Margarita Broich und Wolfram Koch treten als erwählte HR-Tatort-Protagonisten erstmals vor die Presse. Der aus syrischer Haft freigekommene Journalist Armin Wertz erzählt über seine Gefangenschaft. Die Nachdenkseiten haben keine Genderkompetenz. Journalistik-Professor Horst Pöttker pflegt einfachste Vorstellungen.
Durchbruch in Hessen. Gestern wurde endlich die neue Koalition aus Margarita Broich und Wolfram Koch vorgestellt, die nach den überraschenden Rücktritten von Nina Kunzendorf und später Joachim Król nun dem Frankfurter Tatort vorstehen wird. Man könnte auch sagen, die Sedisvakanz ist damit offiziell vorbei. Oder was es eben noch so an Staatstragrepräsentationsanalogien gibt.
Der Tatort hat mittlerweile eine bemerkenswerte Bedeutung erlangt, die sich in der Berichterstattung über solch einen Pressetermin spiegelt. Es wird berichtet, auch wenn es sich nicht immer um etwas handelt, dass sich ernsthaft als Information bezeichnen lässt.
Jens Schneider etwa meldet sich in der SZ (seite 31) so durch.
"Aus Überzeugung, so erklärt Jessen, habe der HR sich für einen neuen Trend entschieden und 'zwei Edelsteine' ausgesucht, die sich als Figuren entwickeln können, und nicht wegen der Berühmtheit kommen."
Zitiert er die Entscheiderin, um etwas müde mit den hingeworfenen Anekdötchen zu schließen:
"Ein großer Kenner des Krimi-Klassikers sei er nicht, sagt er. Wenn sonntags der Tatort läuft, ist Koch eben oft auf der Bühne; als Kind konnte er gar nicht gucken, er wuchs ohne Fernsehen auf, 'mein Vater wollte das nicht'."
Margarita Broich ist dagegen mit der Reihe aufgewachsen. Interesting. Oder anders gesagt: Was sagt das? Ist das nicht genauso irrelevant wie irgendwelche Ideen zu Rollenprofilen, die dann nur im Presseheft der ersten Folge stehen als Absichtserklärungen, damit man das vollgeschrieben kriegt? Wenn der Tatort tatsächlich auf seine Art ein Politikum ist im deutschen Fernsehen, dann wäre es doch angebracht, da nicht wie die Bunte drüber zu schreiben, sondern wie knallhart-unbestechliche Regierungsvierteljournalisten.
Joachim Huber reibt sich im Tagesspiegel schon mal an den Einführungskränzen der zuständigen Fernsehspielchefin.
"'Wir haben uns für einen neuen Trend entschieden, für Gehalt, Begabung und Inhalt und deshalb für die beiden Schauspieler', sagte Jessen. 'Es ist sinnvoller zwei Edelsteine zu nehmen und ins Bewusstsein zu rücken, als zwei Berühmtheiten zu nehmen und die dann zu bändigen.' Diese Aussage klingt ein bisschen sonderbar und nicht gerade wie ein herzlicher Abschiedsgruß an die gegangene Nina Kunzendorf und an Joachim Król im Abgang."
Was man Jessen dagegen vielleicht konzedieren muss: dass sie einen "guten Schnüffler" (Josef Bierbichler) hat, und mit Tukur die Prominentisierung des Tatort-Casts angefangen hat, um jetzt davon wieder abzulassen.
David Denk hat für die TAZ ein Interview mit Broich und Koch geführt, das neben so totalverrückter Schauspielerkoketterie ("Die haben nicht alle Tassen im Schrank") ein paar Einblicke verschafft. So wird zum Beispiel auch über Geld geredet. Koch:
"Ich habe drei Kinder in der Ausbildung, muss insgesamt sechs Leute ernähren. Wenn man fast nur auf Theatergagen angewiesen ist, ist am Ende des Monats manchmal schon Essig in der Kasse. Da ist es natürlich angenehm zu wissen, dass man künftig ein kleines Polster haben wird. Ich weiß aber auch, dass mir ohne Theater stinklangweilig wäre."
Und man bekommt ein Gefühl dafür, wie Film gemacht wird und welchen Anteil Schauspieler daran haben. Broich:
"Der endgültige Film entsteht ja in meiner Abwesenheit: Schnitt, Rhythmus, Musik. Ich erinnere mich an eine Szene, in der ich geweint habe, und später hat man eine Geige druntergelegt. Hätte ich das gewusst, hätte ich keine Träne vergossen."
Auffällig ist auch, dass sich Koch traut, auf die Eingangsfrage nach dem abschreckenden Saarbrücker Beispiel von Devid Striesow so zu antworten:
"Unser Mitleid braucht er nicht. Das ist ein Superspieler, der das Pech hat, dass seine Figur im 'Tatort' unter einer Anhäufung von Klischees begraben wurde."
Mit Saarbrücken konfrontiert Hans Hoff auch Christian Ulmen in dem langen Gespräch aus der Oktoberausgabe des "journalist", das jetzt online steht. Hier ist der der Begriff Werkstatt nicht fehl am Platz. Und Ulmen, der Ende des Jahres in einem eher komödiantischen Tatort aus Weimar auftreten wird, antwortet differenziert auf die Frage nach der Kritik an Saarbrücken:
"Beim Saarland-Tatort fand ich das einerseits begründet. Der war ein bisschen holprig. Aber andererseits schreit man doch so oft danach, dass mal etwas Neues ausprobiert werden soll: Alle seien zu verschlafen, zu schnarchig, keiner mache mehr was Mutiges. Und dann macht einer mal nicht dasselbe, und dann kriegt er auch wieder eine runtergehauen. Man kann doch zumindest lobend anerkennen, dass da jemand versucht hat, mit dem Tatort etwas anderes zu machen. Ob das dann handwerklich geglückt ist oder nicht, das ist eine andere Frage."
Andere Fragen gibt es in dem lesenswerten Gespräch zuhauf. Viel dreht sich um Ulmens eigene Web-TV-Erfahrungen:
"Man muss ständig nachschieben oder mit aller Kraft PR machen. Oder du tummelst dich auf YouTube. Das ist die Erfahrung, die ich jetzt gemacht habe, dass du auch bei YouTube Präsenz zeigen musst. Die Leute suchen eben nicht bei Ulmen.TV ihre Clips."
Über die Zusammenarbeit mit Springer kann Ulmen dagegen nur Gutes sagen:
"Die haben da viele Männer der Zukunft. Wir freuen uns über Aufträge. Es ist kein Deal, bei dem es um massig Kohle geht oder so. Es ist erst mal ein Agreement, dass man zusammen Stoffe entwickelt."
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Tja. Da möchte man am liebsten was über die Frauen der Zunft schreiben aus einem nicht weiter artikulierten Reflex. Landet aber doch wieder nur bei einem Interview mit einem Mann.
An dem man zumindest zeigen kann, wie tief Journalismus bohren kann. Die Freilassung des deutschen Journalisten Armin Wertz wird in der SZ (Seite 31) von Jörg Hafkemeyer routiniert vermeldet:
"Wertz war im Frühjahr dieses Jahres im Auftrag von zwei asiatischen Zeitungen mit einem Begleiter in das türkisch-syrische Grenzgebiet eingereist. Kurz darauf war er verhaftet worden."
Wie eindrücklich Wertz seine Geschichte erzählen kann, zeigt der Tagesspiegel, für den Lutz Haverkamp den Samstag in Berlin Gelandeten stante pede interviewt haben muss. Auf eine sehr uneitle, am konkreten orientierte Art.
So begann die Haft mit einem Hausarrest im Hotel:
"Ich habe immer gehofft, dass ich zu Championsleague-Finale zwischen Bayern und Borussia Dortmund am 25. Mai wieder draußen bin. Ich war natürlich nicht draußen und habe irgendwann im August von einem Neuankömmling, der Fußballfan war, das Ergebnis erfahren."
Die Zeit des Nichtstuns im dunklen Gefängnis vertrieb sich Wertz dann singend:
"Mir sind Lieder aus frühester Kindheit eingefallen. Ich wusste gar nicht, dass die in meinem Kopf existierten. Es steht ein Soldat am Wolgastrand/hält Wache für sein Vaterland. Das muss aus den 50er Jahren sein. Oder: Du hast viele Engel im Himmel bei Dir/schick doch einen, nur einen zu mir. Ich dachte, ich spinne."
Gerade der nüchterne Blick auf die Haftbedingungen und Umstände hinterlässt beim Leser bleibenden Eindruck:
"Nein, ich saß zwar in einer Dunkelzelle, war ansonsten aber ziemlich privilegiert, dass ich nicht geschlagen wurde. Es muss eine Anweisung geben, mit Europäern pfleglicher umzugehen. Anders kann ich mir das nicht erklären."
+++ Doch noch was zu Frauen und Zunft: Die Bloggerin Magda thematisiert auf freitag.de die geringe Genderkompetenz der nachdenkseiten.de: "Sie lassen ein SPD-Mitglied gegen die SPD-Quote räsonieren, meinen aber eine Frauenquote sei generell unwichtig. So geht das, seit ich das politische Portal lese. Sie kennen sich einfach mit dem Thema nicht aus oder es interessiert sie nicht. Sie sind, wie viele politisch interessierte Männer, auf dieser Seite blind bis abweisend. Sehr konservativ, wie es eben so ist in diesem Lande." +++ Zu den Highlights of the day, wie es in der Medienszene eher nicht heißt, gehört auch Martin Wokers langer Text in der NZZ über die schwierige Frage, wie Menschen richtig bezeichnet werden sollen, die in Zeitungen zumeist "Sinti und Roma" genannt werden: "Irritierend daran ist, dass viele der Angehörigen dieser Minderheit sich selbst als Zigeuner bezeichnen. Den Plural ihrer Eigenbezeichnung, Roma, kennen sie allenfalls vom Hörensagen, aber weder die männliche Form Singular (Rom) noch die weibliche Form (Romni) ist ihnen geläufig. Irgendetwas stimmt da nicht. Doch was?" Es bleibt nur der Gang in die Geschichte und der Blick auf Lebensverhältnisse sowie politische Gemengelagen. +++ So viel Aufwand muss man als Dortmunder Journalistik-Professor Horst Pöttker dann nicht mehr betreiben, um für die sogenannte Wahrheit zu kämpfen, indem bitte flächendeckend über die Herkunft von Straftätern informiert wird. Stefan Niggemeier widmet sich in seinem Blog dem mit schönem Furor und viel Ausdauer: "Offenbar besteht die 'Wahrheit' für Pöttker darin, die ethnische Zugehörigkeit von Tatverdächtigen zu nennen. Ob diese Zugehörigkeit irgendetwas mit der Tat zu tun hat, spielt für ihn entweder keine Rolle oder er geht davon aus, dass das eh immer der Fall ist: Eine Tat erklärt sich durch die Herkunft des Täters." +++
+++ Während Blome auch als Spiegel-MdCR in der Jury von DSDS bleibt – "Verlagshäuser spielten bei der Sendung keine Rolle", berichtet Sonja Álvarez im Tagesspiegel –, wird Marianne Rosenberg neue Jurorin an der Seite von Augstein. Laura Wagner erinnert sich in der Berliner: "Was Casting-Formate angeht, hat Marianne Rosenberg eine klare Meinung. So schien es zumindest, denn in der Vergangenheit hatte die Schlagersängerin für diese kaum ein gutes Wort übrig. 'Menschenverwertungsmaschinen' nannte sie die Shows, bei denen es nur ums Geschäft und den 'Voyeurismus unserer Gesellschaft' gehe. 'Da wird nur Einheitsbrei produziert, und den Jurymitgliedern geht es vor allem um sich selbst. Dort findet genau das statt, wogegen ich immer angekämpft habe', schimpfte Rosenberg etwa 2008." +++
+++ Martin Kaul informiert in der TAZ, dass eine "vorsichtige, manchmal unbeholfene" Flüchtlingsdoku auf Arte es im Lichte der Ereignisse tatsächlich auf einen Sendeplatz nicht nur kurz vor Mitternacht geschafft hat: "Und wann wollte der Fernsehsender Arte die Dokumentation senden, die zeigen soll, wie das europäische Grenzregime Frontex Europas Außengrenze kühl und klar verteidigt? Um kurz vor Mitternacht mal wieder, Dienstagabend. Schön versenkt. Am Montag gab es dann noch rasch die Gnade: Der Film darf doch schon um 22.15 Uhr anlaufen. Damit es zumindest irgendjemand mitkriegt." +++ Rudolf aus Paris schreibt ebenfalls in der TAZ über einen Fall in Frankreich, bei dem eine Produktionsfirma offenbar Menschen aus Kamerun für die Flüchtlingsdoku engagiert hat, die sie drehen wollte: "Die Journalisten hätten sie mit Versprechen angestiftet, illegal nach Frankreich zu reisen, wo ein Schlaraffenland auf sie warten würde: eine Ausbildung für Joseph, die Rekrutierung bei der Fremdenlegion für Elie und Emile." +++ Michael Hanfeld stellt in der FAZ (Seite 31) Manfred Karremanns Recherchen über die katastrophalen Bedingungen heraus, in denen in Bangladesh Schuhe produziert werden (22.15 Uhr, ZDF): "Sklaven- und Kinderarbeit; Giftstoffe, welche die Menschen, die das Leder verarbeiten, ebenso krank machen können wie diejenigen, die die Produkte tragen; Umweltverschmutzung epischen Ausmaßes und Tierquälerei." +++ Anne Philippi hat Charlie Sheen bei der Vorstellung seiner Show "Anger Management" für die SZ (Seite 31) beobachtet gesehen: "Der Mann ist kein Elefant oder Gigant. Man muss an einen müden Salamander denken, der etwas Erholung und Sonne bräuchte." +++
+++ In Berlin fordert die Content-Allianz feat. Dieter Gorny politische Unterstützung von ganz, ganz oben (TSP, Meedia). +++ In Karlsruhe wird über Filmförderung geurteilt (TAZ). +++ Und "Wetten, dass..?" liest topfausgold.de, wobei es Markus "Mr. Lowmanship" Lanz hinkriegt, die Pointen zu versemmeln, nämlich den angekündigten Unsinn über Helene Fischer nicht aufzulösen: "Aber noch schöner, liebe 'Wetten, dass..?'-Redaktion, wäre es, wenn Ihr beim nächsten Mal Eure Quellen nennt. Oder wenn Ihr einfach kurz fragt, bevor Ihr Euch an unserer Arbeit bedient." +++ Bund der Steuerzahler-Studie könnte bei ARD und ZDF sparen: "Einsparungspotential würde sich dabei vor allem durch eine effizientere Verwaltung und eine zielgerichtetere Nutzung der Programmmittel ergeben." +++ Und Horizont-Chefredakteur Jürgen Scharrer steht in einem großen Beitrag in der FAZ über Google der Digitalisierung der Werbung eher skeptisch gegenüber: "Die Möglichkeiten interaktiver Displaywerbung, in einen Dialog mit den Werbungtreibenden zu treten, werden kaum genutzt: Die Clickraten liegen im Schnitt zwischen 0,1 und 0,3 Prozent. Wer Traffic auf seiner Facebook-Seite haben will, ist gut beraten, auf Gewinnspiele und Rabattaktionen zu setzen – andernfalls ist wenig los." +++
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.