr gibt der WDR die Entscheidung des heute tagenden Rundfunkrats zur Personalie Valerie Weber bekannt. Es geht also darum, ob Intendant Tom Buhrow bei den Kontrolleuren Erfolg hat mit seiner intern mannigfaltig kritisierten Idee, eine Frau aus dem Privatradiomilieu an die Spitze des eigenen heiligen Hörfunks zu bugsieren (siehe Altpapier).

In der kirchlich verantworteten Medienpublizistik findet sich in Leitartikeln zur Causa Weber heute gleich zweimal der Begriff „Kulturbruch“, bei epd medien in der Headline (die nur aus diesem Wort besteht), in der Funkkorrespondenz in der Unterzeile. „Wie eine Veganerin“ in „einer Metzgerei“ würde Weber wirken, wenn sie den Posten bekäme, schreibt Dieter Anschlag in der Funkkorrespondenz:

„Hinter (ihrer) Nominierung (...) verbirgt sich nichts anderes als ein radikaler Kulturbruch. Der WDR-Intendant signalisiert damit: Aus dem eigenen historisch-kulturellen Bestand können wir die Zukunft nicht meistern und deshalb bedürfen wir der Hilfe der kommerziellen Konkurrenz. Tatsächlich gibt es bisher bei der ARD in den Positionen Intendant, Hörfunkdirektor und Fernsehdirektor nirgendwo einen früheren Protagonisten des Privatfunks.“

Wobei in diesem Zusammenhang vielleicht anzumerken wäre, dass zumindest einer aus der aktuellen Garde dieser Funktionäre sich als Weber-Befürworter zu erkennen gegeben hat, nämlich Deutschlandradio-Intendant Willi Steul (siehe Kölner Stadt-Anzeiger)

Diemut Roether beschäftigt sich in epd medien noch einmal mit der Gewinnspiel-Vorliebe der bisher „als geschickte Vermarkterin ihrer Sender erfolgreich(en)“ Weber:

„Die Privatsender (würden) sich sofort beschweren, wenn der WDR allzu aggressiv auf Gewinnspiele im Privatradio setzen würde. Und wenn Valerie Weber schon die eher laschen Programmauflagen für Privatsender nicht mochte, so sollte sie Paragraf 4 des WDR-Gesetzes vor ihrem Auftritt im Rundfunkrat schon einmal auswendig lernen.“

In jenem Paragrafen geht es im Übrigen um den Programmauftrag der WDR.

[+++] Den oben verwendeten Begriff „kirchlich verantwortete Medienpublizistik“ (unter dem bekanntlich ja auch das Altpapier zu subsumieren ist) haben wir mal eben von Norbert Schneider geborgt, der sich in einem Leitartikel für die Funkkorrrespondenz mit der Tradition eben dieses Genres befasst. Das klingt spröde, aber der Text des früheren Medienaufsehers rockt. Schneiders Texte rocken übrigens häufig, auch wenn die Klassifizierung „Joachim Gauck der deutschen Medienszene“ (Mike Hanfeld 2010) anderes vermuten lässt. In dem aktuellen Beitrag für die FK, die demnächst 60 Jahre alt wird (und das ist dann auch der Anlass dafür, dass der Beitrag jetzt erscheint), findet sich zum Beispiel folgender Satz:

„Medien haben, ohne dass dies irgendwo geschrieben stünde, zwar nicht den Rang, aber die Bedeutung von Parlamenten.

Rockkritiker würden diese Formulierung wahrscheinlich wuchtig nennen. Im weiteren liest sich der Text teilweise wie eine Ergänzung zur Betrachtung der Medienpublizistik im Altpapier von diesem Montag:

„(Der) Zustand (der Medien), ihre ‚Philosophie‘, ihre Absichten sind für eine Gesellschaft – und damit natürlich auch die in ihr existierenden Kirchen – von großer Bedeutung. Doch obwohl daran niemand ernsthaft zweifeln würde, geschieht vergleichsweise wenig an Recherche, Vermittlung oder Kritik über die und an den Medien. Ihre Bedeutung steht notorisch in einem völligen Missverhältnis zu dem Interesse der Öffentlichkeit an ihren Eigenarten – paradoxerweise derselben Öffentlichkeit, die von ihnen weithin lebt. Medienpublizistik verkauft sich nicht. Lässt man Promi-Geschichten, Homestorys und allgemein die Rubrik ‚Personalien‘ inklusive der Intendantengehälter einmal außer Betracht, dann ist es schwer, den riesengroßen Rest an den Mann zu bringen.“

Und für den Fall, dass jemand bei der Kirchen irgendwann noch einmal auf die Idee kommen sollte, am falschen Ende zu sparen, betont Schneider schon einmal vorsorglich, die konfessionelle Medienpublizistik könne

„gerade auch im Wettbewerb mit anderen kirchlichen Aktivitäten (...) darauf verweisen, dass hier mit vergleichsweise wenig Geld viel zu machen ist. Sie muss darauf verweisen, dass es kaum sonst jemanden gibt, der die Lücke füllt, der an der Beseitigung eines Marktversagens arbeitet, der sich stellvertretend um die Belange derer kümmert, die ‚keine Stimme haben‘. Und sie kann darauf verweisen, dass sie auch bei denen, die die Kirche sonst nicht wahrnehmen, wie eine vertrauensbildende Maßnahme wirkt.“

[+++] Ins Genre der konfessionellen Medienpublizistik im weiteren Sinne gehört auch ein Artikel, den Leo Fischer, der Ex-Chefredakteur des Medienkritikfachblatts Titanic, für die Jüdische Allgemeine über Franziska Augstein verfasst hat. Anlass: Die SZ-Redakteurin lieferte als Laudatorin für die mit dem Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis ausgezeichneten Avi Primor und Abdallah Frangi kürzlich zum „Quatsch die Soße“:

„Sie beglückwünschte die Preisträger dazu, ‚dass sie die Leute, mit denen sie zu tun bekommen, nicht nach politischen Konzepten beurteilen, sondern nach ihrer je eigenen Haltung und nach ihrem Charakter‘. Ja, was bedeuten letztlich austauschbare politische Konzepte vor dem Hintergrund, ob jemand anständig geblieben ist oder ein schäbiger Lump?“

[+++] Die, sagen wir mal: bewegendste Was-mit-Medien-Geschichte erzählt heute Fast Company. In „The Incredible Story Of Marion Stokes, Who Single-Handedly Taped 35 Years Of TV News“ geht um eine vor einem Jahr verstorbene Frau aus Philadelphia, die 140.000 VHS-Cassetten mit Fernsehnachrichtensendungen aufgenommen hat:

„She'd feed a six-hour tape into the recorders late at night. She'd wake up early the next day to change them (or conscript family members to do the same if she wasn't home). She'd cut short meals at restaurants to rush home before tapes ended.“

Und ein Happy end gibt es auch: Es gibt Pläne, die Sammlung zu digitalisieren und durchsuchbar zu machen.


ALTPAPIERKORB

+++ Die große Spiegel-Geschichte zur Cornelius-Gurlitt-Causa betrachten Mely Kiyak aus theaterkritischer Perspektive und Ekkehard Knörer (Freitag) aus literaturkritischer. Gurlitt sei „keine Person, die in unsere Realität passt, eher eine literarische Figur. Wie von Kafka zum Beispiel, auf dessen ‚In der Strafkolonie‘ Gurlitt im Gespräch mit Gezer selbst verweist. Oder mehr noch wie die Hauptfigur von Elias Canettis Roman ‚Die Blendung‘, der Anfang der dreißiger Jahre entstand“, schreibt Knörer.

+++ Die SZ meldet heute auf der Seite 1 (und hier) in durchaus eigener Sache: „Die Serie ‚Der geheime Krieg‘ - ein gemeinsames Projekt von NDR und Süddeutscher Zeitung - wird zum Thema im Bundestag. Veranlasst haben dies die Grünen.

+++ Netzpolitik (I): Die Groko-Unterarbeitsgruppe „Digitale Agenda“ hat sich von der Idee eines eigenständigen Bundestagsausschusses für Internet-Themen verabschiedet (Digitale Linke). Mehrere aktuelle netzpolitik-bezogene Arbeitspapiere der Groko-Bastler findet man bei Carta.

+++ Netzpolitik (II). Im FAZ-Feuilleton ist eine komplette Seite mit einem Interview gefüllt, das Frank Schirrmacher mit Michael Hange, dem Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), geführt hat. Dieser sagt: „In der letzten Legislaturperiode ist ein IT-Sicherheitsgesetz in Vorbereitung gewesen, das vor der Bundestagswahl nicht mehr in das Parlament eingebracht werden konnte. Einige Wirtschaftsverbände hatten Bedenken beim Thema Meldepflicht. Wir haben im Augenblick eine Situation, in der sehr viele Angriffe stattfinden, wir aber nur von wenigen erfahren (...) Auf den Regierungsinformationsverbund gibt es täglich 2000 bis 3000 Angriffe normaler Qualität. Zudem finden täglich etwa zehn Angriffe mit Sabotagecharakter statt. Die Herausforderung ist, in der Masse der Angriffe die zu erkennen, welche qualitativ hochwertig sind."

+++ Auf der Medienseite der FAZ: Die Kaputtsparfüchse von Gruner + Jahr haben „in München weiterhin Ärger“, berichtet Jörg Michael Seewald (Hintergrund: Altpapier). Als „Reaktion auf die Weigerung der Mitarbeiter von Neon und Nido, gen Hamburg zwangsumzuziehen, hat man die Entscheidungsfrist für alle Münchner Redaktionen um über einen Monat verlängert. Am 8. Januar ist Stichtag (...)“. Besonders köstlich: „Herausgeber (Andreas) Petzold will den zögernden Redakteuren bei einer persönlichen Führung durch die Hamburger Verlagsräume den Wechsel von der Isar an die Alster schmackhaft machen.“

+++ Nun auch in der taz: die skandalösen Ermittlungen gegen den Bürgerblick-Herausgeber Hubert Denk (siehe Altpapier).

+++ Wie sich der absolute Sieg der CSU bei den Landtagswahlen in Bayern auf die Besetzung in den Gremien der öffentlich-rechtlichen Sender auswirkt, steht in der Funkkorrespondenz.

+++ In einem sehr ausführlichen Text vergleicht die Berliner Zeitung die regionale TV-Sportberichterstattung von RBB und MDR.
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+++ So etwas wie „Zapp“ gibt es im Schweizer Fernsehen nicht, konstatiert Ronnie Grob (presseverein.ch).

+++ 50 Jahre „Doctor Who“ würdigt The Atlantic.

+++ Mehr Serienmäßiges: „Steigern Serien wie ‚Homeland' die Beliebtheit der Geheimdienste?“, fragt Kathleen Hildebrand im SZ-Feuilleton. Ja, wenn eine Studie der Stanford-Professorin Amy Zegart zu „Spytainment“ etwas taugt: „In zwei großen Umfragen aus den Jahren 2012 und 2013 mit je 1000 Teilnehmern stellte sie fest, dass regelmäßige Zuschauer von Spionagefilmen und -serien eine größere Zustimmung gegenüber aggressiven antiterroristischen Geheimdienstmaßnahmen zeigen, also gegenüber Folter, gezielten Tötungen und der Überführung Verdächtiger in Drittstaaten, die Folter erlauben.“

+++ Heute im Fernsehen: „Fast alles, was sich die gestresste Frau abends als entspannendes Gefühlsschaumbad so wünschen kann“, biete der arte-Film „Gestrandet“, verspricht Claudia Tieschky (SZ, Seite 47). Und was auch immer der folgende Satz genau bedeuten mag, uninteressant klingt er nicht: „Herzen mögen stranden wie im Filmtitel, aber die Seele baumelt hier mit dem beruhigenden Gefühl, nicht allzu tief zu hängen.“

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

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